Es entsteht ein Ausreisezentrum in Berlin

freya fluten 10.05.2006 10:09 Themen: Antirassismus
In Berlin entsteht in der unterbelegten Zentralen Aufnahme Stelle (ZASt) in der Motardstr. hinter den Augen der Öffentlichkeit ein Ausreisezentrum.
In Berlin gibt es ein Ausreisezentrum

In Berlin leben ca. 12.000 – 13.000 Menschen mit Duldung und ca. 4.000 Menschen, die sich noch im Asylverfahren befinden. Beides sind Aufenthaltstitel, die meistens einen langen prekären Aufenthalt nach sich ziehen. Die Asylverfahren dauern meistens mehrere Jahre und enden in mehr als 97 % der Fälle mit einer Ablehnung und der Erteilung einer Duldung.
Während des Asylverfahrens ist in der Regel keine Arbeit erlaubt, die Unterbringung in Gemeinschaftsunterkünften vorgesehen. In Berlin gibt es immerhin für einige die Möglichkeit, sich selber eine Wohnung zu suchen.
Auch eine Duldung bedeutet Arbeitsverbot, Sachleistungen und Demütigungen bei den Sozialämtern und Ausländerbehörden und einen perspektivlosen Dauerzustand. Da diese Menschen dann aber schon sehr lange hier wohnen oder aufgrund von Menschenrechtskonventionen, die auch die BRD irgendwann mal unterschrieben hat, nicht abschiebbar sind, setzt sich ihre Entrechtung in Form von Kettenduldungen weiter fort.

Berlin fährt zusätzlich eine besonders inhumane Politik gegenüber denjenigen, die nicht abschiebbar sind und seit Jahren entrechtet in dieser Stadt leben. Das AsylbLG bietet mit dem berüchtigten Paragraphen 1a die Möglichkeit, den Betroffenen alle sowieso schon gekürzten Leistungen bis auf das Essen zu entziehen, wenn ihnen unterstellt wird, sie seien nur eingereist, um hier Sozialhilfe zu beziehen.
Abschiebbar sind die Menschen unter anderem dann nicht, wenn sie keinen gültigen Pass besitzen. Die Ausländerbehörde setzt ihnen dann eine Passbeschaffungsauflage in die Duldung, woraufhin die Sozialämter sie gemäß § 1a AsylbLG behandeln und ihnen weitere Zahlungen verweigern. In Mitte und Reinickendorf hieß das bislang oft Einstellung sämtlicher Leistungen, was praktisch heißt, dass sie obdachlos ausgesetzt werden. Ob die Betroffenen überhaupt die Möglichkeit haben, sich einen Pass zu besorgen oder welche schwerwiegenden Gründe dem entgegenstehen, interessiert keine der Behörden.
In Berlin wird rund 2/3 der Menschen mit Duldung – also über 8000 Menschen – unterstellt, nur wegen der Sozialhilfe nach Deutschland geflohen zu sein, in anderen Bundesländern betrifft das nur ca. 2-3 % der Flüchtlinge. Das macht deutlich, dass Berlin den §1a offensichtlich gern als Repressionsmittel einsetzt.


Unter diesen entrechteten Menschen sind nicht wenige, die einfach nicht abschiebbar sind, weil die UNO sie aufgrund der gefährlichen Lage nicht z. B. in den Kosovo einreisen lässt oder weil sie als staatenlose Palästinenser aus dem Libanon keiner haben will. Um solche Leute loszuwerden, die häufig aufgrund von Menschenrechtsverletzungen nicht abschiebbar sind, hat sich der Staat im Rahmen der neuen Zuwanderungsgesetzes – heißt eigentlich Gesetz zu Begrenzung und Regulation von Zuwanderung – etwas besonders Perfides ausgedacht – die Ausreiseeinrichtungen nach § 61 AufenthG.
Das sind Einrichtungen, in denen Menschen psychisch unter Druck gesetzt werden sollen, bis sie angeblich "freiwillig" ausreisen. Neben dem Druck der Ausländerbehörden ist der Entzug von finanzieller Selbstbestimmung und der Ausschluss aus der kapitalistisch organisierten Gesellschaft eine zentrale Strategie: die Menschen bekommen keine Gelder oder Sachleistungen mehr, keine Gutscheine oder Altkleider, nur noch zwei kalte Essen morgens und abends und ein immer eintönig warmes Mittagessen.

Die Berliner Regierung hat zwar in ihrer Koalitionsvereinbarung festgelegt, keine solche Ausreiseeinrichtungen betreiben zu wollen. Die Wirklichkeit spricht aber eine andere Sprache:
Unter Verweis auf den schon genannten Paragrafen 1A Asylbewerberleistungsgesetz werden die Menschen in die unterbelegte Zentrale Aufnahmestelle – die ZASt – in der Motardstraße hier in Spandau eingewiesen. Dort bekommen sie nur noch Vollverpflegung und kein Geld mehr, im Zweifelsfall noch ein Rückfahrtticket und ein bisschen Reiseproviant.

Unter Beratungsstellen wird schon lange zynisch gewitzelt, dass Berlin keine Ausreiseeinrichtungen brauche, eben weil es als einziges Bundesland Menschen obdachlos aussetzt bzw. seit kurzem in die ZAst Motardstraße einweist.

Diese ist unterbelegt, seit es immer weniger Menschen schaffen, in die BRD zu fliehen. So kann diese Einrichtung nun praktisch als Ausreisezentrum genutzt werden, was der Betreiberin – nämlich der Arbeiterwohlfahrt Mitte – sicherlich nicht ungelegen kam.
Hier wohnen zurzeit ca. 200 Menschen unter Verweis auf § 1a Asylbewerberleistungsgesetz, bei denen die Behörden letztlich darauf warten, bis die Zermürbung unerträglich ist und sie den Weg in die Illegalität gehen.

Zwar reagierte die Sozialbehörde Anfang diesen Jahres auf die jahrelange Praxis des Obdachlosaussetzens mit einer neuen Ausführungsvorschrift, die dies nicht mehr zulassen soll. Gleichzeitig schreibt diese AV jedoch eine vermehrte Auszahlung von Sachleistungen vor und hat dadurch wohl als direkte Folge die vermehrte Einweisung in die Motardstr – also die ZASt.
So wird hier durch die Hintertür de facto ein Ausreisezentrum aufgebaut und die SPD/PDS-Koalition führt ihre eigene Koalitionsvereinbarung ad absurdum.
Wir fordern deshalb die konsequente Erteilung von langfristigen Aufenthaltstiteln und die sofortige Entlassung aller § 1a- Betroffenen aus der Motardstr. in eigene Wohnungen.

Wir sollten die aktuelle Entwicklung in Berlin genau beobachten und gerade jetzt im Rahmen des beginnenden Wahlkampfes in Berlin die regierenden Parteien auf ihre zynischen Lügen hinweisen.

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Ergänzungen

Keine Ausreise

tobi 12.05.2006 - 12:26

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