Tü: Maisingen der Burschenschafter

Anfechter 03.05.2006 18:41 Themen: Antifa
Vom Sonntag, den 30. April, auf den Montag, 1. Mai, war es wieder einmal soweit: Der reaktionärere und rechtere Teil der Tübinger Studentenverbindungen beging das Maisingen.
Begleitet wurden sie dabei von Protesten von Verbindungskritikern die auch im Vorfeld Veranstaltungen gemacht haben.
Das Tübinger "Bündnis gegen das Hofieren reaktionärer Seilschaften"
hatte im Vorfeld einiges an verbindungskritischer Arbeit geleistet:

- Es wurde ein Vortrag mit dem Titel "Männerbünde und Exzellenz"
organisiert. Referent war Dr. Stephan Peters vom "Projekt Konservatismus
und Wissenschaft". Der Vortrag war mit über 60 Leuten sehr gut besucht
und bekam eine durchweg sehr positive Resonanz.
Die anwesenden Verbindungsstudenten hatten den Ausführungen Dr. Peters
offenbar auch nichts mehr hinzuzufügen und verzogen sich verfrüht, nicht
gerade geräuscharm und sichtlich frustriert aus dem Hörsaal.

Anknüpfend an den Vortrag gab es ein Interview des Schwäbischen
Tagblattes mit Peters und einem Tübinger Verbindungs-Aussteiger, der
entsetzliche Anekdoten aus seiner Korporierten-Zeit mitbrachte. Diese
wurden teilweise auch im Tagblatt veröffentlicht und führten zusammen
mit der theoretischen Analyse Peters zu einem äußerst
verbindungskritischen Artikel ("Erst saufen, dann reden -
Trink-Kommandos und rechtslastige Reime") im Tagblatt. Dieser kann
durchaus als Erfolg für das Bündnis gewertet werden, da er die
Verbindungen endlich wieder in die Schusslinie der Regionalpresse und
damit auch ins Bewusstsein der Anwohner gebracht hat.

Weiterhin gab es im Vorfeld des Maisingens eine Aktionswoche mit
Infotischen der Antifa in den Tübinger Mensen, bei denen massenhaft
Flugblätter mit einem Aufruf zur Kundgebung am 30.4 sowie einer
inhaltlichen Auseinandersetzung mit den Verbindungen Tübingens verteilt
wurden.Die Resonanz auf die Infotische war ebenfalls durchweg positiv,
von einigen aggressiven Burschenschaftlern einmal abgesehen.

Die Arbeit im Vorfeld kann man also durchaus als Erfolg werten, da viele
Interessierte mit inhaltlichen Argumenten gegen das Verbindungswesen
versorgt wurden, die Kundgebung des 30.4 ordentlich beworben wurde und
auch das Presseecho absolut positiv ausfiel.


Nun zum eigentliche Maisingen:

Durch die Absperrgitter der Polizei an den Rand des Holzmarktes auf 1/10 der Fläche gedrängt sammelten sich bei der Gegenkundgebung trotzdem 2.000 Personen an, darunter viele Verbindungskritiker, aber auch viele Schaulustige.
Um ungehindert Singen zu können hatten die Mitglieder des „Waffenring Tübinger Studenten“ (1) beim Ordnungsamt einen Aufmarsch angemeldet, der dann von drei Hundertschaften Polizei gut abgeschirmt wurde. Im Gegensatz zu den Jahren davor wurde dem Waffenring ein Teil des zentral gelegenen Holzmarktes zugestanden. Auch die mitgeführten Fackeln (in Vergangenheit bereits als Waffen eingesetzt) und die Uniformen (verstößt eigentlich gegen das Versammlungsrecht) wurden nicht beanstandet.
Die Verbindungskritiker, organisiert im „Bündnis gegen das Hofieren reaktionärer Seilschaften“, wurde dagegen durch die Drohung der Beschlagname davon abgehalten einen Beamer zu verwenden. Weiterhin wurde die Auflage erteilt nach 2 min. Musik immer zu unterbrechen. Selbiges wurde von dem Waffenring mit seinen gegröhlten drei Lieder nicht verlangt.
Kurz vor 23 Uhr begann die Kundgebung. Verschiedene Redebeiträge zu den Themen Geschichte des Tübinger Maisingens, Allgemeine Verbindungskritik, Verbindungen und Sexismus und Verbindungen und Rechtsextremismus wurden gehalten. Bei dem letztgenannten Thema wurde klar dargelegt, dass sich unter den Singenden auch Angehörige zweier Mitgliederverbünde der rechtsextrem dominierten Deutschen Burschenschaft befanden. Gemeint waren die Burschenschaften Germania Straßburg und Arminia Straßburg aus Tübingen. Diese hatten in den 1980ern Jahren mit dem rechtsradikalen „Hochschulring Tübinger Studenten“ und der rechtsterroristischen Wehrsportgruppe Hoffmann zusammengearbeitet. In letzter Zeit fielen beide Burschenschaften durch die Einladung rechter Referenten auf, darunter auch ein Alter Herr (nichtaktives Verbindungsmitglied) der vom Verfassungsschutz beobachteten Münchner Danubia. Im Redebeitrag zur Geschichte des Tübinger Maisingens wurde durch ein Zitat gut dargestellt, dass die Verbindungsstudenten zum Maisingen 1933 den neuen Reichskanzler Adolf Hitler mit einem dreifachen „Sieg Heil“ gefeiert hatten. Im 3. Reich selbst waren Tübinger Korporierte an Kriegsverbrechen und Verfolgung aktiv beteiligt (2).
Als bekannt wurde, dass sich der Waffenring in Marsch gesetzt hatte, wurde die Kundgebung für beendet erklärt. Die Marschroute des Waffenrings durch die Doblerstraße, über das Lustenauer Tor in die Pfleghofgasse und zum Holzmarkt wurde von der Polizei komplett abgeschirmt.
Gesungen hatten die drei Lieder, darunter ein Kaisertreues, die 300 Mann (Frau darf ja meist nicht beitreten) Verbindungsstudenten vom Waffenring im SA-Stil mit Fackeln und ihre Begleitung direkt vor einer Tafel an der Stiftskirche auf dem Holzmarkt, die an die jüdischen Opfer des Nationalsozialismus aus Tübingen erinnerte.
Das Singen wurde von den lautstarken Protesten aus der Gegenkundgebung stark übertönt und die Mitglieder einer Clownsarmee boten bessere Alternativen zum Besten.
Der Marsch vom Österberg, dem Hort der meisten Verbindungshäuser in Tübingen, wurde von den Mitgliedern des Waffenrings sehr früh angetreten, so dass das traditionelle MaiEINsingen bereits kurz vor 24 Uhr beendet war.
Vereinzelt flogen Wasserbomben, Wasser pur, Eier, Farbbeutel oder Flaschen.
Gegen 0.45 Uhr erst sollen die Waffenring-Mitglieder erst wieder den Österberg erreichet haben. Kurzzeitig wurden am Österberg auch etwa 20 Gegendemonstranten gekesselt.
Etwa 0.30 Uhr kam es noch zu einer kleinen, aber lautstarken Spontandemo gegen das Maisingen mit 30 bis 40 Teilnehmern, die bis kurz vor das Polizeiquartier in der Pfleghofstraße vorstieß.
Sechs Personen wurden von der Polizei vorübergehend wegen angeblichen Widerstandes gegen Vollstreckungsbeamte, Körperverletzung, Beleidigung und Sachbeschädigung fest.
Diese Festnahmen fanden wohl vor allem in der Neckargasse statt. Vereinzelt kam es zu Rangeleien, Schlagstockeinsatz und Pfeffersprayeinsatz. Ein Leserbrief an die örtliche Zeitung schildert, wie Polizisten die Untersuchung und Hilfe für ein Pefferspray-Opfer (?) unterbunden, ablehnten und den Fall verharmlosten (3).
Laut Polizei wurden auch vier Polizeibeamte leicht verletzt und ein Dienst-Auto beschädigt.
In der Fußgängerzone am Hauptbahnhof wurde in derselben Nacht noch ein schlecht gemaltes Hakenkreuz entdeckt.

Insgesamt lässt sich feststellen, dass die Stimmung auch unter den ´normale’ Kundgebungs-Besuchern ziemlich geladen war. Nach Beobachtung sind die Verbindungsstudentinnen diesmal nach dem Singen weniger offen aufgetreten (ohne Uniform, Mütze oder Bändel).
Negativ war, dass die Polizei jegliches Agieren durch ihre gute Besetzung der Örtlichkeiten schon im vornherein verhinderte.

Keinen Fußbreit den reaktionären Seilschaften!

ANMERKUNGEN
(1) Informationen zum Tübinger Verbindungs(un)wesen gibt es unter:
 http://clubhausia.fsrvv.de/
(2) Horst Junginger: Tübinger Exekutoren der Endlösung
 http://homepages.uni-tuebingen.de/gerd.simon/exekutoren.pdf
(3)Leserbrief über Behandlung eines Demonstranten durch die Polizei
 http://www.tagblatt.de/index.php?artikel_id=35595376

PRESSE
- Schwäbisches Tagblatt: 300 Polizisten beim Maisingen im Einsatz
 http://www.cityinfonetz.de/index.php?artikel_id=35595373
- Reutlinger Generalanzeiger: Viele Stör-Aktionen
 http://www.gea.de/detail/579607
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Ergänzungen

Siehe auch

Ergänzingen 04.05.2006 - 00:13
 http://de.indymedia.org/2006/05/145171.shtml
(Bilder vom Tübinger Maisingen)

Infos für Tübingen und Umgebung...

gibts auch... 04.05.2006 - 13:45
... auf dem regionalen Infoportal "Tueinfo"

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