Französische u. deutsche Verhältnisse

Wal Buchenberg 29.04.2006 12:04 Themen: Soziale Kämpfe
Linke in Deutschland schauen mit Neid über den Rhein und wünschen sich hier französische Verhältnisse.
Dort haben tage- und wochenlange Streiks, Demonstrationen, Verkehrsblockaden, Besetzungen usw. von mehr als 3 Millionen Menschen das Gesetz zur Beseitigung des Kündigungsschutzes für Berufsanfänger zu Fall gebracht.

Indy-Berichte:  http://de.indymedia.org/2006/02/138903.shtml
Möglich wurde der breite Widerstand in Frankreich vor allem durch die aktive Unterstützung der französischen Gewerkschaftsbewegung. Wo deutsche Gewerkschaftsführer immer auf "Konsens" mit der Regierung und den Kapitalisten aus sind, da gehen französische Gewerkschaften mit auf die Straße. Was den politischen Unterschied ausmacht, ist aber nicht die organisatorische Größe, gemessen in Mitgliederzahlen.

Die Gewerkschaften in Deutschland sind "stärker" als die französischen, sowohl was die absolute Zahl der Mitglieder wie auch was den relativen Organisierungsgrad angeht - die Zahl der Gewerkschaftsmitglieder im Verhältnis zur Zahl der (aktiven) Lohnarbeiter.
In Frankreich sind gerade mal 8 % der aktiven Lohnarbeiter Mitglied einer Gewerkschaft. In Deutschland sind es über 20 Prozent.

Siehe dazu die Grafik unten.

Nicolas Sarkozy, französisches Regierungsmitglied und möglicher Präsidentschaftskandidat der Rechten, klagte: "In Wirklichkeit ist unser Problem nicht, dass wir zu mächtige Gewerkschaften haben, sondern dass sie zersplittert sind und klein." Sarkozy und die französischen Rechten wünschen sich sehnlichst "deutsche Verhältnisse". Sarkozy schlug vor, die französischen Gewerkschaften zu vereinen und zu vergrößern, "damit sie verantwortungsvoller und konstruktiver werden".

Das Problem, das wir Linke mit den deutschen Gewerkschaften haben, ist nicht, dass sie zuwenig Mitglieder haben. In dieses Horn blasen unsere Gewerkschaftsführer. Unser Problem ist, dass die Gewerkschaften in Deutschland "verantwortungsvoll und konstruktiv" für die Herrschenden und ihr "Gemeinwohl" tätig werden.

Siehe zum aktuellen Tarifkonflikt:  http://de.indymedia.org/2006/04/144807.shtml

Der Tarifkonflikt der lohnabhängigen Klinikärzte wird zur Zeit von einer kleinen Berufsgewerkschaft, dem Marburger Bund, viel radikaler und konsequenter geführt als die DGB-Gewerkschaften jemals in der Bundesrepublik aufgetreten sind. Oder hat je eine DGB-Gewerkschaft eine Lohnforderung von 30% aufgestellt?

In Frankreich gibt es keine "Einheitsgewerkschaft" wie bei uns, sondern fünf konkurrierende Gewerkschaften mit unterschiedlicher Parteienanbindung. Dass Gewerkschaften nicht parteipolitisch neutral sind, das ist in jedem Fall für ihre Arbeit störend und hinderlich. Noch schlimmer ist es jedoch, wenn eine Gewerkschaftsbewegung unter dem Firmenschild "Einheitsgewerkschaft" tatsächlich eine sozialdemokratische Richtungsgewerkschaft mit einzelnen christdemokratischen und grünen Tupfern betreibt. So wie die Sozialdemokratie eine mit der Staatsmacht verflochtene Interessengemeinschaft ist, so ist der deutsche Gewerkschaftsapparat eine mit der Staatsmacht verflochtene Interessengemeinschaft.

Frankreich zeigt uns: Politische und gewerkschaftliche Konkurrenz bringt Leben in die Bewegung. In Frankreich konkurrieren verschiedene Gewerkschaften miteinander um Mitglieder. Die Mitgliederinteressen stehen dort höher als bei uns. Bei unseren Gewerkschaften steht das Staatsinteresse höher.

Wie stark eine Gewerkschaftsbewegung ist, hängt nicht ab von der Zahl ihrer Mitglieder, hängt nicht ab vom Gewerkschaftsgrad - wie die Stärke der Linken auch nicht abhängt von der Zahl ihrer organisierten Mitglieder. Die Stärke der Gewerkschaftsbewegung hängt in erster Linie ab von ihrer Interessenvertretung: Stellt sie die Interessen der LohnarbeiterInnen und aller Ausgebeuteten und Unterdrückten in den Mittelpunkt oder will sie ständig "verantwortungsvoll und konstruktiv" mit Regierung und Kapitalisten zusammenarbeiten?

Wenn also Kapitalisten und öffentliche Arbeitgeber in den letzten Jahren absichtlich die Flächentarife zerschlagen haben, schwächt das zwar die deutsche Einheitsgewerkschaft, aber gleichzeitig schwächt es damit die "Placebo-Wirkung" der deutschen Gewerkschaften.

Regionale und lokale Konflikte nehmen in Deutschland zu, wie bei Gate Gourmet, Opel Bochum, AEG Nürnberg oder CNH-Berlin, wo Belegschaften ihr Schicksal in eigene Hände nehmen und nicht brav warten, was die Gewerkschaftsbosse mit den Industriebossen in ihren Verhandlungsräumen aushandeln. Solche aktiven Belegschaften unterstützen dann auch eher andere soziale Bewegungen wie gegen Hartz IV, gegen Atomkraft usw.
Wir werden nicht sofort französische Verhältnisse kriegen, aber wir rücken näher an Frankreich heran.

Wal Buchenberg für Indymedia, 29.04.2006
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Ergänzungen

nur kleiner Erfolg

Zamorano 29.04.2006 - 12:55
Der Erfolg des französischen Widerstands ist sicherlich erfreulich, doch er ist doch eher klein geblieben. Es wurde nur der Artikel 8 (zwei Jahre ohne Kündigungsschutz für unter 26jährige) zurückgenommen, das restliche Gesetzespaket bleibt (inklusive finanzielle Repression gegen ganze Familien, deren Kinder die Schule öfter schwänzen, Kürzung von Sozialleistungen). Und da der breite Prost jetzt abflaut (vereinzelt gibt es noch Blockaden oder Demos), bleibt doch der fade Beigeschmack, dass die Studenten und Abiturienten als stärkste Gruppe der Proteste mit der Rücknahme des ihnen persönlich störenden Artikels zufrieden sind. Eine breite Front ist also leider nicht wirklcih zu finden.

Auch mies

2G 29.04.2006 - 13:55
ist es, daß in Zukunft nachtschichten von 15 Jährigen gemacht werden dürfen... @ Zamorano, Ich glaube nicht das es die Studis sind die sich so krass auf den CPE versteift haben (Kündigungsschutz), sondern die CFDT, CGT und SUD... Die Kritik war um einiges breiter gefächert und wurde von Berufsmöchtepollisein auf den CPE reduziert. Das gesamte Gesetz zur "Chancengleichheit" wird weiterhin beschossen, v.A. in Rennes, Toulouse, Grenoble und Lille.

Vor drei Tagen wurde die Sorbonne kurzzeitig besetzt, jedoch schnell wieder geräumt.

NUR Teilerfolg

Französin aus Toulouse 29.04.2006 - 16:27
Ja, der Kampf ist ein Teilerfolg gewesen, aber längst kein Erfolg. Es hat eigentlich lange gedauert, bis auf die Gewerkschaften der "Arbeitswelt" sich StudentInnen und SchülerInnen anschliessen. In Toulouse dauerte der Steik seit gut anderhalb Monat an, bevor die Gewerkschaften mitmachen - es ist hier nicht die Rede von Studenten und Schüler-Gewerkschaften..

Natürlich sind dann endlich plötzlich mehr Menschen auf die Strasse gegangen. Denn es stimmt schon, dass wenig Leute in gewerkschaften engagiert sind. Aber deren Aufrufe kommen viele Menschen nach. Es hat auch was mit der französischen Streit- und Streikkultur zu tun. Im Bewustsein der Bevölkerung werden Gesetze durchaus anders wahr genommen als in Deutschland. Ein gesetz ist ein gesellschaftlicher Hinweis, in welche Richtung man sich bewegen soll, das gesetz kann mann aber oft umrunden. Also nicht immer darauf achten. Und die Leute gehen gerne ganz spontan auf die Starsse. Auf Demo hat mann meistens viel Spielraum. In Toulouse ist es auf jeden Fall so : Kein Ärger wegen nicht angemldete Demo wie in D. Auf der Demo wird beschmiert (Bankautomat außer Betrieb, Werbetaffeln mit Konsummfeindlichen Mottos beschmiert), die Polizei reagiert oft nicht darauf. Es wird fast nie gekesselt. Trännengas ist aber dagegen oft ineinsatz. Und man soll bei Auflösung der Demo vorsichtig sein, es wird oft willkürlich fesgenommen.

Ziviler Ungehorsam ist ein populärer weit werbreiteter Begriff. Natürlich schlägt der Staat auch zurück. Oft mit Schnelleverfahren. Also es gibt viel spielraum, aber nix ist sicher... Und die Bullen lieben Anklage wie "Widerstand, Gewalt, beleidigung" - wie in Deutschland.

Die Gewerkschaften kämpfen aber meistens schließlich um eigene Interesse (Lohn, ...) und sind eigentlich schwer für einen Anderen Kampf zu Gewinnen.Die Gesellschaft stellen sie nicht tiefgreifend in Frage (außer die AnarchistInnen und teilweise SUD) Beim Kampf gegen dier Lockerung des Kündigunsschutz fühlten sie sich betroffen, was sie dazu gefürht hat mitzudemonstrieren. Aber das Ganze Gesetz stellen sie nicht in Frage, leider. nach dem Teilerfolg haben sie sich gleich zurückgezogen.
Den SchürInnen und StudetInnen ging es ja um mehr. Mir ging ja auch um dans ganze gesetz und ferner um das System. Aber eine Mehrheit beschränkte sich glaube ich auf das Gesetz (aber nicht auf dem Gesetartikel) Einige versuchen weiter zu Kampfen. Aber die Masse geht jetzt zurück zur Schule/Uni. angst um Prüfungen... Und nach 3 Monaten Steik ist man auch müde, es ist vieleicht wichtig neue Wege im Kampf zu finden. Was in Toulouse weiterhin statfindet : Besetzung, vor kurzem "Umzug" von einer Arbeitsfirma, Stadtguerilla (Beschmieren, action by night..)

Eine Nachricht von gestern gibt auch Hoffnung. Das CNE-Gesetzt - Lockerung des Kündigungsschutz in kleienren Unternehmen, das im Sommer verabschiedet wurde (trick von der regierung um proteste zu vermeiden) wurde jetzt vom Arbeitsgericht gekippt : Menschen dürfen laut internationalen Arbeitsregelungen nicht OHNE Angabe von Grund gefeuert werden (was das Gesetzt vorsieht). Geklagt hatte u.a. eine Frau, die nach einem Monat gefeuert wurde. Viele Verfahren werden Folgen.

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