TÜRKEI: 122. Todesopfer infolge der Isolation

Anatolien Radio, Orange 94.0 28.04.2006 18:56 Themen: Weltweit
Fatma Koyupinar hat gestern Donnerstag, im Zuge des Todesfastens im Widerstand gegen Isolationsgefängnisse ihr Leben verloren
Seit der Errichtung von Hochsicherheitsgefängnissen unter der Bezeichnung „Typ F“, führen politische Gefangene und Angehörige in der Türkei einen unermüdlichen Kampf gegen die Isolation und die damit verbundenen Menschenrechtsverletzungen. Allein die Militäroperation am 19. Dezember 2000, welche zur Verlegung der Gefangenen in 20 Gefängnissen durchgeführt wurde, hat 28 Menschen das Leben gekostet.

Hunderte politische Gefangene waren damals in ein Todesfasten getreten, das bis heute in Form von freiwilligen „Gruppen“ fortgesetzt wird.

Dabei ist die Forderung, die auch von zahlreichen Intellektuellen und JuristInnen des Landes seit Jahren unterstützt wird so einfach umsetzbar. Die Regierung in Ankara weigert sich jedoch weiterhin, mit den Gefangenen ins Gespräch zu kommen.

Fatma Koyupinar, die ihre Todesfastenaktion nach ihrer Haftentlassung in Istanbul fortsetzte, wurde seit 5. April von Rechtsanwalt Behic Asci bei ihrer Aktion in einer Wohnung in Sisli/Istanbul unterstützt.

Gestern Abend hat Fatma Koyupinar nach 354 Tagen Fasten ihr Leben verloren.

Sie hatte vor ihrem Tod stets betont: Ich möchte die letzte sein. Ich will nicht dass weitere FreundInnen sterben müssen“.

Noch gestern Nacht trafen viele FreundInnen und Unterstützende im Haus ein, um von Fatma Abschied zu nehmen. Ihr Leichnam soll noch heute nach Gaziantep, in ihre Heimatstadt gebracht werden.
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Ergänzungen

DAMIT DIE ISOLATION IN DEN GEFÄNGNISSEN BEEND

Feda 29.04.2006 - 23:00
DAMIT DIE ISOLATION IN DEN GEFÄNGNISSEN BEENDET WIRD; BEGINNE ICH EIN TODESFASTEN. ICH WERDE STERBEN...

Heute ist der internationale Tag der Anwälte. In den Anwaltskammern, im Justizministerium werden prunkvolle Feierlichkeiten veranstaltet werden. Es wird von der „Herrschaft des Rechts“, von „Gerechtigkeit“, von „unabhängiger Rechtssprechung“ und von der „Unabhängigkeit der Verteidigung“ geredet werden.

Und ich, Anwalt Behic Asci, beginne heute ein TODESFASTEN gegen die Isolationspolitik, die in den Gefängnissen praktiziert wird. Das mag verwirrend vorkommen. Ich muss sagen, dass ich bei klarem Verstand bin: Ich setze die Entscheidung um, über die ich jahrelang nachgedacht habe. Dies ist ein Entschluss, den ich aus freien Stücken gefällt habe.

Weshalb beginne ich ein Todesfasten? Sicherlich nicht, weil ich den Tod liebe. Ich möchte auch nicht Selbstmord begehen. Ich fasse es als eine politische Aktionsform auf. Ich beginne ein Todesfasten aus den Gründen, die ich unten nenne.

Ich befinde mich im TODESFASTEN, weil ich ein revolutionärer Anwalt bin.

Auch die Tätigkeit eines Anwalts kann auf verschiedene Weisen ausgeübt werden. Einige betrachten es als einen Beruf und ihr Ziel ist es, Geld zu verdienen. Hinsichtlich meiner Person denke ich, dass statt meiner Identität als Anwalt, viel mehr meine Identität als Revolutionär wichtiger und entscheidender ist. Revolutionäre Anwälte sind jene, welche über die Ausübung des Anwaltsberufes hinaus die Seite im Kampf für Rechte und Freiheiten und im Kampf für die Demokratie ergriffen haben. Er/sie ist dem Volk zugewendet. Das Wissen und die Erfahrung wird hierbei im Kampf für Unabhängigkeit und Demokratie eingesetzt. Ein/e revolutionäre/r Anwalt/in sperrt sich selbst nicht in Gerichtssälen ein und beschränkt den Kampf für Demokratie nicht darauf, sich an Verfahren zu beteiligen. Er/sie muss die Statute brechen. Dies habe ich gemacht. In dem Rechtsbüro des Volkes, wo ich arbeite, habe ich versucht, mich am Kampf für Rechte und Freiheiten zu beteiligen. Ich habe meinen Platz eingenommen; teils in den Säälen der Staatssicherheitsgerichte, teils bei den Aktionen und Demonstrationen. Ich wurde Zeuge von Massakern, ich habe an hunderten Beerdigungen teilgenommen. Und jeder dieser Menschen war wertvoll, ich habe sie, einen nach dem anderen, in die Unsterblichkeit verabschiedet. Ich habe den Schmerz in mich begraben, ich bin gelaufen. Denn ich war ein Revolutionär, ein Anwalt. Dafür habe ich den Preis gezahlt. Ich wurde festgenommen, gefoltert. Verhaftet. Ich habe die Isolation in den F-Typen erlebt. Mir wurde verboten, meinen Beruf als Anwalt auszuüben. Mir wurde verboten, meine Klient/innen zu sehen. Ich habe verstanden, dass es nicht möglich ist, Revolutionär zu sein ohne Opfer bringen zu müssen. Was ich erlebte, waren die Opfer, die ich bringen musste. Und mit der Zeit habe ich auch verstanden; ein Revolutionär zu sein bedeutet, Mensch zu werden. Die Revolutionäre/innen hielten unsere Werte, Traditionen, Emotionen, unsere Liebe und unsere Sehnsucht, welche von den politischen Machthabern beschnitten wurden, am Leben. Im Kampf habe ich Empfindungen erlebt, die unmöglich beschrieben werden können.

Mit dem Revolutionär sein habe ich die Verbundenheit, die bedingungslose Liebe, die Freundschaft und die Liebe zum Volk und zur Heimet kennengelernt. Wir sind für die Erde dieser Heimat, für die Menschen, die auf dieser Erde leben, gestorben. Und wir sterben weiter. Kann es eine schönere Empfindung geben, als diese?

Mein Beruf als Anwalt erhält nur in Verbindung mit meiner Identität als Revolutionär einen Sinn. Mit meiner Todesfastenaktion setze ich eigentlich meinen Beruf als Anwalt fort. Ich verteidige trotzdem die Rechte meiner Klient/innen. Diesmal aber auf eine andere Weise. Nach der polizeilichen Hinrichtung des Anwalts Fuat Erdogan in Besiktas, werde ich versuchen, ein neues Glied zu sein. Ich werde Freund und Feind zeigen, wie revolutionär-demokratische Anwält/innen ihre Arbeit machen. Seht, wir können für das Volk sterben. Und Ihr?

Ich befinde mich im TODESFASTEN, damit die Isolation aufgehoben wird.

Es wurde viel über die F-Typen gesagt und geschrieben. Es wurde unzählige Male gesagt, dass es Isolationsgefängnisse sind. Jede und jeder hat gesagt, dass die F-Typen nicht mit Menschen vereinbar sind... Mit ihren Berichten haben die Anwaltskammern, die Ärztekammern und die Architektenkammern erklärt, dass diese „geschlossen werden müssen“. Das Justizministerium hat die Wissenschaft nicht angehört. In 6 Jahren sind 121 Menschen in den F-Typen gefallen. Hunderte wurden durch Zwangsernährung verkrüppelt, ihrer Vergangenheit beraubt. Bei Hunderten von sozialen und politischen verhafteten und verurteilten Gefangenen begannen Isolationskrankheiten. Das Justizministerium hat das nicht gesehen. Entsprachen die F-Typen doch der Europäischen Union. Sie wurden mit der Zustimmung der EU errichtet. Die F-Typen, die der EU entsprachen, widersprachen aber den Menschen. Es wurden Aktionen durchgeführt, als die F-Typen noch nicht errichtet waren und sich im Bauzustand befanden. Aber die F-Typen wurden mit Blut eröffnet und es wurde weiterhin Blut vergossen. Wir alle hatten einen Platz in dem großen Todesfastenwiderstand gegen die F-Typen. Auch ich hatte meinen Platz in dem Widerstand. Ich habe Särge auf meinen Schultern getragen. Nach sovielen Beerdigungen, nach den Beerdigungen von Gülsuman und Senay, nach dem Tod von Canan und Zehra wäre es gewissenslos gewesen, außerhalb des Widerstandes zu bleiben.

Als die Leichname der 6 Frauen abgeholt wurden, welche im Gefängnis von Sagmacilar verbrannt waren, konnten die Familien die letzten beiden Leichname nicht identifizieren. Denn es waren lediglich zwei schwarze Ballen übriggeblieben. Beide unserer Familien haben sich der Leichname einfach angenommen, indem sie sagten : „Beides sind unsere Kinder.“ Kann man so etwas erleben und fassungslos bleiben. Und genau deshalb bin ich im Todesfasten.

Iin diesem Land gibt es kein Recht und keine Gerechtigkeit.
Deshalb bin ich im TODESFASTEN.

Ich praktiziere meinen Beruf als Anwalt in diesem Land seit 12 Jahren. Ich habe an hunderten Prozessen vor dem Staatssicherheitsgericht teilgenommen. In dutzenden Verfahren, wo es um extralegale Hinrichtung ging, habe ich die Menschen vertreten, deren Kinder verschwunden waren. Immer wurden die Mörder freigesprochen. Die Forderung des Volkes nach Gerechtigkeit wurde nicht erfüllt. Während jene, die die Banken ruinierten, das Geld des Volkes unterschlugen und die Betrüger auf Händen getragen werden, wurden jene, die für die Unabhängigkeit der Heimat, für die Freiheit des Volkes und für die nationale Würde kämpfen, in Zellen gesperrt. Jede und jeder hat die Repression zu spüren bekommen. Die Gecekondu-Bewohnerinnen und -Bewohner, Arbeitinnen und Arbeiter, Arbeitslose, Bäuerinnen und Bauern, Frauen, Männer und Kinder, alle haben ihren Teil von diesem System der Ausbeutung und Unterdrückung abbekommen. Sie haben in den Gerichtssälen nach ihren Rechten gesucht. Nun, konnten wir Gerechtigkeit finden? Wurde das Verlangen des Volkes nach Gerechtigkeit befriedigt? Nein.

Auch wir Anwalt/innen haben unseren Teil abbekommen. Wir waren ständig in der Zielscheibe der politischen Machthaber. Wir waren stolz und gewürdigt. Denn wären wir durch unsere Praxis nicht das Ziel von Repression gewesen, dann hätten wir an uns zweifeln müssen. Wir hätten an unserem Kampf gezweifelt. Ich sagte bereits, dass wir wegen unserer Ansichten der Repression ausgesetzt waren. Wir wurden festgenommen. Gefoltert. Verhaftet. Auch ich wurde in die F-Typen gesperrt.

Auch ich habe die Isolation gesehen und erlebt. Einer der Anwälte unseres Büros, Anwalt Fuat Erdogan, wurde von der Polizei ermordet. Dies ist der größte Preis, den wir bezahlen können. Der Tod. Den Anwälten wurde die Ausübung ihres Berufes verboten. Es wurde beschlossen, dass sie von Wärtern begleitet werden müssen. Ihre Akten wurden beschlagnahmt. Sie wurden festgenommen, wenn sie sich zu den Gefängnissen begaben. Sie wurden bis auf die Unterwäsche durchsucht. Die Anzeigen, die wir dagegen machten, blieben ohne Ergebnis. Wir, die wir uns der Verantwortung annahmen, die Unterdrückten, Ausgebeuteten und jene, die an den Gerichtstoren nach ihren Rechten suchten, zu verteidigen, konnten unsere eigenen Rechte nicht mehr nutzen und verteidigen.

Auf der anderen Seite wurde anderen nicht der Prozess gemacht und sie wurden nicht verurteilt. Jene, die unsere blutjungen Menschen ermordeten, wurden nicht einmal für einen Tag eingesperrt. Wir haben erkannt, dass es nicht möglich ist, Gerechtigkeit für uns zu erwarten. Deshalb bin ich im Todesfasten.

Niemand soll versuchen, hinsichtlich meiner Aktion demagogisch vorzugehen. Dies ist eine Entscheidung, die ich aus freien Stücken getroffen habe. Ich kenne das Ergebnis. Ich werde sterben.

Ich möchte meine Worte mit einem Zitat aus dem Brief von Halil Önder beenden, welcher während der Operation vom 19. Dezember im Gefängnis von Ceyhan gefallen ist. Diese Zeilen geben auch meine Gefühle wieder.

„Auf Wiedersehen:

Wir haben das „Auf Wiedersehen“ immer am Ende unserer Briefe geschrieben. Diesmal nahmen wir es an den Anfang. Denn wir werden diesen Brief mit „Lebt wohl“ beenden. Ja, wir gehen, auf Wiedersehen. Auf Wiedersehen Mutter, meine Liebe, auf Wiedersehen mein Bruder, mein Freund, auf Wiedersehen Freunde, auf Wiedersehen, Ihr, die wir zurücklassen. Auf Wiedersehen Berge, Täler, Straßen, auf Wiedersehen Meer, Himmel, auch Du, Stift und Papier, auf Wiedersehen, wir schlagen unsere Segel gen neuer Horizonte des Lebensweges auf. Wir überbrücken einen weiteren Berg auf dem Weg der Revolution. Wir gehen und werden vielleicht nie wiederkehren. Bei jedem Kilometerstein wird jemand von uns fallen. Wir werden dem endgültigen Sieg noch näher liegende Entfernungen aufzeigen. Wir haben Euch immer geliebt und wollten Euch nie verlassen. Was uns auf diesen Weg begab, war unsere Liebe zu Euch...

Auf Wiedersehen, wir werden den Tod nicht auf uns warten lassen. Auf Wiedersehen Arbeiterinnen und Arbeiter, Bäuerinnen und Bauern, Beamtinnen und Beamte. Auf Wiedersehen Studentinnen und Studenten, Einzelhändlerinnen und –Händler, auf Wiedersehen unser Volk. Wir werden jenen, die unsere Heimat verkaufen, eine weitere Lektion erteilen. Wir werden für Euch sterben. Wir werden den Tod nicht auf uns warten lassen. Wenn Ihr möchtet, dann verschließt Eure Augen, haltet Euch Eure Ohren zu... wenn Ihr möchtet, dann hört und seht uns. Seht, wie wir Zelle für Zelle dahinschmelzen...

Erzählt Euren Kindern Märchen, wie wir, zwischen den Sternen, wie Sternschnuppen fallen... Aber vorerst auf Wiedersehen. Vielleicht werden wir nicht genügend Zeit für einen letzten Abschied haben. Vielleicht reicht es in knappen Zeiten nicht aus, sich zu verabschieden. Wir gehen. Dies ist unser letzter Abschied
LEBT WOHL...“

Rechtsanwalt Behic Asci

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