Spanien: Nach Osten offen, nach Afrika dicht

Ralf Streck 18.04.2006 22:42 Themen: Antirassismus Soziale Kämpfe Weltweit
Ab dem 1. Mai fällt auch in Spanien die Beschränkung der Freizügigkeit für Arbeitskräfte aus den neuen EU-Mitgliedstaaten, die Deutschland weiter aufrechtet erhalten will. Dabei ist beschworene Ansturm auf die Länder nicht eingetreten, die nie die Freizügigkeit eingeschränkt hatten. Auch bei der „Regulierung“ in Spanien spielten Arbeitskräfte von dort kaum eine Rolle. Fast 600.000 Menschen mit gültigen Papieren zu versehen, führte zu hohen Einnahmen in der Sozialversicherung und zur Senkung der Arbeitslosigkeit. Während sich Spanien aber nach Osten öffnet, schottet es sich tödlich nach Süden ab.
Ende März hat die Bundesregierung die Beschränkungen für Arbeitnehmer aus den neuen EU-Mitgliedstaaten um weitere drei Jahre verlängert.  http://www.bundesregierung.de.edgesuite.net/-,413.977396/artikel/Zugang-zum-deutschen-Arbeitsma.htm Sonst hätten sich ab dem 30. April auch die Arbeitnehmer der acht neuen osteuropäischen Mitgliedstaaten, die am 1. Mai 2005 der EU beigetreten sind, in Deutschland einen Job suchen können. Ausgenommen sind nur die beiden südeuropäischen Zwergländer Malta und Zypern. Der Beschluss fiel gegen die Empfehlung der EU und den Forderungen der Europaparlaments, diese Beschränkung aufzuheben, weil sie gegen Grundfreiheiten des Gemeinschaftsrecht einschränke.  http://www.europarl.eu.int/omk/sipade3?PUBREF=-//EP//NONSGML+REPORT+A6-2006-0069+0+DOC+PDF+V0//DE&L=DE&LEVEL=2&NAV=S&LSTDOC=Y

Bundesarbeitsminister Franz Müntefering begründete seinen Antrag mit der hohen Arbeitslosigkeit. In seiner Beschlussvorlage erklärt der Sozialdemokrat, „Übergangsfristen erlauben es, den Arbeitsmarktzugang von Staatsangehörigen der neuen Mitgliedstaaten weitestgehend gemäß nationalem Recht zu kontrollieren und limitieren“. So sieht es neben Deutschland nur noch Österreich. „Wir haben nicht unbedingt eine hohe Arbeitslosigkeit, aber die langfristigen Prognosen sind nicht gut“, sagte Österreichs Arbeitsminister Martin Bartenstein.

Dabei war die EU-Kommission in einer Studie zu einem ganz anderen Schluss gekommen: Billige Arbeitskräfte stellten keine Gefahr für den Arbeitsmarkt der alten Mitglieder dar. Länder wie Großbritannien, Schweden oder Irland, die ihren Arbeitsmarkt nie für die Neumitglieder geschlossen haben, profitierten vielmehr davon. So sieht das auch der spanische Ministerpräsident José Luis Rodríguez Zapatero und hebt das Moratorium zum 1. Mai auf. Das geschieht auch in Finnland und Portugal, während Belgien, Dänemark, Frankreich und die Niederlande in den nächsten drei Jahren die Beschränkungen abbauen wollen. Griechenland, Italien und Luxemburg sind noch unentschlossen.
Der EU-Kommissar für Arbeit und Soziales Vladimir Spidla preist dagegen auf Basis einer Studie die Öffnung an. Erste Zahlen zeigten, dass Wanderungsbewegungen gering seien. Spidla erklärte, in Schweden sei die Erwerbsbevölkerung zwischen Mai und Dezember 2004 nur um 0,07 % aus den neuen Mitgliedstaaten gewachsen. Befürchtungen, sie könnten die Sozialsysteme über Gebühr belasten, hätten sich zerstreut: Zwischen Mai 2004 und Juni 2005 seien in Großbritannien etwa 50 Anträge auf Sozialleistungen angenommen worden. Er beklagte aber, die Mitgliedsstaaten legten kein umfassendes Zahlenmaterial vor.  http://europa.eu.int/rapid/pressReleasesAction.do?reference=IP/05/1153&format=HTML&aged=0&language=DE&guiLanguage=de
Zahlenmaterial liegt aus Spanien über die außerordentliche Regulierung vor. Dort hatten in der Zeit vom 7. Februar bis zum 7. Mai 2005 knapp 670.000 Personen einen Antrag gestellt, um im Rahmen der „Normalisierung“ an gültige Papiere zu kommen.  http://www.heise.de/tp/r4/artikel/19/19420/1.html Davon wurden mehr als 115.000 Anträge abgelehnt, was knapp 17 Prozent ausmacht. Insgesamt erhielten bei der bisher größten Regulierung knapp 570.000 Menschen gültige Papiere. Lediglich die neuen EU-Beitrittskandidaten Rumänien, mit 95.830 die zweitgrößte Gruppe, und Bulgaren mit 21.270 auf dem sechsten Platz, stechen heraus. Mit Abstand sind es Südamerikaner, die von der Maßnahme profitiert haben.
Die Regulierung führt Spidla Beispiel dafür an, dass „die Ankunft von Einwandern Arbeitsplätze schaffen kann“. In Spanien gäbe es ein überdurchschnittlich hohes Wirtschaftswachstum und trotz der Einwanderung falle die Arbeitslosigkeit. Nach Angaben der europäischen Statistikbehörde kamen 2005 etwa zwei Millionen Einwanderer in die EU, etwa ein Drittel allein nach Spanien  http://www.elpais.es/articulo/elpepiesp/20060128elpepinac_19/Tes/espana/Espana/pais/UE/recibio/inmigrantes/2005
Ein Teil der Schattenwirtschaft sei dank der Regulierung beseitigt worden und die Neuankömmlinge nähmen meist Stellen an, die bei den Ortsansässigen verpönt seien. Diese Prognose bestätigte auch die Spanische Zentralbank. Statt wie 1991 geschätzt, gibt es in Spanien derzeit nicht 41,4 Millionen Einwohner, sondern 44,1 Millionen. Verantwortlich dafür sei die Einwanderung. Vielen neue Beitragszahler sorgten dafür, dass die für 2012 erwartete Krise der Sozialkassen bis 2025 verschoben worden sei, ohne dass weitere Maßnahmen getroffen worden seien.  http://www.elpais.es/articulo/elpporeco/20060329elpepieco_3/Tes/economia/inmigrantes/atrasan/crisis/sistema/publico/pensiones/2025
Tatsächlich hat es die sozialistische Regierung geschafft, einen Teil der verdeckten Ökonomie ans Licht zu zerren. Ein gültiger Arbeitsvertrag war die wichtigste Bedingung, um an gültige Papiere zu kommen. Es handelte sich um eine Regulierung von Arbeitsverhältnissen, die bisherige illegale Beschäftigung blieb straffrei: Kein Job keine Papiere, eine soziale Verankerung spielte keine Rolle.

Auch weitere Maßnahmen der Sozialisten zielen in diese Richtung. Nach dem Ende der Regulierung wurde ein Dekret nachgeschoben. Seither können sich Personen gültige Papiere verschaffen, wenn sie illegale Beschäftigung anzeigen. Doch die Erfahrungen damit sind schlecht. Das gewünschte Ergebnis tritt selten ein, die Betroffenen bleiben oft „illegal“ und sind dann zudem arbeitslos. Darüber häufen sich Berichte, weshalb davon kaum Gebrauch gemacht wird.

Derlei Beispiele kennt SOS-Rassismus zur Genüge. Insgesamt bewertet die Hilfsorganisation die Regulierung zwiespältig. Ein Jahr danach, weist die Organisation darauf hin, dass sich an dem grundsätzlichen Problem nichts geändert hat. „Wenigstens genauso viele Menschen sind in einer illegalisierten Situation geblieben sind, wie die Zahl derer, die reguliert wurden“.  http://www.harresiak.org/IMG/pdf/SOSBalNorm2005.pdf

Denn zahllose Menschen durch die Maschen gefallen. Eine einfache Rechnung zeigt das. Polizeilich gemeldet waren in Spanien am 1.1.2005 in Spanien mehr als 3,6 Millionen Ausländer. Davon verfügten zwei Millionen über einen geregelten Status, also lebten mehr als 1,6 Millionen Menschen ohne gültige Papier. Die Dunkelziffer lag aber viel höher, weil viele nicht gemeldet waren. Das stellte wieder ein Problem bei der Regulierung dar, weshalb diese Hürde während des Vorgangs fiel. Deshalb muss auch eine riesige Schattenwirtschaft weiter blühen, damit die Menschen überleben können.

SOS-Rassismus weist daneben auch auf die prekäre Situation derer hin, die Papiere erhielten. 39 % davon seien Hausangestellte. „Die niedrigen Löhne werden oft mit Sozialleistungen komplettiert, was den Familiennachzug erschwert, weil keine ausreichende ökonomische Grundlage dafür gegeben ist.“ Von Löhnen zwischen 525 - 600 Euro müssten nicht die vollen Sozialleistungen bezahlt werden. Viele „Arbeitgeber“ hätten sich sonst geweigert, einen Arbeitsvertrag auszustellen. Eine wirkliche Bewertung will die Organisation erst wagen, wenn die Phase der Verlängerung der Aufenthaltsgenehmigungen im Sommer abgeschlossen ist.

Interessant ist, wie merkwürdig über die Einwanderung in Spanien (und darüber hinaus) diskutiert wird. Denn wenn über illegale Einwanderung gesprochen wird, dann wird meist das Bild von Schwarzafrikanern bemüht, die in wackeligen Booten die Küste erreichen. Letzten Herbst wurde Bilder gezeigt, wie sie in Gruppen versuchten die Grenzzäune zu den von Marokko umschlossenen Exklaven Melilla und Ceuta zu überwinden.  http://www.heise.de/tp/r4/artikel/21/21064/1.html Diese Bilder sind real, zeichnen aber ein völlig falsches Bild des Phänomens. Die 12.000 Menschen, die 2005 mit Booten ankamen, stellen eine genauso kleine Gruppe dar, wie die, denen der Sprung über die Zäune gelang.  http://www.heise.de/tp/r4/artikel/21/21086/1.html

Die große Mehrheit der „illegalen Einwanderer“ reist in Spanien ganz legal als Tourist per Flugzeug ein oder kommt auf dem Landweg. Südamerikaner und Osteuropäer sind die beiden großen Gruppen. Reguliert wurden 122.000 Menschen aus dem fernen Ecuador und nur die Hälfte davon aus dem Nachbarland Marokko. Schwarzafrikaner fielen bei den Angaben des Ministeriums für Arbeit und Soziales  http://www.mtas.es nur unter die Rubrik „Übrige“. Weshalb also die völlige Abschottung, die derzeit auch von Spanien gegenüber Afrika und Schwarzafrika im besonderen durchgeführt.

Die Südküste wurde längst mit einem elektronischen Schutzwall versehen, der nun für weitere 30 Millionen Euro ausgebaut wird.  http://www.heise.de/tp/r4/artikel/20/20093/1.html Um Ceuta und Melilla wird für 20 Millionen Euro ein dritter Zaun gebaut.  http://www.heise.de/tp/r4/artikel/21/21110/1.html Marokko wird mit viel Geld zum Vorposten der Abschottung gemacht und in seiner skandalösen Politik unterstützt. Das Land setzt Schwarzafrikaner zum Teil in der Wüste ab und überlässt sie schon mal in vermintem Gelände ihrem Schicksal.  http://www.heise.de/tp/r4/artikel/21/21153/1.html

Auch die Brutalität beim Vorgehen gegen die Schwarzafrikaner steht völlig im Widerspruch zur übrigen Toleranz gegenüber der Einwanderung und ihrer geringen Zahl. Im letzten Herbst wurden sie in Melilla zum Teil zu Tode geprügelt  http://www.heise.de/tp/r4/artikel/20/20851/1.html und es wird auch Scharf auf die unbewaffneten Menschen geschossen, einige wurden dabei getötet.  http://www.heise.de/tp/r4/artikel/21/21110/1.html

Dahinter muss man eine rassistische Komponente vermuten. Die zeigt sich auch am Umgang mit den Schwarzafrikanern, die es wegen des Verfolgungsdrucks in Marokko nun aus Mauretanien versuchen, auf die Kanarischen Inseln zu kommen. Der nunmehr mehr als 1000 Kilometer lange Seeweg verwandelte sich derweil in ein Massengrab. Der spanische Geheimdienst und Hilfsorganisationen erklären gleichsam, Tausende seien bei der Überfahrt in den letzten Monaten ertrunken.. Berichte darüber lagen der Regierung in Madrid schon im Dezember vor. Sie handelte aber erst, als ab März Hunderte die Inselgruppe auch erreichten.  http://www.heise.de/tp/r4/artikel/22/22317/1.html Die Regionalregierung sprach dann sofort von einem „nationalen Notstand“.

Letztlich hat Madrid die Lage dafür genutzt, damit auch Mauretanien als Vorposten fungiert, um Einwanderer und Flüchtlinge im Vorfeld abzufangen. Spanien hat inzwischen ein Lager in Nuadibú aufgebaut. Dort sollten angeblich Schwarzafrikaner aus Mali und Senegal interniert werden, die man per Schnellabschiebung von den Kanaren wegschaffen will. Wie beim Ausbau des elektronischen Schutzwalls wurde auch hier wieder eine humanitäre Begründung vorgeschoben. Die Abgeschobenen sollten dort würdige Bedingungen erhalten und nicht wieder schlicht in der Wüste abgesetzt werden.  http://www.elpais.es/articulo/elpporesp/20060321elpepinac_14/Tes/espana/35/ingenieros/militares/van/Mauritania/levantar/campamento Doch das war ein Ergebnis des Drucks auf von Spanien auf Marokko in der sogenannten „Ceuta-Melilla Krise“ und wurde sogar finanziell unterstützt. Die Kritik an Rabat hatte Madrid letztes Jahr zurückgewiesen, nun dient sie zur Begründung der Lager in Mauretanien.

Doch auch hier hat die Realität die Propaganda längst Lügen gestraft. Denn inzwischen wurden mit drei Flügen 170 Menschen von den Kanaren nach Mauretanien geschafft. Derlei Massenabschiebungen sind nach Ansicht von Menschenrechtsorganisationen ohnehin verfassungswidrig. Ohnehin kam von den 170 Abgeschobenen nicht eine Person in dem Lager an, stellte die Regierungsnahe Zeitung El Pais fest.  http://www.elpais.es/articulo/elpporesp/20060330elpepinac_27/Tes/espana/Concluye/devolucion/Mauritania/primeros/170/inmigrantes Dass die davon spricht den „ersten“ Abschiebungen spricht, weist deutlich darauf hin, dass derlei Abschiebungen nun zum Normalfall werden sollen. Erstaunlich ist in Spanien auch, dass es gegen diese Politik keinen ernsthaften Protest gibt.

Fakten der außerordentlichen „Regulierung“

Zwichen 7. Februar bis zum 7. Mai 2005 haben etwa 670.000 Personen in Spanien einen Antrag gestellt, um im Rahmen der „Normalisierung“ an gültige Papiere zu kommen. Davon wurden mehr als 115.000 Anträge abgelehnt, was knapp 17 Prozent ausmacht. Insgesamt erhielten darüber knapp 570.000 Menschen gültige Papiere, welche die Bedingungen erfüllten. Polizeilich gemeldet waren am 1.1.2005 in Spanien mehr als 3,6 Millionen Ausländer. Davon verfügten zwei gut Millionen über einen geregelten Status, also lebten mindestens 1,6 Millionen Menschen ohne gültigen Aufenthaltsstatus im Land. Die Dunkelziffer lag aber noch viel höher, weil viele nicht polizeilich gemeldet waren. Nur etwa ein Drittel aller Betroffenen kam darüber an gültige Papiere.
Eine Bedingung war zu Beginn, vor dem 7. August 2004 in Spanien gemeldet gewesen zu sein. Das stellte eine zu hohe Hürde für viele dar. Signifikant nahm deshalb die Antragstellung erst zu, als kurz vor Ablauf der Frist nachgebessert wurde. Denn zur Halbzeit waren gerade 130.000 von den etwa 600.000 Anträgen eingegangen, von der die Regierung im Vorfeld gesprochen hatte. So wurden ab April auch andere offizielle Dokumente zum Aufenthaltsnachweis anerkannt.
Nachgebessert wurde auch in der Frage des Arbeitsvertrags, die wesentliche Bedingung, weil es sich um eine „Normalisierung“ von Arbeitsverhältnissen handelte. Statt sechsmonatigem Arbeitsvertrag reichten in der Landwirtschaft bald drei Monate und es durften auch Verträge verschiedener Arbeitgeber summiert werden, um die notwendige Zeitspanne zu erreichen.
Absoluter Spitzenreiter sind mit 40 % aller „Regulierten“ Hausangestellte. Nach Angaben des Ministeriums für Arbeit und Soziales stellen Ecuadorianer mit 122.441 die größte Gruppe vor den Rumänen (95.830). Abgeschlagen kommt der Nachbar Marokko gerade auf 64.477 Personen, Kolumbianer (48.265) und Bolivianer (37.179), Bulgaren (21.270), Argentinier (20.271) Ukrainer (18.626), Uruguay (9.148), Pakistan (7.781). Der ganze Rest macht noch einmal gut 100.000 Personen aus.

© Ralf Streck, Donostia-San Sebastian den 18.04.2006
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Ergänzungen