HartzIV: Behördenwillkür und Zwangsumzüge

Jorge Sanchez 07.04.2006 15:43 Themen: Repression Soziale Kämpfe
Behördenwillkür bei Überprüfung der Hartz IV Wohnkosten wird sichtbar.

Ein breites außerparlamentarisches Bündnis aus Mieterorganisationen, gewerkschaftlichen Beratungsinitiativen, sozialen Bewegungen u.a. meldet sich zum Thema „Zwangsumzüge“ mit einer ersten Auswertung des Notruftelefons 0800/2727278 öffentlich zu Wort.
Nachdem in den vergangenen vierzehn Tagen über 100 von Wohnungsverlust bedrohte erwerbslose Menschen überwiegend aus Berlin sich hilfesuchend an uns gewandt haben, müssen wir feststellen, dass sich die JobCenter in der Mehrzahl der uns geschilderten Fälle NICHT an die Regeln des Berliner Senats halten. Weder Härtefälle noch Personen, die nach der Berliner AV-Wohnen (Amtliche Verordnung) vor Umzügen geschützt sind, bleiben verschont. Angeschrieben werden auch alte, kranke, behinderte, allein erziehende Menschen. Kurz: Es entsteht der Eindruck, dass Behördenwillkür eher die Regel ist! Gespart werden soll offensichtlich um jeden Preis. Folgende Einzelfälle mögen das veranschaulichen.

Senkung der Wohnkosten durch Umzug: Bettina M. (sämtliche Namen wurden geändert) ist allein erziehend und hat zwei Kinder, von denen eines behindert ist. Sie wurde aufgefordert, die "Wohnkosten durch Umzug" innerhalb der nächsten sechs Monate zu senken. Auch Anita K., allein erziehend mit zwei Kindern, erhielt eine gleiche Aufforderung. Gemäß der AV-Wohnen des Berliner Senats dürfen weder Behinderte noch Alleinerziehende mit zwei und mehr Kindern zum Umzug aufgefordert werden! Weitere Umzugsaufforderungen liegen uns auch schriftlich vor!

Senkung der Wohnkosten bei steigenden Betriebskosten – Wie?: Auch der arbeitslose Bauingenieur Hinrich K. (52 J.) wurde aufgefordert die Wohnkosten zu senken. Durch die steigenden Gaspreise wurde seine Miete um 15 Euro erhöht. Für seine 1 1/2 Zimmer-Wohnung muss Herr K. eine Warmmiete von 404.- Euro zahlen. Da Herr K. behindert ist - was dem JobCenter bekannt ist! - kann er zu seiner Miete einen 10% Aufschlag in Anspruch nehmen. In dem Schreiben des JobCenters fehlt jeglicher Hinweis auf diese Härtefallregelung. Stattdessen werden einzelne Menschen in Angst und Schrecken versetzt! Und wer beim JobCenter voller Sorge nachfragt, wird oft rüde abgefertigt und erhält unvollständige Informationen.

Diese Fälle repräsentieren lediglich die Spitze des Eisbergs. Mieter werden aus sozial-gewachsenen nachbarschaftlichen Beziehungen herausgerissen, sollen die Wohnkosten senken und wissen nicht, wie sie sich gegenüber den steigenden Betriebskosten zur Wehr setzen können. Erschwerend kommt hinzu, dass bei etlichen Vermietern umzugsbereite ALG II-Empfänger unerwünscht sind und vor Abschluss eines neuen Mietvertrages die Vorlage eines Arbeitsvertrages gefordert wird.

Der rot-rote Berliner Senat hat endlich dafür zu sorgen, dass die Ausnahmeregeln und Schutzbestimmungen in der AV-Wohnen nicht nur auf dem Papier stehen, sondern zu Gunsten der Betroffenen umgesetzt werden. Auch die Richtwerte für die „angemessenen“ Wohnkosten nach oben zu setzen – immerhin steigen die Betriebskosten stetig.
Weiterhin sind alle betroffenen Bürger umfassend und verständlich über ihre Rechte zu informieren.
Der rot-rote Senat könnte seinen Beitrag zur Vermeidung behördlicher Willkür leisten: Indem er dafür sorgt, dass die Geschäftsführer der JobCenter bei rechtswidrigen Aufforderungen zur Rechenschaft gezogen werden.
Bislang hat es dieser Senat jedoch nicht einmal geschafft, die wirkliche Datenlage zu von Schnüffeleinen, Kontrollen und Zwangsumzügen betroffenen Menschen bekannt zu geben – es kann unterstellt werden, dass der Senat an einer Veröffentlichung dieser Daten auch gar kein Interesse hat:
Das Ausmaß der Verelendung, zu der dieser sozialistisch-sozialdemokratische Senat bewusst beiträgt, soll verschleiert werden. Insbesondere deshalb, weil in den nächsten Monaten der Berliner Wahlkampf ansteht.


www.zwangsumzuege.de
Public Domain Dedication Dieses Werk ist gemeinfrei im Sinne der Public Domain
Indymedia ist eine Veröffentlichungsplattform, auf der jede und jeder selbstverfasste Berichte publizieren kann. Eine Überprüfung der Inhalte und eine redaktionelle Bearbeitung der Beiträge finden nicht statt. Bei Anregungen und Fragen zu diesem Artikel wenden sie sich bitte direkt an die Verfasserin oder den Verfasser.
(Moderationskriterien von Indymedia Deutschland)

Ergänzungen

kleiner irrtum

habe ich 07.04.2006 - 22:55
nur eine ergänzung, wg heizkosten kann keine miete erhöht werden. heizkosten und miete werden im allgemeinen getrennt abgerechnet und bezahlt.
und auffordern darf die arge. sie setzt sich erst ins unrecht wenn sie gegen die weisungen des senates es umsetzen will.

AV-Wohnen Berlin Volltext

Paul Prüfdienst 08.04.2006 - 14:48
Der Volltext der Berliner AV-Wohnen findet sich unter
 http://www.pruefdienst-paul.de.vu/avunterkunft03.php

Dort ist eindeutig von der 'Brutto-Warmiete' als Obergrenze die Rede. D.h., daß die Heizksoten sehr wohl in die Berechnung der Angemessenheit einbezogen werden.

Zu beachten ist allerdings, daß in Berlin, im Unterschied zu den meisten anderen Bundesländern, die Wohnungsgröße (Anzahl Zimmer, Quadratmeter) nicht relevant ist.