Lübeck: Breites Bündnis stoppt Nazis (Teil 2)

Avanti Lübeck und Basta! Linke Jugend 05.04.2006 22:30 Themen: Antifa
Am 1.April demonstrierten an die 4.000 Menschen gegen Faschismus in Lübeck und verhinderten mit einer großen Blockade und einer spontanen Mobilisierung zum Dom, dass ein Nazi-Aufmarsch in die Innenstadt gelangen konnte.
IV. AUFLÖSUNG DER BLOCKADE UND EREIGNISSE IN DER INNENSTADT

Das Einbiegen in die Possehlstraße ließ immer noch zwei Möglichkeiten offen: Richtung Innenstadt/Dom oder eine kleine Runde zurück zum Bahnhof. Erst als die Faschisten in die Wallstraße einbogen (zwischenzeitlich mussten sie in der Possehlstraße eine erneute, längere Pause einlegen), war klar, dass die Blockade umgangen werden sollte. Vom Lautsprecherwagen wurde die Polizei zuvor deutlich darauf hingewiesen, dass sie bei einer Führung der Nazis in die Innenstadt für den dann folgenden Verlauf der Ereignisse die volle Verantwortung tragen würde. Die Blockade wurde sofort aufgelöst, als klar war, dass die Nazi-Route in die Innenstadt führte. Sie hatte ihren Sinn verloren. Der nun einsetzende Versuch, die neue Route der Nazis zu blockieren und die daraus entstehende „Eskalation der Lage“ muss der Polizeiführung bewusst gewesen sein.

Gut 1.500 Leute bewegten sich von der Blockade lautstark auf verschiedenen Wegen durch die Innenstadt Richtung Dom, auf den sich die Nazidemo zu bewegte. Darunter waren Menschen aus allen Spektren: von radikalen Linken über GewerkschafterInnen bis zu Kirchenleuten (und nicht, wie Polizei und Presse behaupten sollte, „1500 gewaltbereite Autonome“). Für die folgenden Ereignisse ist es uns leider nur noch schwer möglich, einen annähernd genauen Überblick zu geben. Auf der Avanti-Homepage gibt es eine Übersichtskarte über die Ereignisse an den verschiedenen Orten ( http://www.avanti-projekt.de/p_antifa/bilder/HL_060401/Karte_1April.jpg).

Ein Großteil der Menge wurde vom BFE am Zeughaus (vor dem Dom) gestoppt und auf den Platz zwischen Zeughaus und Marienkrankenhaus zurückgetrieben. Dort wurden Ketten gebildet, auf die die BFEler anfangs mit Prügeleinsätzen reagierten. Es gab Rangeleien, die AntifaschistInnen blieben friedlich. An dieser Stelle gab es bis zum Abmarsch der Nazis eine Blockade. Im hinteren Bereich (Ecke Parade/Dankwartsgrube) wurden von Leuten Mülleimer auf die Straße gekippt und ein kleiner Müllcontainer qualmte, weitere Polizeieinheiten wurden herangezogen.

Ein weiterer Ort des Geschehens war der Platz vor dem Naturkundemuseum (hinter dem Dom). Hier hatten sich zahlreiche AntifaschistInnen aus den verschiedenen Spektren versammelt und standen somit in Sichtweite der Nazikundgebung. Die Nazis hatten es bis zur Wiese am Mühlendamm, einer Brücke vor der Altstadt, geschafft. Die Hetze der Nazis ging in den Pfiffen und Sprechchören der Gegendemonstranten unter. Nebenbei läuteten die Domglocken den größten Teil der Kundegebung über und übertönten ebenfalls die Hetze der Neonazis. Jedoch kam es auch hier zu Festnahmen durch BFE-Polizisten. Nach einiger Zeit kam die Feuerwehr, um einen qualmenden Müllcontainer zu löschen. Ein Straßenschild wurde herausgerissen und umgekippt.

Rund um den Dom kam es zudem zu zahlreichen brutalen Polizeiübergriffen und Knüppel- und Pfeffersprayeinsätzen. Eine Frau wurde wohl derart stark am Kopf verletzt, dass sie längere Zeit (oder zumindest zeitweise) bewusstlos am Boden lag, ohne dass sich die Beamten in der Nähe um sie kümmerten oder Leute zu ihr durchließen.

Insgesamt gab es mindestens 36 Ingewahrsam- und Festnahmen (darunter auch einige SchülerInnen). Über die Zahl der Verletzten können wir leider keine genauen Angaben machen.

Die spontanen Proteste am Dom verhinderten, dass die Nazis zum Dom und weiter in die Innenstadt gelangen konnten. Nach ihrer Kundgebung am Mühlendamm drehten sie um und marschierten Richtung Bahnhof – immer noch gefolgt vom lautstarken Protest hunderter AntifaschistInnen.

V. PRESSE-BERICHTERSTATTUNG UND POLITISCHE REAKTIONEN

Für die lokale Presse (Lübecker Nachrichten, HL-Live) stand nicht die große antifaschistische Demonstration und Blockade im Vordergrund, sondern der angebliche „Krawall in Lübecks Altstadt“ bzw. der „Chaos-Tag in Lübeck“ (LN, 2./3.4.06). Es wurde die Presseerklärung der Polizei übernommen und von „1500 friedlichen Protestierern“ gesprochen, denen „1500 gewaltbereite Autonome“ gegenüberstanden, von denen sich natürlich nur letztere noch zum Dom bewegten. Die LN-Artikel findet ihr hier dokumentiert:  http://www.avanti-projekt.de/p_antifa/HL_060401_LN.htm.

Die einzelnen Gruppen des Bündnisses kritisierten v.a. das Vorgehen der Polizei. ( http://www.wirkoennensiestoppen.de/veröffentlichungen/pe%201-4-06.pdf). Bernd Möller, stellvertretender Fraktionschef der Lübecker Grünen, erklärte: „Die Polizeitaktik war katastrophal. Man hätte die Nazis nicht in die Innenstadt leiten dürfen, sondern gleich wieder über die Lachswehr zum Bahnhof zurück leiten müssen. Auch die Vergehen, einige wenige Straßenschilder umzukippen, einen klapprigen kleinen Holzzaun umzureißen oder 2 bis 3 Papiercontainer anzuzünden, schaden dem Bild der friedlichen Demonstration. Aber sie sind kein Grund, jungen Menschen mit Knüppeln auf den ungeschützten Kopf oder Körper zu schlagen!“. Auch VertreterInnen von Kirche und DGB kritisierten das Vorgehen des Einsatzleiters Hüttmann: „Hatte er nicht die Courage, seinen Ermessensspielraum zu nutzen? Jedenfalls hat er mit der Entscheidung, die Neonazis zum Dom zu leiten, die Situation unnötig verschärft", erklärte Pastor Martin Schultner (HL-Live, 1.4.06, 18:10,  http://www.hl-live.de/aktuell/text.php?id=20244).

Die Polizei sprach – etwas realitätsfremd – von einer erfolgreichen Umsetzung ihres Konzepts, beide Lager zu trennen ( http://www.hl-live.de/aktuell/text.php?id=20246). Die Polizeigewerkschaft wendete sich in einer längeren Stellungnahme insbesondere gegen die Straßenblockade und wirft ihren OrganisatorInnen vor, „die Polizei als Werkzeug für politische Ziele (zu) missbrauchen“. Stattdessen wird für die Polizei eine „neutrale Position“ in Anspruch genommen. Der Vorwurf an das Bündnis, die „Situation durch eine Straßenblockade gezielt zu eskalieren“ ist allerdings nur noch albern. Zudem gibt auch die Polizeigewerkschaft zu, dass „ausgesprochen wenige Zwischenfälle zu beobachten gewesen“ sind ( http://www.hl-live.de/aktuell/text.php?id=20312).

Im Lübecker Online-Magazin HL-Live haben die Jungen Liberalen und die Junge Union eine Hetzkampagne gegen „linksextreme Chaoten“ begonnen, u.a. mit dem Ziel das breite antifaschistische Bündnis zu spalten. Die Julis überlegen gar, ein generelles Demo-Verbot in der Innenstadt zu fordern – eine sehr liberale Forderung nach mehr Demokratieabbau... ( http://www.hl-live.de/aktuell/text.php?id=20273) Die Junge Union diffamiert die antifaschistischen Aktionen als „menschenverachtend“ und wirft den am Bündnis beteiligten bürgerlichen Kräften vor, mit „Linksextremisten wie AVANTI“ zusammenzuarbeiten ( http://www.hl-live.de/aktuell/text.php?id=20275). Wir werden uns von solchen plumpen Versuchen, das Engagement gegen Rassismus und Faschismus zu untergraben und zu spalten, aber nicht irritieren lassen. Der Großteil des Vorbereitungskreises erklärte sich erfreut über die gute Zusammenarbeit und den Ablauf von Demonstration und Blockade.

VI. UNSER FAZIT

Die Ereignisse des 1. April stellen für uns eindeutig einen Erfolg für die antifaschistische Bewegung da. Es ist uns gelungen, einen Aufmarsch der Nazis in der Lübecker Innenstadt zu verhindern (nachdem sie 2003 und 2005 durch die City marschieren konnten). Auch wenn die Nazis ein gutes Stück marschiert sind: Sie sind nicht in die Innenstadt gekommen! Mit bis zu 4000 Menschen machte eine enorme Anzahl Menschen deutlich, dass wir faschistische Hetze und Geschichtsverdrehung nicht tolerieren werden. Seit Jahren gelang es erstmals wieder, ein breites gesellschaftliches Bündnis auf die Beine zu stellen, das sich auf eine Blockade der Nazi-Route verständigen konnte, die wir dann auch durchführten. Bedingung dafür war eine konstruktive und faire Zusammenarbeit mit allen Gruppen im Bündnis. Das breite Bündnis von Antifagruppen über Gewerkschaften bis hin zu kirchlichen Kreisen steht auch nach der Aktion solidarisch zusammen und ist sich einig in der scharfen Kritik am Polizeiverhalten. Der Fluch von Lübeck, dass wirksame Aktionen gegen Naziaufmärsche kaum mehr möglich schienen, ist gebrochen!

VII. ZEUGinnEN GESUCHT!

Am Schluss deshalb auch hier noch einmal der dringende Aufruf: Wenn ihr auf der Demo wart, wenn ihr verletzt worden seid, wenn ihr Polizeiübergriffe mitbekommen habt oder in Gewahrsam genommen wurdet: Bitte meldet euch bei uns! Wir brauchen Augenzeugenberichte und Gedächtnisprotokolle! Schickt sie bitte – möglichst als (PGP-)verschlüsselte E-Mail – an:  post@wirkoennensiestoppen.de (den PGP-key findet ihr unter:  http://www.wir-koennen-sie-stoppen.de/PGP.html).
Für mehr Informationen zu Datensicherheit und Verschlüsselung, schaut bitte bei www.pgp.com rein. Die Angaben werden auf Wunsch natürlich vertraulich behandelt.

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Ergänzungen

kein Erfolg für Antifas

Antifaschist HH 05.04.2006 - 23:35
Leider waren die Aktionen gegen den Naziaufmarsch kein Erfolg für Antifas aus dem linksradikalen Spektrum, wie die Autoren im Artikel suggerieren.
Der Naziaufmarsch hätte durch entschlossenes Handel verhindert werden können.
Strategisch war die Blockade gut angelegt. So wurde verhindert, das die offiziele Route für die Nazis passe war.
Schon nach ungefähr 10 Minuten war aber klar, das die Blockade nicht geräumt wird! So verlautet es aus dem Lautsprecher.
Da die Blockade im vorhinein auch für die Bullen ersichtlich und klar war, hätten Antifas langsam Richtung Hbf durchsickern können.
Die Brücke(Marienstr.) und auch ander, ausser Puppenbrücke, waren nicht geschlossen und wurden auch nicht kontrolliert.
Es wäre also für Antifas ein leichtes gewesen zum HBF zu gelangen!!! Ein Hand voll Gruppen hat dies auch erkannt, leider zu wenige. So konnte Mensch neben den Naziaufmarsch mitlaufen und sich die dummen Fressen anschauen.

Auch die Verhältnismässig wenige Anzahl an Bullen (1500), hätte für ein Desaster für die Nazis werden können.
Zeit dafür gab es genug, auch auf dem Rückweg zum Bhf, hätte stärker agieret werden können. Der Hbf wurde erst gegen 16:00 Uhr wieder dicht gemacht. Einige sind da schon mit dem Zug Richtung HH gefahren (vermutlich wegen Pauli)

Man kann nicht von einem Erfolg sprechen, wenn man im vorhinein das Ziel verfolgt die Nazis zu stoppen. Besonders nicht wenn sie ungestört um die Innenstadt herum laufen.


Eine weitere Kritik geht an die linksradikalen Gruppen die das Bündnis unterstüzt haben! Es ist unglaublich das diese Gruppen ein Bündnis tragen, in dem der DGB Geschichtsrelativierung betreibt und schon im vorhinein zu einer solchen Veranstaltung einlädt!!
 http://www.wirkoennensiestoppen.de/ver%f6ffentlichungen/Veranstaltung%2028.03.2006.pdf
Ich kann nicht verstehen, wie dies hingenommen werden konnte. Krönung davon war die Rede auf der Auftaktkundgebung!
 http://www.wirkoennensiestoppen.de/ver%f6ffentlichungen/ansprachen%20auf%20der%20antifaschistischen%20demo.pdf

Gerade von Avanti und Basta hätte ich mehr klarere Verhältnise zu diesen Inhaltlichen Punkten gewünscht! Auf der Kundegebung in ersten Sätzen, das zu kritisieren kommt meiner Meinung zu spät.

MAG

HH

Problem-DGB?

HL´ler 06.04.2006 - 16:08
Also, ich weiß nicht was du ein Problem mit der DGB-Veranstalltung hast??
Die es gab die Bombadierungen und es gab nen Vortrag dazu...oder ist es problematisch für dich sich mit der Geschichte zu befassen? Solange es nicht drauf hinaus läuft das die "armen" Deutschen nur die Opfer waren is es doch okay.
Schreib bitte wenn ich da falsch liege...
Und der Redebeitrag, es gibt auch in Lüebck Leute die bei der Bombadierung gestorben sind. Warum sollen die Angehörigen ihnen nicht angemessen gedenken.
Oder ist das anders gemeint? Weil in den Antifakreisen hab ich auch schon öfter gehört, Krieg ist scheisse. Das wird hier auch gesagt...aber mal nicht von "linken" sondern vom DGB...

Fotoergänzung

(maximal 45 zeichen) 06.04.2006 - 16:30
Ein schönes Foto.

Manche lernen es nie

Holger 06.04.2006 - 18:25
Offenbar wird nicht nur von rechts versucht, das Bündnis zu spalten. Wer nicht erkennt, dass breit getragene Widerstandsaktionen wichtiger sind als die pseudo-politische Onanie in Form von Militanz-Macker-Gehabe, dem ist wohl nicht mehr zu helfen.
Aktionen, bei denen die Antifa isoliert bleibt, haben doch schon seit Jahren in die Sackgasse geführt.
Die linken und linksradikalen Gruppen in Lübeck werden hoffentlich weiter einen fairen und respektvollen Umgang im breiten Bündnis betreiben.
Andere werden hoffentlich bald innerhalb der Linken genauso isoliert sein, wie sie es schon in der Gesellschaft sind.

mehr bilder

gibts hier: 06.04.2006 - 19:26

Bahnhof

Antifa-Kattendorf 19.04.2006 - 02:28
Leider musste ich beim lesen dieser eigentlich zutreffenden Artikel feststellen, dass die diversen Festnahmen am Bahnhof, die dort seitens der Polizei durchgeführt wurden, kaum Berücksichtigung gefunden haben. So habe ich gesehen wie einige, vermeindliche linke Krawallmacher, darunter auch meine Wenigkeit, aufgrund von fadenscheinigen Begründungen wie Vermummung etc. festgenommen wurden.
Aber trotzdem eine treffende Berichterstattung und ich hoffe das wir uns am 1. Mai alle in Rostock sehen um friedlich gegen Rechte Propaganda und Hetze zu demonstrieren!

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