Lübeck: Breites Bündnis stoppt Nazis (Teil 1)

Avanti Lübeck und Basta! Linke Jugend 05.04.2006 22:18 Themen: Antifa
Am 1.April demonstrierten an die 4.000 Menschen gegen Faschismus in Lübeck und verhinderten mit einer großen Blockade und einer spontanen Mobilisierung zum Dom, dass ein Nazi-Aufmarsch in die Innenstadt gelangen konnte.
I. VORBEREITUNG UND KONZEPT

Nachdem Ende letzten Jahres bekannt wurde, dass der Nazikader und NPD-Funktionär Jörn Lemke für den 1. April 2006 eine Demonstration angemeldet hatte, bildete sich schnell ein breites Bündnis, in dem linke Gruppen wie Avanti, das Lübecker Bündnis gegen Rassismus und Basta!, Kirchen, Gewerkschaften, Linkspartei, Stadtschülerparlament, Jusos und andere Initiativen vertreten waren. Die Nazis mobilisierten für ihre Demo unter dem Motto "Bomben für den Frieden? Zum Gedenken an die Opfer des alliierten Bombenterrors auf Lübeck". Anlässlich des 64. Jahrestages der Bombardierung Lübecks im Zweiten Weltkrieg wollten sie ihre geschichtsverdrehende Propaganda verbreiten.

Das Bündnis verfasste einen Aufruf unter dem Motto „Wir können sie stoppen! Kein Nazi-Aufmarsch in Lübeck“ ( http://www.wirkoennensiestoppen.de/aufruf.html), in dem klar gemacht wurde, dass Nazis in Lübeck nicht nur unerwünscht sind, sondern dass es das Ziel der Gegenaktivitäten ist, die Nazis aus eigenen Kräften zu stoppen. Das Konzept des Bündnisses war es, eine breite antifaschistische Demonstration und eine anschließende friedliche Blockade auf der Nazi-Route (vor dem Holstentor) durchzuführen, um die Nazis nicht in die Innenstadt zu lassen.

Desweiteren wurde im Vorfeld vom Stadtschülerparlament ein gut besuchtes Konzert unter dem Motto "10.000 Watt gegen Nazis" in einer Lübecker Disco organisiert. Es gab mehrere Mobilisierungsveranstaltungen in anderen Städten und drei Infoveranstaltungen in Lübeck (zu den Bombardierungen im Zweiten Weltkrieg, zum Umgang mit polizeilicher Repression und zur Demonstrationspolitik der Nazis).

Zusätzlich brachte der DGB einen eigenen Aufruf ( http://www.wirkoennensiestoppen.de/veröffentlichungen/Anti_Nazi_Aufruf_21_03.pdf) heraus, den u.a. auch Lübecks Bürgermeister Bernd Saxe (SPD) unterschrieb, der in den Jahren zuvor nie zu Naziaktivitäten Stellung bezogen hatte. Auch dieses Mal unternahm er jedoch keinen Versuch, den Aufmarsch zu verbieten.

II. AUFTAKTKUNDGEBUNG

Ab 10 Uhr sammelten sich bis zu 4.000 Menschen auf dem Markt zur Auftaktkundgebung. Es wurden 10 Redebeiträge von Vertretern verschiedener Gruppen, die die Breite des Bündnisses repräsentierten, gehalten ( http://www.wirkoennensiestoppen.de/veröffentlichungen/ansprachen%20auf%20der%). Das Lübecker Bündnis gegen Rassismus betonte: "Wenn wir die Faschisten wirksam bekämpfen wollen, dann müssen wir die Mehrheit der Gesellschaft dafür gewinnen, dass Faschismus als politisches Verbrechertum angesehen wird, dass ihre Propaganda geächtet und ihre Organisationen verboten und zerschlagen werden."

In den Reden vom Stadtschülerparlament wie von Avanti - Projekt undogmatische Linke wurde darauf hingewiesen, dass Rassismus sich nicht auf die extreme Rechte beschränkt, sondern auch in der "Mitte der Gesellschaft" vorhanden ist, was sich beispielsweise in einer unmenschlichen staatlichen Flüchtlingspolitik äußert.

Peinlich war leider die Rede des DGB, in der pathetisch die Grauen der "Bombennacht" beschworen wurden. So verständlich ein individuelles Gedenken sein mag, so fatal ist doch ein Diskurs, in dem "die Deutschen" als Kriegsopfer hervorgehoben werden und die Notwendigkeit einer militärischen Bezwingung Nazideutschlands indirekt geleugnet wird.

Die Arbeitsgemeinschaft christlicher Kirchen wandte sich aber ausdrücklich gegen Geschichtsrevisionismus: "Bewusst wird das deutsche Volk als Opfer hingestellt. Die absichtliche Geschichtsverdrehung soll Emotionen gegen die Briten und andere Völker schüren. Es wird eine Saat des Hasses gesät, die wieder zu Gewalt und Menschenverachtung führt." Der Beitrag endete mit den Worten: „Wir wollen in einer Gesellschaft leben, die von Menschenwürde und Sorge füreinander geprägt ist. Deshalb versammeln wir uns heute mit dem festen Willen: Wir können sie stoppen! Wir müssen sie stoppen! Das ist unsere Pflicht als Christen.“


III. DEMONSTRATION UND BLOCKADE

Die antifaschistische Demonstration war ein voller Erfolg. An die 4.000 Menschen zogen durch die gesamte Innenstadt – weit mehr als von den OrganisatorInnen erwartet. Die Spitze der Demo wurde – wie abgesprochen – von Menschen aus dem Vorbereitungskreis der Demo gebildet. Dabei liefen ChristInnen neben jugendlichen, linken AntifaschistInnen, GewerkschafterInnen neben MigrantInnen. Bei der Demo kam es zu keinerlei Konfrontation mit der Polizei, die sich zurück hielt. Auch die im Block laufenden Autonomen AntifaschistInnen wurden nur spärlich an der Seite von PolizistInnen begleitet.

Als sich die Demo dem Holstentor näherte, sperrten jedoch eine Polizeikette (darunter BFE) und Einsatzfahrzeuge die Straße. Nach kurzer Irritation und Gesprächen mit dem Abschnitts-Einsatzleiter, wurde die Straße wieder frei gegeben. Die Brücke vor dem Holstentor war allerdings ein hervorragend geeigneter Punkt für eine Blockade: schmal und direkt auf der Nazi-Route liegend. Die Demo hielt an und an der Spitze setzten sich Leute hin. Daraufhin löste der Versammlungsleiter die Demo auf und wurde aus seiner juristischen Verantwortung (Spontan- und Folgeveranstaltungen hatte die Ordnungsbehörde untersagt…) entlassen. Eine andere Person übernahm die Durchsagen am Lautsprecherwagen und forderte die TeilnehmerInnen zu einer sowohl besonnenen, wie entschlossenen Blockade auf. Das Aufruf-Motto „Wir können sie stoppen!“ war Programm geworden.

Die Entscheidung, an dieser Stelle zu blockieren und sich nicht noch weiter in Richtung der Nazis zu bewegen, erfolgte aus den folgenden Überlegungen:
1. Vor dem Holstentor teilt sich die Straße. Um effektiv zu blockieren, wäre dann eine Teilung der Demo nötig gewesen. Das war kaum zu organisieren.
2. Es war unklar, wie viele Menschen sich tatsächlich an der Blockade beteiligen würden. Am nächstmöglichen Platz (Kreuzung vor der Puppenbrücke) wären erheblich mehr Menschen für eine funktionierende Blockade nötig gewesen.
3. Es galt, auf Nummer Sicher zu gehen. Lieber eine effektive Blockade auf der Holstentorbrücke als eine unklare Situation (mit der Gefahr, durch Polizeieinheiten eingekesselt zu werden) näher an den Nazis dran.

Tatsächlich wurde dadurch aber auch die Möglichkeit gelassen, die Faschisten über die Possehlstraße um die Blockade herum zu führen, wie es dann etwa zwei Stunden später ja auch tatsächlich passierte. Diese Route war von uns im Vorfeld als höchst unwahrscheinlich eingeschätzt worden: Sie bedeutete einen relativ langen Weg bis zum Dom – lang genug, damit die BlockiererInnen vom Holstentor durch die Innenstadt zum Dom gelangen können (was ebenfalls eintrat). Dass die Polizei so dumm sein könnte, durch diese Route eine (auch für sie) völlig unübersichtliche Situation zu schaffen, war nicht vorauszusehen. Das erklärte Ziel der Polizei, Nazis und AntifaschistInnen unbedingt voneinander zu trennen, wurde von ihr selbst durchkreuzt.

An der Blockade nahmen zu Beginn ca. 2000 Menschen teil, später sank die Zahl der BlockiererInnen, um dann allerdings auch wieder anzuwachsen. Zu jedem Zeitpunkt waren mindestens 800 AntifaschistInnen vor dem Holstentor, dabei war das ganze aufrufende Spektrum vertreten. Die Blockade wurde fast zwei Stunden aufrecht erhalten. Die Polizei signalisierte, dass nicht geräumt werden würde, solange alles friedlich bliebe.

Zu Zeitpunkt des Blockadebeginns versammelten sich am Bahnhof ca. 70 Nazis. Sie konnten erst mit 1,5 Stunden Verspätung überhaupt losmarschieren (da ihr Lautsprecherwagen im Stau stand), waren dann ca. 120, wobei immer wieder Fascho-Gruppen dazu stießen. Insgesamt marschierten etwa 200 Nazis. Sie liefen vom Bahnhof zur Puppenbrücke, mussten dort wieder anhalten und bogen schließlich in die Possehlstraße ein.
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Ergänzungen

hysterisch: GSG 9

Fotogucker 07.04.2006 - 15:46
Einsätze von Beamten dieser Truppe hat es zwar schon gegeben, aber auch nur im Ansatz und unter Protest der Typen selbst (zwei Mal). Das wäre in etwa so, als würde ein Soziologieprofessor als Promoter für die Zigarettenwerbung eingesetzt.

Bei den besagten Bullen kann es sich nur um das USK aus Bayern handeln. Einige Einheiten haben gerade schwarze Uniformen bekommen und sie haben einen Greif (Adler) als Emblem.

@ Fotogucker

Nein, 07.04.2006 - 16:07
handelte sich nicht(!) um das USK aus Bayern.
Die Bundespolizei stellt ihre Uniformen (wie auch die Bullen) mittlerweile auch auf blau um, was man auch immer häufiger sieht.

Und da hat offensichtlich eine BFE der Bundespolizei mal neue Wäsche bekommen.
DASS es die Bundespolizei war, kann ich zumindest definitiv sagen.

Die BFEs der Länder sind ja ohnehin hier schon meistens schwarz (Hamburg, Schleswig-Holstein)

Beiträge die keine inhaltliche Ergänzung darstellen

Zeige die folgenden 3 Kommentare an

Cops auf Bild: Polizei sperrt — Holstenbrücke

GSG9 !? — ...

Aha — Fotogucker