Gewalt an Schulen - nicht nur Migrantenproblem

Peter-Chr. Löwisch (www.medien-loewisch.de) 05.04.2006 18:45 Themen: Antirassismus Bildung
Gewalt an Schulen ist zwar ein Problem bei Migrantenkindern, aber eben nicht nur bei ihnen. Bei der derzeitigen sozialen Situation ist es auch ein Problem bei deutschen Kindern. Die Versäumnisse bei der "Integration" zeigen jetzt Folgen.
Die aufgeregte öffentlich Diskussion um die Rütli Schule in Berlin – Neukölln signalisiert sehr deutlich, welche schwerwiegenden Fehler der vergangenen und der gegenwärtigen Politik gemacht werden. Die Rütli Schule ist nur ein bekannt gewordenes Beispiel, weil sich die Lehrerschaft über die unzumutbaren Zustände mit einem öffentlichen Brief gewehrt hat. Die Gewalt an deutschen Schulen nimmt kontinuierlich zu. Dabei wird von führenden Politikern immer suggeriert, dass es sich um gewaltbereite ausländische Jugendliche handele, die integrationsunwillig seien und die, so ein bayrischer Vorschlag, abgeschoben werden sollten. Schön wäre es, wenn alles so einfach wäre.

Sehen wir uns doch einmal an, was die bundesdeutsche Politik in den letzten Jahren zur Integration beigetragen hat. Es besteht in der BRD immer der Irrtum, Integration hätte etwas mit Assimilation zu tun. Dieser Irrtum ist, vor allem in Wahlkampfzeiten, politisches Programm. Bundeskanzler Helmut Schmidt (SPD) lies zu seiner Amtsperiode mehrmals verlauten, Ausländer sollten doch Deutsche werden oder wieder in ihre Heimat zurück gehen. Als dann in den 80iger Jahren Helmut Kohl (CDU) das Regierungsruder in die Hand nahm, bestellte er zu seinem ersten Innenminister Friedrich Zimmermann, auch genannt Old Schwurehand, der z. B, in den Einbürgerungsfragebögen die Frage einfließen lies: „Mitglied in einem deutschen Traditionsverein?“ Und auch in der Kohlschen Regierungszeit wurde der Visumszwang auch für hier geborene Migrantenkinder türkische Staatsangehörigkeit eingeführt. In Gesprächen mit türkischen Jugendlichen wurde immer wieder deutlich, dass sie das als Diskriminierung ansahen und es für sie verdeutlichte, dass der deutsche Staat sie ja gar nicht wolle. Migrationsexperten warnten schon vor 20 Jahren, dass es fünf Minuten vor zwölf wäre. Ansonsten könne man davon ausgehen, dass sich eine Parallelgesellschaft bilden könne. Alle Warnungen blieben unerhört, türkische Schüler wurden reihenweise in die Hauptschulen abgeschoben, die Integrationsmittel wurden immer weiter gekürzt, Migratengruppen wurden nicht im notwendigen Maß an der Integration beteiligt. Erschwerend kommt hinzu, dass die Berufsaussichten ausländischer Jugendlicher immer schwieriger geworden sind. Diese Jugendlichen bekommen, auch wenn sie die deutsche Sprache gut beherrschen, überproportional keine Ausbildungsplätze. Und die Arbeitslosigkeit in Migrantenfamilien ist auch überproportional groß. Die kommunalen Mittel für Jugendeinrichtungen wurden in den letzten Jahren immer weiter zusammen gestrichen, bis dahin, dass Jugendarbeit auch in Problembezirken nicht mehr statt findet. Und dies trifft insbesondere auch wieder Migrantenjugendliche. Alles in allem kann man sagen, dass es jenseits der öffentlichen Wahrnehmung längst eine Parallelgesellschaft gebildet hat. Die türkische Community hat sich notgedrungen eine funktionierende Infrastruktur geschaffen. Von türkischen Supermarkt über den türkischen Frisör, Schmuckhändler, Diskothekenbesitzer bis hin zur türkischen Bank. Türkische Jungendlich finden in dieser Community Lehrstellen, es wird Türkisch gesprochen und der fundamentale Glaube feiert fröhliche Urständ. Auch dies ist völlig verständlich, denn in der Diaspora wird der Glaube immer fundamental gelebt.

Wenn man nun noch die Pisastudie zu Rate zieht, so ist dort eindeutig zu lesen, dass die Bildungschancen sinken, je weniger die Menschen finanziell zur Verfügung haben. Was das in Zeiten von Hartz IV heißt, brauch nicht gesondert aufgeführt werden. Und das trifft nun mehr und mehr auch auf deutsche Familien und deutsche Jugendliche zu. Wen nun soll die verstärkte Gewalt an Schulen noch erstaunen. Welchem Jugendlichen kann es verdenken, wenn er an den Errungenschaften der Konsumgesellschaft teilhaben will. Und wenn ihm die Gesellschaft nicht die Möglichkeit gibt, dann wird er es sich mit Gewalt holen, durch Raub, Einbruch, Drogenhandel und was sonst noch die kriminelle Palette zu bieten hat. Wem ist es zu verdenken, wenn ein Jugendlicher nur mit „Schmiere stehen“ in einer Woche mehr verdienen kann, als ihm Hartz IV zu bieten hat. Denn normale Arbeit bekommt er sowieso nicht, bei der heutigen Arbeitsmarktlage.

Ich will Kriminalität von Jugendlichen nicht entschuldigen oder gar verteidigen, aber unter diesen Aspekten muss der Umgang mit Jugendlichen neu überdacht werden, und das eben nicht nur bei ausländischen Jugendlichen. Wir stehen in den Ballungsgebieten kurz davor Verhältnisse zu bekommen, wie wir sie seit Jahren in der Bronx in New York haben. Das heißt, das als erster Schritt eine Umverteilung der öffentlichen Mittel dringend geboten ist um Defizite aufzuarbeiten. Für Migrantenkinder sollte das heißen, Deutschunterricht schon im Kindergarten, für Jugendliche wieder Eröffnung von geschlossenen Jugendeinrichtungen und an Schulen sollte dringend das System der Schulsozialarbeit wieder flächendeckend eingeführt werden. Sollte dies nicht in absehbarer Zeit geschehen, wird die Rütli Schule der Normalfall.

Die konservative Presse mutmaßt jetzt, multikulti sei gescheitert, was dass auch immer heißen mag. Für die rechtskonservative Stimmungsmache können solche Schlagzeilen das noch immer gut herhalten. Das solche Stimmungsmacher den rechten Parteien in die Hand spielen, wird billigend in Kauf genommen. Und den Vogel schießt nun Bayern ab. Zwar ist es richtig, dass ausländische Kinder vor der Grundschule Deutsch lernen sollten, aber nun kommt das typisch konservative. Die Kinder werden einen Sprachtest unterzogen, wer ich nicht besteht soll in einen Förderkurs, sollte der auch erfolglos sein, sollen sie in Sonderschulen. Hoch lebe die Ghettoschule. Eltern, die den Erwerb der deutschen Sprache bei ihren Kindern nicht fördern, werden zum einen mit einem Bußgeld belegt und können des weiteren aus der BRD ausgewiesen werden. Kein Wort von Herrn Stoiber über eine Verstärkung der finanziellen Mittel für Integrationskurse, kein Wort zu Schulsozialarbeit, kein Wort zu besserer Jungendarbeit. Stoiber ist für Repression. Man muss sich die Frage stellen, ob auch die deutschen Kinder den Test bestehen würden, oder ob dieser Test ähnlich gestaltet werden soll, wie der von der CDU favorisierte Integrationstest für Erwachsene. Und die CDU will nun dass jetzt schon repressive Ausländergesetz überarbeiten. Jetzt scheint es an der Zeit, dass die Hardliner in den beiden Parteien CDU und SPD wieder Land sehen.
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Ergänzungen

Zum Thema Rütli Schule

Dein Name 05.04.2006 - 19:20
Die taz hat heute ein gutes Interview zum Thema gebracht (siehe Link).

Aufklärung zu Medienlügen

... 05.04.2006 - 19:30
Wahlkampf in Berlin. Der sogenannte "Hilferuf" ist ein Brief, der schon einige Tage vor Veröffentlichung der CDU bekannt war (die haben sich verplappert), es wird vermutet, daß er von der Neuköllner CDU geschrieben wurde. Rechte Preeseorgane wie Spiegel und Springer haben dann den Rest erledigt.

Hier ein Zitat von Tp:

In den Medien wird verschwiegen daß:
- vor bereits einem Jahr nach einem Forschungsinterview mit der
Direktorin und einem Tag Unterrichtsbeobachtung sich herausstellte,
dass das Kollegium bis aufs Blut verfeindet war und entsprechend
keine Konzepte für die Schule entwickelt wurden,
- die besagte Direktorin völlig überfordert war und seit über einem
halben Jahr krankgeschrieben ist, weil sie die Arbeitssituation nicht
ausgehalten hat,
- der übliche Umgangston der Lehrer mit den Schülern zwischen
bevormundend und maßregelnd bis respektlos lag,
- die Stelle des Co-Rektors seit längerem nicht besetzt war (das
Schulreferat war wohl nicht ganz unglücklich über die so eingesparten
Kosten),
- und der dienstälteste Lehrer, der kommissarisch den Rektor zu
spielen hatte, die letzten Monate völlig auf Tauchstation gegangen
war und die Dinge laufen ließ.
Das besagte interne Schreiben war übrigens kein Hilferuf an die
Öffentlichkeit, sondern wurde von einem Mitglied des Lehrkörpers an
die Presse lanciert.

sehr informativer text

luxuslinker 05.04.2006 - 20:01


danke für diesen guten artikel. endlich mal wieder etwas wirklich wichtiges auf indymedia. eine frage nur, was bedeutet tp ?

@luxuslinker

tagmata 05.04.2006 - 20:52
tp = telepolis  http://www.heise.de/tp - immer sehr gut, immer sehr dankbar.

...

... 05.04.2006 - 21:25
Ich war in Baden Württemberg auf mehreren Realschulen und Berufskollegs und muss sagen dass es auch übelste Gewalt in der Schule unter den Schülern gab ... Da wurd schon mal jemand ins Krankenhaus eingeliefert. Die Lehrer haben aber nichts gemacht. Beide Parteien haben sich dann immer beim Rektor entschuldigt und sich die Hand gegeben und dann war die Sache gegessen.

Und in allen Fällen warens sogenannte "Deutsche".

Weitere Infos

webwatcher 05.04.2006 - 21:37
Weitere infos zur Rütli-Schule liest mensch unter
 http://www.trend.infopartisan.net/trd0406/edit0406.html

Berliner Schulen.....

xYx 05.04.2006 - 23:25
Migrantenkinder. Es liegt nicht daran, dass es Migrantenkinder sind,sondern daran, dass sogenannte Migrantenkinder einfach keine Zukunft haben und weil ihnen die Gewalt so vorgelebt wird. Die Wissen genau, dass sie auf einer der untersten Stufen unserer so tollen Gesellschaft stehen. Selbst wenn sie auf dieser Schule einen guten Abschluß haben, dann können sie in Berlin nichts damit anfangen. Und das wird wohl bald noch schlimmer, wenn dann bald die Föderationsgesetze wirken. Dann kann man mit seinem Abschluß ja nur noch im eigenen Bundesland eine Arbeit finden. In berlin wird das ja nicht ganz so einfach.
Zudem ist es ja nun auch einmal so, dass die Schüler, die sich nicht "gut" benehmen auf der Grundschule meistens auch sehr schlechte Noten haben und somit auf die Hauptschule kommen, da sammeln sich dann die Probleme.
Und Lehrer/innen die mit knapp 25-30 Schüler zurechtkommen müssen haben dann ja genug zeit sich um die "schlechten Migranten" zu kümmern.

Danke Böger.....und den Rest des Senates.

Kein Migranten-Problem!

... 06.04.2006 - 01:07
all die diskussion bei diesem thema läuft in eine verkehrte richtung. jeder noch so kleine bezug auf ein migrantenproblem finde ich schlicht oberflächlich und irreführend.

ein gewaltproblem gab es jahrelang auch an anderen schulischen institutionen. so waren berufsschulen insbesondere im osten deutschlands lange zeit ein tummelplatz für nazis. dort kam es in den 90iger jahren regelmässig zu prügeleien und schikane gegen andersdenkende. auch in anderen sozialen brennpunkten, die im brandenburg, sachsen, sachsen-anhalt und mecklenburg-vorpommern wie bekannt minimal mit migranten ausgestattet, kam es des öfteren zu gewaltproblemen an schulen. hier sogar an gymnasien.

zum thema sprachtest bin ich auch anderer meinung. wer wird entscheiden, welche sprache die richtige ist. werden zum beispiel im odenwald sozialisierte und dialekt-dominierte migranten anders behandelt als solche die eines dialektfreien deutsch mächtig sind. und eines würde mich auch brennend interessieren, werden solche sprachtests auch für deutsche kinder obligatorisch...

die diskussion sollte sich endlich darauf konzentrieren, worum es eigentlich geht. es sind soziale brennpunkte, die gewalt und kriminalität anziehen. sprachliche schwierigkeiten & soziale inkompetenz gibt es genau so bei deutschen jugendlichen. es sind ein armutsproblem, das um so größer werden wird, um so mehr neo-liberale "verlierer" sich in billigen wohnbezirken tummeln.

die einzige lösung ist die soziale vermischung der schichten, also die abschaffung von haupt- und realschule zugunsten der gesamtschule. ausserdem müssen die bildungsinstitutionen mit kompetentem, mehrsprachigem personal enorm aufgestockt werden. die sprachausbildung sollte schon im kindergarten beginnen. und zwar für alle!

Legalisierung von Deutschkursen

Lehrer 07.04.2006 - 19:59
In der gegenwärtigen Situation werden soziale Konflikte von den meisten Medien als ethnische Konflikte dargestellt. Die "Kanacken" sollen sich gefälligst in unsere "im Prinzip doch tolle deutsche Gesellschaft" integrieren. Doch was ist Integration? Teil sein. Doch die Teilhabe in der Gesellschaft ist genau den Leuten mit dem falschen Pass, der falschen Hautfarbe oder dem irgendwie falsch klingenden Familiennamen zumindest teilweise verweigert.
Zwang und Repression ist da die Lösung, auf die sich die guten Deutschen schnell einigen können. Raus wer kein Deutsch lernen will.
In den Volkshochschulen werden Deutschkurse angeboten. Diese Schulen müssen jedoch wegen gesetzlicher Vorgaben (durch das ach so tolle neue Zuwanderungsgesetz) verschiedene Repressionsmittel einsetzen:
- Leute nach Hause schicken, weil die Kurse am ersten von 14 Anmeldungstagen schon belegt sind.
- Leute nach Hause schicken, weil sie nicht den richtigen Aufenthaltstitel haben, um so einen Deutschkurs belegen zu dürfen.
- Leuten den weiteren Besuch von Deutschkursen verweigern, weil sie schon 600 Unterrichtsstunden (und das muss reichen laut neuem Zuwanderungsgesetz) gehabt haben.
Die Leute, die die Kurse besuchen gehen andererseits das Risiko ein kriminalisiert zu werden, weil in ihrem Ort kein Kurs angeboten wird und sie (z.B. als Flüchtlinge) gegen die Residenzpflicht verstoßen, wenn sie Deutsch lernen wollen.
400 Meter entfernt von der Rütli-Schule gibt es ein Gymnasium, auf das bei weitem nicht nur die guten Deutschen gehen. Dort sind die Gewaltprobleme bei weitem nicht so massiv, weil die dortigen Schüler/innen noch die Hoffnung haben, ihren Weg in der "ach so tollen deutschen Gesellschaft" machen zu können (,wenn da nur nicht der falsche Pass, die falsche Hautfarbe und der irgendwie falsch klingende Familienname wäre, aber die Hoffnung stirbt zuletzt.)
Es mag durchaus sein, dass die Protestformen junger MigratInnen und Deutschen nicht immer den Ansprüchen des wohlsituierten linken Lehrers entsprechen (und der muss sich auch gegen Angriffe wehren dürfen wie die KollegInnen an der Rütli-Schule). Trotzdem darf die Forderung nie die einer Integration nach PDSSPGRÜNEDFDPCDUCSU-Vorstellung sein.

Ein kleiner Schritt wäre die Legalisierung der Deutschkurse für alle, die das wollen. Ein großer Schritt wären gleiche Rechte für alle.

Schmelztiegel Schule?

Frosch 08.04.2006 - 08:17

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