Stress im Jobcenter

Roland Ionas Bialke 04.04.2006 02:19 Themen: Repression Soziale Kämpfe
Gestern, am 3. April 2006, spielten sich tumultartige Szenen in der Agentur für Arbeit Berlin-Süd ab. Eine Prügelei im dort ansässigen Jobcenter, die totale Überfüllung des Amtes, Sicherheitsdienst und Polizei führten zum kurzzeitigen Stillstand, allgemeiner Verwirrung und Aggressivität im Arbeitsamt. Eine genaue Dokumentation des Geschehens wurde mir verboten. Trotzdem halte ich es für wichtig Mißstände und Repression im Alltag aufzudecken.
Als ich gestern gegen 10 Uhr 30 am Jobcenter Berlin Neukölln (Anschrift: Sonnenallee 282, 12057 Berlin) ankam konnte ich meinen Augen kaum trauen. Die Menschen standen bis zur Strasse hin an, um Ihre Anliegen den Beratern des Konzentrations-Zenters darzulegen. Seit Monaten werden Menschen die sich per Post ans frühere Sozialamt wenden teilweise ignoriert. Werden Widersprüche gegen Bescheide erkannt, dann werden oft Leistungen illegaler Weise nicht gezahlt. Kritische Leistungsbezieher wird nicht nur monatlich der Hahn abgedreht, sondern es werden auch Angaben zur Person gefordert, dies aber nicht gebündelt, sondern einzeln, sodass der Leistungsbezieher oft jeden Monat unverhältnismässig mehrmals beim Arbeitsamt antanzen muss.

Mehr als 600 Menschen warteten in einer Schlange die bis auf die Strasse reichte. Die Stimmung war mehr als gereizt.

Nachdem ich mich den wartenden Menschenmenge angeschlossen hatte, bekam ich auch schon einen Flyer der Berliner Montagsdemo in die Hand gedrückt. Eine wirklich gute Ablenkung, wenn man stundenlang in Existenzangst warten muss. Genau das tat ich auch, ich versuchte mich eine Stunde abzulenken, um meiner Existenzangst zu entkommen. Nicht leicht, wenn einem andauernd Menschen umlagern die man nicht mag und wenn der Kreislauf verrückt spielt.

Endlich war ich zumindest an der Eingangstür des Jobcenters angelangt. Plötzlich hörte ich männliche und weibliche Schreie, um das besondere Zeitgeschehen als Journalist zu dokumentieren zückte ich zugleich meine Kamera. Im inneren des Gebäudes entwickelte sich eine Schlägerei. Durch die Auseinandersetzungen entstand ein riesiger Tumult, wobei die meisten sich nur aufregten und rumglotzten. Der Sicherheitsdienst des Arbeitsamtes war mit der Situation überfordert un rief die schon vor dem Arbeitsamt postierte Bereitschaftspolizei.

In dem Amt kam es kurzzeitig zu einem Stillstand. Etwa 6 Polizisten und 10 private Arbeitsamt-Sicherheitsmitarbeiter traten in die Menge. Die Polizei beruhigte die Situation. Plötzlich belaberte mich ein Security hektisch von hinten und der Seite. Da ich nicht "Hausverbot" hörte beachtete ich den 34a-Menschen auch nicht mehr. Im übrigen trug er einen unzureichenden Security-Ausweis bei sich, das Gewerbe- und Ordnungsamt sollte sich das mal angucken.

Dann zogen mich POK Herrmann, PK z.A. Glurzki und PK z.A. Gora aus der "Versammlung" und durchsuchten mich nach ASOG. Andere Polizeibeamte waren trotz der beruhigten Aufruhe noch in der Nähe. Sie wollten, dass ich meine Aufnahmen lösche, da sie meinten die Aufnahmen wären nach dem Kunsturheberrecht und Persönlichkeitsrecht unzulässig. Das Ihre Behauptungen nicht stimmen (vgl. u.a. § 23 Abs. 1 Nr. 1 KUG, bzw. Relative Personen der Zeitgeschichte und § 23 Abs. 1 Nr. 3 KUG, bzw. Teilnehmer von Versammlungen) und Ihre Handlungen unzulässig waren wussten sie jedoch nicht.

Das KUG spricht nur die Verbreitung und Zurschaustellung von Bildnissen, nicht aber deren Herstellung an. Ein Verbot der Herstellung kann den entsprechenden Paragraphen nicht entnommen werden und ist nach dem Analogieverbot auch nicht möglich (vgl. Fricke 1997: 130f). Allerdings ist der auf den ersten Blick großzügige Rahmen für die Herstellung von Bildnissen durch die Rechtsprechung deutlich eingeschränkt worden. In Weiterentwicklung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts wird davon ausgegangen, dass auch die Herstellung eines Bildnisses die Persönlichkeitsrechte verletzt, wenn keine Einwilligung des Abgebildeten vorliegt und keine anderweitigen Rechtfertigungsgründe greifen (vgl. ebd.).
Also ist die Herstellung von Bildnissen unter den Umständen zulässig, unter denen auch eine Verbreitung desselben rechtens wäre (vgl. Soehring 1990: 124). Umgekehrt muss dies aber nicht immer der Fall sein. Es ist in Ausnahmefällen möglich, dass die Herstellung zwar rechtswidrig ist, ihre Veröffentlichung aber nicht. Bestes Beispiel für einen derart delikaten Ausnahmefall ist der „Fall Barschel“. Zwar wurde der tote Barschel unerlaubt in der Badewanne seines Hotelzimmers fotografiert, dennoch war das öffentliche Interesse an seinem Tod so groß, dass eine Publikation der Aufnahme gerechtfertigt wurde.
Die Anfertigung eines Bildnisses nur zu Beweiszwecken ist allerdings zulässig (LG Oldenburg, AfP 1991, S. 652).

Das heisst im Klartext: Jedermann darf selbst innerhalb von Hausrecht geschützten Arbeitsämtern Menschenmengen fotografieren und Rechtsbrüche mit der Kamera beweisen.

Die kleine Repression ging weiter: Nach der Durchsuchung meiner Kleidung schauten sich die Beamten meine Aufnahmen an, wobei sie auch ander Bilder entdeckten und diese kommentierten. Nachdem sie ein Foto entdeckten, dass zu einer Anti-Nationalsozialistischen Aktion gehört fragten sie mich ob ich bei einem "Arzt" in "Behandlung" bin. Ich ergänzte: "Deine Pupillen sind auch sehr klein." Naja, zum Glück hatte ich meine Nacktfotos nicht auf meiner Digitalkamera gespeichert. Sie löschten meine Fotos und Videos aus dem Arbeitsamt und gaben mir freundlicherweise meine Kamera wieder.

Im Übrigen versuchten die Polizisten mich zu kriminalisieren und zu rocken, indem einer von ihnen mir verbot ihn zu dutzen. Dabei weiss doch jeder, dass die Polizei sich als "Freund und Helfer" anbietet. (vgl. aktuelle Plakataktion der Polizei) Und Freunde duzt man nunmal. Ausserdem habe ich die gleichen Rechte wie Dieter Bohlen, und ich Duze jeden. Ausserdem verhinderten die Beamten, dass ich meine Sachen nicht in Ordnung bringen kann, meine mit dem Tod bedrohte Existenz nicht verteidigen kann. Wenn die Polizei andauernd Leute umsetzt die keine Miete und kein Essen bezahlen können, dann braucht sich niemand zu wundern wenn sich gewehrt wird.

Das Resümee: Obwohl diese speziellen Polizisten, Securities und Arbeitslose die Repression und momentane wirtschaftliche Situation fördern, so lief alles noch recht "lieb" ab. Jedoch ist klar zu erkennen, dass Ausschreitungen im Bereich Arbeitsamt zunehmen werden. Alle Beteiligten stehen ziemlich unter Stress und begehen oft Fehler, aus denen dann vielleicht die Soziale Frage beantwortet wird.

An dieser Stelle noch einen lieben Gruss an die Menschen die mir helfen wollten und die Polizei leicht zugelabert haben. Demokratie herrscht wirklich! Dann noch einen Gruss an die süsse Polizistin, die sich mit mir unterhielt. Ich will ne Familie mit Dir gründen! Und ihr Denunzianten und Wichtigtuer die mich angeschwärzt haben: Ich verfluche Euch!! Danke, dass ich heute nichts zu essen habe...
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Ergänzungen

im zweifelsfall

tagmata 04.04.2006 - 04:02
gehört in die digicam ne speicherkarte und auf den heimischen oder sonst einen zugänglichen rechner ein recoverytool (undelete/unerase-programme). diese firma  http://www.filerecoverytools.com/ bietet windows-probeversionen für alle gängigen formate von speicherkarten an, aber es gibt natürlich reichlich soft für alle gängigen karten und os.

wenn dann ein übereifriger amtsträger um eine löschung der pix "ersucht", kann dem ohne weiteres folge geleistet werden; da ein solches löschersuchen nicht rechtsmäßig ist, ist das anschließende wiederherstellen der dokumente auch nicht rechtswidrig (illegalen anweisungen von polizisten darf, aber *muß* nicht folge geleistet werden).

menschenunwürdig

arbeitslos 04.04.2006 - 04:31
Habe kürzlich auch eine ähnliche Situation in einem dieser ALG2 Center erlebt, wo Menschenwürde anscheinend nicht mehr gilt.
Es scheint an der Zeit, daß man sich an internationale Menschenrechtsorganisationen wie Helsinki Komitee, etc. wendet.
Wie es scheint gibt es mehr Menschenrechte in Weißrußland als in einem ALG2 Center in der BRD.

Bild 1

anonymus 04.04.2006 - 06:29
Na Roland, da hat wohl jemand Deine Daten kopiert!

Bild 2

anonymus 04.04.2006 - 06:33
Na Roland, da hat wohl jemand Deine Daten kopiert!

Tagmata ist schlau...

Roland Ionas Bialke 04.04.2006 - 07:03
Sehr gut, ich habe meine Dateien wieder. Mein Video dazu lass ich mal lieber stecken - Ist 1. zu verwackelt und 2. habe ich kein Programm um Videos zu bearbeiten...

Wer mir auch immer meine Dateien wiederbeschaft hat: Danke!

Es ist sehr wichtig solche Vorfälle zu dokumentieren. Ein Unding, dass niemand von sich aus einen Termin im Jobcenter bekommt, ohne dass man stundenlang warten muss. Es gibt ältere Menschen, schwangere Menschen, kranke Menschen und Menschen die auf Kinder aufpassen. Niemand kann erwarten das Wir stundenlang warten.

Ausserdem nerven die Sicherheitsmitarbeiter in Sozialämter, der mich ansprach war da noch ganz nett. Aber es gibt viele, die provozieren nur zu gerne gegen z.B. alternativ-aussehende Menschen ein Hausverbot.

*grmbl* Heute muss ich wieder hin...

lustiges protokoll

. 04.04.2006 - 18:12
das durchsuchungsprotokoll hat ja einen gewissen unterhaltungswert.
der inhalt in knapp:

"durchsuchung wegen

X beweissicherung kunsturheberrecht
X mit erfolg
X es ist nichts mitgenommen worden"

sicherung von beweisen vor begehen einer straftat? durch löschung der beweise? lustig.
was soll den das für ein vorgang werden, den die da anlegen?

Verletzte Frau

Roland Ionas Bialke 05.04.2006 - 06:19
Die Frau wurde von einem anderen AlG2-Empfänger verletzt. Der Streit eskalierte, weil Menschen auf engsten Raum in Existenzangst stundenlang anstehen und warten mussten.

Die Frau hatte einen Kinderwagen dabei und für Menschen mit Kinderwagen gab es eine eigene Reihe, was ganz in Ordnung ist. Das regte aber einige wartende Menschen auf. Der alte Gleichberechtigungsstreit! Dann hat die Frau schläge abgekriegt, ein sich aufregender Mann - dann gab es ein relatives Durcheinander.

Ich war am 4.April wieder im gleichen Jobcenter. Die Polizei ist dort jeden Tag an dem das Jobcenter geöffnet ist. Menschen bedrohen sich wegen Nichtigkeiten, meist Dreiergruppen von Jugendlichen ziehen durch das Gebäude und greifen andere Menschen, einzelne Arbeitslose rasten aus... Am ersten Tag im Monat sind aber besonders viele Menschen im Jobcenter, das ergibt dann besonders viele Übergriffe. Ich kann jeden Tag wo ich dort bin Beleidigungen, Diskriminierungen und KVs mitbekommen.

Am Ende:

Mir ist es weniger wichtig wodurch Menschen zu Grunde gehen. Menschen sollen nicht durch andere Menschen zu Grunde gehen!


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Löschen rulez — pix

delete that rubbish — hui buh

Existenzangst — Roland Ionas Bialke

NS-Relativierung — nokrauts

Sheiße , — in was fürner

Schade, — Mensch

@ Antirassist — Mensch

Oh Mann! — Sachbearbeiter