"Polizisten kommen nicht in den Knast"

Trauer um den Sprayer aus Como 31.03.2006 23:51 Themen: Repression Weltweit
Interview mit einem Freund des vorgestern in Italien von einem Angehörigen einer polizeilichen Anti-writer-task-force der Stadt Como vermutlich tödlich angeschossenen Rumesh Rajgama Achirige.
Como, Rumesh liegt im Koma

"Das ist eine Hinrichtung gewesen. Sie haben ihn getötet, weil er schwarz ist"

Liberazione - 31. März 2006

"Ich war mit Rumesh, ich habe den Polizisten gesehen, wie er ihm in den Kopf geschossen hat"

von Laura Eduati

Bist du ein Freund von Ramesh?

Ja, ich war mit ihm im Auto.

Wie heißt du?

Niemand. Ich heiße Niemand.

Bist du Nadir?

Nein. Ich hab's dir gesagt: ich bin niemand.

Wie alt bist du?

18

Willst du mir erzählen, was passiert ist?

Warum fragst du mich? Geh' ins Krankenhaus (Krankenhaus Sant' Anna di Como, wo Rumesh Rajgama Achirige, 19 Jahre, seit zwei Tagen im Koma liegt, nach dem ihm ein Stadtpolizist* der Anti-writer Gruppe ihm in den Kopf geshossen hat, A.d.R.) und lass' dir erzählen. Geh' hin, du wirst auch den Staatsanwalt und den, der ihn getötet hat vorfinden. Der, der ihn getötet hat, ist auf freiem Fuß, mein Freund ist tot (Der Freund von Rumesh benutzt nicht den Begriff: "Der, der ihn getötet hat", er benutzt ein viel schärferes Wort, das wir vorgezogen haben, nicht zu übertragen, A.d.R.). Ramesh ist nicht tot. Er lebt noch. Ich habe gerade mit dem Krankenhaus gesprochen. Nein. Nein-nein-nein. Mein Freund ist vor mir gestorben. Und sein Mörder ist auf jeden Fall frei, verstehst du?. Obwohl er ihn umgebracht hat. Gestern Abend haben wir im Krankenhaus stundenlang auf die Fragen der Journalisten vom Fernsehen, von den Zeitungen und von den Radiosendern geantwortet und heute früh sehe ich, dass mein Freund als sprayender Krimineller dargestellt wird, während über den Polizisten, der ihn tötete, keine einzige Zeile geschrieben wurde. Rumesh ist kein Krimineller, es ist bloß einer der mit einer Farbdose durch die Gegend läuft. Außerdem haben uns die Vigili nicht deswegen angehalten.

Und warum haben sie euch angehalten?

Es stimmt nicht, dass es eine Verfolgungsjagd gegeben hat. Wir sind nicht geflüchtet. Das Problem ist, dass Rumesh am Steuer des Autos seines Onkels war, ohne Führerschein, nur mit dem Foglio Rosa [1]. Diese zwei Polizisten haben uns mit der Kelle das Stopp-zeichen gegeben, Rumesh ist weiter gefahren, ist um eine Kreisverkehrinsel rum und ist dann an der Ampel stehen geblieben. Die sind ausgestiegen, haben durch die Scheibe die Pistole auf uns gerichtet und uns dann aus dem Auto steigen lassen. Einer von ihnen hat ihn heftig an der Kapuze gepackt. Er hat ihm die Pistole an den Hals gehalten und ihm gesagt: "Jetzt zeig' ich' s dir". Dann ist der Schuss los gegangen. Der Stadtpolizist hat sich sofort das Gesicht mit den Händen bedeckt und gesagt: "Oh mein Gott, ich habe meinen Job verloren, ich habe alles verloren". Verstehst du? Er hat sich nicht einmal gesorgt, dass Rumesh am Boden lag, tot. Den Krankenwagen hat ein Passant (ein Polizist in Zivil, der zufällig beim joggen vorbei kam und den Stadtpolizisten erstmal bewegungsunfähig gemacht hat, A.d.R.) gerufen.

Wie viele wart ihr, in dem Auto?

Zu fünft. Der jüngste ist 15 Jahre alt. Ich gebe es zu: das war schon sehr daneben, dass wir ohne Führerschein mit dem Auto rumgefahren sind. Aber in den afrikanischen Ländern gehen sie nicht einmal mit Tieren so um. Die Leute denken, dass in Afrika alles Mögliche passiert, aber so bringen sie die Leute da nicht um. Hier in Como ist niemand schockiert, weil sie denken, dass Rumesh ein Verbrecher war und es verdient hat. Der, der ihn getötet hat, ist frei.

Die Staatsanwaltschaft ist dabei, ihn zu vernehmen. Über ihn schwebt der Vorwurf der besonders schweren Körperverletzung. Es handelt sich um einen ernsten Tatbestand.

Von wegen! Sie werden ihm nichts tun. Polizisten kommen nicht in den Knast. Du lebst nicht in Como, also schreib' das bitte: das hier ist eine Hinrichtung gewesen, nicht ein Unfall.

Warum hätte der Stadtpolizist denn Rumesh absichtlich töten wollen?

Weil er ein schwarzer war. Weil er dunkle Haut hatte.

Wart ihr vor dem gestrigen Tag ofter imk Visier der Vigili oder der Polizei?

Es gab ein Ermittlungsverfahren, das dann eingestellt wurde. Es hatte 42 Anzeigen gegeben.

Du und Ramesh, wart ihr unter denen, die angezeigt worden waren?

Einige von uns ja.

Wie lebt man in Como?

Es ist eine nicht lebbare Stadt. Keine Bars, keine Diskos, es gibt nichts.

Für die Jugend, meinst du?

Nein, auch für die Alten gibt es nichts. Für niemanden. Ich lebe seit 18 Jahren hier. Ich kann sagen, dass diese das Fake einer Stadt ist. Du, die du in Rom lebst, miete dir eine Wohnung und erzähle dann, was es bedeutet, in Como zu leben.

Was würde ich denn schreiben?

Dass Como nicht die ruhige Stadt ist, die sich alle vorstellen. Jeden Tag zerschlagen Jugendgangs Scheiben, sie brechen mit Taschenmessern in Apotheken ein und begehen Raubüberfälle. Und sie sind alle minderjährig.

Warum tun sie das?

Weil es ihnen dreckig geht, weil hier niemand einem zuhört. Hier ist es schlimmer als in Scampia und Secondigliano, das versichere ich dir.

Das hört sich so an, als würdest du in niemand mehr Vertrauen haben

Wie soll ich Vertrauen haben? In den nächsten Tagen wird Mittelinks eine Protestdemo gegen den Forza-Italia Bürgermeister organisieren (Stefano Bruni, der gestern Nachmittag "Bedauern" für das Geschehene geäußert, aber gleichzeitig "volle Untertützung für die Beamten, die täglich im Interesse des zivilen Miteinanders im Territorium arbeiten" zum Ausdruck gebracht hat, A.d.R.); ich weiß aber, dass sie es aus Wahlinteresse tun.

Was würdest du von einem neuen Bürgermeister wollen?

Nichts, weil ich gesehehen habe, dass sich nichts geändert hat, als es einen Mittelinks-Bürgermeister gegeben hat. Ich weiß, dass nie ein Bürgermeister reagieren wird.

Bist du wütend?

Ich bin wütend, weil es einen Mord gegeben hat, bei dem die Aufmerksamkeit auf das Opfer über gegangen ist. Ich sage nicht, dass Rumesh ein Märtyrer wäre, er ist aber auch kein Verbrecher. Ich bin wütend, weil ich mich nicht mehr auf das Gesetz verlassen kann. Wie kann ich die Polizei rufen, wenn ich sie brauche, wenn ich daran denken muss, dass sie meinen Freund getötet hat? Und ich bin sauer, weil kein institutioneller Vertreter zur Mutter von Rumesh gegangen ist, um ihr eine Blume zu bringen, keiner hat sich blicken lassen, um sich zu entschuldigen, um sie zu fragen, wie es ihr geht.

Was wirst du tun?

Wenn es wie in Frankreich werden wird, wird es ihr Problem sein.

**********

[Übersetzt aus der heutigen Ausgabe der Zeitung "Liberazione"]

*******

Fußnote:

* Zum Thema Stadtpolizei: Es ist wichtig, fest zu halten, dass es sich beim "Polizisten" um einen "Lokalpolizisten" handelt. Darüber - bzw. über das, was das genau bedeutet - herrscht selbst in Italien noch sehr große Unklarheit, was daran deutlich wird, dass dort in der Berichterstattung fast durchweg von einem "Vigile urbano" gesprochen wird. Vor mittlerweile etwas längerer Zeit waren die sogenannten Stadt- bzw- Gemeindepolizisten mit grundsätzlich administrativen Aufgaben im Melde- und Verkehrswesen betraut. Das hat sich schon 86 grundlegend geändert. Sie wurden u.a. bewaffnet und erhielten immer mehr auch Befugnisse auch im Bereich der "Öffentlichen Ordnung" (Pubblica Sicurezza"). Das passiert - nicht nur in Italien - im Rahmen von gravierenden Veränderungen der (globalen) inneren Sicherheitspolitik und -Kultur und das Ende der Fahnenstange ist noch lange nicht erreicht. Es gab bereits mehrere Gesetzesänderungen, die jene Reform von 86 um ein Vielfaches verschärften und es geht munter weiter. Ein ganz wichtiger politischer Deckmantel ist dabei die "Föderalismusreform". Abseits von jeder dialektisch geführten gesellschaftspolitischen Debatte werden so - hier im Fall des "Operatore di Polizia Municipale", vormals "Vigile Urbano" und auch hier, etwa im Securitydienstebereich nicht nur in Italien - u. a. immer weniger ausgebildete Leute immer schärfer in mitunter privatisierte, sehr aggressive Sicherheitsstrukruren integriert, ohne das irgendwer das überhaupt in seiner wahren Dimension registriert.
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Ergänzungen

[1]

Foglio Rosa 01.04.2006 - 00:18

[1]

Der "Foglio Rosa" ist eine Art vorläufige, bedingte Fahrerlaubnis. Der Schein erlaubt Führerscheinanwärtern die praktische Übung im Straßenverkehr, vorausgestzt, es sitzt ain Mensch auf dem Beifahrersitz, der mindestens seit zwei Jahren einen Führerschein hat.

1

2 01.04.2006 - 09:57
gibt es einen link zum originalinterview ?

Scheiss Bullen! Demo 22.April | Berlin

Gegen Repression 03.04.2006 - 11:30
Mehr infos zur Repression gegen Writer:
www.pro-graffiti.tk

Aktionstage gegen den Anti-Graffiti-Kongress 22-30.April
Demo | 22.April | 16 Uhr | Rosa Luxemburg Platz | Berlin

Infos zu doitsche Lande

Anti-Repressiva 04.04.2006 - 16:47
Fälle von Nichtbestrafbarkeit von Polizei werden z.Zt. unter  http://www.polizeizeugen.de.vu gesammelt.