G8 in Genua: zuviel Wahrheit ist gefährlich

Supporteria cognitaria 29.03.2006 23:50 Themen: G8 Repression Weltweit
Ein Mediengestalter und -aktivist, der am 22. März als Zeuge im Diaz-Verfahren vernommen wurde, hatte nach der Verhandlung eine sehr unangenehme Begegnung mit Bahnpolizisten. Der Vorfall wird als Einschüchterungsversuch bzw- als eine mögliche Vergeltungsschikane gewertet.
Gegenstand des Verfahrens gegen 29 Polizisten wegen den Ereignissen in den Schulen Pertini und Pascoli sind nicht nur der Terror und die Gewaltakte in der Pertini-Schule (die weitläufig, sachlich aber irrtümlich "Diaz-Schule" genannt wird). In der Nacht vom 21. Juli 2001 wurde parallel zur Pertini-Schule auch die Schule von Polizeikräften heimgesucht, die das Media-Center des Genoa Legal Forum, das Büro der Anwälte des Genoa Legal Forum und Indymedia beherbergte. Auch in der Pascoli-Schule gingen die Polizisten gewaltsam vor, wenn auch nicht so, wie in der Diaz-Schule, in der Dutzende ernsthaft verletzt und einzelne fast tot geschlagen wurden. Was die Aktion in der Pascoli-Schule so brisant macht, ist viel mehr die Zerstörung und Plünderung von Rechnern und Datenträgern: so wie die Gewaltakte in der Pertini-Schule und in der Kaserne Bolzaneto als eine der schwersten Verletzungen der Menschenrechte in Europa seit dem Ende des zweiten Weltkrieges dargestellt haben, so wurden in der Pascoli-Schule in unerhörtem Maße die Pressefreiheit und die Persönlichkeitsrechte angegriffen. Unter anderem entwendeten die dort eingedrungenen Polizisten die Festplatte, auf der unzählige Anzeigen gespeichert waren, die Opfer der Polizeigewalt, die in jenen Tagen in den Straßen wütete erstatteten.

Die Bilanz des polizeilichen Streifzugs in der Pertini-Schule hat hervorgebracht, dass den Rechnern der Anwälte eine besondere Behandlung zuteil wurde. Sie wurden mit Schlagstöcken und anderen Mitteln zerstört oder aber auseinander genommen. Mehrere Datenträger verschwanden und wurden nie mehr zurück gegeben. Die Rechner der Medienzentren wurden hingegen hauptsächlich nur abgestellt, Telefone wurden unbrauchbar gemacht. In dem Fall hatte offenbar die Unterbindung der aus den Medienzentren heraus betriebenen Öffentlichkeitsarbeit Priorität. Unvergessen ist nicht nur in diesem Zusammenhang die Unterbrechung des Betriebes von Radio Gap, das mit Live-Berichterstattung zu dem kurz zuvor begonnenen Überfall auf die gegenüber des Media Centers gelegenen Pertini-Schule auf Sendung war. Die Radiomacher berichteten gerade von jener Erstürmung, bis die Polizei vor ihnen Stand und die Berichterstattung gewaltsam beendete. Gewaltakte gegen Anwesende und weitere Beschädigungen bot nicht zuletzt eine Parlamentarierin Einhalt, die sich als solche zu erkennen gegeben gab.

Am nächsten Tag war es jene Berichterstattung von Radio Gap, die für den Rest der Welt zum ersten Beweis der Dinge wurde, die sich in der Nacht zugetragen hatten und polizeilich bereits massiv bestritten wurden. Von den Videodokumenten, die Medienaktivisten von der Pascoli-Schule heraus über den Überfall auf die Pertini-Schule gedreht hatten, blieb den selben nicht viel. Auch davon zeugt die Geschichte des dreißigjährigen Mediengestalters M.V., der am 22. März in Genua vor Gericht vernommen wurde. M.V. War dem Aufruf von Indymedia gefolgt, sich an der unabhängigen Berichterstattung zu den Gipfelprotesten in Genua zu beteiligen. Als solcher hielt er sich zum Zeitpunkt des Überfalls in den Räumen von Indymedia auf. M. V. Griff zur Kamera und begann zu filmen. Unter anderem filmte er, wie einige von den in der gegenüberliegenden Schule bis in den dritten Stock rennenden Polizisten einen Menschen gewaltsam zu Boden schlugen und wie einer von ihnen begann, diese Person brutal mit dem Schlagstock zu traktieren. Wenig später brach die Polizei auch in die Pascoli-Schule ein. Als es vorbei war, stellte M.V. Fest, dass die Kassette mit den Aufnahmen verschwunden war. Die Kamera lag noch an ihrem Platz, das Fach für das Tape war aber leer.

Die Aufnahmen waren - wie viele weitere Dokumentationen der Gipfelproteste und der Repression - von der Polizei schlicht und einfach gestohlen worden. Wenn der Überfall auf die Pertini-Schule auch deshalb ein Skandal ist, weil er aufgrund von vorgetäuschten Tatsachen als Durchsuchung auf der Grundlage des § 41 T.u.l.p.s.* durchgeführt wurde, so ist die Aktion in der Pascoli-Schule unter anderem deshalb ein Skandal, weil es für sie nicht einmal eine solche "vorgetäuschte"* Rechtsgrundlage gab. Die Verantwortlichen versuchen das Ganze bis heute als einen auf Missverständnisse beruhenden Fehler zu verkaufen. Von den betroffenen wurde die Aktion allerdings als etwas ganz anderes wahrgenommen, darüber sind sie sich GLF, GSF, FNSI (Verband der Journalisten), Indymedia, Radio Gap und alle, die sonst betroffen waren, einig. Gegen die Version, die versucht, die Ereignisse in der Pascoli-Schule als Fehler abzutun spricht auch die Tatsache, dass die entwendeten Gegenstände nie ihren Besitzern zurück gegeben wurden und dass den Besitzern- bzw. den Verantwortlichen für Räumlichkeiten und Geräte keinerlei Durchsuchungsprotokolle ausgehändigt wurden.

Der Zeuge M. V., der seinerzeit formgerecht Anzeige gegen Unbekannt wegen dem Verschwinden des Films aus seiner Kamera erstattet hatte, ist sicher schon aufgrund dieser simplen Tatsache, also aufgrund der Anzeige ein ungemütlicher Bürger. Er wusste bei seiner Vernehmung vor Gericht allerdings noch ungemütlicheres zu berichten, weil das Band als Beweismittel im Diaz-Verfahren wieder aufgetaucht ist und offenbar manipuliert wurde. Das machte V. M., der ein professioneller Mediengestalter ist auch sachlich ganz deutlich. V. M. war vor Gericht um die Schilderung der Dinge, die er an jenem Abend des 21. Juli erlebt hatte gebeten worden. In Zusammenhang mit der Schilderung der Ereignisse, die er mit seiner Kamere fest hielt, wurden die von ihm gedrehten Bilder in Augenschein genommen. M. V. kommentierte sie und erklärte, dass eine Szene jedoch fehle, an die er sich sehr gut erinnern könne. Es handelt sich hierbei um die besagte Verprügelung einer Person durch einen Polizisten in der Pertini-Schule. Der Zeuge schilderte den Ablauf des Vorfalls und wie er mit der Zoomfunktion seiner Kamera in der Lage gewesen war, diesen sehr genau zu beobachten.

Die Reaktionen der Verteidiger der Polizisten sprachen Bände über das Gewicht der Aussage M. V.'s. Die Staatsanwaltschaft hatte bereits in der Anklageschrift Manipulationen von illegal erworbenen Materialien mit scharfen Worten angeprangert: "Die Schwere des 'Erwerbs' ohne formgerechte Beschlagnahme ist gerade durch die ohne Antrag auf Genehmigung durch die Justizbehörden erfolgte, anschließende Manipulation mit irreversiblem Verlust von Sequenzen unermesslich verschärft", heißt es in der Klageschrift. Weiterhin bemerkte die Staatsanwaltschaft: "Jene in einem Justizverfahren ermittelnde Polizei, die unerklärlicherweise (und bis zum 30.08.01) noch keine Untersuchung der Fingerabdrücke am wichtigsten Corpus Delicti** vorgenommen hatte, hatte sich die Freiheit genommen, ohne Beschlagnahme Dokumentationsmaterial zu entfernen und dieses sogar unter Versendung des selbigen an in Deutschland und in der Schweiz gelegene Labors technischen Überprüfungen zu unterziehen, um dann auf die irreversible Zerstörung von einigen aussagekräftigen Sequenzen hinzuweisen. Die Schlussfolgerungen, die sich aus solchem Verhalten ziehen ließen, sind die katrastophalsten, es ist daher besser, sich auf die makroskopische Abwesenheit eines Einklangs mit den gesetzlichen Vorschriften zu beschränken, das nicht einmal durch das Durcheinander, den Druck und der Außerordentlichkeit des operativen Augenblicks zu rechtfertigen ist, in die man sich von Angeklagtenseite oft entschieden hat, die abweichenden Vorgehensweisen einzureihen".


M. V. konnte durch sachliche Ausführungen zu den technischen Merkmalen einer Bearbeitung von Originalbändern überzeugen. Er schilderte verständlich und präzise, warum die Manipulation erst nach dem das Band in die Hände der Polizei gelangt war entstanden sein konnte. Nach Abschluss der Verhandlung verabschiedete sich M. V. von seinem Anwalt. Er begab sich zum Bahnhof, um den Heimweg anzutreten. Dort wurde er von Polizisten kontrolliert, die ihm überaus merkwürdige Äußerungen zuteil werden ließen, die durchaus den Verdacht zulassen, dass der Zorn über die Zeugen, die dazu beitragen, wenigstens Teile der Wahrheit über den G8 in Genua aufzudecken in den Reihen der Ordnungshüter wächst, was wiederum Sorge um die Sicherheit der Zeugen und auch von Aktivisten, die als no-global oder G8 Demonstranten mit Haftstrafen zu rechnen haben oder bereits in Haft sind erweckt. Möglicherweise ist die Nervosität der Ordnungshüter in diesen Tagen kurz vor der Wahl, die eine Abwahl der Parteien, die den Ordnungshütern und deren Befehlshabern die besten Deckungsgarantien mit sich bringen könnte noch größer, so dass sich der eine oder der andere nicht jederzeit beherrschen kann. Vielleicht genügt aber auch, dass in den Verfahren Diaz und Bolzaneto mittlerweile - wenn auch das Erwiesene nach wie vor nur einen Bruchteil der Machenschaften abdeckt - in einem für die Sicherheitskräfte und deren Hintermänner mehr als unerträglichem Maße Tag für Tag unsägliche Dinge zu ihren Lasten bestätigt werden.

Was M. V. genau wiederfuhr, schildert er selbst im folgenden auf Indymedia Italien veröffentlichten Betroffenenbericht:

"Es war gegen 17:00, ich hatte am Bahnhof an der Piazza Principe gerade meine Fahrkarte gekauft, als ich von zwei uniformierten Polizisten angehalten wurde, die den Eindruck machten, als würden sie am Ausgang der Fahrkartenverkaufsstelle auf mich warten. Sie verlangten meine Papiere, übertrugen die Daten auf einen Zettel und forderten mich auf, ihnen zur Bahnpolizei zu folgen.

Auf dem Weg zum Büro der Bahnpolizei wollten sie wiederholt wissen, ob ich von Betäubungsmitteln Gebrauch machen würde und ob ich welche dabei hätte. Sobald ich im Büro war, wechselte schlagartig das Thema, sie fingen an, mich zu meiner Zugehörigkeit zum black bloc zu befragen und ob ich soziale Zentren besuchen würde. Sie stellten mir Fragen zu einigen Vorstrafen, die ich habe (im Besonderen stellten sie eine Frage zu Bahnhofbesetzungen), und bewiesen dabei, dass sie perfekt Bescheid wussten, auch wenn ich sie nicht gesehen habe, dass sie einen einzigen Anruf in die Zentrale getätigt hätten, um Informationen über meine Situation einzuholen.

Während der Durchsuchung im besagten Büro habe ich alles, was in meinen Taschen und im Rucksack war ausgepackt. Sie haben zu keinem Zeitpunkt persönlich kontrolliert, ob ich sonst noch was bei mir hätte, was mir sehr komisch vorgekommen ist, weil sie ja gesagt hatten, dass sie auf der Suche nach Betäubungsmittel seien. Sie haben nicht einmal den Drogenspürhunf geholt, womit ich rechnete, sie haben aber damit gedroht, ihn kommen zu lassen, damit er mich. beiße. Sie sagten: "Sieh’ dich vor, wenn der Hund kommt, dann beißt er dich".

In drohendem Ton behaupteten sie permanent, dass ich dem Black Block angehören würde und dass ich Gegenstände auf die Polizei geworfen hätte.

Zum Schluß wurde mir gesagt, "wir werden euch dafür büßen lassen, wenn ihr so weiter macht" und dass wir den Mumm aufbringen sollten, ihnen unvermummt entgegen zu treten und irgendetwas in der Art, dass sie schon wissen würde, wie sie uns dazu bringen können, aufzuhören.

Nach einer Viertelstunde wurde ich wieder auf freien Fuß gesetzt, ohne dass mir ein Durchsuchungsprotokoll ausgehändigt worden wäre".


Die Lokalzeitung "Il Secolo XIX" berichtete:


Am Bahnhof durchsuchter Zeuge im G8-Verfahren beklagt Einschüchterungen

Aber die angeklagte Bahnpolizei wehrt sich: wir kontrollierten Fußballfans

Genua - "Wenn ihr so weiter macht, werdet ihr schlimm enden". Ein vieldeutiger Satz, der gefallen sein soll, als zwei Beamte der Bahnpolizei bei einem jungen Mann aus Bologna eine Durchsuchung durchführten, der wenige Stunden früher im Verfahren wegen dem Einfall der Polizia in die Diaz-Schule Protagonist einer sehr brisanten Zeugenaussage gewesen war. M.V., 30, vertreten durch den Rechtsanwalt Simone Sabatini, erklärte, dass er wegen dem, was ihm am Bahnhof Principe widerfahren ist, nach dem er die Fahrkarte, um nach Bologna zurück zu fahren gekauft hatte, Beschwerde einreichen wird. "Wir werden Anzeige erstatten", erklärte der Anwalt, "damit M.V. geschützt ist".

Der junge Mann hat berichtet, dass er gestern um 16 Uhr den Justizpalast verlassen hatte und nach Principe gegangen war, um heim zu fahren. Nach dem, was er erzählt hat und auch in seine Anzeige erläutern wird, war es ungefähr 16:30 Uhr, als zwei Beamte deer Bahnpolizei ihn um seine Papiere gebeten haben. Dann forderten sie ihn auf, ihnen zu folgen. Sie führten ihn in einen Raum, in dem sie ihn einer minutiösen Durchsuchung unterzogen haben sollen und einen Teil von seiner Kleidung ablegen ließen. "Während der Durchsuchung", erklärte der Anwalt Sabatini, "haben sie den rätselhaften Satz gesprochen: 'Wenn ihr so weiter macht, werdet ihr schlimm enden'. Sie machten keine Anspielungen auf den Prozess, betitelten ihn aber als no global".

Im Gerichtssaal hatte V. erklärt, dass er während des genuesischen G8 in unsere Stadt gekommen war, um im Nedia Center des Genoa Social Forum zu arbeiten und dass er sich in der Pascoli-Schule befand, also gegenüber von der Diaz. Er hatte so Gelegenheit gehabt, etliche Momente des polizeilichen Einfalls in die Diaz-Schule, in der zahlreiche junge Menschen einen Unterschlupf für die Nacht gefunden hatten. Der Zeuge berichtete, dass der Film beschlagnahmt wurde und dann offensichtlich wieder auftauchte, man hätte ihn ja schließlich als Zeuge geladen, um selbigen zu kommentieren. An einem gewissen Punkt sagte V. [bei der Kommentierung der Aufnahmen, d.Ü.] dem Gericht, dass das Video geschnitten und ein Abschnitt mit einer gewaltschweren Verprügelung von Demonstranten durch Polizisten herausgenommen worden sei. Zwischen der kompakten Gruppe der Anwälte der Nebenklage und den Anwälten der Verteidigung im Gerichtssaal wuchs die Spannung bis zur Weißglut.

Nach dem die Verhandlung beendet war, begab sich V. zum Bahnhof, während sein Anwalt zurückblieb, um mit den Staatsanwälten zu sprechen. "Als ich in Principe ankam, stand mein Mandant vor mir. Ich habe ihn gefragt: 'Was machst du denn noch hier, solltest du nicht mit dem früheren Zug fahren?'. Da erzählte er mir, aufgeregt und verstört, was vorgefallen war. Es hat sich um eine nicht Ordnungsgemäße Durchsuchung gehandelt, er musste nämlich nichts unterschreiben. Von Bologna aus werden wir Beschwerde einreichen, ich will, dass V. geschützt wird".

Der Leiter der genuesischen Bahnpolizei Salvatore Genova gab auf Anfrage eine Erklärung ab, die der des jungen Zeugen diametral entgegengesetzt lautet. "Um die Zeit", so Genova, "waren meine Männer damit beschäftigt, zahlreiche junge Leute zu kontrollieren, die im Begriff waren, nach Pavia zu reisen, um dort dem Fußballmatch Pavia-Genoa zuzusehen. In dem Zusammenhang wurden auch die Papiere von diesem jungen Mann überprüft. Es hat sich um eine absolut zivilisierte Episode gehandelt, die nur wenige Augenblicke dauerte. Ich schließe aus, dass man ihn durchsucht und mit vieldeutigen Sätzen angesprochen hat".

Von Elisabetta Vassallo

23. März 2006


Zum bereinigten Video brachte "il Manifesto" einige zusätzliche Informationen:


Bereinigtes Video - Krimi im G8-Gerichtssaal

Während dem Sturm auf die Diaz-Schule beschlagnahmt. Der Autor meldet an: eine Prügelszene ist verschwunden.

Die Einschüchterung. Der Videokünstler aus Bologna wird nach der Verhandlung und der Aussage zum manipulierten Film von zwei Polizisten festgenommen.

"Sie haben mir gedroht"

"Ich erinnere mich an eine Person mit erhobenen Händen, auf der zweiten oder dritten Etage der Diaz-Schule, die von Polizisten zu Boden geworfen wurde. Man konnte sehen, wie einer von ihnen mit dem Schlagstock zum Boden herab schlug, diese Szene habe ich deutlich beobachten können, weil ich die Kamera hatte, mit der ich am filmen war, und gezoomt hatte". Das Video ist im Gerichtssaal vorgeführt worden, es war aber um die oben beschriebene Szene ärmer geworden. Als der Zeuge den Film in Augenschein nahm, hatte er keine Zweifel: das Video wurde geschnitten. Nicht nur: M.V., ein Dreißigjähriger Videokünstler aus Bologna, der Mitarbeiter von zahlreichen Informationsprojekten der Bewegung ist, unter denen seinerzeit auch Indymedia war, hat Kraft seiner Fachkenntnisse den Richtern geschildert, wie jene Art von Schnitten nur "a posteriori" [A.d.Ü.: "Im Nachhinein"] zustande gekommen sein kann und seine Erläuterung auf präzise und technisch fundierte Weise begründet.

Der Tag in Genua endete für ihn allerdings nicht mit der Aussage im Gerichtssaal: als er sich zum Bahnhof begeben hatte, um nach Bologna zurück zu kehren, soll er gegen 17:00 Uhr von zwei Polizisten fest genommen worden sein, die ihn gröblich geheißen haben sollen, es mit den Unterstellungen zu Lasten der Beamten lieber zu lassen. Eine regelrechte Einschüchterung, wegen der in den kommenden Tagen Anzeige erstattet werden soll. Die Geschichte mit dem geschnittenen und im Gerichtssaal vorgeführten Video ist eine von vielen sonderbaren Vorkommnissen, die im Schlepptau der genuesischen Prozesse zu Tage treten. Das ursprünglich mit der Nummer 175 zu den Ermittlungsakten genommene Video wurde von M.V. während dem Polizeisturm auf die gegenüber liegende Diaz-Schule in der Nacht vom 21. Juli 2001 aus einem der Fenster der Pascoli-Schule gedreht. Nach dem Einfall der Polizei in den Räumen des Genoa Social Forum war der Film verschwunden, das Verschwinden wurde vom Autor angezeigt. Das Beweisstück wurde dann zu den Akten genommen und dem Zeugen gezeigt, der bereits in der Ermittlungsphase auf das Fehlen von einer Szene hinwies, die er sich genau erinnerte, gedreht zu haben. Die Verteidiger der 29 Beamten im einfachen, mittleren und hohen Dienst staunten dermaßen, dass vermutet werden darf, dass sie das Protokoll mit den damals von M.V. mitgeteilten Feststellungen zur Beschneidung des Films nicht gelesen hatten.

Während seiner Aussage rekonstruierte M.V. die Abläufe, die in Zusammenhang mit seinen Filmaufnahmen stehen: er erinnerte sich an das Vorbeifahren einer "recht schnell fahrenden" Polizeistreife an jenem 21, Juli zurück, und daran, dass er "Würfe von Gegenständen", wie sie von den in jenem Auto sitzenden Polizisten bei ihrer Rückkehr ins Präsidium geschildert wurden, nicht gesehen hat. Mit jener Behauptung hatten die Polizisten teilweise die Notwendigkeit von einer Durchsuchung des Schulkomplexes begründet. "Ich befand mich im hintersten Zimmer, rechter Hand, am Ende des Korridors im dritten Stock", dem Zimmer, das zur Via Cesare Battisti blickt, erklärte der Zeuge. "Ich hörte Schreie, schaute aus dem Fenster und sah Hundert oder vielleicht auch mehr Polizisten mit blauen Helmen, die sich brüllend auf das geschlossene Gittertor der gegenüber liegenden Schule stürzten. Im Hof der gegenüber liegenden Schule war niemand mehr, ich sah, wie sie das Tor mit einem Fahrzeug durchbrachen". Da griff er zur Kamera. So fing er an, die Aufnahmen zu machen, die jemand später manipuliert hat und nun in manipuliertem Zustand im Gerichtssaal in Augenschein genommen wurden. Die unangenehme Episode nach der Verhandlung bestätigt die Glaubwürdigkeit von seinen Aussagen und das gereizte Klima, das in diesen Tagen in Genua herrscht. Die Verhandlungen im Diaz-Verfahren werden in der ersten April Woche fortgesetzt, während für heute [24.03.2006, d.Ü.] eine Verhandlung im Bolzaneto-Verfahren vorgesehen ist.


* Siehe Ergänzung "Die Sache mit dem angeblichen Widerstand" in:  http://de.indymedia.org//2006/02/137852.shtml

* Diese Molotows sollten den Vorwurf der Bildung einer kriminellen Vereinigung zu Lasten der insassen der Pertini-Schule begründen. Ende 2002 stellte sich heraus, dass die beiden Brandsätze von der Polizei selbst in der Schule deponiert worden waren.

Quellen:

Betroffenenbericht

 http://italy.indymedia.org/news/2006/03/1028488.php

Il Secolo XIX

 http://www.anarcotico.net/index.php?name=News&file=article&sid=6802

Il Manifesto

 http://www.anarcotico.net/index.php?name=News&file=article&sid=6810
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Ergänzungen

Zeugen sollen sich keine Sorgen machen

SC 30.03.2006 - 00:03
Ausländische Zeugen dürften dank der Tatsache, dass sie Bürger anderer Staaten sind vor solchen Scherzen weiterhin deutlich besser geschützt sein.

Tippfehler??

gt 31.03.2006 - 16:27
ich habe nur eine kurze Frage und zwar schreibt ihr zum Großteil M.V: aber einige male auch V.M.
meine frage is jetzt ib das nur ein tipfehler ist oder ob es sich um 2 verschiedene personen handelt!

Kein Tippfehler

SC 01.04.2006 - 16:12
Es wird berichtet, und dann übersetzt. Übersetzungen sollten sich am Original halten. Da wurde teilweise die Folge des Vor- und Familiennamens anders herum gesetzt, das ist alles.