Das Wahlergebnis der Linken

Wal Buchenberg 28.03.2006 14:14 Themen: Medien Repression
Nach jeder Wahl zählen linke Parteien die Stimmreste, die für sie am Wahltag abgefallen sind und sprechen sich selber Mut zu.
Aber sie trauen sich nicht offen zu sagen, was sich ihnen zu denken aufdrängt: Dass sich "der Wähler" wieder einmal falsch verhalten hat, dass sie als linke Partei aber dennoch auf dem richtigen Weg sind.
Jede linke Partei sucht dann nach Wahrheitskrümeln, die ihr das Wahldesaster erträglicher macht: Die WASG kann darauf verweisen, dass andere linke Parteien noch schlechter abschneiden. Die DKP, dass ein Wahlbündnis, an dem sie beteiligt war, in diesem oder jenem Wahlkreis auf 10 Prozent oder mehr kam. Die MLPD, dass sie mal 0,3 statt wie üblich 0,1 Prozent der abgegebenen Stimmen erhielt usw. usf.

Ich bin zwar kein Hegelianer, aber die Fragestellungen Hegels sind manchmal ganz pfiffig. Gehen wir mal mit Hegel mal davon aus, dass die deutsche Wirklichkeit ganz vernünftig und der deutsche Wähler listig ist. Behaupten wir (spaßeshalber oder nicht) mit Hegel: Indem unsere Wähler die Linken NICHT wählen, tun sie ihnen einen Gefallen.

Unser Grundgesetz behauptet zwar, dass "das Volk" der Souverän sei, und in der Politik das sagen habe. Tatsächlich waren aber die Macher des Grundgesetzes überzeugte Antideutsche, die dem deutschen Volk misstrauten bis in die Knochen. Wer in unserem Staat außer den hauptamtlichen Entscheidungsträgern was zu sagen hat, das sind allein die Parteien. Die gesamte "politische Klasse" wird bis auf geringe Ausnahme von Parteimitgliedern gestellt. Kaum ein öffentliches Amt wird ohne Blick auf das Parteibuch vergeben, sämtliche politischen Institutionen sind von Parteimitgliedern beherrscht, die Parlamente sowieso.

Wenn spätere Historiker unsere Zeit analysieren, müssen sie denken, dass es bei uns einen "Amtsadel", ein politisches "Patriziat" gegeben habe. Die Eintrittsvoraussetzung aber in dieses politische Patriziat der Bundesrepublik ist die aktive Mitarbeit in einer politischen Partei.

Laut Datenreport des Statistischen Bundesamtes sind in der BRD derzeit 1,7 Millionen Mitglieder in einer Partei. 1,7 Millionen Parteimitglieder sind 2,4 Prozent der über 15jährigen Bevölkerung in Deutschland.
Rund 20 Prozent aller Parteimitglieder sind in ihrer Partei wirklich aktiv. Das macht 340.000 Parteiaktivisten. Diese 340.000 sind die Anwärter für das politische Patriziat der Bundesrepublik.

Was wird für spätere Historiker das Kriterium der Zugehörigkeit zum bundesdeutschen Amtsadel sein? Ein politisches Mandat, die Teilhabe am staatlichen Repräsentations- und Amtssystem. Von diesen patrizischen Mandaten gibt es auf kommunaler Ebene gut 300.000.
Als solch ein Ratsherr auf kommunaler Ebene zählt man zum niederen Politadel in Deutschland, der neben seiner Ratsherrentätigkeit noch einer Erwerbsarbeit nachgehen muss. Zu diesen 300.000 niedrigen Sinekuren kommen die gutbezahlten Posten für den politischen Hochadel, rund 2600 Positionen in Landtagen, dem Bundestag und dem Europaparlament. Die Parteiaktiven sind mehr oder minder identisch mit unserer Politaristokratie.

Immer weniger Leute wählen diese Politaristokraten. Immer weniger Leute und vor allem immer weniger junge Leute wollen zu diesem Amtsadel gehören. Immer weniger Parteimitglieder reißen sich für ihre Patrizier in Amt und Würden ein Bein aus. Übrig in den Parteien bleiben Ältere, höhere Angestellte und Beamte.

Das ist der langfristige politische Trend in der Bundesrepublik, worin sich tiefe Unzufriedenheit mit den Verhältnissen äußert.
Etwa die Hälfte der Bevölkerung gibt an, von den Parteien enttäuscht zu sein. Beinahe drei Viertel der Befragten sind davon überzeugt, dass wichtige Entscheidungen durch Spenden an Parteien erkauft wurden. Mehr als die Hälfte der Befragten in Ost und West geben an, dass den Politikern jedes Mittel recht sei, um sich an der Macht zu halten. Das Misstrauen der Bevölkerung gegenüber Parteien und Politikern ist weit verbreitet.

Trotzdem sagen unsere linken Parteien: Wählt uns!, werdet bei uns Mitglied! Werdet bei uns aktiv! Wir machen alles besser!
Das zu glauben, widerspricht jeder Vernunft, nicht nur der Hegelschen. Muss man den Wählern daraus einen Vorwurf machen, dass sie den Linksparteien ihre unglaubwürdige Propaganda nicht abkaufen?

Nehmen wir mal an, die derzeit rund 10 Prozent politisch Unzufriedenen in der Bundesrepublik, die einen grundlegenden Wandel wollen, - immerhin gut 8 Millionen Leute, wären der Meinung: diese eine linke Partei (oder auch alle linken Parteien, die wir haben) - die finden wir gut! Die wollen wir unterstützen!
Kommen diese Unzufriedenen ihrem Ziel eines grundlegenden Wandels dadurch näher, wenn sie diese Partei(en) wählen? Mit Hegel muss man sagen: Keineswegs!

Denken wir uns eine linke Bilderbuchpartei mit 30.000 strammen Mitgliedern. Wir haben gut 300.000 Mandatsstellen in der Bundesrepublik, die durch Wahl vergeben werden. Angenommen, unsere Wunschpartei erreicht überall die 5%-Hürde, dann stellt sie 5% dieser Mandate, macht 15.000. Man kann leicht vorhersagen, was dann passiert. Die politische Entwicklung der Grünen, bei denen ich auch mal Mitglied war, ist noch in schlimmer Erinnerung.

Eine linke Partei mit 30.000 Mitgliedern müsste vom Wahltermin an 15.000 ihrer aktivsten und besten Parteimitglieder für Staatsaufgaben abstellen, damit sie sich um Straßennamen, Gullydeckel oder die Finanzgeschäfte des Oberstadtdirektors kümmern können.

Rund ein Drittel der Parteienfinanzierung käme dann vom Staat, ein weiteres Drittel von den Mandatsträgern der Partei. Unsere Bilderbuchpartei würde zwangsläufig verbürgerlicht und verstaatlicht. Den Regierenden ist es das wert und sie lassen es sich was kosten: Für Parteien, Fraktionen und die Inlandsarbeit der Partei-Stiftungen werden aus "Staatsknete" jährlich rund 500 Millionen Euro ausgegeben.

Wer verhindern will, dass linke Parteiorganisationen mit dem Staat verwachsen, der wird sie besser nicht wählen. Das ist jedenfalls das Fazit von Hegels listiger Vernunft. Eine linke Partei, die gewählt wird, wird sich selber gründlicher verändern als die Verhältnisse. Wer wählt, verändert die Partei, die er wählt, nicht die Verhältnisse.

Wal Buchenberg für Indymedia, 28.03.06

Nützliche Links zur Parteienforschung
 http://socio.ch/movpar/t_filipponi.htm
 http://www.polwiss.fu-berlin.de/people/niedermayer/docs/TP-Mitglieder.pdf
 http://www.thueringen.de/imperia/md/content/text/lzt/43.pdf
 http://www.thueringen.de/imperia/md/content/text/lzt/43.pdf
Creative Commons-Lizenzvertrag Dieser Inhalt ist unter einer
Creative Commons-Lizenz lizenziert.
Indymedia ist eine Veröffentlichungsplattform, auf der jede und jeder selbstverfasste Berichte publizieren kann. Eine Überprüfung der Inhalte und eine redaktionelle Bearbeitung der Beiträge finden nicht statt. Bei Anregungen und Fragen zu diesem Artikel wenden sie sich bitte direkt an die Verfasserin oder den Verfasser.
(Moderationskriterien von Indymedia Deutschland)

Ergänzungen

Marx widerlegt?

Jürgen 28.03.2006 - 15:56
Hast du jetzt Marx mit Hegel widerlegt?

"Gewinnt z. B. in England oder in den Vereinigten Staaten die Arbeiterklasse die Majorität im Parlament oder Kongress, so könnte sie auf gesetzlichem Weg die ihrer Entwicklung im Weg stehenden Gesetze und Einrichtungen beseitigen, und zwar auch nur, soweit die gesellschaftliche Entwicklung dies erfordere."

"Man kann sich vorstellen, die alte Gesellschaft könne friedlich in die neue hineinwachsen in Ländern, wo die Volksvertretung alle Macht in sich konzentriert, wo man verfassungsmäßig tun kann, was man will, sobald man die Majorität des Volkes hinter sich hat: in demokratischen Republiken wie Frankreich und Amerika, in Monarchien wie in England, ... wo diese Dynastie gegen den Volkswillen ohnmächtig ist.“ F. Engels, Kritik des SPD-Programms von 1891, MEW 22, 234."

"Sobald unsere Partei im Besitz der Staatsmacht ist, hat sie die Großgrundbesitzer einfach zu enteignen, ganz wie die industriellen Fabrikanten. Ob diese Enteignung mit oder ohne Entschädigung erfolgt, wird großenteils nicht von uns abhängen, sondern von den Umständen, unter denen wir in den Besitz der Macht kommen ..." F. Engels, Bauernfrage, MEW 22, 503f.

Wenn du jetzt behauptest, alle linken Parteien würden durch einen Wahlerfolg verbürgerlichen, dann steht deine Ansicht der von Marx und Engels entgegen, die von einem Wahlerfolg als Voraussetzung für einen friedlichen Übergang ausgingen.





Parteien - entweder korrupt oder unbedeutend

cassiel 28.03.2006 - 18:18
Vollkommentar/Diskussion des obigen Artikels:
 http://demokratie.mine.nu/read.php?8,264,264

Wahl

Knut 28.03.2006 - 22:19
Die Auffassung von Wal Buchenberg ist ausgesprochen einseitig. Zwar ist es durchaus zutreffend, daß die jetzigen "linken" Parteien nicht wert sind gewählt zu werden, jedoch darf hier kein tabula rasa vollzogen werden.
Konkret: nehmen wir mal an, in Deutschland bildet sich wirklich eine revolutionäre Partei/en, die eine gewisse Unterstützung in der Bevölkerung erfährt/erfahren.Es ist doch sehr wohl vorstellbar, daß deren parlamentarischen Vertreter/innen einer Rechenschaftspflicht durch ihrer Partei unterzogen sind. Auch Abgaben oberhalb eines Facharbeiterlohnes sind gut vorstellbar.
Ergebnis: der Korrumpierung ist schon in Vielem vorgebeugt.
Sinn einer Mitarbeit in Parlament wäre dann, nicht etwa die bestehenden Verhältnisse umzukrempeln, dafür eignet sich ein P. wahrlich nicht.
Wohl aber ist ein P. geeignet, als Tribüne zu dienen, von der aus entsprechende Botschaften verkündet werden!Warum sollte eine Linke diese Möglichkeit nicht nutzen?

@Jürgen

libertärer Kommunist 28.03.2006 - 22:53
Bei dir klingt das ja etwas, als wären Marx und Engels so eine Art unanfechtbare Instanz.
Die Vergangenheit zeigt: Parteien werden niemals etwas "revolutionäres" zu Stande bringen, sondern immer bloß in Herrschaftsverhältnissen dieser oder jener Art verbleiben. Die Parteibonzen werden nach und nach korrumpiert(wenn sie nicht von Anfang an machtgeil sind), passen sich an und lassen es sich, nun selber zugehörig zur herrschenden Klasse, richtig gut gehen.
Der einzige Weg zu einer besseren Gesellschaft ist der außerparlamentarische!

Ergänzungen

jc 28.03.2006 - 23:56
Folgende Ergänzungen sind notwendig bis passend:
a. Kritische Hintergründe zu sogenannten linken Parteien (das sind die mit Spitzenleuten, die Abschiebelager in Nordafrika fordern usw.):  http://www.linkspartei-info.de.vu und  http://www.lafontaine.de.vu.
b. Der neue Parlamentarismus breiter Teile der sog. Linken scheint ja kritische Aktionen zu den Stellvertretungsfestspielen "Wahl" zu einer aussterben Sorte von Aktion zu machen. Einziger vorliegender Bericht war eine Aktion in Wetzlar ... die wurde aber dann auch noch von den Indy-Mods nicht auf den News-Wire gehievt. Daher hier der Link:  http://de.indymedia.org/2006/03/142383.shtml
c. Die Indy-Mods jammern ja ständig rum, irgendwas würde den Kriterien nicht entsprechen. Wenn mensch den obigen Text und den unter b. genannten vergleicht, ist eines eine politische Lageeinschätzung und das andere ein Bericht. Diesmal ging die Lageeinschätzung durch, der Bericht nicht. Es bleibt dabei: Es gibt kein offenes Indymedia in Deutschland - und die letzten Wochen zeigen das mehr denn je.

So ... und jetzt ab hiermit ins Kleingedruckte und noch ein paar Anti-JB Dissings dahintersetzen, schließlich nervt das ständige Gezeter gegen die Eliten. Schließlich sind "wir" die Guten, also auch "unsere" Eliten. Maul halten - mitmarschieren. Und wählen!

Wal trifft nicht ganz den entscheidenen Punkt

Der letzte Wähler 30.03.2006 - 00:22
Die letzten Wahlen belegten durch ihren großen Anteil an Nicht-Wählern,
dass das Ideal von Demokratie immer mehr mit der Realität in Widerspruch gerät. 50 Prozent der Wählerstimmen sind nämlich etwas ganz anderes als 50 Prozent der Stimmen aller Wahlberechtigten.
Spätestens bei theoretisch 10 Prozent Wahlbeteiligung wäre zu fragen, woher die Gewählten eigentlich ihre Legitimation noch hernehmen für alle zu sprechen und zu entscheiden.
Deshalb ist die Einordnung der Linksfraktion durch Wal nicht ganz präzise. Es fragt sich nämlich, warum diese nicht gewählt wurden. Abstrakt gibt es hier nämlich drei Begründungen: ersten weil sie den Hauch von Kommunismus haben, weil sie wieder zu integriert erscheinen (Wals Argumentation) und weil mensch von Wahlen sowie so nichts mehr hält.
Wesentlich ist hier nur eines: Es braucht keine Repräsentaten mehr, wenn die Menschen sich selbst präsentieren können.

Beiträge die keine inhaltliche Ergänzung darstellen

Zeige die folgenden 9 Kommentare an

Volk fürn Arsch! — Antinationalist

@Antinationalist — auch Antinationalist

Nochmal @ Jürgen — Mensch

korrektur zu jc — ich

Politik ist out — Anarcho X