Die Legende der Coca

Lukas Pellio 25.03.2006 03:17 Themen: Kultur Weltweit
Eine der vielen Legenden wie die heilige Pflanze zu den Menschen kam.
Auszug aus einem Leserbrief:
Warum ist die Bekämpfung des Coca-Anbaus schlecht? Weil er die Lebensgrundlage von einigen Bolivianern bildet? Das ist doch wirklich kein Argument. Nehmen wir an, tausend Leute verdienen ihr Geld, indem sie Banken ausrauben. Wird Bankraub dadurch legal? Eher nicht. Richtig ist sicherlich, dass es auch zum Ziel der Regierung gehören sollte, für die Cocabauern eine sinnvolle Alternative zu schaffen. Welche Position vertritt Evo (immerhin hat er ja selbst Coca angebaut)?

Es war in der Zeit, als die weißen Eroberer auf dieses Stück Land gekommen waren. Grausam und blutig. Die Städte waren zerstört, die Felder verlassen, die Tempel geschändet, in Brand gesteckt, die heiligen und weltlichen Schätze geraubt. Und überall in den Tälern und Bergen umherirrende, flüchtende Indios, heimatlos, den Tod ihrer Eltern, ihrer Kinder oder Geschwister beweinend. Der unmenschliche Eroberer, durch Eisen geschützt, verfolgte sie mit seinen Blitze spuckenden Feuerwaffen.
Die schutzlosen Indios riefen umsonst ihre Götter an. Niemand, weder im Himmel, noch auf der Erde, hatte Mitleid mit ihnen.
Ein alter Wahrsager, genannt kjana-chuyma, der vom INTI (Sonne in Quetchua) zum Dienst im Tempel bestimmt worden war, hatte es geschafft, unmittelbar vor der Ankunft der Weißen mit den heiligen Schätzen des großen Tempels zu fliehen.
Wild entschlossen zu verhindern, dass diese Reichtümer in die Hände der Eroberer fallen, hatte er schließlich, nach langer und gefahrvoller Reise diese wenigstens an einen augenblicklich sicheren Ort gebracht. Der Schatz befand sich an der Ostküste des Titicacasees.
Täglich schritt er alle Wege ab und überblickte den See, die Ankunft Pizzaros erwartend.
Eines Tages war es soweit. Die Männer hielten genau auf ihn zu. Er wusste was zu tun war. Ohne zu zögern versenkte er alle Reichtümer an der tiefsten Stelle des Sees. Aber die Spanier wussten schon, dass er es war, der ihnen die Schätze vorenthielt.
Sie entführten ihn, um das Versteck in Erfahrung zu bringen. Kjana-chuyna weigerte sich auch nur ein Wort zu sagen.
Peitschenhiebe, Wunden, Verbrennungen, alles, alles ertrug der alte Yatiri ohne preiszugeben, was er mit dem Schatz gemacht hatte.
Ernüchtert ließen die Spanier den dem Tode nahen Wahrsager an einem verlassenen Ort am Titicacasee zurück.
In eben dieser Nacht träumte kjana-chuyma in seinem Fieber, dass die Sonne sich ihm hinter dem Berg annäherte und zu ihm sprach:

"Sohn, dein Tod, den du durch die Rettung meiner Heiligtümer auf dich geladen hast, verdient eine Entschädigung. Was ist dein innigster Wunsch?"

"Oh, geliebter Gott", antwortete der Alte," um was könnte ich dich, in diesen Stunden des Schmerzes und der Niederlage, anderes bitten, als um die Wiederkehr meines Volkes und um die Vernichtung der Eindringlinge?"

"Sohn," antwortete ihm die Sonne," um was du mich bittest ist nicht mehr möglich. Meine Macht reicht nicht mehr aus. Ihr Gott ist mächtiger als ich. Er hat mich meiner Zuflucht beraubt, und daher muss auch ich fliehen. Aber gut, vorher möchte ich dir noch etwas schenken, soweit es in meinen Möglichkeiten steht."

"Mein Gott," stieß der Alte voller Schmerz aus," wenn dir nur noch so wenig Macht bleibt, muss ich behutsam nachdenken, um was ich dich bitten werde."

Am nächsten Tag suchte eine Gruppe des Sonnenreichs Schutz in dem Versteck, in dem kjana-chuyma mit dem Tod kämpfte.
Diese pflegte ihn. Kjana-chuyma war einer der verehrtesten Yatiris des Reiches; darum umringten sie voller Trauer sein Totenbett und beklagten seinen bevorstehenden Tod.
Als der alte Mann nach und nach in die Gesichter seiner Landsleute sah, konnte er sich ihr Leid und ihre Bitterkeit in der drohenden Zukunft vorstellen. So also erinnerte er sich an das Versprechen des großen Gestirns.
Er beschloß um etwas Dauerhaftes zu bitten, das er als Erbe hinterlassen könnte. Etwas, weder Geld noch Reichtum, damit es die Weißen nicht rauben könnten. Ein geheimer und wirkungsvoller Trost für die Tage des Elends und des Leidens.
In der Nacht, mitten im Fieberwahn, flehte er die Sonne an, damit sie seine letzte Bitte erhöre.
Sogleich verließ er, von einer geheimnissvollen Kraft ergriffen, Lagerstätte und Versteck, und erstieg, wie von fremder Hand geführt, den Gipfel des benachbarten Berges.
Dort, umgeben von großer Helle, sprach eine Stimme zu ihm:
"Mein Sohn, ich habe dich erhört. Du willst deinen Brüdern etwas hinterlassen, das in ihrer Hilflosigkeit ihre Schmerzen lindert und ihnen Kraft gegen die Ermüdung gibt?"

"Ja, genau. Ich wünsche ihnen etwas mit dem sie der Sklaverei, die sie erwartet, widerstehen können. "

"Gut", antwortete die Stimme," schau dich um. Siehst du diese kleinen Pflanzen mit den grünen, ovalen Blättern? Ich habe sie für dich und deine Brüder sprießen lassen. Sie bringen das Wunder fertig, Schmerzen einzuschläfern und gegen die Müdigkeit zu bestehen. Sie sollen der unschätzbare Talisman für die bitteren Tage sein. Sag deinen Brüdern, sie sollen die Blätter ohne den Halm zu verletzen abnehmen, diese trocknen und danach kauen.
Der Saft dieser Pflanze, sei die beste Betäubung für die riesigen Schmerzen eurer Seelen."

Kjana-chuyma, als er merkte, dass sein Leben zu Ende ging, versammelte seine Genossen, und sagte ihnen:

"Meine Söhne, ich sterbe, aber vorher möchte ich euch mitteilen, was der INTI, unser Gott, euch in seiner Güte durch mich zukommen lassen will.
Steigt auf diesen Berg. Ihr werdet einige Pflanzen mit ovalen Blättern finden. Beschützt sie und baut sie mit Vorsicht an. Durch sie werdet ihr Nahrung und Trost haben.

In den harten Strapazen, zu denen uns die Despoten zwingen, kaut diese Blätter, und ihr werdet neue Kräfte für die Arbeit haben.
In den unendlichen und gefährlichen Reisen, die der Weiße euch auferlegt, kaut diese Blätter, und der Weg wird euch kurz und vergänglich erscheinen.
In den Momenten in denen euer melancholischer Geist nach etwas Freude verlangt, werden diese Blätter euren Schmerz ruhen lassen und euch die Illusion von Freude geben.
Wenn ihr etwas über euer Ziel erfahren wollt, übergebt dem Wind eine handvoll Blätter und er wird euch das Geheimnis, das ihr sucht, preisgeben.
Und wenn dies der Weiße nachzuahmen versucht, und sich erdreistet die Blätter wie ihr zu benutzen, wird ihm das Gegenteil widerfahren.
Der Saft, der für uns Lebenskraft sei, wird für unsere Ausbeuter eine abstoßende und schwächende Sucht sein. Während es für euch eine fast spirituelle Nahrung sei, wird es bei ihnen Wahnsinn und Verrücktheit verursachen.
Passt auf, dass sie nicht ausstirbt, und macht sie den Unsrigen bekannt. "

Der alte kjana-chuyma legte sein Haupt auf die Brust und war ohne Leben.

Seine Genossen beweinten seine Tod. Sie wählten die Spitze des Berges für sein Grab aus. Es wurde überwuchert von der geheimnisvollen grünen Pflanze.
Da erinnerten sie sich an seine letzten Worte, nahmen jeder eine handvoll Blätter und kauten sie.
Und das Wunder geschah. Als sie den bitteren Saft schluckten, merkten sie, dass ihr riesiger Schmerz langsam einschlief…
(Frei übersetzt nach "Leyendas de mi tierra" von Antonio Díaz Villamil)
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