Gewalt gegen Frauen auf dem Vormarsch

Ralf Streck 24.03.2006 11:39 Themen: Gender Repression
Weiter weisen Menschen- und Frauenrechtsorganisation auf die Gewalt gegen Frauen hin. Dabei richten sie ihren Blick auch auf Europa. In Frankreich wird jeden vierten Tag eine Frau von ihrem Partner oder Ex-Partner umgebracht. In Deutschland gibt es kaum Zahlen und Spanien hat sich die Zahl 2005 leicht gesenkt, während die Zahl der Anzeigen wegen Misshandlungen weiter steigt. Sogar in der Schweiz wurden etwa 40 Frauen im vergangenen Jahr Opfer der so genannten „häuslichen Gewalt“. Spitzenreiter ist wohl Russland.
„Gewalt gegen Frauen und Mädchen ist das weltweit verbreitetste und alltäglichste Menschenrechtsproblem. Über alle kulturellen und religiösen Grenzen hinweg, quer durch Schichten und Altersklassen, in allen Ländern der Welt.“ Das schreibt die Schweizer Sektion von Amnesty International (AI) zum Start ihrer Kampagne die zum Internationalen Frauentag am 8. März begonnen hat.
 http://www.amnesty.ch/d/ecamd/svawd/04I/0403_intro.html

Neben dem der Blick über die Grenzen hinaus, soll die Kampagne auch in der Schweiz selbst über das Phänomen aufklären und sensibilisieren. Dort gaben in einer repräsentativen Umfrage von 1997 ein Fünftel der Frauen zwischen 20 und 60 Jahren an, schon einmal Opfer von physischer oder sexueller Gewalt durch ihren Partner geworden zu sein. Nach Auswertung von Medienberichten sollen 40 Frauen im vergangenen Jahr in der Schweiz der Machogewalt zum Opfer gefallen sein. Offizielle Zahlen gibt es nicht. Im Kanton Zürich seien 10 von 14 Tötungsdelikten dieser Gewalt zuzurechnen.  http://www.amnesty.ch/d/id/idpd/06I/20060307_mgd.html

Insgesamt entfielen weltweit fast 70 % aller Morde an Frauen auf ihre Partner oder Ex-Partner, zitiert AI Zahlen der Weltgesundheitsorganisation (WTO/ http://www.who.int). Deshalb hatte AI 2004 eine weltweite Kampagne gestartet  http://www2.amnesty.de/internet/deall.nsf/windexde/KA2004010 , denn die häusliche Gewalt sei die Hauptursache für den Tod oder die Gesundheitsschädigung bei Frauen zwischen 16 und 44 Jahren und rangiere damit noch vor Krebs oder Verkehrsunfällen.

Auch in Frankreich ist die Lage ernst. Um die Bevölkerung dort zu sensibilisieren hat AI erstmals eine Studie zur Lage der Frauen erstellt. Die 210 Seiten starke Buch hat den Titel „Les violences faites aux femmes en France, une affaire d'Etat“.  http://www.amnesty.asso.fr/02_agir/24_campagnes/vcf/vcf_france.htm Die verschwiegene und verdrängte Gewalt müsse eine „Staatsangelegenheit“ werden, fordert die Menschenrechtsorganisation, die den Bericht dem französischen Premierminister Dominique de Villepin zugeschickt hat und von der Regierung eine „ambitionierte Politik“ in der Materie verlangt. Der Gewalt soll vorgebeugt werden und die Opfer sollen eine adäquate Behandlung erhalten. Vor allem Frauen die zur Prostitution gezwungen werden müssten als Opfer statt als Delinquenten behandelt werden. Angeführt werden in der Studie auch sexuelle Verstümmelungen (wie Klitorisbeschneidungen) oder Zwangsheirat.

Als „einen der größten Menschenrechtsskandale“ bezeichnet AI aber die Tatsache, dass in der Wiege der Menschenrechte jeden vierten Tag eine Frau von ihrem Partner oder Ex-Partner umgebracht werde. Dabei bezieht sich AI auf Zahlen der Regierung aus den Jahren 2003 und 2004. Als „Horror“ bezeichnet es die Organisation, dass zehn Prozent aller Frauen angegeben haben, in nur 12 Monaten Opfer der patriarchalischen Gewalt geworden zu sein. Mangels neuer Daten greift AI dabei auf eine repräsentative Umfrage aus dem Jahr 2000 zurück.

Die Wurzeln des Problems lägen „in einer Gesellschaft, die sich aus einem diskriminierenden kulturellen, sozialen und ökonomischen System speist“, in der die Gewalt gegen die Partnerin in den Bereich der „Privatsphäre“ falle. Als ein Beispiel führt die Studie die Aussage eines Schlägers an, als er für die „Gewalt gegen eine Person“ vor Gericht stand. Der antwortete dem Richter auf den Vorwurf: „Aber Herr Richter, das ist keine Person, das ist meine Frau“. Auch die französische Studie stellt heraus, dass es sich um ein allgemeines gesellschaftliches Problem handelt, „das weder kulturelle noch soziale Grenzen kennt“. Ein schielen auf den Islam, wie es bei Gewalt gegen Frauen derzeit gerne, auch mit Blick auf die Ehrenmorde  http://www.heise.de/tp/r4/artikel/22/22201/1.html geschieht, verstellt also eher den Blick auf das eigentliche Problem.

Beängstigend hatte sich die Lage der Frauen im spanischen Staat in den letzten Jahren zugespitzt, die sich nun zu stabilisieren scheint.  http://www.heise.de/tp/r4/artikel/16/16910/1.html Erstmals wurde der Trend durchbrochen, wonach die Zahl von Frauen jährlich steigt, die von ihren Partnern umgebracht werden. Nach offiziellen Angaben des Sozial- und Familienministeriums waren es „nur“ noch 62, statt 72 (2004).  http://www.mtas.es/mujer/mujeres/cifras/tablas/W805b.XLS Die Zahl der Anzeigen von Misshandlungen ist jedoch weiter gestiegen. Von etwa 50.000 im Jahr 2003 auf der neuen Rekordmarke von fast 60.000 im vergangenen Jahr.  http://www.mtas.es/mujer/mujeres/cifras/tablas/W300-2.XLS

Frauenorganisationen, die zudem von höheren Todeszahlen ausgehen, mahnen noch zur Vorsicht: „Wir müssen schauen, ob sich dieser Trend in den nächsten Jahren konsolidiert“, erklärte die Sprecherin des Feministischen Netzwerks gegen Frauengewalt ( http://www.redfeminista.org) Ángeles Álvarez. Bisher gibt es in diesem Jahr erneut 18 registrierte Todesfälle. Hochgerechnet auf das gesamte Jahr käme man wieder in den Bereich des Rekordjahrs von 2004.

Trotzdem sehen die Frauenorganisationen positive Wirkungen der Schutzgesetze mit denen die sozialistische Regierung seit der Machtübernahme vor zwei Jahren Frauen zu schützen versucht. „Die größte Differenz kann bei der Zahl der Frauen festgestellt werden, die umgebracht werden, nachdem sie Misshandlungen angezeigt haben“, sagte Álvarez. Zuvor war ermittelt worden, dass das Risiko nach einer Anzeige getötet zu werden, stark steige. Das gilt allgemein bei Geschlechtergewalt, die Taten werden oft geplant und sogar angekündigt.  http://www.big-interventionszentrale.de/mitteilungen/pdfs/0603_heynen.pdf

In Spanien zeige sich, dass die Schutzmaßnahmen zu wirken begännen, die mit dem Gesetz gegen Geschlechtergewalt im Januar 2005 eingeführt wurden. Doch bisweilen hilft selbst ein Personenschutz nichts, wenn der in der Ehre gekränkte Ex den Mord zielstrebig ausführt. Etwa 3000 Frauen sind derzeit in einem Schutzprogramm. Nur kann der Beschützer im privaten Umfeld dann wieder selbst zum Mörder werden, wie ein 33jähriger Nationalpolizist, Experte für Geschlechtergewalt und Mitglied in einer lokalen Kommission gegen Geschlechtergewalt gezeigt hat. Der erschoss im Januar seine Ex-Freundin in der südspanischen Stadt Ronda.

Doch die Diskussion der letzten Jahre hat dazu geführt, dass das Thema in der Öffentlichkeit beachtet wird. Dieser Effekt soll über das Observatorium für Geschlechtergewalt verstärkt werden ( http://www.observatorioviolencia.org) Mit der Veröffentlichung im Gesetzesblatt letzte Woche wurde es auch offiziell gegründet.  http://www.observatorioviolencia.org/Upload/DOC76_boe_observatorio.pdf Es soll Daten über die Machogewalt liefern, die Behörden beraten und Wege aufzeigen, wie die Geschlechtergewalt ausradiert und seine Effekte minimiert werden können.

Denn spezielle Daten zu häuslicher Gewalt fehlen oft. Das gilt auch für Deutschland. Die Kriminalstatistik weist außer für Sexualdelikte keine besonderen Todesumstände aus. Angesichts von 809 Mord- oder Totschlagopfern 2004 in Deutschland kann nur darüber spekuliert werden, wie viele Frauen von ihrem Partner umgebracht wurden. Dass die Zahl vermutlich größer als die in der Schweiz, Frankreich oder Spanien ist, kann aus Zahlen des Landeskriminalamts in Baden-Württemberg geschlossen werden. Unter den 96 Opfern eines vorsätzlichen Tötungsdelikts im Ländle befanden sich 53 weibliche Opfer. „Der überwiegende Anteil der Tötungsdelikte an weiblichen Opfern sind somit Beziehungsdelikte”, erklärt das Landeskriminalamt  http://www.bundesrat.de/Site/Inhalt/DE/3_20Konferenzen/3.2_20Innenminister-Konferenz/3.2.5_20Beschl_C3_BCsse_20und_20Berichte/3.2.5.1_20Sitzung_20vom_2021.11.2003/NI/Anlage_203_20zu_20Nr._2020,property=Dokument.pdf in Bezug auf die Studie einer Projektgruppe. „Auch hier zeigt sich, dass der überwiegende Anteil der versuchten und vollendeten Tötungsdelikte Beziehungsdelikte sind, wobei es sich in vielen dieser Fälle um enge soziale Beziehungen bzw. Paarbeziehungen handelt.”
 http://www.bundesrat.de/Site/Inhalt/DE/3_20Konferenzen/3.2_20Innenminister-Konferenz/3.2.5_20Beschl_C3_BCsse_20und_20Berichte/3.2.5.1_20Sitzung_20vom_2021.11.2003/NI/Anlage_201_20zu_20Nr._2020,property=Dokument.pdf
Dass es sich fast immer um Taten im Affekt handelt, wie gern behauptet wird, weist die Studie zurück. In mehr als 30 % wurde die Tat als geplant beschrieben und in fast 60 % der ausgewerteten Fälle wurde sie sogar zuvor angedroht.

In Europa scheint die Lage am Schlimmsten in Russland zu sein. Dort soll nach Angaben von AI stündlich eine Frau tödliches Opfer der Gewalt eines Angehörigen oder Partners werden. Auch hier ergibt sich die Einschätzung, dass sie vor jedem sozialen, ethnischen oder religiösen Hintergrund auftritt.  http://web.amnesty.org/library/index/engeur460562005 Auf 14.000 schätzte selbst die Regierung für 1999 die Zahl der Frauen, die von ihren Partner oder Ex-Partnern umgebracht wurden. In Russland seien die Frauen völlig schutzlos. Das zeige auch die Tatsache, dass es in der Hauptstadt kein einziges Frauenhaus gäbe, wo misshandelte Frauen Schutz vor den Peinigern fänden. Für den laufenden Monat hat AI Russland zum Schwerpunkt der Frauenkampagne gemacht.  http://web.amnesty.org/actforwomen/dv-russia-080306-editorial-eng

© Ralf Streck, den 23.03.2006
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Ergänzungen

Deckelt Sexismus

Was tun?! 24.03.2006 - 19:22
Das Thema Gewalt gegen Frauen muss dringend aus der Privatsphäre rausgezerrt und dann im Alltag angegangen werden. Mit einer klar antisexistischen Perspektive. Ich habe hier eine originelle Aktion gegen sexualisierte Gewalt gefunden. Da wird das Thema mit Bierdeckeln an öffentliche Orte getragen und Dritte aufgefordert, bei Übergriffen gegen Frauen wachsam zu sein und gegebenenfalls auch einzugreifen ( http://www.schoener-leben-goettingen.de/bierdeckel). Bierdeckel mit ensprechenden Comic-Motiven und Text auf der Rückseite können da noch bis Ende Mai bestellt werden.

Ehrenmorde in der Türkei

--- 02.08.2006 - 09:44
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Beiträge die keine inhaltliche Ergänzung darstellen

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Verstehs nicht — Ralf

@ralf — alex

Nix für ungut — Ralf

Nein!! — ä+++

IMMER UND ÜBERALL — egal wo