Demonstration von türk. Nationalisten (18.3.)

I.K. 19.03.2006 12:39
Am 18.3.2006 fand in Berlin eine Demonstration türk. Nationalisten statt. Die Demonstration war Teil einer Kampagne gegen die Anerkennung des Genozids an den Armenier von 1915. Es beteiligten sich ca. 2000 Personen (die Berliner Polizei spricht von 1700 Personen). Also keine 5 Millionen - wie laut der Organisatoren der Kampagne mobilisiert werden sollten.
Die Demonstration war zuerst von der Berliner Polizei verboten dann vom Oberverwaltungsgericht wieder erlaubt worden mit der Auflage dass der Genozid nicht geleugnet werden sollte. Die Auflage wurde (auch nach einem Bericht von Deutschlandfunk) nicht eingehalten.

Zum Ablauf der Demonstration selbst:

Die ca. 2000 Demonstranten marschierten mit hauptsächlich türk. Flaggen - wie von der Demonstrationsleitung gewünscht. Dazu vereinzelt Flaggen von anderen türk. Republiken - so etwa Aserbaidschan - und von der "Türkischen Republik Nordzypern", und 1 (!) Irak-Fahne. Es wurden - vereinzelt - Porträts von Atatürk (türk. Staatsgründer) und Talat Pascha (einer der Hauptverantwortlichen des Genozids von 1915, siehe  http://de.wikipedia.org/wiki/Talaat_Pascha ) getragen. Transparente gab es kaum.

Die gerufenen Slogans waren:

- "Soykirim yapmadik vatan savunduk" ("Wir haben kein Völkermord begangen- sondern das Vaterland verteidigt")
- "Her sey vatan icin" ("Alles für das Vaterland")
- "Kahrolsun ABD emperyalizmi ("Nieder mit dem US-Imperialismus")
- "Yasasin Türk-Alman dostlugu" ("Es lebe die türkisch-deutsche Freundschaft")

Am Ernst-Reuter-Platz war die Abschlusskundgebung. Die Demonstrationsleitung versuchte die Menschen so zu lenken, dass es für die Presse nach mehr Demonstranten aussehen sollte, und sprach vozehntausenden Teilnehmer, die gekommen wären "trotz einer Differmierungskampagne von 2 Monaten".

Die Reden beinhalteten die bereits bekannten Argumente der türk. Nationalisten:

- "Es gab kein Genozid, sondern die "Ereignisse" waren Teil des Krieges"
- "Der Genozid-Vorwurf ist eine kriegsvorbereitende Maßnahme (wie etwa beim Irak-Krieg)"
- "Es ist ein Komplott der USA, Deutschland soll sich hier nicht mißbrauchen lassen"
- "Wenn die Geschichte des Genozids in den deutschen Schulbüchern dargestellt wird, wird damit die Feindschaft gegen die Türken in Deutschland gestärkt", weil "der deutsche Schüler den türkischen Schüler als ein Menschenfeind ansehen wird"
- "Wir verteidigen hier das Vaterland gegen ungerechte Angriffe"

Weiterhin wurde der gewaltfreie Ablauf der Demonstration als Zeichen für die Friedfertigkeit der Türken an sich (!) dargestellt, so etwa als würde man sagen "wer gewaltfrei demonstriert, kann doch kein Genozid ausüben".

Zu den Hintergründen:

Die Demonstration war Teil der Kampagne "Talat-Pascha-Operation" (so wurde es von den Organisatoren selbst genannt). Die "Operation" sollte die Anerkennung des Genozids an den Armenier ( http://de.wikipedia.org/wiki/V%C3%B6lkermord_an_den_Armeniern) in Frage stellen und die These von "kriegsnotwendigen Umsiedelungsmaßnahmen" propagieren. Die Organisatoren waren die türk. "Isci Partisi" ("Arbeiterpartei" von D. Perincek, in den 70er maoistisch, inzwischen nationalistisch), kemalistische und nationalistische Vereine. Als Gallionsfigur galt der ehemalige Staatspräsident der "Türkischen Republik Nordzypern" Rauf Denktas.

Während zuerst noch zahlreiche türk. Verbände zu den Unterzeichern gehörten (so etwa die der Dachverband DITIB von der türk. Religionsbehörde Diyanet und Türkische Gemeinde Berlin) haben die meisten Organisation nach und nach erklärt, dass sie sich zurückziehen würden oder nie unterzeichnet hätten. Auch der türk. Ministerpräsident Erdogan erklärte, dass er gegen die "Operation" sei. Interessanterweise waren die Distanzierungen nicht etwa erfolgt, weil man die Genozidleugnung verurteilte, sondern vielmehr waren sie erfolgt, weil die "Arbeiterpartei" versucht habe, die Kampagne allzusehr zu dominieren und wegen einer Drohung im Kampagnenaufruf, dass die europäischen Städte brennen würden wie Paris falls die Genozidvorwürfe nicht zurückgenommen wurden. Was die Distanzierten nicht ausgesprochen haben, was aber wohl eine Rolle spielte, war der wachsende öffentliche Druck in der letzten Phase kurz vor der Demonstration selbst.


Hier noch einige Presseberichte- und Kommentare zur Demonstation selbst und zu den Hintergründen:


Tagesspiegel vom 19.3.2006

Ruhige Demos von Türken und der NPD
Weniger Nationalisten als von der Polizei erwartet

Friedlich und mit weniger Teilnehmern als erwartet lief gestern die im Vorfeld heftig umstrittene Demonstration von türkischen Nationalisten in der City- West ab. Obwohl mit mehreren Reisebussen aus ganz Deutschland und aus dem europäischen Ausland angereist, seien nur etwa 1700 Protestierer zusammengekommen, berichtete die Polizei.

Auch die vielen anderen Demonstrationen, die gestern stattfanden, verliefen weitgehend ruhig. An einer NPD-Demo unter dem Motto „Keine Pariser Zustände. Berlin ist eine deutsche Stadt“ sowie einer Gegendemo der Linkspartei in Charlottenburg nahmen nur je rund 100 Menschen teil. Anlässlich des dritten Jahrestags des Irakkriegs demonstrierten nach Polizeiangaben rund 700 Menschen in Kreuzberg. Ihr Protest war Teil einer weltweiten Kampagne (siehe auch Seite 5). Rund 400 Menschen versammelten sich in Friedrichshain unter dem Motto „Kein Kiez für Nazis“.

Die türkischen Nationalisten hatten sich an der Urania versammelt und marschierten über die Kurfürsten- und Hardenbergstraße zum Ernst-Reuter-Platz. Wie berichtet, hatte die Polizei die Kundgebung zunächst verboten, weil sie Straftaten befürchtete.

Das Oberverwaltungsgericht hob dieses Verbot am Freitag unter der Auflage auf, dass der Völkermord an den Armeniern nicht als Lüge bezeichnet werden dürfe. Diese Auflage sei anscheinend nicht vollständig befolgt worden, sagte ein Polizeisprecher auf Anfrage. Genaueres könne man aber erst sagen, wenn Foto- und Filmmaterial von der Kundgebung auswertet sei. Die Polizei erlaubte unter Auflagen auch einen Redebeitrag des Chefs der türkischen Arbeiterpartei, Dogu Perincek. Ursprünglich war es ihm untersagt worden, zu den Demonstrationsteilnehmern sprechen. Es hätten Hinweise vorgelegen, dass er den Genozid an den Armeniern als Lüge bezeichnen wollte, sagte ein Polizeisprecher. Gegenüber Pressevertretern soll Perincek diese Behauptung allerdings aufgestellt haben.

Auch die Demonstranten teilten ihre Ansichten auf Anfrage mit. „Wir sind der Meinung, dass es keinen Völkermord gab“, sagte etwa ein 46-jähriger Pädagoge, der aus Bielefeld angereist war. Eine 14-jährige Schülerin aus Duisburg, die den Zug mit einer riesigen Fahne anführte, konnte nicht genau sagen, warum sie morgens um drei Uhr mit ihrem Vater aus Duisburg losgefahren war. „Ich gehe für unser Land“, war alles, was sie über ihre Beweggründe sagte. Der gesamte Verlauf der Demonstration war ruhig. Stimmung kam nur auf, wenn die überwiegend jungen Männer in Sprechchören „Freiheit oder Tod“ riefen oder „Für mein Vaterland gebe ich mein Leben hin“. sve/ddp



taz Berlin lokal vom 18.3.2006

Demonstrieren ohne Leugnen

Türkische Nationalisten dürfen heute dagegen demonstrieren, dass die im Osmanischen Reich an den Armeniern verübten Massaker als Völkermord bezeichnet werden. Sie dürfen dabei den Völkermord aber nicht leugnen. Mit dieser Auflage gab das Oberverwaltungsgericht (OVG) gestern dem Widerspruch der Organisatoren gegen das von der Polizei verhängte Demonstrationsverbot statt (Az.: OVG 1 S 26.06). Im Gegensatz zum Verwaltungsgericht hält das OVG die Behauptung, der Genozid an der armenischen Bevölkerung im Jahre 1915 sei eine "Lüge", für strafbar. Damit sei der Tatbestand der Verunglimpfung des Andenkens Verstorbener (§ 189 StGB) erfüllt, so der Gerichtsbeschluss. Weder auf Transparenten noch in Ansprachen darf der Genozid an den Armeniern als Lüge bezeichnet werden. DPA



taz vom 18.3.2006

Pleite für Demo zu Armenier-Völkermord

Vor einem Protestmarsch gegen die Verurteilung des Völkermords an Armeniern seilen sich immer mehr Türken ab

CIGDEM AKYOL

BERLIN taz "Nimm deine Fahne, komm nach Berlin" - mit diesem Schlachtruf fordert die türkische Bewegung "Großes Projekt 2006 - Die Lüge zum Völkermord an Armeniern" dazu auf, Schluss zu machen mit der "armenischen Genozid-Lüge" und "die Periode der Demut" zu beenden. Doch nun nehmen immer mehr Organisatoren Abstand zu der Veranstaltung.

1915/1916 ermordeten türkische Soldaten bis zu eine Millionen Armenier. Bis heute erkennt die Türkei die Tat nicht als Völkermord an. "Großes Projekt 2006" will am Samstag gegen die internationale Verurteilung des Massakers protestieren und zugleich an den Tod Talat Paschas vor 85 Jahren erinnern. Er gehörte als türkischer Innenminister zu den Organisatoren des Massakers und wurde 1921 von einem Armenier in Berlin erschossen.

Die Türkische Gemeinde zu Berlin, die die Demonstration ursprünglich beantragt hatte, distanzierte sich jetzt von der Veranstaltung. Obwohl Celal Altun, Generalsekretär der Gemeinde, viele Ansichten der Organisatoren teilt. "Der Vorwurf des Völkermordes wird von der armenischen Diaspora in die Welt gesetzt, um Propaganda gegen die Türkei zu machen", sagt Altun. Der angebliche Genozid sei bis heute nicht bewiesen. "Wir wollen keine ideologische Diskussion, sondern eine sachliche Auseinandersetzung."

Zu den Organisatoren gehört neben dem "Verband der Vereine zur Förderung der Ideen Atatürks" auch die nationalistische türkische Arbeiterpartei. Deren Vorsitzender drohte den Europäern, sie sollten aufhören, die Türkei des Genozids zu bezichtigen, "wenn sie nicht wollen, dass ihre Städte in Flammen stehen".

Wegen dieser Hetze seilten sich nach und nach weitere Vereine ab. Mahmut Askar von der Union der Türkisch-Islamischen Kulturvereine in Europa (Atib), wird ebenfalls nicht mitmarschieren. "Wir befürchten, dass die Veranstaltung instrumentalisiert wird", sagt er. Denn die türkischen Nationalisten fordern, dass die Türkei nicht mehr des Völkermords an den Armeniern bezichtigt wird.

Der Atib sind eigenen Angaben zufolge über 120 Vereine angeschlossen. Der Dachverband ist wegen seines türkischen Nationalismus bekannt, daher ist es umso verwunderlicher, dass er sich von der Demonstration lossagt. "Wir wissen, dass es damals zu menschlichen Verlusten kam", sagt Askar. "Aber auch auf türkischer Seite gab es Tote."

Die Forderung nach der Rücknahme einer Bundestags-Resolution unterstützt Askar. Im letzten Jahr hatte der Bundestag die Türkei zum offenen Dialog über die Massaker an den Armeniern aufgefordert.

Dem von der Berliner Polizei geforderten Verbot der Demonstration gab gestern das Oberverwaltungsgericht Berlin nicht statt. Allerdings dürfen die Nationalisten nur mit Einschränkungen demonstrieren: Weder auf Transparenten oder anderen Wort- oder Schriftbeiträgen dürfen sie den Völkermord an den Armeniern eine Lüge nennen.



Tagesspiegel vom 15.3.2006

Wenige türkische Nationalisten demonstrieren

Nur wenige Menschen haben an einer Kundgebung türkischer Nationalisten in Berlin teilgenommen. Sie protestierten dagegen, dass die Massaker an Armeniern während des Ersten Weltkriegs als Völkermord bezeichnet werden. (15.03.2006, 14:36 Uhr)

Berlin - Nach Angaben der Polizei versammelten sich in Charlottenburg 40 Demonstranten und ebenso viele Gegendemonstranten. Die Kundgebung der Nationalisten fand zum Gedenken des vor 85 Jahren ermordeten osmanischen Innenministers Talat Pascha statt.

Pascha gilt als einer der Hauptverantwortlichen für die Tötung und Vertreibung von christlichen Armeniern im osmanischen Reich im Jahr 1915. Er wurde am 15. März 1921 von einem armenischen Studenten in Berlin erschossen. Historiker werten die Massentötung der christlichen Armenier während des Ersten Weltkrieges als Völkermord. Schätzungen zufolge wurden damals zwischen 600.000 und 1,5 Millionen armenische Zivilisten getötet. Die Türkei weist den Vorwurf des Völkermords strikt zurück.

Ursprünglich waren die Demonstration und eine weitere Kundgebung der Talat-Pascha-Bewegung für den 18. März verboten worden. Das Berliner Vewaltungsgericht hatte die Verbote aber wieder aufgehoben. Über die Demonstration am 18. März wird das Oberverwaltungsgericht Berlin spätestens am 17. März entscheiden. Die Organisatoren der Demonstrationen fordern unter anderem die Rücknahme einer Bundestags-Resolution vom vergangenen Jahr. Der Bundestag hatte damals parteiübergreifend die Türkei zum offenen Dialog über die Massaker an den Armeniern aufgefordert.

Die Türkische Gemeinde in Deutschland und zu Berlin sowie mehrere liberale türkische Verbände distanzierten sich von den Kundgebungen. Kurdische Organisationen in Deutschland verlangten ein Demonstrationsverbot. In der Berliner Universität der Künste ist für den 18. März eine Gegenveranstaltung geplant, die unter anderen von der Aktion Sühnezeichen Friedensdienste unterstützt wird.

Die Grünen-Vorsitzende Claudia Roth kritisierte, die Talat-Pascha-Bewegung rufe "in einer inakzeptablen martialischen Sprache zu Protestaktionen" auf. Ihr Ziel sei eine Revidierung der Beschlüsse der Parlamente in einigen EU-Ländern über das Massaker an der armenischen Bevölkerung im Osmanischen Reich. "Das Sammelsurium von ultranationalistischen, antieuropäischen und rechtsextremistischen Kräften hinter der Fassade der Talat-Pascha-Bewegung" habe klare Ziele: die EU-Annäherung der Türkei ebenso die Integration der in Europa lebenden Türken zu verhindern und die türkische Geschichte zu verleugnen, rügte Roth. (tso/mhz/ddp)



Jungle World vom 15. März 2006

Äpfel, rot und giftig

Den Massenmord an den Armeniern habe es nie gegeben, glauben rechte und linke türkische Nationalisten und wollen in Berlin demonstrieren. von deniz yücel

Manch einer, der in den neunziger Jahren in der hiesigen Linken aufgewachsen ist, kann bestimmte Ausdrücke kaum noch hören. Die »verkürzte Kapitalismuskritik« gehört dazu, vielleicht auch die »Verschwörungstheorie« oder die »Querfront«. Und doch existiert all das, mitunter nicht nur im abstrakten Befund oder der ungestümen Phantasie des Kritikers, sondern aus Fleisch und Blut und in Farbe. Am Samstag will eine solch leibhaftige Querfront türkischer Provenienz gegen die »Lüge vom Völkermord an den Armeniern« in Berlin demonstrieren.

»Nimm deine Fahne in die Hand und komm!« ver­künden Handzettel, Plakate und ein eigens komponierter »Berlin-Marsch«. Nicht ganz zu Unrecht dürfen die Organisatoren darauf vertrauen, dass der Türke seine Fahne stets griffbereit hält. Außer der Demonstration ist eine Konferenz geplant, am Donnerstag will man Talat Paschas gedenken, eines der Verantwortlichen des Massenmords an den Armeniern, der im März 1921 in Charlotten­burg erschossen wurde. Unter den Unterstützern finden sich sozialdemokratische und rechtsextreme Politiker, Professoren, Funktionäre der staatstragenden Gewerkschaften und pensionierte Generäle, die mit Charterflugzeugen anreisen wollen. Auch wenn es nicht die angekündigten fünf Millionen Teilnehmer werden, wird diese Demonstration mehr Deutsch-Türken ansprechen als irgendein Jihadunfug.

Im vorigen Jahr beschlossen türkische Nationa­listen, gegen die internationale Ächtung des Massenmords an den Armeniern vorzugehen, wozu auch eine entsprechende Resolution des Bundestags gehört. Ins Leben gerufen wurde die Kampagne von der »Roten Apfelkoalition«. Hinter die­sem niedlichen, aber der völkischen Mythologie entlehnten Namen verbirgt sich ein Bündnis, das die rechtsextreme MHP, die einst maoistische Ar­beiterpartei sowie links- und rechtskemalistische Gruppen, Publikationen und Intellektuelle umfasst.

Dieses Bündnis ist in den letzten Jahren aus der Ablehnung eines türkischen EU-Beitritts entstanden. Auch wenn es eher ein strategisches Bündnis ist, war es immer wieder auf der Straße, im September vorigen Jahres etwa, als man in Istanbul eine Ausstellung zum 50. Jahrestag des Pogroms gegen die nicht muslimischen Min­derheiten demolierte (Jungle World, 37/05). Hier sammeln sich fast alle Kräfte, die sich gegen fort­schrittliche Entwicklungen in der Türkei wehren.

Interessant ist, wie die Arbeiterpartei oder auch viele Autoren der Tageszeitung Cumhuriyet zu »Apfelkoalitionären« wurden – nämlich durch ihre Auseinandersetzung mit dem Islamismus in den neunziger Jahren. Sie erkannten im Militär den verlässlichsten Gegner des Islamismus, so dass aus der Verteidigung des Laizismus bald ein kruder Nationalismus wurde, der sich überall heraus­gefordert sieht, wo er die Interessen der Nation für gefährdet erachtet. So auch im Nordirak. Nicht zufällig wirkte bei dem Film »Tal der Wölfe« mit Soner Yalçin ein Autor als Berater, der aus der Ar­beiterpartei stammt und früher über den Islamismus schrieb, während sein Augenmerk heute der Unterwanderung der türkischen Gesellschaft durch konvertierte Juden gilt (gewiss ein echter Verschwörungstheoretiker).

Wenn es um den Völkermord geht, vermag dieses Bündnis weitere Kreise anzusprechen. Bis­lang kritisierten nur kurdische Organisationen die Berliner Veranstaltung, während die Türkische Gemeinde Deutschlands wissen ließ, dass sie das Anliegen teile. Andere hatten sogar zur Teilnahme aufgerufen, darunter die Türkische Gemeinde Berlin, die Türkischen Sozialdemokraten, der Bund türkisch-europäischer Unternehmer sowie die religiöse Organisation Ditib, die dem türkischen Staat nahe steht. Doch vorige Woche erklärten sie, die Demonstration nicht länger zu unterstützen. Die Organisatoren in der Türkei missbrauchten das »überparteiliche, nationale Anliegen«, das die »Zurückweisung des angeblichen Völkermordes« sei, für »ideologische Zwecke«. Man könnte sagen: Die Querfront bröckelt, aber sie hält.



junge welt vom 15.3.2006

Abfuhr für Genozidleugner

Berliner Polizei verbietet Aufmarsch türkischer Nationalisten, nachdem Türkische Gemeinde nicht mehr als Mitveranstalter auftritt. Mord an einer Million Armeniern bestritten

Von Nick Brauns

Der Berliner Polizeipräsident Dieter Glietsch hat am Montag zwei Aufmärsche türkischer Nationalisten gegen die sogenannten »Lüge vom Genozid an den Armeniern« in der deutschen Hauptstadt verboten. Eine Koalition kemalistischer, nationalistischer und faschistischer Organisationen mit dem Führer der türkischen Zyprioten Rauf Denktasch und dem Vorsitzenden der türkischen Arbeiterpartei Dogu Perincek an der Spitze hatte für Mittwoch eine Kundgebung mit Kranzniederlegung und für Sonnabend eine Großdemonstration mit mehreren zehntausend Teilnehmern angekündigt.

Offizieller Anlaß ist der 85. Jahrestag der Ermordung des jungtürkischen Politikers Talat Pascha durch einen armenischen Studenten am Steinplatz in Berlin-Charlottenburg am 15. März 1921. Talat hatte als osmanischer Innenminister während des Ersten Weltkrieges die Deportation der kleinasiatischen Armenier »ins Nichts« angeordnet und gilt als Hauptverantwortlicher des Genozides an über einer Million Menschen (siehe jW vom 2. März).

Es sei zu befürchten, daß es zu Straftaten wie der Verunglimpfung des Andenkens Verstorbener kommen werde, da die Anmelder die Ereignisse von 1915 leugneten oder sogar rechtfertigten und Talat Pascha verherrlichten, heißt es im Verbotsbescheid. Der Bundestag habe im vergangenen Jahr festgestellt, »daß am 24. April 1915 der Befehl erging, daß die armenische politische und kulturelle Elite Istanbuls verhaftet, ins Landesinnere verschleppt und zum großen Teil ermordet werden soll«. Ausschlaggebend für das Verbot sei ein Wechsel des Anmelders gewesen, erklärte ein Polizeisprecher. Nicht mehr die Türkische Gemeinde Berlin, sondern der »Bundesverband der Vereine zur Förderung der Ideen Atatürks« tritt nun als Hauptveranstalter auf.

Die Türkische Gemeinde Berlin, der Türkisch-Deutsche Unternehmerverband und die Unterstützer der türkischen Sozialdemokraten hatten sich in den letzten Tagen aus dem Organisationskomitee zurückgezogen, nachdem aus dem Umfeld der Arbeiterpartei ein Aufruf mit unverhohlenen Drohungen an die europäischen Staaten veröffentlicht worden war. Geblieben sind der Atatürk-Fan-Verein und die Arbeiterpartei. Letztere bezeichnet sich zwar als maoistisch, steht aber vor allem der türkischen Armee nahe und verbreitet einen skurrilen Ideologiemix aus Verschwörungstheorien und Chauvinismus.

Die Demoanmelder haben am Dienstag beim Berliner Verwaltungsgericht eine einstweilige Anordnung gegen das Verbot beantragt.



taz Berlin lokal vom 15.3.2006

Nationalisten können einpacken

Die Anmelder der Talat-Pascha-Demo wollen mit einem Eilantrag gegen deren Verbot vorgehen. Unterstützung finden sie unter Berliner Türken kaum noch: Die Gruppe gilt als integrationsfeindlich

VON ALKE WIERTH

Als radikal, gar kriminell sind sie bisher nicht in Erscheinung getreten, die "Vereine zur Förderung des Gedankenguts Atatürks". Seit Jahrzehnten gibt es sie außer in der Türkei auch in nahezu allen großen deutschen Städten. Genau genommen sind sie außerhalb der türkischen Community gar nicht in Erscheinung getreten. Denn die Aktivitäten der "Atatürkcüs" genannten treuen Anhänger des Kemalismus spielen sich in der Regel in einem engen Kreis bürgerlich-intellektueller Zuwanderer aus der Türkei und in türkischer Sprache ab.

Dass die Hüter der Erinnerung an den türkischen Republikgründer Mustafa Kemal Atatürk, die sich in dessen Tradition als Vertreter fortschrittlicher und demokratischer Ideen betrachten, nun plötzlich im Rampenlicht stehen, passt Ali Uras gar nicht. Der Vorsitzende des Berliner Atatürk-Vereins, dessen Mitgliederzahl er mit 300 angibt, hat sich schon in der vergangenen Woche von der geplanten Großdemonstration am 18. März distanziert. Türkische Organisationen hatten sie zum Gedenken an den früheren Innenminister des Osmanischen Reiches, Talat Pascha, geplant. Dabei sollte auch gegen die von ihnen als "Lüge" betrachtete Bundestagsresolution zum Völkermord an den Armeniern protestiert werden.

Nicht distanziert hat sich aber der Dachverband der deutschen Atatürkcüs. Mit Hinweis auf diesen Veranstalter wurde die Demo am Montag von der Berliner Polizei verboten. Man befürchte, dass dort die Ereignisse von 1915 geleugnet und Talat Pascha, der als damaliger Innenminister des Osmanischen Reiches mitverantwortlich für den Völkermord war, verherrlicht werde, sagte ein Polizeisprecher.

Diese Spaltung der Atatürk-Vereine ist das Ergebnis einer Unterwanderung durch Anhänger der nationalistischen türkischen Arbeiter-Partei (Isci Partisi). "Sie haben keinen eigenen Apparat. Deshalb versuchen sie, Vereine zu unterwandern, um ihre politischen Ziele durchzusetzen", sagt Ali Uras. Zu diesen Zielen gehört unter anderem die Ablehnung jeglicher Annäherung an die EU. Sie wird von der Partei als Aufgabe der türkischen Souveränität betrachtet.

Doch mit dem aggressiven Ton, den diese Gruppe in ihren Demo-Aufrufen anschlug, konnten sich viele der türkischen Vereine in Deutschland, die die Demo zunächst mittrugen, nicht abfinden. "Wir haben hier klare Ziele in Sachen Integration", sagt beispielsweise Ilkin Özisisk. Der 33-Jährige ist Sozialdemokrat und Mitglied im Integrationsbeirat des Berliner Senats.

Auch der Verein Türkischer Sozialdemokraten in Deutschland TSD, dessen Vorsitzender Özisik ist, hat sich in der vergangenen Woche von der Demonstration distanziert. "Wir arbeiten hier sehr erfolgreich für sozialen Frieden und Demokratie auch mit dem Innensenator zusammen", sagt Özisik. Da könnten nicht aus der Türkei einfliegende Aktivisten "hier etwas veranstalten, was wir dann ausbaden müssen". Genau wie Ali Uras ist Özisik der Meinung, dass die Frage des Völkermords an den Armeniern von Historikern, "auch armenischen", geklärt werden müsse.

Mit einem Eilantrag versuchen jetzt die verbliebenen Demo-Veranstalter doch noch eine Genehmigung für ihren am Samstag geplanten Protest zu erhalten. Eine Reihe von Gegenveranstaltungen, die unter anderem von der Aktion Sühnezeichen organisiert werden, findet laut deren Angaben wie geplant statt.
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Ergänzungen

5 Millionen?

? 19.03.2006 - 13:12
Das glauben die doch selbst nicht. Und angemeldet war die Demo auch nur für 2000 Teilnehmer.

Fünf Millionen, zehntausende und zweitausend

I.K. 19.03.2006 - 13:39
Also zur Klärung:

5 Millionen sollten - laut den Organisatoren - ursprünglich mobilisiert werden.

Bei der Demonstration selbst sprachen die Organisatoren von zehntausenden Teilnehmern.

Ich habe die Teilnehmerzahl auf ca. 2000 geschätzt, laut meiner eigenen Beobachtung.

Die Berliner Polizei spricht von 1700 Demonstranten.

früher

bixötö 19.03.2006 - 14:23
("Arbeiterpartei" von D. Perincek, in den 70er maoistisch, inzwischen nationalistisch)und das ausgerechnet von einen antideutschen
eine auseinandersetzung mit dem völkermord an den armeniern ist sicherlich notwendig aber mit solch nationalistisch verblendeten atatürkfans bestimmt nicht möglich hier hätte man im vorfeld öffentlichkeit mobiliesieren müssen
und zwar mit fakten und nicht mit blöden parolen.
flyer in türkischer sprache im dönerladen ausgelegt hätte sicherlich die teilnehmerzahl reduziert.
ganz so homogen schien die sache auch nicht denn dieser pascha und dieser atatürk und ihre fans sprechen von zwei unterschiedlichen türkischen staaten die sich einander ausschliessen.
gefährlicher sehe ich hier die immer wieder probagierte deutsch-türkische freundschaft,denn hier zeigt sich der einfluss türkischer nazis daraus eine
"antisemitische"veranstaltung zu machen.
man sollte sich hier nicht so leicht auf´s glatteis führen lassen
die türkei hat einen eigenes militärisches bündnis mit israel
und hat immer klargestellt das sie zu ihrer bündnispflicht stehen,ich erwähne das hier nur um antitürkischen vorurteilen der ad´s die luft rauszulassen
der nationalismus im hahen osten,nordafrika und auch iran-irak haben sicherlich nichts mit deutschfaschistischen einfluss zu tun sondern sind vielmehr eine folge britischer kolonialpolitik nach dem zusammenbruch des osmanischen reiches mit bis heute spürbaren folgen(grenzzieheung irak-kuweit bis heute nicht geklärt)ähnlich indien pakistan aber auch in afrika wurden hier grenzen zwischen den volksgruppen gezogen,und um diese in diesen künstlichen staatsgebilden zusammenzuhalten wurde ein übersteigerter nationalismus propagiert,in dessen folge es immer wieder zu
massenmorden an ethnischen minderheiten gekommen ist.
diese willkürlichen grenzziehungen kann man auch auf dem balkan finden
wo mehrere staaten unabhängig von der nationalen identität geschaffen wurden und auch hier kam es zu massenmorden(jugusslawien)und progrome
(slowake-ungarn)
es gibt viele formen des nationalismus sie zu erkenne ist nicht immer leicht
mit dem nationalismus wird versucht menschen eine bestimmte zugehörigkeit zu vermitteln um sie damit an einen staat zu binden.

Instrumentalisierung von Völkermord

JW 19.03.2006 - 15:49
Das Problem des Völkermords an den Armeniern ist vielschichtiger, als es in den Medien dargestellt wird. Sicherlich haben sich am Sonnabend in Berlin vorwiegend verwirrte Nationalisten eingefunden, dennoch ist der Konflikt eingebettet in die Geschichte der Region und wird dementsprechend auch instrumentalisiert. Das MdB der Linksfraktion, Hakki Keskin, sprach neulich in einem Interview in der jungen Welt diese Vielschichtigkeit an, nachzulesen hier:  http://www.jungewelt.de/2006/03-09/016.php Die Reaktion der Linkspartei findet sich hier:  http://www.jungewelt.de/2006/03-17/024.php
Man muß bedenken, daß dieser Konflikt unter den Bemühungen zur Schaffung einer säkulären und modernen Türkei unter Mustafa Kemal zu betrachten ist und daß die Vorwürfe des Völkermords bis heute als Angriff auf die staatliche Souveränität der Türkei angesehen werden. Ähnliches findet sich z.B. auch im Zypern-Konflikt, den man nicht nur auf einseitige Angriffe der "bösen" Türken gegen die "guten" Griechen sehen sollte, der Teilung des Landes gingen schwere ethnische Konflikte zwischen beiden Volksgruppen voraus. Das Problem ist, daß der Armenier-Konflikt bis heute nicht objektiv behandelt werden kann, da er instrumentalisiert und emotionalisiert wird.

Demo.-Bericht von AGA mit Bilder

I.K. 20.03.2006 - 11:14
Unter  http://www.aga-online.org/de/aktionen/detail.php?newsId=120 ist ein Bericht der "Arbeitsgruppe Anerkennung" über die Demonstration mit 10 Bilder.

Völkermord an Armeniern ist nachgewiesen

Nana Brink 20.03.2006 - 11:17
Hier ein Kommentar zu der Argumentationen von H. Keskin und F. Sen, und was davon zu halten ist:

Genozidforscher: Völkermord an Armeniern ist historisch nachgewiesen

Historiker Medardus Brehl widerspricht Faruk Sen
Moderation: Nana Brink

Der Historiker Medardus Brehl hat bekräftigt, dass die Deportation und Ermordung von mehr als einer Million Armeniern im Osmanischen Reich als Völkermord zu bezeichnen ist. Dies lasse sich sowohl historisch als auch juristisch nachweisen, sagte der Wissenschaftler vom Institut für Diaspora- und Genozidforschung an der Ruhr-Universität Bochum im Deutschlandradio Kultur.

Brink: In unserer losen Reihe über türkische Identitäten interessiert uns auch ein heikles, vor allem in der Türkei heikles Thema: Der Völkermord an den Armeniern 1915. Der sogenannte Marsch auf Berlin, der am 18. März stattfinden soll, wird von nationalistisch gesinnten Türken organisiert, die - so ein Zitat - wollen, "dass endlich Schluss gemacht wird mit den Genozidlügen". Ihre Forderung zum Beispiel an den deutschen Bundestag: In keinem deutschen Schulbuch soll mehr auf den Genozid an den Armeniern, in ihren Worten: die Massakerlügen, aufgeklärt werden. Das deutsche Parlament soll zum Beispiel seine 2005 einstimmig angenommene Erklärung zu den Morden zurücknehmen.

Am Telefon begrüße ich den Historiker Medardus Brehl, vom Institut für Diaspora- und Genozidforschung an der Ruhruniversität Bochum. Herr Brehl, es ist in der internationalen historischen Forschung inzwischen ja unumstritten, dass 1915 ein Völkermord an den Armeniern stattgefunden hat. Einzig die Türkei bestreitet das und hier im Radiofeuilleton heute Vormittag hat sich Professor Faruk Sen, der Leiter des Zentrums für Türkeistudien in Essen, vehement gegen den Begriff Völkermord gewehrt. Warum eigentlich?

Brehl: Das hat damit zu tun, dass das Ereignis selbst - der Völkermord an den Armeniern - in der osmanischen Türkei 1915/1916 selbst einer der Gründungsmomente dieser modernen Türkei gewesen ist. Das heißt, der Völkermord selbst ist eingebunden in einen Umgestaltungsprozess des osmanischen Vielvölkerstaats in einen modernen türkischen Nationalstaat, in einen homogenen, türkischen Nationalstaat mit der Verwirklichung einer homogenen, türkischen Bevölkerung im Kernland Kleinasiens. Und das ist ein ganz, ganz zentraler Punkt.

Das heißt, es ist einer der Gründungsmomente der modernen Türkei. Und mit der Anerkennung dieses Völkermordes würde man natürlich auf diese Geschichte der modernen Türkei und ihrer Gründung selbst einen dunklen Punkt und einen Makel werfen. Das ist sicherlich einer der Gründe, warum die Anerkennung dieses Ereignisses als eines intendierten und geplanten Völkermords - was sich auch so nachweisen lässt und von der historischen Forschung ja auch nachgewiesen worden ist - das begründet halt, warum man sich so dagegen wehrt, diesen Begriff anzuwenden oder anzuerkennen.

Brink: Für Sie ist es also unumstritten, dass man den Begriff Völkermord, also Genozid, anwenden kann in diesem Falle?

Brehl: Es ist unumstritten, dass man diesen Begriff Völkermord anwenden kann. Es ist historisch nachgewiesen, es lässt sich auch juristisch nachweisen, es passt auch hundertprozentig unter die Konvention über die Verhütung und Bestrafung des Völkermords von 1948 und zwar nicht nur hinsichtlich dessen, dass die dort geschilderten Taten, die als Völkermord bezeichnet werden, auf die Ereignisse von 1915/16 zutreffen sollen, die Gültigkeit der Völkermordkonvention selbst wird auch auf Ereignisse in der Vergangenheit angewendet. Das steht in der Präambel der Völkermordkonvention selbst darin.

Brink: Also es ist ein international anerkannter Begriff, nicht was sich irgendwelche Historiker ausdacht haben?

Brehl: Nein, nein, das ist überhaupt nicht etwas, was sich Historiker ausgedacht haben, sondern es ist ein international von der Forschung - sowohl von der historischen, als auch teilweise von der völkerrechtlichen Forschung, die sich mit Menschheitsverbrechen beschäftigen - anerkannt, dass die Ereignisse 1915/16 ein Genozid sind.

Brink: Warum kann denn ein souveräner Staat wie die Türkei mit einem durchaus ausgeprägten Selbstbewusstsein, sich nicht der eigenen Vergangenheit annehmen, um diesen Begriff einfach zu diskutieren, oder überhaupt nur zuzulassen?

Brehl: Das hat durchaus mit dem zu tun, was ich gerade gesagt habe: Es gehört wirklich in das Selbstverständnis der Türkei, der modernen Nation Türkei - einer starken und auch reinen Nation - dass dieser Makel eigentlich nicht in dieses Geschichtsbild integriert werden kann. Seit 90 Jahren ist die Türkei, die offizielle Seite der Türkei und die offizielle Geschichtsschreibung der Türkei, damit beschäftigt, gerade eigentlich die Integration dieses Momentes der eigenen Geschichte abzuwehren. Nichts anderes ist dieser Komplex, man muss sagen Leugnungsdiskurs, der Gültigkeit innerhalb der Türkei hat und auch bei türkischen Organisationen im Ausland, ohne weiter hinterfragt zu werden.

Es werden Argumente abgespult, die gar nicht reflektiert werden, Argumente wie zum Beispiel, es seien nur militärisch notwendige Maßnahmen gewesen. Das haben die Jungtürken ja selbst schon zur Deckung ihrer Maßnahmen 1915/16 verkündet. Es seien nur Deportationen aus dem russischen Grenzgebiet vorgenommen worden, was schlicht einfach nicht stimmt. Es sind Deportationen der Armenier aus Thrakien - das ist heute Griechenland teilweise und noch ein Teil der Türkei, das ist der europäische Teil der Türkei - sind Deportationen vorgenommen worden. An der Westküste Smirna und so weiter sind Deportationen vorgenommen worden. Die gesamte armenische Bevölkerung in der Türkei ist in Bewegung gesetzt worden mit der Ausnahme von Konstantinopel, weil man dort fürchtete aufgrund der internationalen Vertretungen könnte es vielleicht doch zu sehr in den öffentlichen Augenschein geraten.

Brink: In wie weit hängt denn die Leugnung des Genozid mit dem gewünschten EU-Beitritt der Türkei zusammen? Gibt es da einen Zusammenhang?

Brehl: Er hängt natürlich damit zusammen, ob der Völkermord geleugnet wird, um in die EU zu kommen. Das ist eine andere Frage, das ist ja eigentlich eher das Problem. Es ist ein Problem. Der geleugnete Völkermord ist ein Problem für die Mitgliedschaft der Türkei in der Europäischen Union. Das hat was mit dem europäischen Selbstverständnis nach 1945 zu tun. Die Europäische Union gründet ja mit auf der Erfahrung des Holocaust, eines Völkermords in der Mitte Europas und gründet auch auf dem Versprechen eines "Nie wieder!", eine solche Sache nie wieder möglich werden zu lassen und es gründet auch darauf, die Leugnung von Völkermord nicht zu akzeptieren.

Brink: Das ist ja zum Beispiel eine paradoxe Konstellation, wenn man sich das anguckt. Dass in der Türkei das Bekenntnis zum Völkermord an den Armeniern unter Strafe gestellt wird, das haben wir ja gesehen bei dem Prozess gegen Orham Parmuk, dem Friedenspreisträger des deutschen Buchhandels, während ja gerade in Deutschland die Leugnung des Judenmordes strafbar ist. Das ist ja irgendwie paradox.

Brehl: Das ist paradox und es ist eigentlich eine Aporie, die sich auch nicht auflösen lässt, außer wenn die Türkei wirklich diesen Schritt geht, sich der eigenen Geschichte - zu ihrem eigenen Guten muss man sagen - zu stellen. Es ist ja auch eine Last für die Türkei, diese ewige Leugnung aufrecht zu erhalten, entgegen jeder Vernunft eigentlich. Es ist auch ein Prüfstand für Europa, ob die Europäer da selbst auch zu ihren eigenen Grundsätzen stehen. Man muss auch daran denken, dass das EU-Parlament 1987/88 immerhin eine Resolution verabschiedet hat, in der die Türkei dazu aufgefordert wird, diesen Völkermord als Tatbestand anzuerkennen und das auch als Grundlage für Verhandlungen für einen Beitritt mit der Türkei zur Europäischen Union eigentlich festgelegt worden ist.

Brink: Sie haben erwähnt, dass diese Leugnung des Genozides ja breit gestreut ist in der türkischen Gesellschaft, in der türkischen Regierung, in vielen türkischen Organisationen. Wie sieht es denn in Deutschland aus? Wie verhalten sich denn die in Deutschland lebenden Türken zu diesem heiklen Thema?

Brehl: Das unterscheidet sich nicht grundsätzlich. Wenn man beispielsweise die türkische Presse in der Bundesrepublik, sich anschaut, Hürriyet beispielsweise, findet man genau diese Leugnungsargumente vertreten und auch bei der türkischen Bevölkerung in der Bundesrepublik, bei unseren türkischen Mitbürgern verbreitet. Wenn Veranstaltungen zum Völkermord an den Armeniern stattfinden in Deutschland, können diese nie stattfinden, ohne dass sie gestört werden von türkischen Teilnehmern, aktiv gestört werden. Man braucht nur an diese Brandenburg-Geschichte zu denken zu Beginn des Jahres 2004, als das Land Brandenburg entschieden hat, Völkermord als Thema in den Schulunterricht aufzunehmen und dabei auch den Völkermord an den Armeniern zu thematisieren, gab es ja ein großes Presseecho in der türkischen Presse, die sich sehr stark dagegen ausgesprochen hat. Es gab Interventionen auf diplomatischer Ebene. Das unterscheidet sich nicht deutlich.

Brink: Vielen Dank Medardus Brehl, er ist Historiker am Institut für Diaspora und Genozidforschung an der Ruhruniversität Bochum und wir sprachen mit ihm über den Völkermord an den Armeniern, ein Tabu-Thema in der Türkei.

 http://www.dradio.de/dkultur/sendungen/thema/477883/

Bundestagresolution zum Genozid

I.K. 20.03.2006 - 16:16
Hier noch der Antrag zu der Bundestagsresolution zum Genozid an den Armeniern. Die Demonstration der türk. Nationalisten hatte ja auch den Ziel, dass diese Resolution wieder rückgängig gemacht wird.

Online Videos /Audios etc

(muss ausgefüllt werden) 21.03.2006 - 10:35
ONLINE VIDEOS RBB Abendschau, Tagesschau, Tagesthemen, ZDF Heute
ONLINE AUDIO Deutschlandfunk/Deutschlandradio

Nationalistische Türken portestieren gegen Armenien-Erklärung des
Bundestages
Sendezeit: 18.03.2006 18:32
Autor: Jung, Dorothea
Programm: Deutschlandfunk
Sendung: Informationen am Abend
Länge: 02:08 Minuten
 http://ondemand-mp3.dradio.de/file/dradio/2006/03/18/dlf_200603181832.mp3

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Abendschau vom 18.03.2006
NPD und türkische Nationalisten demonstrieren
In Berlin waren für’s Wochenende mehrere Demonstrationen angemeldet:
Die türkischen Nationalisten durften laut Gerichtsbeschluss nun doch auf die Straße gehen, allerdings unter Auflagen.
 http://www.rbb-online.de/_/abendschau/beitrag_jsp/key=rbb_beitrag_mini_3988585.html

Das keine Berliner Organisationen auf der Demo gewesen seinen,
scheint die übliche Heimatschutz Propaganda zu sein, die Mensch nach
Naziüberfällen in der Provinz zur genüge kennt.
Die TäterInnen müssen Zugereiste sein.
"Bei uns" gib es sowas nicht... "wir haben alles im Griff- Entwahrung -
keine Panik -keine Angst.....
Diese Vorlage nutzt, dann Körting für sein krass
nationalistisch/völkisch/rassistisches Schlußstatement zum DEUTSCHEN
Demonstrationsrecht !!!

Am Hermannplatz, am Kottbusser Damm, klebten am Samstag überall noch
Mobilisierungsplakte für die Demo, während danebeneben , der
Aufmarsch der Friedensbewegten, Antiimps, WPRMlerInnen, Auto- Komms,
Antizionisten, Antisemiten, völkischen, Befreiungsnationalisten, Cuba,
Syrien, Irak, Iran etc Soli Fraktion lief und
in ihrer Verblendung, wie so oft, derartige Propaganda nicht warnahmen !

Es ist kaum anzunehmen, daß aus Berlin niemand dabei war,
wie es im Abendschau Gespräch mit Körting, im Anschluß an den Bericht suggeriert wird.

Zu Körting siehe auch:

Die asylrechtlichen Mittel sind ausgeschöpft, Innensenator Ehrhart Körting
(SPD) hat sich mehrfach dagegen ausgesprochen, bei der Familie die
Härtefallregelung anzuwenden und den Aydins eine Aufenthaltsgenehmigung zu geben.
"Die Vernunft sagt uns auch, dass wir nicht alle Lebensschicksale
finanzieren können und wollen", schreibt Körting in einer Stellungnahme für den Tagesspiegel.
 http://archiv.tagesspiegel.de/archiv/10.03.2006/2401782.asp

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ONLINE VIDEO

tagesthemen18. März 2006, 22:50 Uhr
Türkische Nationalisten demonstrieren in Berlin
In Berlin haben nach Polizeiangaben rund 1.700 türkische Nationalisten gegen den Vorwurf des Völkermordes an den Armeniern demonstriert.
Am Freitag hatte das Berliner Oberverwaltungsgericht die ursprünglich von der Polizei verbotene Demonstration unter strengen Auflagen zugelassen. 1915/16 wurden im untergehenden osmanischen Reich tausende Armenier massakriert.
Armenien wirft den Türken vor, 1,5 Millionen Menschen bei Vertreibungen gezielt ermordet zu haben und fordert deshalb die Anerkennung als Völkermord.
 http://www.tagesschau.de/sendungen/0,1196,OID5342658_OIT5342672,00.html

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ONLINE VIDEO

tagesschau18. März 2006, 20:00 Uhr
 http://www.tagesschau.de/sendungen/0,1196,OID5342230_OIT5342248,00.html
Türken gegen Massaker an Armeniern
Rund 1700 türkische Nationalisten haben heute in Berlin gegen eine
Bundestagsresolution zum Massaker an Armeniern protestiert. Die
Demonstranten wehren sich gegen die Behauptung, die Türkei habe in den
Jahren 1915 und 1916 Völkermord an den Armeniern verübt. Internationalen
Schätzungen zufolge wurden 600.000 bis 1,5 Millionen Angehörige der
christlichen Bevölkerungsgruppe gezielt verfolgt und ermordet. Die türkische
Regierung hat die Tötung von 300.000 armenischen Zivilisten eingeräumt -
weist die Bezeichnung "Völkermord" aber
zurück.
 http://www.tagesschau.de/sendungen/0,1196,SPM7_VID5342290_OIT5342248_RESms256_PLYinternal_NAV,00.html

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TEXT, VIDEOS, LINKS

Eine Heimat auf blutigem Boden
Der Armenier Cerkezyan erzählt von einem Verbrechen,
das es offiziell nie gab
 http://www.heute.de/ZDFheute/inhalt/25/0,3672,3913657,00.html

SZ-Artikel

--- 12.07.2006 - 18:37
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Beiträge die keine inhaltliche Ergänzung darstellen

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@JW von 15:49 — AnarchoKommie

@joho — antifa