„Brauchen wir ein anderes Europa?

Wolfgang Wallner-F. 08.03.2006 08:49 Themen: EU Gipfel Thessaloniki
Mächtige Lobbys? Ohnmächtige Bürger?
Zur Diskussion anläßlich des Österreichischen EU-Vorsitzes
Es entspricht grundsätzlich nicht der Wirklichkeit, dass ein Ungleichgewicht zwischen „Mächtigen Lobbys“ und „Ohnmächtigen Bürger“ in den Gremien der EU besteht.
Tatsächlich verfügt der Bürger über die zahlenmäßig größte Lobby, nämlich über Politiker, die der Bürger ermächtigt und auch ausreichend bezahlt, um die Interessen des Bürgers eben wahrzunehmen.

Warum diese Lobby im Falle EU scheinbar nicht funktioniert ist leicht erklärbar:
Ermächtigt der Bürger Vertreter, die im Rahmen ihrer Organisation (ÖVP) einen Wirtschaftsbund beherbergen, der zusätzlich die wichtigsten und die entscheidenden Mandatare stellt, ist der Glauben an eine Vertretung der Bürgerinteressen wohl mit einem Hoffen auf eine Belohnung im Jenseits vergleichbar.

Lässt der Bürger seine Interessen von einer Organisation (SPÖ) vertreten, deren Hauptvertreter in Brüssel eine Lebensgemeinschaft mit einer „Chefin“ eines multinationalen Konzerns einging, wäre es unsinnig zu erwarten, dass dieser Vertreter der Bürgerinteressen mit seiner Lebensgefährtin (die natürlich Interessen des globalen Konzerns vertreten muss) nicht in weltanschaulichen Grundsätzen übereinstimmt. Dass sich die Beiden jedes Mal über Auswirkungen der eigenen Taten streiten, ist mehr als unwahrscheinlich.

Doch welche Alternativen gibt es dazu?
Eine Vertretung, die den Austritt aus der EU propagiert?
Welchen wirtschaftlichen Boden besitzt Österreich noch?
Wurden doch alle im Besitz des Volkes befindlichen Werte an ausländisches Kapital verkauft. Wie leicht ist vorstellbar, dass das internationale Kapital an ein Österreich, das aus der EU ausschied, vorbei geschleust wird.
War das nicht ein Grund zum Anschluss an Deutschland 1938?
Eine solche Alternative bietet sich nicht ernsthaft.

Gibt es aber keine wählbare Vertretung für den größten Teil des Volkes, nämlich des „nicht-besitzenden Teils“, ist der Grundgedanke einer Demokratie obsolet.
Eine gefährliche Konstellation, ähnlich dem Österreich der Vorkriegszeit (Austrofaschismus, Ständestaat).

Als möglicher Ausweg kann sich dem Bürger nur die Besinnung auf wesentliche und erforderliche Charaktere seiner Mandatare bieten.

Eine Möglichkeit wäre die Rückbesinnung auf ursprüngliche christliche Werte (nach den Erfordernissen der Bergpredigt oder eines Franz von Assisi), es wären aber auch die Ansprüche an die Abgeordneten, die 1871 von der „Pariser Kommune vorgeschlagen wurden, eine Alternative (darüber wird aber zum Beispiel in den Schulen nicht unterrichtet. Warum wohl?):
Aufruf der „Pariser Kommune“
25. März 1871, Pariser Kommune
Gemeindewahlen.
Bürger!
Unsere Aufgabe ist vollendet und wir treten unseren Posten an Eure neu gewählten, regelrechten Bevollmächtigten ab.
Durch Eure Vaterlandsliebe und Hingebung unterstützt, ist es uns möglich gewesen, das in Eurem Auftrage unternommene schwierige Werk glücklich zu vollenden. Dank Eurer beharrlichen Mitwirkung ist die wechselseitige Verpflichtung kein leerer Schall mehr und das Wohl der Republik gesichert.
Wenn unsere Ratschläge auf Eure Entschlüsse einigen Einfluß haben sollten, so erlaubt Euren eifrigsten Dienern, Euch vor der geheimen Abstimmung von den Erwartungen, welche dieselben auf die heutige Wahl setzen, zu unterrichten.
Bürger!
Vergeßt keinen Augenblick, daß nur diejenigen Männer Euch am besten dienen werden, welche Ihr aus Eurer Mitte erwählt; denn diese teilen mit Euch dasselbe Leben und die gleichen Leiden.
Mißtraut ebenso den Ehrgeizigen wie den Emporkömmlingen. Die einen wie die anderen werden bei ihren Handlungen nur vom Eigennutz gelenkt und halten sich zu guter Letzt stets für unersetzlich.
Mißtraut den Schwätzern. Sie sind unfähig zu handeln und werden einer Ansprache, einem rednerischen Erfolge oder geistreicher Worte alles andere opfern. – Meidet ferner die großen Günstlinge des Glücks. Denn nur gar zu selten ist der Reiche geneigt, den Arbeiter als seinen Bruder zu betrachten.
Suchet vielmehr Männer von aufrichtiger Überzeugung, entschlossene, tätige Männer des Volks von geradem Sinne und erprobter Ehrenhaftigkeit. – Gebt denjenigen den Vorzug, welche nicht um Eure Wahlstimmen buhlen; denn das wahre Verdienst ist bescheiden. Es ist Sache der Wähler, ihre Männer zu kennen, und letztere dürfen sich nicht hervordrängen.
Solltet Ihr auf diese Betrachtungen einigen Wert legen, so sind wir fest überzeugt, daß es Euch endlich gelingen wird, die wahre Volksvertretung einzusetzen und Bevollmächtigte zu finden, welche sich niemals als Eure Herren aufspielen werden.
Stadthaus, den 25. März 1871.
Der Hauptausschuß der Nationalgarde.
(Unterschriften)
(Die Pariser Kommune bildete sich spontan als revolutionäre Gegenregierung in der französischen Hauptstadt während der Belagerung durch deutsche Heere im Krieg 1870/71. Die Aufständischen erstrebten die Umwandlung des straff zentralistisch gegliederten Staates in einen Bund souveräner Gemeinden und eine sozialistische Gesellschaftsordnung. Die Kommune wurde durch Truppen der Nationalversammlung in blutigen Straßenkämpfen niedergeworfen. Aus der Distanz von über hundert Jahren erscheint der Kommune-Aufstand als ein Unternehmen auf halbem Wege zwischen der bürgerlichen Revolution von 1789 und der russischen Oktoberrevolution, das kühn, jedoch planlos begonnen wurde und ein tragisches Ende nahm.)
Mit freundlichen Grüßen
Wolfgang Wallner-F.
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