Italien: Polizeigewalt rassistisch geprägt

... 04.03.2006 12:21 Themen: Antifa Antirassismus Repression
Die Zeitung "Liberazione" hat ausgesprochen, was viele kritische Menschen denken: die Polizeigewalt ist in Italien immer stärker rassistisch gefärbt.
Nach dem mit mehreren Tagen Verspätung bekannt wurde, dass Carabinieri im mittelitalienischen Sospello einen wehrlosen Marokkaner verprügelten, spukte in den Köpfen von vielen kritischen Beobachtern der Gedanke, dass es fast nur noch, dafür regelmäßig, mit solcher Härte Migranten trifft. Der einfache Mensch, der das im Viertel mitkriegt oder durch Nutzung von unabhängigen Medien, kann ohne groß zweifeln zu müssen darauf schließen, es aber leider kaum beweisen, weil viel zu selten Dokumente, wie jenes Video aus Sassuolo existieren. „Liberazione“ beruft sich immerhin auf die Aussage eines Polizisten und offenbart nebenbei, dass auch Federico Aldrovandi* anfangs für ein Ausländer gehalten wurde.

Untenstehend die Übersetzung des Liberazione-Artikels zum Thema.

Schlag' ihn ruhig, er ist ein Migrant. Applaus gibt 's dafür auch.

Der Fall des von Carabinieri in Sassuolo** im Herzen der hoch zivilisierten Emilia verprügelten jungen marokkanischen Staatsbürgers. Und weitere Fälle.

Von Piero Sansonetti

Ein Handy mit Videofunktion half, den Skandal aufzudecken. Besser gesagt, die Skandale. Um welche Skandale es sich dabei handelt? Es sind drein an der Zahl. Der Erste ist, dass die Carabinieri wie wild einen jungen Menschen aus Marokko geschlagen haben, der wehrlos, nackt und wahrscheinlich schuldig war, ein wenig zu viel Wein getrunken zu haben. In Sassuolo. Der zweite Skandal ist, dass Carabinieri und Polizia gegenüber armen Leuten, wobei es besonders, ja fast ausschließlich Migranten oder Menschen, die sie für Migranten halten, trifft, solche Methoden immer öfter anwenden, besonders in den Kasernen und manchmal auf offener Straße. Der dritte Skandal, der, der am schwersten zu ertragen ist, ist die Mobilisierung eines beträchtlichen Teils der Bevölkerung von Sassuolo in der hoch zivilisierten Emilia Romagna zur Verteidigung der Schläger und zur Verurteilung des armen jungen Mannes aus Marokko, der unrechtmäßig und feige verprügelt wurde.

Fangen wir von vorne an. Die Verprügelung in Sassuolo. Es handelt sich natürlich um einen sehr schwerwiegenden Vorfall, der - wie man instinktiv meinen könnte - eine Verurteilung nach sich ziehen dürfte. Wenn ein normaler Mensch einen armen Teufel sieht, der wehrlos von einer Handvoll Schlägertypen in Uniform misshandelt wird und vor Schmerzen schreit und die Männer anfleht, aufzuhören, würde dieser normale Mensch für den Unglücklichen und nicht für die Schläger Partei ergreifen. So ist anscheinend der Carabinieri-Korps vorgegangen, der die beiden prügelnden Carabinieri umgehend versetzt und vielleicht vom Dienst suspendiert hat. Was einen sprachlos macht, ist die Tatsache, dass unter den Politikern von Mitterechts zugunsten der Carabinieri (nicht der Behörden, die die Schläger suspendierten, sondern der Schläger) auf die Barrikaden gegangen sind. Vorneweg, Giovanardi, Minister der UDC von den reaktionärsten und ausländerfeindlichsten, die man je gesehen hat (weit über die Grenzen der Lega Nord hinaus) und sogar Pisanu (Innenminister, d.Ü.), der den Carabinierikorps verteidigt hat und für den jungen Marokkaner rabiate Worte übrig hatte (die wirklich sehr sehr wenig garantistisch waren). Der neue Garantismus*** ist wie folgt beschaffen: wenn gegen jemanden wegen Unterstützung der Mafia ermittelt wird, so kann er zum Abgeordneten gewählt werden, weil er - bis zum Beweis des Gegenteils - als unschuldig anzusehen ist (was korrekt ist); wenn einer aber zu tief ins Glas geschaut hat (und Afrikaner ist), dann wird er in Erwartung eines Urteils nach allen Regeln der Kunst verprügelt. Ok.

Zweiter Skandal. Der Fall des jungen Marokkaners ist leider kein Einzelfall. Gerade gestern erzählte uns ein befreundeter - voll anonymer - Polizist ganz vertraulich, dass die Verprügelung von nicht-EU Bürgern auf zahlreichen Wachen und in vielen Kasernen die Regel ist. Das Problem war diesmal das Handy, mit dem die Szene festgehalten wurde. Gibt es keinen Film, gibt es auch niemanden, der sich um die Verprügelten kümmert. Kürzlich erzählten wir auf diesen Seiten die Geschichte von einer Migrantengruppe, die in Rom (Torpignattara) von den Carabinieri einer Kontrolle unterzogen und dann ihrer Freiheit beraubt, in eine Kaserne verbrach und dort zum Reinigen der selben wie Sklaven genötigt wurden. Ein Anwalt hat Anzeige gegen die Carabinieri erstattet. Wir bezweifeln, dass es Gerechtigkeit geben wird. Und wollen wir über Federico Aldrovandi reden, von dem wir ein Bild veröffentlichten, das zeigt, wie er zugerichtet war, verletzt, blau angelaufen und blutend, nachdem er von der Polizei in Ferrara kontrolliert worden war? Ungeachtet des Bildes** behauptet die Polizei, dass er nicht an den Schlägen gestorben ist, sondern durch Drogen. Wir fragen uns verwundert: Seit wann verursachen Drogen Hautverletzungen, Wunden, Prellungen und reichlichen Blutverlust aus dem Kopf? Wir werden auch hier sehen, ob es Gerechtigkeit geben wird. Federico war italienischer Staatsbürger, aber die Polizisten haben ihm nicht geglaubt, als er seinen Namen nannte. Es gibt Zeugen, die berichtet haben, dass sie sie hörten, wie sie ihn anschrien: "Sag' die Wahrheit, Junge, du bist kein EU-Bürger...". Das ist der Haken: der Status eines Nicht-EU-Bürgers hebt im Kopf der Polizei (und auch zahlreicher Bürger) die Rechte auf.

So kommen wir zum dritten Skandal. Die Leute sagen: "Bravo, Carabinieri, euer Vorgehen mit fester Hand ist gut" und organisiert in Sassuolo eine Demonstration, nicht für den verprügelten jungen Mann, sondern für die Schläger. Es handelt sich ungefähr um die gleichen Menschen, die, als es in Bologna zur Krise kam, Partei für Cofferati (OB, d.Ü.) und seine Vorstellung von Legalität ergriffen. Das ist Alles: für nicht unerhebliche Teile der Bevölkerung und für große Teile des politischen und militärischen Establishment bedeutet Legalität nicht "Regeln, die die Rechte Aller sichern", sondern: "Regeln, die den Status Quo und die Rechte der Anständigen schützen". Letzlich ist Peras**** Manifest an diese Menschen gerichtet. Der Grundgedanke ist simpel: um die Welt am laufen zu halten, muss man sie in Schichten aufteilen: Arme, Reiche und Ausländer. Jedem steht ein ein bestimmtes Maß an Rechten zu. Ein extrem hohes den Reichen, den Ausländern hingegen ein Grad, der bei oder unter Null liegt. Wenn die Politik mitzieht, wird die unsere eine eine Demokratie bleiben, aber eine solche, die unter alle Sau ist.

* Siehe Ergänzung in:  http://germany.indymedia.org/2006/02/140143.shtml

** Ebenda:  http://germany.indymedia.org/2006/02/140143.shtml

***Garantismus: Theorie der juristischen und politischen Garantien, die die Rechte eines Bürgers vor Missbrauch und Willkür seitens derjenigen, die die Macht ausüben schützen sollen. Als solche gehört der Garantismus zu den Fundamenten des Rechtsstaates. Im Bereich der individuellen Rechte bedeutet er das Verbot willkürlicher Verhaftungen; eine strenge Formulierung der Vorschriften im Bereich der öffentlichen Ordnung, die eine Einschränkung der persänlichen Freiheit nach sich ziehen; die Einschränkung präventiver Haft (Art. 13 der Verfassung) ; Unschuldsvermutung bis zur endgültigen Verurteilung (Art. 27 der Verfassung); Ausübung des Rechts auf Verteidigung in jeder Phase und Instanz eines Verfahrens.

***  http://media.de.indymedia.org/images/2006/02/140145.jpg

**** Senatspräsident: am 23. Februar stellte er ein "Manifest für den Westen" vor, das über eine online-Version gleich hundertfach zustimmend unterzeichnet wurde. Zu den eingegangenen Botschaften gehörten solche wie: "Danke, Benedikt und Präsident Pera! Jetzt kann ich mich wirklich katholisch, papistisch und Ratzingerianerein nennen!" oder: "Endlich ist der Westen, Europa und Amerika, vereinigt, endlich erhebt er sein Haupt,m die Ideale der Gerechtigkeit, Freiheit und Christenheit in einer von inneren Barbaren - no global und Kommunisten - und äußeren Barbaren - islamische Fundamentalisten“ umzingelten Welt neu zu behaupten!". Ein Christian Rossi verkündete: "Aufrecht leben und sterben!", ein Oberst und Doktortitelträger Ghiraldini Pierluigi bittet darum, "die mit Öl ausgehalten Barbaren“ aufzuhalten". Ein weiterer Freund des Manifests schrieb: "Ich fühle in mir, wie ich wirklich ein Rassist werde und hasse".
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Ergänzungen

weiterer artikel

PigB. 05.03.2006 - 14:22

14. März internationaler Tag gg Polizeigewalt

Zapatisten rufen auf 05.03.2006 - 18:54
EJÉRCITO ZAPATISTA DE LIBERACIÓN NACIONAL.
MÉXICO.
COMISIÓN SEXTA.


JORNADA NACIONAL
CONTRA LA BRUTALIDAD POLICÍACA.


2 de Marzo del 2006.
A tod@s l@s adherentes a la Sexta y a la Otra Campaña:
Al pueblo de México:

Compañeros y compañeras:

Siendo las 2050 horas del día 2 de marzo del 2006, reunid@s en el Otro Tepejí del Río, en el Otro Hidalgo, los colectivos, grupos, organizaciones e individuos que formamos la Otra en el estado de Hidalgo y la Comisión Sexta del EZLN, acordamos lo siguiente:

PRIMERO.- Manifestamos nuestra solidaridad y apoyo: a los compañeros y compañeras de la Otra Chiapas que padecen la persecución y hostigamiento del gobierno del estado; al noble pueblo indígena zapoteco de San Blas Atempa, Oaxaca, que sufre la agresión policíaca comandada por caciques y el gobierno del estado; y a tod@s l@s adherentes de la Otra en todo el país que son hostigados y reprimidos por los malos gobiernos encabezados por los partidos PRI, PAN, PRD, PT, Verde Ecologista, Convergencia y PANAL.

SEGUNDO.- Hacemos un llamado a tod@s l@s adherentes del Otro México, para que el próximo día 14 de marzo de este año, día internacional contra la brutalidad policíaca, se manifiesten, de la forma en que consideren conveniente, en contra de la represión que los malos gobiernos ejercen contra nuestros pueblos.

TERCERO.- Proponemos:

.- Que ese día tod@s envíen, al espacio especial que se va a abrir en la página electrónica de Enlace Zapatista ( http://www.enlacezapatista.ezln.org.mx), un listado de las acciones represivas que se han sufrido por parte de las autoridades, así como testimonios, dibujos, fotos, etcétera, donde manifestemos nuestro repudio en contra de las policías.

.- Que la banda en todo el país cree graffitis, mantas, murales, etc., con ese tema, según el modo de cada quien.

.- Que se realicen foros locales, regionales o estatales en donde se analice y debata sobre este cáncer social que es la policía.

Contra la brutalidad policíaca: otro México
Desde el Otro Hidalgo.
Por la Comisión Sexta del EZLN. Por la Coordinadora Estatal del Otro Hidalgo.

Subcomandante Insurgente Marcos.
México, Marzo del 2006.

Polizei-Armut

Roland Ionas Bialke 06.03.2006 - 12:18
Die rassistische und brutale Vorgehensweise der Polizei und der Milizen in Italien kann ich nur bestätigen.

Bei den Friedensdemonstrationen Anfang 2003 in Italien konnte ich beobachten wie schon bei der Anreise bunt und dunkel gekleidete Menschen kontrolliert, danach grundlos in ein Polizei-Gebäude geschleppt/begleitet wurden, von mehreren "Polizisten" bedrängt wurden, und immer wieder nach "black block" gefragt wurden, ohne das Betroffene irgendwelche Ansprüche durchsetzen konnten. Normalerweise wäre eine allgemeine Personenkontrolle nicht so schlimm, wenn Menschen aber mit Fusstritten begrüsst werden sind solche Kontrollen aber mindestens unangenehm.

Dabei gehen italienische Sicherheitskräfte gezielt gegen schwache und geduckte Menschen vor.

Als "Weisser" hatte ich allerdings nur bedingt Probleme. Schlimmer traf und trifft es Menschen, die die Polizei dort "Schwarzafrikaner" und "Zigeuner" nennt. Ein EU-Pass, besser ein amerikanischer oder deutscher Pass, ist dort Gold wert. Wer keine ausreichenden Papiere bei sich führt ist in Italien fast vogelfrei.

Grösstenteils aktzeptiert das auch die Zivilgesellschaft. Ein gutes Beispiel dafür ist der Bahnhof "Termini" in Rom. Wer sich einmal in Rom aufhält sollte sich unbedingt einmal die Rückseite des Bahnhofs (alte Post/Karitas) anschauen. Diese Stelle ist so vom Elend zersetzt, dass jeder gute Mensch sich erschrecken muss.

Die Kirche kümmert sich jedoch gut um die primären Bedürfnisse der armen Menschen. In Rom gibt es extra ein Buch der "Comunita di Sant Egidio" in dem jede/r Stellen für kostenloses Essen, Waschmöglichkeiten, Schlafmöglichkeiten und Soziale Hilfe finden kann. Sehr nützlich!! Um sekundäre Bedürfnisse wird sich aber nicht, höchstens jedoch vereinzelt gekümmert.

Trotzdem wird in Rom fast jeden Tag ein Flüchtling misshandelt, oder zumindest in einer Weise behandelt, wie niemand behandelt werden sollte.


Als weitere Ergänzung zu dem oben stehenden Artikel muss ich bemerken, dass Kopfverletzungen, Prellungen (auch im Gesicht), Hautverletzungen, Wunden etc. durch Drogenkonsum entstehen können. Ataxische/Berauschte Menschen bewegen und fallen manchmal ganz seltsam. Es müsste aber irgendein Test gemacht worden sein, um die Behauptung der Polizei zu belegen. Und wenn Zeugen von übermässiger Polizeigewalt sprechen, dann müsste auch eine Richter mal mehr nachhaken. Bitte, verschönert aber mal keine kriminellen Taten und Drogenkonsum, und münzt diese nicht zu politischen Aktionen, oder politischen Opfertaten um. War zwar hier nicht der Fall, aber nur einmal so...

2 zerbrochene Schlagstöcke

... 06.03.2006 - 14:36
Nee, durch Drogen kam Federico wohl kaum zu seinen Verletzungen. In der Nacht, die seinem Tod vorausging, war er mit Freunden in Bolgna gewesen. Mit ihnen fuhr er per Eisenbahn zurück in die Heimatstadt Ferrara. Im Zug völlig unversehrt. Dafür ist erwiesen, dass den Polizisten, die ihn wenige hundert Meter vom Elternhaus von einer ruhigen Heimkehr abhielten, während der Aktion zwei Schlagstöcke zu Bruch gingen.