Neue Akten - Neuer Prozess

Ralf Streck 02.03.2006 17:51 Themen: Repression Weltweit
Seit fünf Monaten läuft in der spanischen Hauptstadt Madrid ein Prozess gegen die linke baskische Unabhängigkeitsbewegung. Wegen der Anomalien musste nun neu mit allen Vernehmungen begonnen werden. In der Woche wurde klar, warum 100.000 Seiten Akten bisher geheim gehalten wurden. Sie entlasten die Angeklagten. Fast acht Jahre dauerte es, bis es zum Prozess gegen 56 Basken kam, deren Organisationen unter dem Aktenzeichen 18/98 verboten wurden. Den Startschuss für die breite Kriminalisierung der baskischen Linken gab 1998 der Ermittlungsrichter Baltasar Garzón mit dem „vorläufigen“ Verbot der Zeitung Egin.  http://de.indymedia.org//2006/02/139637.shtml
Die Anklagen von Garzón folgten der politischen Linie der damals regierenden konservativen Volkspartei (PP). Daran ließ der damalige Minsterpräsident José María Aznar auch keinen Zweifel. Nach der Schließung des Egin erklärte er am 22. Juli bei einem Besuch bei seinen türkischen Freunden in Ankara, dass es eine Gewaltenteilung im spanischen Staat nicht gibt: „Jetzt ist sie geschlossen. Hat jemand geglaubt wir würden uns nicht trauen?“

Da es sich um einen politischen Vorgang handelt waren die Ermittlungen von Garzon entsprechend. Wie dürftig sie waren, wurde schon in den letzten Jahren an einigen Fällen klar. Im Verfahren, dass im vergangenen November vor dem Nationalen Gerichtshof begann, wurde dies schnell deutlich und wegen der fatalen Vorgänge an dem Sondergericht musste am Dienstag der Prozess quasi neu beginnen, nachdem er zuvor ständig vertagt werden musste.  http://de.indymedia.org//2006/02/139071.shtml Die Angeklagten müssen jetzt noch länger drei Tage pro Woche im fernen Madrid sein.

Die größte Besonderheit war, dass im Dezember bekannt wurde, dass es 104 Kisten mit Akten gibt, die den Anwälten vorenthalten worden waren.  http://de.indymedia.org//2006/01/136698.shtml Mit Hilfe der Anwaltskammern erkämpften sich die Verteidiger Schritt für Schritt den Zugang zu 100.000 Blättern „geheimer Ermittlungsakten“.  http://de.indymedia.org//2006/01/136309.shtml

Statt den Prozess zu annullieren, wie es auch internationale juristische Beobachter fordern,  http://de.indymedia.org//2005/12/135585.shtml wurde aber nur mit den Vernehmungen neu begonnen. Erneut war Bixente Askasibar an der Reihe der „Finanzverantwortlicher“ der Koordination Sozialistische Alternative (KAS) sein soll. Über KAS, so Garzón, habe die Untergrundorganisation ETA die linke Unabhängigkeitsbewegung gesteuert, darum seien die 56 Angeklagten Mitglieder oder Unterstützer einer „ETA-KAS“. Askasibar bestritt erneut die Vorwürfe und erklärte, er sei Mitglied der Gewerkschaft LAB, die bisher nicht verboten wurde.

Sein Anwalt wollte dann „Beweise“ aus den neuen Akten sehen. Nun bekam die Öffentlichkeit eine Ahnung davon, warum die bisher geheim waren. Da sind formale Fehler: Auf einem Polizeibericht findet sich weder ein Datum, noch ist klar, wer es erstellte. Fatal für die Anklage ist aber der Inhalt. Da ist der Abschnitt: „Offenkundige und gesicherte Daten zu Personen in der Führungsebene von KAS“. Dort heißt es: „Man verfügt über keine gesicherte Daten zur Führungsebene von KAS“. Ein weiterer „Beweis“ aus den Akten war eine Meldung des Radios SER.

Um die Einstellung der „politischen Verfahren“ und die „Auflösung des Sondergerichts“ zu fordern, waren kürzlich in der baskischen Metropole Bilbao Zehntausende auf die Straße gegangen.  http://de.indymedia.org//2006/02/139505.shtml Alle baskischen Parteien und Gewerkschaften hatten dazu aufgerufen gegen die „politischen Prozesse“ zu demonstrieren, die keine „juristische Basis“ hätten und oft auf Folteraussagen beruhten.  http://de.indymedia.org//2005/12/135805.shtml Derlei Prozesse und die Verbote erschwerten eine friedliche Lösung des Konflikts. Das gilt auch für die Vorgänge um den Tod des Gefangenen Igor Anbulo. Die Hinweise für eine Ermordung im Knast werden immer dichter.  http://de.indymedia.org/2006/03/140243.shtml

Insgesamt hängen Prozess noch Unterverfahren, die etwa 200 Personen betreffen. Vorgezogen hatte das Gerichts letztes Jahr drei verbotene Jugendorganisationen.  http://de.indymedia.org//2005/08/124836.shtml Ihre Unterordnung unter die ETA konnte nicht bewiesen werden.  http://de.indymedia.org//2005/06/121223.shtml


© Ralf Streck, Donostia-San Sebastian den 02.03.2006
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