Redebeitrag des Rhein-Main-Bündnisses

Frank Jäger 26.02.2006 16:04
Das Rhein-Main-Bündnis gegen Sozialabbau und Billiglöhne hat mit zur Demo gegen den Opernball aufgerufen und auf der Abschlusskundgebung den nachfolgend dokumentierten Beitrag gehalten.
Hallo ich grüße alle, die hier gegen Sozialabbau, gegen innere und äußere Aufrüstung und gegen diesen Luxusball demonstrieren, der in diesem prächtigen Gebäude heute Abend stattfinden wird.
“Don’t enjoy that”, das ist Teil unseres Mottos und es gibt in der Tat Vieles, über das wir uns gar nicht freuen können.

Nichts zu lachen haben bekanntlich arbeitslose junge Menschen, die auf Hartz IV/Arbeitslosengeld II angewiesen sind.
Die Sonderbehandlung von arbeitslosen unter 25-jährigen Jugendlichen und Jungen Erwachsenen ist an sich nichts Neues an einer Arbeitsmarktpolitik nach dem Leitbild „Fördern und Fordern“. Schon bei den Modellprojekten der Sozialämter in Köln und Mannheim, die für Hartz IV Pate standen, sind junge Menschen in das Visier der „Aktivierungsfans“ geraten. Sie wurden z.B. in sinnlose Trainingsmaßnahmen gesteckt und gezwungen, in Arbeitskolonnen Hilfsarbeiten zu verrichten. Die Bedingungen beim Kölner „Jump Plus“ Pilotprojekt für unter 25-Jährige waren so miserabel, dass sich 28 % der jungen Menschen aus der Maßnahme und aus dem Leistungsbezug verabschiedeten. Sie sind im wahrsten Sine des Wortes abgesprungen. Dieser Schwund an Leistungsberechtigten wurde von den Sozialbehörden als Erfolg gefeiert. Was aus den „Abbrecherinnen und Abbrechern“ geworden ist und wie sie sich fortan durchs Leben schlagen, darüber gibt diese Erfolgsstatistik keine Auskunft.

Mit Hartz IV wurde diese gesetzliche Sonderbehandlung junger Menschen konsequent weiterentwickelt. Dabei darf nicht aus dem Blick geraten, dass die große „Arbeitsmarkreform“ für alle Betroffenen an sich schon ein Entrechtungs- und Enteignungsprogramm war und ist. Im Arbeitslosengeld II-Bezug dürfen junge Erwerbslose unter 25 mit verschärften Sanktionen rechnen, wenn sie nicht nach der Aktivierungspfeife der Fallmanager tanzen, Nachweisschikanen nicht erfüllen und sinnentleerte ‚Trainings’ oder Ein-Euro-Jobs ablehnen.
Welche Blüten das treibt, wissen wir durch einen Fall aus Nordrhein-Westfahlen: Dort bekam eine junge Arbeitslose ihre Regelleistung komplett gestrichen, weil sie die Abgabefrist für ihren Lebenslauf um ein paar Tage verstreichen ließ. Zum Glück ging die junge Frau in Aachen vors Sozialgericht. Das hob diese Willkürentscheidung der Behörde nämlich sofort wieder auf.

Das Beispiel zeigt: Junge Arbeitslose müssen spuren, weil sonst ihre Existenz bedroht ist. Dabei haben die Behörden kaum etwas zu bieten, was jungen Menschen auf dem Arbeitsmarkt eine Perspektive verschaffen könnte. Auch die Arbeitgeber haben kaum noch Interesse an der Ausbildung und Beschäftigung von jungen Erwachsenen. Die bevorzugte Betreuung durch die Jobcenter mutiert zu aggressivem Fallmanagement, das zum Ziel hat, die jungen Leute aus dem Leistungsbezug zu katapultieren. Aus dem Aktivierungsprinzip „Fördern und Fordern“ wird in der Praxis ein „Überfordern und Hinausbefördern“.

Den von rot-grün eingeläuteten Aktivierungskurs setzt die große Koalition fort. Die Ersten Verschärfungen bei Hartz IV wurden jetzt vom Bundestag im Schweinsgalopp verabschiedet, weitere im Koalitionsvertrag angekündigte Verschlechterungen werden folgen. Künftige Entbehrungen richten sich auf den ersten Blick nicht gegen alle Erwerbslosen, sondern gegen bestimmte Zielgruppen unter ihnen. Z.B. gegen EU-AusländerInnen und StudienabsolventInnen aus dem Ausland, denen ab April der Zugang zum Arbeitslosengeld II erschwert werden soll. Und die Gesetzesverschärfung richtet sich gegen unter 25-jährige Erwerbslose und ihre Familien, die in ein neues Armenrecht mit verschärften Unterhaltspflichten gezwungen werden. In der nächsten Runde, vielleicht im nächsten Monat, vielleicht vor der Sommerpause im Getöse der WM, geht es dann unverheirateten Paaren und Patchworkfamilien an den Kragen.

Die letzten Hartz IV-Änderungen wurde am 17. Februar verabschiedet. Erwerbslose junge Menschen, die nach diesem Stichtag noch im Haushalt der Eltern wohnen, müssen, wenn sie dennoch eine eigene Wohnung beziehen wollen, sich künftig den Auszug vom Jobcenter genehmigen lassen. Das Amt wird aber ohne Weiteres nicht zustimmen. Denn genehmigen soll die Behörde nur, wenn z.B. scherwiegende soziale Gründe einem Wohnen bei den Eltern entgegenstehen. Auszug also nur dann, wenn die Familie schon so weit zerrüttet ist, dass dies dem Jobcenter nachgewiesen werden kann? Wer den Umgang mit den Alg II-Behörden kennt, braucht nicht viel Phantasie, um sich vorzustellen, dass dies einem Auszugsverbot für junge Erwachsene gleichkommt. Und genau das will die große Koalition.

Junge erwachsene Arbeitslose werden in die verschärfte Unterhaltspflicht der elterlichen Bedarfsgemeinschaft gezwungen und bekommen künftig nur noch 276 Euro also nur 80 % der Regelleistung, die erwachsenen Erwerbslosen zusteht. Volljährige unter 25 werden hier behandelt wie Minderjährige. Das heißt:
1. Viele bekommen gar keine Leistungen, weil die Eltern in eine gesteigerte Unterhaltspflicht genommen werden. Die Eltern müssen demnach zuerst die erwachsenen Kinder versorgen und eigene Bedürfnisse jenseits der Existenzsicherung zurückstellen.
2. Wer zusammen mit seinen Arbeitslosengeld II-beziehenden Eltern wohnt, wird mit einer Armutsleistung abgespeist, die zum Leben nicht reicht. Diese Armutsverhältnisse schaffen gravierende Abhängigkeitsverhältnisse und familiäre Spannungen und berauben die Familien ihrer Selbstbestimmungsrechte.
3. Wer die Situation zu Hause dann irgendwann nicht mehr aushält und dennoch, ohne Genehmigung der Behörde, auszieht, bekommt nur 80 % Regelleistung. Das sind, wie gesagt, nur noch 276 Euro im Monat. Unterkunftskosten für die eigene Wohnung werden ohnehin nicht übernommen. Auch hier braucht man keine besondere Phantasie, drohende Folgen vorauszusehen: Obdachlosigkeit, graue Wirtschaft und Kriminalität werden von dieser Arbeitmarktpolitik aktiviert.
4. Wollen erwerbslose junge Erwachsene der vom Staat verordneten Stallpflicht entgehen, sollten Sie sich gut informieren. Es gibt auch in Zukunft noch Wege für Erwerbslose eine eigene Bleibe zu beziehen, denn die Gesetzesänderung ist mit dem Bürgerlichen Gesetzbuch nicht zu vereinbaren. Leider werden Betroffene in solchen Fällen eine Entscheidung vor Gericht suchen müssen...

Was beim Aktivierungsprogramm Hartz IV zum Prinzip gemacht wurde, wird durch die Sonderbehandlung von jungen Menschen auf die Spitze getrieben:
- Der Druck auf Erwerbslose soll erhöht werden, um die Leute zur Aufnahme jeder noch so miesen Tätigkeit zu zwingen oder um sie ganz aus dem Leistungsbezug zu drängen, Diese Art der Aktivierung erzielt ihre positive Wirkung vor allem in Bezug auf die Arbeitsmarktstatistik.
- Die Kürzung des Arbeitslosegeld II für eine bestimmte Zielgruppe ist außerdem ein Testballon. Ein Test, wie weit man in Zukunft gehen kann, ohne mit erkennbarem Widerstand rechnen zu müssen. Mit dem geplanten Kombilohn könnte beispielsweise das Arbeitslosengeld für alle gesenkt werden, die keiner Arbeit nachgehen oder nicht in einer Maßnahme – einem Ein-Euro-Job – stecken.

Deshalb darf das Thema Hartz IV nicht individualisiert werden. Erwerbslosen müssen für ihre Rechte kämpfen, aber sie dürfen nicht allein gelassen werden in ihren Alltagskämpfen gegen eine übermächtige Behörde und ein schikanöses Gesetz.
- Polischer Widerstand gegen die Pläne der Koalition, Hartz IV weiter zu verschärfen, muss auf eine breitere Basis gestellt werden: Erwerbslose, wie zuvor schon MigrantInnen und AsylbewerberInnen, dienen als Testpersonen für den Repressionsapparat der Zukunft. Der Duck auf bestimmte Zielgruppen steigt genauso wie die allgemeinen Nachweisschikanen beim Amt. Sozialschnüffler ermitteln im Umfeld von Erwerbslosen und zu Hause werden diese mit Telefonabhöraktionen terrorisiert...
- Dagegen muss eine regionale Widerstandpraxis konzentriert werden auf die Bereiche, wo die Verantwortlichen vor Ort, in den Jobcentern, den Rathäusern und Kreistagen zu greifen sind.
Hier geht es vor allem um die Übernahme der vollen Unterkunftskosten und die Verhinderung von Zwangsumzügen. Es geht um die Bedingungen bei den örtlichen Beschäftigungsträgern – den „Ein-Euro-Sklavenhändlern“ – und es geht um die Gestaltung der rieseigen Ermessensspielräume der Jobcenter vor Ort.
- Solidarische Widerstandformen müssen politische Spektren übergreifen. Vor allem die Spaltung von Beschäftigten und Erwerbslosen muss überwunden werden. Denn die Beschäftigten von heute sind die Arbeitslosengeld II-Beziehenen von morgen.
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noName 27.02.2006 - 08:43

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Ist schon schlimm,

physikus 26.02.2006 - 17:05
wenn von einem erwartet wird zu arbeiten. Aber ihr habt es gestern ja allen
gezeigt. Ihr habt das Recht auf das Geld anderer Leute ohne dafür etwas geleistet zu haben. Andere Menschen sollen für euch bezahlen, und wenn es nicht genug ist schlagt ihr deren Scheiben ein, solange die böse Polizei euch nicht daran hindert.
Macht weiter so leute.

@ physikus

ich 26.02.2006 - 17:26
na du bist ja ein scherzkeks. wer ist denn "ihr"? werfen jetzt alle tausende von indyusern die scheiben ein? oder die autoren diese rede? sind die das? ganz schon einfache weltsicht habt ihr rechtsextremisten.

Eigentlich

physikus 26.02.2006 - 17:57
hab ich nur den Inhalt der Rede sowie die Ereignisse gestern zusammengefasst, und sie dann mit einem ironischen Schlusssatz versehen.
Dem Kommentar von "ich" zufolge bin ich also ein Rechtsextremist, soll ich also auch ein paar scheiben einschlagen damit ich als linker durchgehe?

@ physikus

ich 26.02.2006 - 19:34
naja, was das scheiben einwerfen angeht, ist man bei euch rechten (damit fasse ich jetzt auch mal vereinfachend alles rechts von der fdp zusammen) wohl noch sein stück heftiger drauf. bei euch wird nämlichmeist noch ein molli hinterhergeworfen und dann schlafende kinder angezündet. igitt. du stinkst :-)