Interview: "Imperialisten u Islamisten Hände weg vom Iran"

Birgit Gärtner 22.02.2006 12:50 Themen: 3. Golfkrieg Militarismus Weltweit
Fereidoun Gilani über das Atomprogramm des Iran, den Karikaturenstreit sowie die aktuelle Debatte in der bundesdeutschen Friedensbewegung.
Der 68jährige ist Professor der Soziologie, Journalist und Autor. Er ist Mitglied des Internationalen Schriftstellerverbandes PEN, Präsident des iranischen Schriftstellerverbandes im Exil sowie Vorsitzender der Sozialistischen Partei des Iran (SPI) und lebt in Hamburg.

Frage: Der Iran ist derzeit in aller Munde. Wie schätzen Sie die aktuelle Debatte um das Atomprogramm ein?

FG: Das Bedrohungsszenario, das derzeit vom Westen gezeichnet wird, ist absoluter Blödsinn und nur ein Vorwand, den Krieg vorzubereiten. Das Atomprogramm des Iran entstand Ende 50er Jahre, 1967 lieferten die USA den ersten Forschungsreaktor nach Teheran.
1974 stieg die BRD in den Atomtransfer nach Persien ein. Die deutsche Kraftwerk Union (KWU), ein Joint-Venture von Siemens und AEG-Telefunken, wollte ein Kraftwerk in Buschehr am Persischen Golf bauen. Mit den Konstruktionsarbeiten wurde die Firma Thyssen-Krupp betraut. 1979 kam dann die so genannte Islamische Revolution und 1980 begann der 1. Golfkrieg zwischen dem Iran und dem Irak und der Rohbau des AKW Buschehr wurde bei Luftangriffen total zerstört. Die KWU zog sich 1991 aus dem Projekt zurück - nicht ohne 2,5 Mrd. US$ zu kassieren - und 1995 sprang Russland stattdessen ein. Der Bau verzögerte sich ständig, so dass Buschehr bis heute nicht ans Netz gegangen ist.
1975 schloss der damalige US-Außenminister Henry Kissinger mit dem Schah-Regime Verträge über ein umfassendes Atomprogramm. Schon damals war geplant, 23 AKW´s bis zum Jahr 2000 zu bauen.
Derzeit sind drei Forschungsreaktoren in Betrieb, in Teheran, Ramsar und Bonab, eine Anlage zur Urananreicherung befindet sich im Bau sowie eine Anlage zur Produktion von schwerem Wasser und eine zur Produktion von Brennstäben. Alle diese Anlagen befinden sich unter der Kontrolle der Internationalen Atomenergie Organisation (IAEA). Im Grunde genommen passiert derzeit nichts anderes, als dass der Iran das 30 Jahre alte Atomprogramm wieder neu auflegt.

Frage: Die Befürchtung des Westens ist, dass der Iran diese Möglichkeit nutzt, um Atomwaffen zu bauen.

FG: Die IAEA hat dafür bis jetzt keinen Beleg gefunden, das betont der Generaldirektor Mohamed Al-Baradei immer wieder. Trotzdem wird permanent dieses Bedrohungsszenario gemalt. Damit will ich allerdings nicht sagen, dass ich glaube, dass der iranische Staatspräsident Mahmoud Ahmadinedschat die Möglichkeit der militärischen Nutzung nicht ausschöpfen würde. Meiner Ansicht nach würde er die Bombe bauen, wenn er es könnte.

Frage: Und sie auch zum Einsatz bringen?

FG: Auch damit müssen wir rechnen. Trotzdem ist das kein Grund, den Iran zu bombardieren, denn davon wäre in erster Linie die Zivilbevölkerung betroffen. Das haben wir alles in Jugoslawien, in Afghanistan und im Irak erlebt. Unsere Forderung kann nur sein, dass Atomwaffen weltweit abgeschafft werden, auch - und gerade - im Westen, aber natürlich auch in Israel und Pakistan.

Frage: Mal abgesehen von der lokalen Umweltverschmutzung ist der Iran eine der Erdbeben gefährdetsten Regionen der Erde. Ist es nicht völliger Wahnsinn, dort 20 AKW´s hinzubauen?

FG: Das ist etwas, was ich an der gegenwärtigen Diskussion überhaupt nicht verstehe. So weit ich das einschätzen kann, ist die Argumentation der Friedensbewegung gegen den Irankrieg dessen Recht auf die zivile Nutzung der Atomkraft nach den Maßstäben des Atomkraftsperrvertrages. Es wird immer gesagt, es sei nicht einzusehen, weshalb dem Iran Rechte verweigert würden, die andere Länder selbstverständlich in Anspruch nehmen würden. Das sei eine Ungleichbehandlung, vorgeschobene Argumente, um den Krieg zu legitimieren. Das ist sicher alles richtig, nur es greift meines Erachtens viel zu kurz., schließlich geht es um ein gigantisches Atomprojekt. Ich verstehe nicht, wieso die Ächtung der zivilen und militärischen Nutzung der Atomenergie in dieser Diskussion keine Rolle spielt.
Ahmadinedschat ist nicht das unschuldige Opfer der internationalen Atommafia, sondern das Oberhaupt eines despotischen Regimes. Die Bedrohung der iranischen Bevölkerung geht von zwei Seiten aus: den USA und den Mullahs. Deshalb sagen wir als SPI: Imperialisten und Islamisten – Hände weg vom Iran.

Frage: Können Sie das erläutern?

FG: Nach der Wahl von Mohammed Chatami zum Staatspräsidenten, wurde er im Westen als Reformer gefeiert. Seitdem werden die Menschenrechtsverletzungen im Iran komplett ignoriert. Aber Chatami war alles andere als fortschrittlich, sondern ein ´alter Mann` der Islamischen Revolution. Er war der Imam der Moschee in Hamburg. 1979 ging er zunächst nach Paris, schloss sich dort Khomeni an und ging mit ihm nach Persien. Nach der Revolution wurde er zum Minister für islamische Kultur und Propaganda ernannt, später war er auch Chef der Propaganda für den 1. Golfkrieg von 1980 – 1988 zwischen dem Iran und dem Irak und trägt damit die Mitverantwortung für ca. eine Mio. Tote.
Als Kulturminister führte er die Zensur ein und ich war einer der ersten Autoren, deren Bücher zensiert wurden. Ich war damals auch als Englisch-Übersetzer tätig, alle meine Bücher und Übersetzungen wurden zensiert.

Frage: Arbeiteten Sie als freier Autor?

FG: 1979 war ich Chefredakteur der größten Tageszeitung Persiens Keihan, das heißt übersetzt „Wort“, außerdem war ich ein bekannter Buchautor und ein berühmter Dichter. Wie gesagt, ich war einer der ersten, dessen Werke von Chatami zensiert wurden. Dann, so ca. zwei Monate nach der so genannten Revolution 1979, kam ich eines Morgens in mein Büro und ein Mullah saß hinter meinem Schreibtisch. Dann kam ein Abgesandter Khomenis herein und sagte zu mir, ich sei meines Amtes enthoben, könne aber als einfacher Redakteur weiterhin für das Blatt arbeiten. Ich antwortete ´Schönen Dank auch` und sagte, ich möchte nur eben meine persönlichen Sachen aus dem Schreibtisch räumen. Als ich mich in Richtung Schreibtisch bewegte, riefen sie bewaffnete Kräfte, die mich gewaltsam aus dem Raum zerrten, das bis dahin mein Büro gewesen war. Ich wurde verhaftet und war vier Jahre lang inhaftiert, dann gelang es mir, aus dem Gefängnis zu fliehen. Draußen musste ich feststellen, dass ich buchstäblich nichts mehr besaß. Ich war kein reicher Mann gewesen, aber wirklich alles, was ich hatte, war konfisziert worden und meine Konten gesperrt. Ich habe dann wieder als Übersetzer gearbeitet, um irgendwie überleben zu können. Nach einer Weil bin ich nach Europa geflohen, weil ich um mein Leben fürchten musste. Ich hatte Angst, dass sie mich auf offener Straße verschleppen und verschwinden lassen. Das war damals durchaus üblich. Zunächst wollte ich nach London, schon wegen der Sprache, aber Großbritannien erlaubte mir die Einreise nicht. So bin ich in der BRD gelandet, seitdem lebe ich hier.

Frage: Wieso wurde Chatami dann später im Westen so sehr hofiert?

FG: Chatami war für die ökonomischen Interessen der USA und Europa von großer Bedeutung. Einen Monat, nachdem er im Amt war, veröffentlichte die Union Bank of Switzerland einen Bericht. D.h., dieser Bericht wurde schon Monate vorher vorbereitet. Darin stand, Chatami sei der Garant für einen Öffnung des Iran und der sei künftig ein guter Ort für Investitionen. Das war eine der beiden Hauptaufgabe von Chatmai, die Wirtschaft zu öffnen, deshalb wurde er im Westen als Reformer gefeiert. Er ebnete u.a. den Weg für Verträge mit Halley Burton.
Die zweite Aufgabe bestand darin, den Widerstand zu deckeln und die sozialen Bewegung zu stoppen, vor allem die Frauen- und die Studentenbewegung. Viele Widerstandsgruppen waren in den Jahren vor Chatmai entstanden, aber die Frauen und die Studenten waren die stärksten. Chatami ließ sie von den Sicherheitskräften observieren und Tausende von ihnen wurden in unter seiner Ägide verhaftet.

Frage: Aber seit dem letzten Jahr regiert er ja nicht mehr und Ahmadinedschat ist im Westen alles andere als beliebt.

FG: Chatamis Zeit war abgelaufen. Jetzt ist eine radikal-islamische Regierung notwendig, eine politische Radikalisierung, denn es werden Feindbilder gebraucht und dafür ist der jetzige Präsident der beste Garant. Er ebnet den Weg für den Krieg, denn wenn alles in Ordnung ist und ein „Reformer“ regiert, kann der Iran nicht angegriffen werden. Das ist dasselbe Spiel wie in Afghanistan, erst wurden die Taliban aufgebaut und unterstützt, dann zum Feindbild stilisiert und das Land schließlich angegriffen. Mit Saddam Hussein haben es die USA genau so gemacht.
Ahmadinedschat und die USA brauchen sich gegenseitig. Ahmadinedschat, um in der islamischen Welt als starker Mann anerkannt zu werden und die USA, um ein Feindbild präsentieren zu können. Der so genannte „Karikaturenstreit“ wird dazu instrumentalisiert und zum Kampf der Kulturen hochstilisiert. Ahmadinedschats antisemitischen Äußerungen liefern die Steilvorlage dafür. Antisemitismus ist ein integraler Bestandteil der Ideologie der islamischen Fundamentalisten, egal ob bei den Mullahs oder der Hamas.

Frage: Welche Vergangenheit hat Ahmadinedschat?

FG: Er war der Führer der islamischen Studentenbewegung in den letzten Jahren des Schah-Regimes, er studierte an der Universität der Wissenschaften in Teheran. Danach ging er zu dem Pasdaran-Corps, den Wächtern der islamischen Revolution, eine Armee neben der Armee. Ahmadinedschat befehligte eine Einheit, deren Aufgabe Arrestierung und Kidnapping von Oppositionellen war. Das war sein Geschäft, das er betrieben hat. Später agierte er in dem berüchtigten Evin-Gefängnis in Teheran. Mit diesen Aktivitäten erwarb er sich das Vertrauen der islamischen Führung. Im Iran ist es nicht möglich, an die Macht zu kommen, ohne die Zustimmung der geistlichen Führung. Und Ahmadinedschat hatte dieses Vertrauen, Chatami vor ihm ebenfalls.
Aber die USA und Europa machen einen Fehler, denn sie denken, Ahmadinedschat ist ein mächtiger Man.

Frage: Inwiefern?

FG: Weil nicht er die Macht hat, sondern hinter ihm steht Pasdaran: diese Armee kontrolliert das Land, im ökonomischen Bereich, in der Landwirtschaft, der Wissenschaft, Armee, Polizei, Geheimdienst, Handel und der Politik, sogar Khomeni wurde von ihnen kontrolliert.
Der Iran hat unglaubliche wirtschaftliche, soziale und politische Probleme. Eines der größten Probleme ist die Korruption, das ganze Land ist korrupt. Weitere Probleme sind Prostitution und Drogen. 9 Mio. Menschen im Iran sind Heroin- oder Opiumabhängig. Opium ist zum Spottpreis zu haben. Auch eine „Reform“ von Chatami, er war es, der stolz verkündete, Opium sei inzwischen günstiger als Zigaretten. Vor allem junge Menschen sind abhängig, die Trostlosigkeit treibt sie dazu, oder sie wollen ihre Wut sich betäuben. Es gibt keine Freizeitangebote, keine Discos, sie dürfen keine Westmusik hören, nicht mit ihren Freundinnen auf der Straße flanieren. Also treffen sie sich in Wohnungen und konsumieren Drogen. Damit sind sie beschäftigt und leicht beherrschbar, denn sie sind entweder auf der Suche nach Stoff oder high.
Der Drogenhandel wird von Regierung kontrolliert, zuerst unters Volk gebracht und bei Razzien wieder eingesammelt. Allein in Teheran, wo 14 Mio. Menschen Leben, werden täglich 15 Tonnen Opium umgeschlagen. Immer mal wieder werden größere Mengen Heroin öffentlich verbrannt, doch Unmengen werden wieder in Umlauf gebracht.

Frage: Also ist das Heroin in zweierlei Hinsicht nützlich: Zum einen macht es die Menschen gefügig, zum anderen bietet es Anlass, sie zu attackieren?

FG: Ja, genau. Außerdem ist es ein gigantisches Geschäft. Der größte Teil des Opiums weltweit wird über den Iran vertrieben, von den Revolutionswächtern. Ich habe einmal ehemalige Angehörige von Pasdaran interviewt, die haben mir erklärt, wie das System funktioniert.

Frage: Was sind Ihrer Ansicht nach jetzt die notwendigen politischen Schritte?

FG: Wir müssen sowohl die Kriegspläne von Bush kritisieren, als auch das Atomprogramm des Iran und die Politik des Mullah-Regimes. Deshalb sollten lokale Antikriegs-Komitees gegründet werden. Die streikenden Busfahrer sollten unterstützt werden, die für ihre Entlohnung und das Recht auf freie Gewerkschaften kämpfen. Bei den Protesten im Iran werden Hunderte von ihnen auf einen Schlag verhaftet. Iranischen Frauen werden am 8. März 2006 in Den Haag vor dem Menschenrechtshof gegen die brutale Unterdrückung im Iran protestieren, Steinigungen, Vergewaltigungen als systematische Folter, all das steht im Iran auf der Tagesordnung. Natürlich wird in Den Haag auch die Kriegsgefahr thematisiert. Das sind eine ganze Reihe von Aktivitäten und es wäre schön, wenn die Friedensbewegung das unterstützen würde.

Copyright Birgit Gärtner

PS: Die Fotos sind wie sie sind, weil sie sein sollen, wie sie sind.
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