Menschenrechtsverletzungen im dt. Bildungswesen

Netzwerk Bildungsfreiheit 21.02.2006 21:22 Themen: Bildung
"Netzwerk Bildungsfreiheit" berichtet an Vernor Muñoz


Berlin. Könnte es sein, dass es in Deutschlands Bildungslandschaft zu Menschenrechtsverletzungen kommt? Natürlich nicht, ist die mehr oder weniger einhellige Meinung von Bildungspolitikern und -beamten. Bei der UNO sieht man das wohl anders, deshalb bereist derzeit der Sonderberichterstatter der UN-Menschenrechtskommission, Vernor Muñoz die Bundesrepublik. Beweise dafür, dass es in Deutschland tatsächlich zu Menschenrechtsverletzungen durch das derzeitige Schulsystem kommt, legte am Sonntag das "Netzwerk Bildungsfreiheit" anlässlich einer Zusammenkunft mit Vernor Muñoz in Berlin vor.
"Um das deutsche Schulsystem zu verstehen, muss man wissen, dass der Ausdruck 'compulsory elementary education' (die Pflicht zur elementaren Bildung) aus Art. 28 (1) der UN Kinderrechtskonvention fehlerhaft mit 'Besuch der Grundschule für alle zur Pflicht' ins Deutsche übersetzt wurde, was im Englischen wörtlich übersetzt ‘compulsory school attendance for all’ hieße. Das bedeutet in der Praxis, dass das Recht auf Bildung auf die Pflicht zur Anwesenheit in einer Schule reduziert wurde," so Stephanie Edel, Sprecherin für das "Netzwerk Bildungsfreiheit" in Berlin. Die diplomierte Kulturpädagogin und Mutter von vier Kindern, bekannt aus mehreren Fernsehdokumentationen und Interviews zum Thema "Home Education", weiß, wovon sie spricht: Auch ihre Kinder lernen zu Hause.

Es sind sehr vielfältige Gründe, die Kinder oder ihre Eltern bewegen, den Lernort aus der öffentlichen Schule nach Hause zu verlegen. Hochbegabung ebenso wie Teilleistungsschwächen oder Behinderungen, Familien mit internationalen Arbeitsverträgen, die zeitlich begrenzt in Deutschland leben, Familien mit geringem Einkommen und zu wenig finanziellen Mitteln, um ihren Kindern eine angemessene Privatschule finanzieren zu können, Familien, deren besondere Bildungvorstellungen oder Weltanschauungen im staatlichen Schulsystem keine Berücksichtigung finden und nicht zuletzt Kinder, die Opfer von Mobbing wurden oder an durch Schulstress verursachten psychischen Auffälligkeiten oder psychosomatischen Beschwerden leiden.

Die Anerkennung und gesetzliche Regelung von Home Education, Bildung zu Hause, ist in allen Kulturnationen internationaler Standard. Die Einengung des Begriffs der Bildungspflicht auf die Schulanwesenheitspflicht führt zu teilweise drakonischen Zwangsmaßnahmen gegenüber betroffenen Eltern und Kindern. Natürlich alles nur zum Wohle der Kinder, wie die Verantwortlichen immer wieder betonen. Leider bleiben sie jedoch die Erklärung schuldig, wie es zum Wohle der Kinder sein kann, wenn diese durch polizeiliche Zuführung, Zwangspsychiatrisierung oder durch Sorgerechtsentzug ihrer Familien- und Wohnumgebung entrissen werden und ihre Eltern durch maßlos überhöhte Buß- und Zwangsgelder in den finanziellen Ruin getrieben werden. "Mittlerweile liegt uns eine umfangreiche Dokumentation von Einzelfällen vor und täglich erreichen uns neue Dokumente", berichtet Stephanie Edel. "Da ist z. B. der zu 100% schwerbehinderte, 8jährige Timo G, der auf Empfehlung seiner Ärzte längere Zeit zu Hause gelernt hatte. Damit soll jetzt Schluss sein, befand der zuständige Schulrat und verfügte, dass Timo täglich in eine 120 Km entfernte Sonderschule gefahren werden muss, obwohl mehrere medizinische Gutachten nachgewiesen haben, dass diese Fahrten und die Trennung von seiner gewohnten Umgebung die Entwicklung des Jungen massiv beeinträchtigten. Da sich die Familie dem widersetzt, drohen die Behörden nun mit Sorgerechtsentzug.

Auch Familie Edel hat staatliche Repressalien am eigenen Leib erfahren. "Nirgendwo auf der Welt finden sich vergleichbar harte und unangemessene behördliche Zwangsmaßnahmen gegen Menschen, die ihr ureigenstes Recht auf die Wahl der Bildungs- und Erziehungsmethoden wahrnehmen", so Edel. Sie übergab heute eine dicke Dokumentation an Vernor Muñoz, verbunden mit einigen Forderungen.

„Wir fordern eine Deregulierung des deutschen Schulsystems, um alternative und vom staatlichen Schulwesen abweichende Bildungswege zu ermöglichen und zu legalisieren.

Wir fordern die Umsetzung von Artikel 26 (3) der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte, worin festgeschrieben ist: 'Eltern haben das vorrangige Recht, die Art der Bildung und Erziehung, die ihre Kinder erhalten sollen, zu wählen.'

Wir fordern die Umwandlung der Schulpflicht, die als Schulanwesenheitszwang praktiziert wird, in eine Schulpflicht, die sich als international angepasste Bildungspflicht versteht," resumiert Edel.

Das "Netzwerk Bildungsfreiheit" ist der festen Überzeugung, dass individuelle Chancengleichheit nicht durch Zwang (z.B. Zuordnung in Schulbezirke, Schulanwesenheitszwang zur Erfüllung der Schulpflicht, Elternentmündigungen bei der Wahl der weiterführenden Schulen…), sondern nur durch vielfältige, gute und vom Staat finanzierte Angebote verbessert werden kann. Chancenungleichheit und Menschenrechtsverletzungen herrschen, wo diese Angebote einfach nicht zugelassen oder sogar unter Anwendung von staatlicher Gewalt unterdrückt werden.

Das "Netzwerk Bildungsfreiheit" ist ein bundesweiter Zusammenschluss von Organisationen, Elterninitiativen und Einzelpersonen, denen das Recht auf freien Zugang zur Bildung, freie Wahl und freie Gestaltung des individuellen persönlichen Bildungsweges unter Zuhilfenahme öffentlicher wie privat initiierter Ressourcen ein Anliegen ist. Darunter finden sich z. B. der "Bundesverband Natürlich Lernen e.V.", die "Stiftung Netzwerk Hochbegabung", das "Europäische Forum für Freiheit im Bildungswesen" (effe), der Verein "Schulbildung in Familieninitiative e.V.", die Initiative "Deutschhilfe für Ausländer" und viele mehr, sowie zahlreiche Universitätsprofessoren, Pädagogen, Ärzte, Juristen, Psychologen, Therapeuten sowie engagierte Eltern und Schüler.




Information für die Medien und eine ausführliche Dokumentation finden Sie
in deutscher Sprache unter:  http://www.sfev.de/UN-Rapport-de.pdf oder
in englischer Sprache unter: http://www.sfev.de/UN-Rapport-en.pdf

Kontakt: Netzwerk Bildungsfreiheit
Elisabeth Kuhnle, Karlsruhe, 0721-611979,  elisabeth.kuhnle1@gmx.de
Dipl. Kult.Päd. Stephanie Edel,  info@sfev.de

Weitere Kontakte zu den einzelnen Initiativen können der Dokumentation entnommen werden.


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Ergänzungen

schnitzer im report

Moe 22.02.2006 - 01:13
Ich bin kein Freund des deutschen Schulwesens, besonders weil es nur eine eingeschränkte Spezialisierung besonders in der Oberstufe zulässt. Allerdings muss ich dann doch anmerken, dass ich die englische Version für wenig glaubwürdig halte, nachdem ich die ersten paar Zeilen gelesen habe. (Die deutsche Version ist nicht verfügbar). Wer "Besuch der Grundschule für alle zur Pflicht" als "compulsory school-attendance for all" übersetzt, sollte sich überlegen, Nachhilfe in Englisch zu nehmen, besonders wenn man es mit "literally" einleitet. Die "Übersetzung" bedeutet wörtlich, dass der Schulbesuch für alle Pflicht ist. Eigentlich hat es weniger Bedeutung, denn der Satz ist grammatikalisch ohenhin falsch. Ich hatte jetzt zwar nicht die Zeit, 65 Seiten zu lesen, allerdings war das schon ein sehr grober Schnitzer und auch beim weiteren Lesen sind mir hier und da ein paar Schauer über den Rücken gelaufen... allerdings hat mir diese Einleitung eben schon eine klare Meinung über den Bericht und dessen Glaubwürdigkeit gegeben.
Persönlich bin ich zwar für eine auflockerung des Systems allerdings nicht die komplette Aufweichung wie im Report gefordert.

Beiträge die keine inhaltliche Ergänzung darstellen

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