Arbeitszeit: Zurück ins 19. Jahrhundert

Wal Buchenberg 19.02.2006 10:37 Themen: Soziale Kämpfe
Die derzeitige Auseinandersetzung im Öffentlichen Dienst gegen die unbezahlte Verlängerung der Arbeitszeit auf 40 Stunden hat eine unselige Vorgeschichte. Im Juli 2004 hatte die IG Metall in einem Haustarif mit Siemens vereinbart, dass für 4.000 Lohnarbeiter des Konzerns die Regelarbeitszeit von 35 auf 40 Stunden ohne Lohnausgleich erhöht wird.
Tarifrechtliche Grundlage für dieses schlimme Zugeständnis an die Profitinteressen war ein neuer Manteltarifvertrag in der Metallindustrie, der längere Arbeitszeiten ohne Lohnausgleich "zur Verbesserung der Wettbewerbs- und Innovationsfähigkeit" und zur Sicherung der Beschäftigung zulässt.

Als die Gewerkschaftsführung sich auf diesen Deal einließ, hatte sie wohl gehofft, dass es sich dabei nur um "Krisenmanagement" handele, und dass es den Lohnarbeitern wieder besser gehe, wenn es den kapitalistischen Betrieben wieder besser gehe. Die Illusionen von den gemeinsamen Interessen von Lohnarbeitern und Kapitalisten gehen zunehmend in die Brüche. Längst machen die Unternehmen wieder gute Profite, trotzdem werden Stellen abgebaut, Lohnkosten gekürzt und Arbeitszeiten ausgedehnt.

Die Staatshierarchie folgt dem Pfad, den die Kapitalisten vorausgingen: Per Gesetz wurden die Arbeitszeiten für Beamte verlängert. Nun sollen die Arbeiter und Angestellten im Öffentlichen Dienst folgen. Mit dieser Vorgeschichte stehen die Chancen denkbar schlecht, dass die Lohnarbeiter im Öffentlichen Dienst die Verschlechterung ihrer Arbeitsbedingungen verhindern können - es sei denn, die IG Metall wechselt ihren Kurs und unterstützt durch wirksame Aktionen die Kämpfe der Lohnarbeiter im Öffentlichen Dienst.

Indymedia über Streiks und Aktionen im Öffentlichen Dienst:

1-Euro-Jobber als Streikbrecher in Osnabrück

Streikposten im Bayr. Staatstheater

Streikgedanken von Marcus H.

Die Wochenarbeitszeit ist in diesen Kämpfen nur eine Kampffront von vielen. Gleichzeitig schiebt die Regierung das Regel-Rentenalter immer weiter hinaus.
Da die große Mehrzahl der Rentner es gar nicht bis zum gesetzlichen Rentenalter schafft, werden die Einschnitte in die Rente immer tiefer.
Wie aus der Grafik 01 hervorgeht, liegt das tatsächliche Rentenalter in Deutschland knapp über 60 Jahre.
Für jedes Jahr, das zum gesetzlichen Rentenalter fehlt, wird die Rente um einige Prozent gekürzt. Nur noch 39 Prozent aller 55 bis 64jährigen haben einen Lohnarbeitsplatz.

Siehe Grafik 01


Die Kapitalvertreter jammern, dass ältere Lohnarbeiter in Deutschland teurer seien als in anderen Ländern. Das stimmt nur bedingt.

Siehe Grafik 02


Tatsächlich erreichen Lohnarbeiter in Deutschland ihren Maximallohn mit 55 bis 59 Jahren. Vor allem im Öffentlichen Dienst ist das Einkommen je nach Lebensalter gestaffelt. Das soll aufhören. Vorbild dafür sind die USA und Großbritannien. In beiden Ländern erreichen die Lohnarbeiter ihren Maximallohn mit 40 bis 44 Jahren, von da an geht’s mit dem Lohn bergab: In den USA um 20 Prozent, in Großbritannien sogar um 40 Prozent. Dort verdienen die ältesten Lohnarbeiter nicht mehr als die Berufsanfänger. Schöne alte Kapitalistenwelt.

Wohin die Reise geht: Grafik 03:


Die Lohnarbeiter zur Zeit Bismarcks malochten zwar 60 Stunden in der Woche und 50 Wochen im Jahr, erreichten aber selten eine Lebensarbeitszeit von 30 Jahren. Die rechnerische Gesamtarbeitszeit von 1885 lag bei 90.000 Stunden während eines Arbeiterlebens. In den Zeiten der Angela Merkel gibt es zwar Fünf-Tage-Woche mit 40 Wochenstunden (tatsächliche durchschnittliche Arbeitszeit), aber die Zeitspanne, in der wir Lohnarbeiter für das Kapital schuften müssen, hat sich fast verdoppelt. Macht eine rechnerische Gesamtarbeitszeit von 81.000 Stunden.

Falls nur die jetzigen Pläne zur Verlängerung der Arbeitszeiten um 2 Stunden und um 2 Arbeitsjahre verwirklicht werden, befinden wir uns - was die Dauer der Maloche angeht - wieder im 19. Jahrhundert.

Wal Buchenberg für Indymedia, 19.02. 2006
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Ergänzungen

kurzer Schlag / lange Arbeitszeit

strike 19.02.2006 - 15:05
Marcus Hammerschmitt 13.02.2006:
Der fortschreitende Sozialabbau und die gefühlte Zunahme der Unruhe
 http://www.heise.de/tp/r4/artikel/22/22032/1.html

zum öffentlichen Dienst in Bayern und andern Ländern:
 http://de.indymedia.org/2006/02/139236.shtml

WAZ-Artikel über längere Arbeitszeiten

--- 12.07.2006 - 18:14
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hmmm,.... — egal