Kölner Polizei beschwört Geister

Das Chaos (TM) 14.02.2006 18:02 Themen: Kultur
+++ Geisterzug doch nicht abgesagt +++ Kölner Polizei überredet Veranstalter +++ Angst vor "wilden" Geisterzügen +++
*Kölner Polizei beschwört Geister gegen "wilde" Karnevalszüge*

Der seit 1991 jährlich stattfindende, alternative Kölner Karnevalsumzug "Geisterzug" war kürzlich erst für dieses Jahr von den VeranstalterInnen abgesagt worden. Nachdem in den letzten Jahren selbst eine Zusammenarbeit mit Kölsch-Brauereien und der Stadtverwaltung die finanzielle Misere des Geisterzug-Vereins "Ähzebär und Co" nicht wettmachen konnte, sondern stattdessen immer mehr Aktive absprangen, hatten die OrganisatorInnen nun mit der Absage für 2006 einen Schlussstrich ziehen wollen.

Nach kurzer Zeit kursierten jedoch im Internet-Forum der Vereins-Webseite ( http://www.geisterzug.de/forum.htm) bereits die ersten selbstorganisierten Aufrufe für alternative Geisterzüge statt dem "offiziellen" und wegen der staatlichen Auflagen überteuerten "Ähzebär-Umzug. Doch es dauerte nicht lange bis die Ordnungshüter sich anschickten dem rheinischen Wildwuchs ein geregeltes Ende zu bereiten.

Geisterzug gegen Geisterzüge

Die Polizei fürchtet nämlich, dass es vermehrt zu unangemeldeten, "wilden" Geisterzügen in den einzelnen Stadtvierteln kommen könnte. Also überredete die Staatsmacht den Verein "Ähzebär und Co", dass er doch nochmal einen offiziellen Geisterzug anmelden solle, da dieser sich "zur eigenen Sicherheit" besser kontrollieren lässt. Zur Vermeidung von Kosten für den Polizeieinsatz wurde die Route durch die Innenstadt so gelegt, dass möglichst wenig vielbefahrene Strassen gekreuzt werden.

Aber ein Grossteil der "wilden" Geister ist nicht bereit bei diesem Schildbürgerstreich mitzuspielen. Weiterhin mobilisieren freigeistige Närrinnen und Narren nach Köln-Ehrenfeld, um dort am Karnevalssamstag vom Neptunplatz aus ihren abendlichen Geisterzug zu feiern. Ein Kostüm-Motto wurde bereits ausgerufen: "Du bist Deutschland" ( http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=1281).
Das nationale Gruselkabinett von Ratzinger über Müntefering bis Stoiber hat sicher einiges an Spott verdient...

Narren und Rebellion

Vielleicht erinnert sich die eine oder der andere Aktive noch an den ersten Geisterzug als 1991 wegen des drohenden Irak-Kriegs (je nach Lesart, der zweite) die Funktionäre des Frohsinns den Strassenkarneval abgesagen mussten. Gegen den Irak-Krieg und für subversive Fröhlichkeit gingen damals Tausende auf die Strassen. Der folgende Geisterzug gegen Macht, Gewalt und Ausländerhass 1992 (es war die Zeit der wöchentlichen rassistischen Brandanschläge) ging sogar in die Kölner Stadtchronik ein.

Viel gäbe es zu sagen über die rebellische Rolle des Strassenkarnevals im Laufe der Jahrhunderte: aufbegehrende Zünfte, zornige Bauern und warnende Narren gab es seit dem 17. Jahrhundert immer wieder. Die Zeit vor und während der Revolution von 1848 war geprägt von Karnevals-Verboten und feucht-fröhlich umherziehenden Banden. Eulenspiegel und Hanswurst wurden zum Symbol des Aufstands und viele der lärmend feiernden RebellInnen standen später auf den Barrikaden gegen den preussischen König Wilhelm. Die Subversion reimte 1844:

"Sprengt des Kellers Klosterriegel / Stürtzt die stolzen Kirchturmsflaschen / Löst der Korke mystisch Siegel / Freiheit schafft dem Geist, dem raschen."

Geordneter Karneval gegen den Sittenverfall

Nach "schlimmen Auswüchsen des Strassenkarnevals" in den 1850er Jahren wurde von den reaktionären Kräften das Dreigestirn (Bauer, Jungfrau und Prinz) eingeführt, um die blasphemischen Figuren des maskierten Geisterzuges, die höllischen Teufel und dionysischen Narren aus den Strassen zu verbannen. Statt halbbekleideter Hexen, umherziehenden Bettelhorden und saufender Handwerksburschen gab es unter den Preussen nun "Ein Hoch auf den Kaiser", nächtliche Fackelzüge und ein Organisationsverbot für Frauen.

Doch an "Weiberfastnacht" gab es meist kein Halten und die öffentliche Ordnung brach zusammen, wenn Marktfrauen und ArbeiterInnen sich mit Gemüse bewarfen und sich bis zum Umfallen singend betranken. Anfang des 20. Jahrhunderts wurde durch das Festkommittee versucht die kleinen Karnevalsgesellschaften vor allem der Armenviertel zu diskriminieren. 1902 wurde sogar das Werfen von Luftschlangen und Konfetti verboten. Karnevals-Funktionäre und Stadtverwaltung liessen 1911 die Schulen schliessen, damit die Kinder nicht auf dem Schulweg dem verderblichen Einfluss des Karnevals ausgesetzt würden. Das Fest sollte gesäubert werden von StrassenmusikerInnen, Obdachlosen, BettlerInnen, JüdInnen und Homosexuellen.

Kölscher Klüngel

Die Vermarktung des Karnevals setzte 1905 ein,als Büttenredner für ihre Spässe bezahlt wurden. Heute ist der rheinische Karneval eine Brutstätte des Klüngels, der schunkelnden Leitkultur und der chauvinistischen Bestechlichkeit. Wenn der offizielle Geisterzug nun aus finanziellen und personellen Gründen erst abgesagt werden musste, um nun auf Drängen der ängstlichen Staatsmacht die "wilden" Geisterzüge zu verhindern, dann sollten sich alle an das Motto erinnern, die der Verein "Ähzebär und Co" im Jahr 1993 selbst ausgerufen hatte:

"Noch ist nichts am Ende. Bloss um mit Herzensmenschen zu feiern und den Zug mit uns zu machen, weil die Stadt von uns ein Heidengeld [sic] haben will. Bloss weil wir die absetzen wollen! Ihr könnt uns glauben, wenn das so weitergeht mit der ganzen Bürokratie und mit dem, wovon die denken, dass sie uns kaputtmachen können, dann machen wir es demnächst so, wie es eigentlich sein sollte:

Aus einem machen wir hundert Züge"!

(Zitat übersetzt aus dem Kölschen - Literatur: Geisterzug '93 - ...m'em Düvel op Jöck! Die unendliche Geschichte von Klüngel und Rebellion. Eigenverlag, Köln 1993)
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Ergänzungen

Angst vor "wilden" Geisterzügen

:-) 14.02.2006 - 19:48
Jaja, die saubere und cleane Konsumstadt Köln. Wenn man hier vor was Angst hat, dann sind das Ordnungswidrigkeiten wie unangemeldete Demos während des Karnevals (wo sie eigentlich kaum auffallen), Aufkleber an Straßenlaternen, bei Rot über eine unbefahrene Straße gehen oder schwarzfahren. Schon echt verrückt. Lasst euch nicht klein kriegen von den dumpfdeutschen Bürokraten und Saubermännern!

Ehrenfelder Geisterzug

hurosiba 15.02.2006 - 01:00
der Ehrenfelder Geisterzug startet am Sa., 25.2., um 19 Uhr am Neptunplatz (U 3/4: Körnerstr.)

Geisterzug.de - Forum gesperrt

Kölner 15.02.2006 - 13:35
Und um der ganzen Sache noch eines draufzusetzen, hat der "Ähzebär e.V." jetzt auch noch den Zugang zu seinem Forum gesperrt - bestimmt auch auf Bitten von Polizei/Ordnungsamt. Dieses Forum war bisher die öffentliche Plattform zum Ausdiskutieren neuer Geisterzüge....
Dennoch:
Du bist Deutschland - grusel dich doch einfach mal vor dir selbst!
Karnevalssamstag
19.00
Neptunplatz / Ehrenfeld

Flyer unter  http://SSK-BLEIBT.de

mir sinn alles kölsche

kennsenich ihrefeld 15.02.2006 - 23:18
Kinders
laasst üch nit verdröcke
lossemer ens jet de strosse karneval uffleve
dat wo imma schon dat wat denne net jefalle hät.
Äver dat es et - dat is dat
Luurt ens in de piusstross nach minge ahle lieher
berlet - . vileich wuhnt de noch in der rochusstross
de mät dat mit. de jäck
unn verjesst net die ihrefelder negerköpp
un die andren unregestrierten Vereine
do kütt wat zosamme

vür üch kütt datt beste uss kreuzberch
- mir sinn alles kölsche junge - wer jett will der soll ruich kumme ......

Neues unabhängiges Geisterzug-Forum

Horst 16.02.2006 - 09:09
Nachdem der Geisterzug-Veranstalter das Forum auf der offiziellen Geisterzug-Website gesperrt hat, gibt es unter

www.koelner-geisterzug.de

seit gestern ein neues und unabhängiges Geisterzug-Forum.

In den nächsten Tagen sollen hier auch Materialien zu einer kritischen Bestandsaufnahme, die Entwicklung des Geisterzuges betreffend, veröffentlicht werden.

Do steht ene Schutzmann ...

Karin Schimanski 17.02.2006 - 14:58
Das versteht der Ätzbär unter politischem Engagement: Als Hilfs-Schupo macht er sich zum Büttel von Stadt und Polizei auf ihrem Feldzug gegen "wilde Züge" in Köln.
(siehe www.geisterzug.de)

Aber: Wir ziehen trotzdem durch Ehrenfeld!

Am Karnevalssamstag, den 25.2.2006, treffen wir uns um 19.00 Uhr auf dem Neptunplatz.
Das Motto ist nach wie vor: "Du bist Deutschland"

Wir freuen uns auf Eure phantastischen Kostüme, prachtvollen Wagen, spritzigen Transparente, mitreißende Musik und was Euch sonst noch so einfällt.

Um 19.30 Uhr soll der Zug sich Richtung Lenauplatz in Bewegung setzen.

Egal was passiert: Locker bleiben, schunkeln, singen.

Euer Ehrenfelder "Du bist Deutschland"-Festkomitee

Zwei Geisterzüge?

Freigeist 17.02.2006 - 17:23
Da es jetzt laut www.geisterzug.de wohl doch einen offiziellen Geisterzug geben soll, wäre es gut zu wissen, ob die Ehrenfelder Orgas ihren Zug trotzdem unverändert durchziehen wollen oder ob man nicht einfach dem offiziellen Zug mal Hallo sagt und darauf hinweist, dass sie mit dem falschen Motto unterwegs sind? ;)

Eine kurze Stellungnahme aus Ehrenfeld wäre toll, einfach um zu wissen, wo ich nächste Woche hinfahre ...

Qual der Wahl - oder auch nicht ....

Fred 17.02.2006 - 19:33
Aktuelle Meldungen, die Sie in den übl(ich)en Medien eher nicht finden
NRhZ-Online - Neue Rheinische Zeitung

Geister haben die Qual der Wahl
Köln 17.02. (nrhz) Am Karnevalssamstag, den 25.02.06 haben kritische Geister die Qual der Wahl. In Ehrenfeld soll der „wahre“ Geisterzug unter dem Motto „Du bist Deutschland“ (nrhz berichtete) durch die Straßen ziehen. (www.koelner-geisterzug.de oder  http://www.SSK-BLEIBT.de) In der Innenstadt soll nahezu zeitgleich der „echte“ Geisterzug stattfinden. (www.geisterzug.de) Die Veranstalter des Innenstadtzuges unter dem Motto „Us dr Lamäng. Jeister am Engk?“, Ähzebär un Ko, die bereits in den Vorjahren für den mittlerweile traditionellen Umzug verantwortlich zeichneten, hatten den Zug eigentlich schon abgesagt, weil es an Finanzmitteln und aktivem Engagement fehlte. Das ließ umtriebigen Geistern keine Ruhe und schon bald spukte der Aufruf zum „wahren“ Geisterzug in Ehrenfeld durchs Internet – anarchisch und wild. Für die städtischen Ordnungsbehörden nicht einzuschätzen und deshalb Grund genug mit den erprobten Geisterzug-Organisatoren Kontakt aufzunehmen und die sowohl hohen als auch teuren Sicherheitssauflagen zu senken. Offenbar mit dem Hintergedanken, dass ein halbwegs organisierter Umzug allemal weniger subversiv ist, als ein schauriges Deutschland-Spiegelbild in Ehrenfeld. Jetzt wird in den Geisterzugforen ein heftiger Disput ausgetragen, ob „Ähzebär un Ko“ sich vor den Ordnungskarren haben spannen lassen und natürlich wird die Frage gewälzt, bei welchem Geisterzug, dem Echten oder dem Wahren, der Obrigkeit das Fürchten - im karnevalistischem Sinne - gelehrt wird.  http://de.indymedia.org//2006/02/138894.shtml

Einladung zum offiziellen Geisterzug

Dr Ähzebär 20.02.2006 - 14:10
Liebe Geister,
wir haben doch noch einen Minimalweg angemeldet, um für Eure Verkehrssicherheit zu sorgen.
Wenn sich Geister auf unangemeldeten Wege machen, besteht die Gefahr, dass es dort zu Unfällen, Rangeleien mit der Polizei oder sonstigen Schäden kommt. Dafür können wir keine Verantwortung übernehmen.

Wir hoffen und möchten hiermit dazu auffordern, dass möglichst alle Geisterzugfans zu unserem Zug vom Roncalliplatz durch die Altstadt zum Zeitungsbrunnen kommen.
s.a. unseren Plan  http://www.geisterzug.de/images/zugweg-2006.pdf.

Wenn davon gesprochen wird, dass unser Geisterzug durch die Dochnochanmeldung und das "selbstbespiegelnde" Motto die letzte politische Kraft verlieren würde, und dass die politsch motivierten Geister besser zum Du-bist-Deutschland-Zug gehen sollten, können wir dem nur entgegenhalten: gerade wenn es Euch stört, dass der Geisterzug unpolitisch wird, müsst Ihr politisch interessierten Geister bei uns mitmachen, anders gibt es keine Verbesserung. Übrigens dürfte es bei uns auch ein größeres Publikum geben, dass Eure tollen Kostüme und Transparente bewundern kann.
Jecke Jrüße
Dr Ähzebär

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