Militanter Widerstand an der Uni Bielefeld

Die Waldfee 13.02.2006 03:41 Themen: Bildung Soziale Kämpfe
Rektoratsbesetzung dauert an - Geteilte Gemüter
Direct Action - Kreative Protestformen
Zielgerichtete Militanz - Es ist ernst!

Seit nunmehr fast zwei Wochen toben die Proteste gegen die Einführung allgemeiner Studiengebühren an der Universität Bielefeld, Zeit für eine kleine Zwischenbilanz...
Am 1.2. hat sich der Senat der Uni Bielefeld dafür ausgesprochen, so bald wie möglich allgemeine Studiengebühren einzuführen. Bereits unmittelbar nach dieser Entscheidung flogen ein Ei und andere Wurfgeschosse in Richtung der entscheidenden ProfessorInnen, Rektor Timmermann wurde symbolisch direkt angegriffen, mehr als 200 Studierende besetzten das Rektorat.

In den folgenden Tagen wurde an allen Ecken der Uni darüber debattiert, wie die Einführung der Studiengebühren noch zu verhindern ist. Die unterschiedlichen Ansätze, sowohl Aktionsformen wie auch inhaltliche Stoßrichtungen betreffend, näherten sich einander an. Insbesondere das besetzte Rektorat bot einen Rahmen für Austausch, Ideen und Planungen.

Seither kommt es täglich zu kreativen direkten Aktionen, die von kleinen und größeren Gruppen getragen werden: Vorlesungen und Seminare werden besucht und gestört, Leute spielen verstecktes Theater, Transparente zieren die Uni-Halle und den Eingangsbereich. Gleichzeitig entwickelte sich eine zaghafte Militanz - inzwischen haben sich Sprühaktionen und das Verkleben von Türschlössern zu einem kleinen, feinen Volxsport an der Uni entwickelt.

Auch die inhaltliche Qualität des Protests nahm stetig zu. Nachdem zunächst lediglich die Themen Studiengebühren und Hochschuldemokratie isoliert in den Mittelpunkt gestellt wurden, gelang es politisch aktiven Menschen zunehmend die Zusammenhänge zu Sozialabbau, Rassismus, Sozialdarwinismus, Neoliberalismus und Patriarchat erkennbar zu machen. Beispielsweise veröffentlichten AntifaschistInnen die Gesichter der professoralen Senatsmitglieder mit der Aussage "Ich votiere pro Studiengebühren, weil die Hochschule von starken, gesunden, reichen, deutschen Männern besucht werden soll - damit wir zur Elite-Uni werden", der erste größere Skandal.

Mit der zunehmenden Qualität des Protestes wurde nun aber auch der Ton in den Medien schärfer. Als schließlich das altbekannte Spaltungsmuster an die Gruppe der RektoratsbesetzerInnen herangetragen wurde, sprang die Mehrheit (vom Konsensprinzip war sich hier bereits zuvor verabschiedet worden) des BesetzerInnen-Plenums blindwütig auf die Gut-und-Böse-Dampflok auf (vgl.  http://besetzung.kollima.de/index.php?id=46 ). Manche AktivistInnen und Gruppen meiden die zwischenzeitlich auf ein paar Dutzend Unentwegte geschrumpfte Besetzung seither.

Der Kontinuität des Protests tut das keinen Abbruch, inzwischen liegt eine durchaus konstruktive Arbeitsteilung vor. Während sich die BesetzerInnen weiterhin um die unmittelbar hochschulbezogenen Belange kümmern und dazu eine Presse- und Solidaritätsarbeit aufrecht erhalten, intensivieren andere ihre direkten Aktionen. Die Frequenz der Seminarbesuche und Sprühaktionen hat sich nochmals erhöht. Die antifaschistische Plakataktion ging in eine Neuauflage.

Und nunmehr ist auch eine erste größere militante Aktion mitsamt BekennerInnen-Flyer zu verzeichnen. Die Büros des Rektors und eines weiteren professoralen Senatsmitglied wurden am Wochenende mit Buttersäure und Farbe attackiert. In den an der Uni verbreiteten Flyern wird die neoliberale Gesellschaftsentwicklung nachgezeichnet, in die sich Studiengebühren nahtlos einfügen. Zitiert wird der bekannte Antifa-Track "Das ist sowas wie eine letzte Warnung".

Der breite und in Teilen entschlossene Widerstand an der Uni Bielefeld zeigt seine Wirkung. Es ist bereits jetzt festzustellen, dass ProfessorInnen, die für die geplanten Studiengebühren direkt verantwortlich sind, allen voran Rektor Timmermann, ihre Seminare und Vorlesungen absagen, um Protesten aus dem Weg zu gehen. Ein für heute geplanter Besuch des NRW-Wissenschaftsministers Pinkwart wurde laut Medienberichten "auf Grund der Protestsituation" abgesagt!!

Und natürlich: Das Rektorat ist weiterhin besetzt.
Und: Die Studierenden diskutieren weiter über Militanz und Kreativität...

Weitere Informationen:
 http://besetzung.kollima.de/
 http://www.asta-bielefeld.de/
 http://www.uni-bielefeld.de/ (vielleicht, demnäxt;)
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Ergänzungen

Veröffentlichung wo?

Student 13.02.2006 - 12:43
"Beispielsweise veröffentlichten AntifaschistInnen die Gesichter der professoralen Senatsmitglieder"

Gibt es irgendwo noch weitere Informationen über die Veröffentlichung, bzw. gibt es eine Internetseite als Quelle dazu?

Buttersäureanschlag auf Besetzer?!

reformist 13.02.2006 - 13:04
Habe ich das richtig verstanden, es gab einen Buttersäureanschlag auf das besetzte Rektorat? Wäre ja eine dumme Sache.

inhaltliche ergänzung

studentIn 13.02.2006 - 13:51
@reformist: die buttersäure ist wohl auf timmermann's dozentenbüro in der pädagogischen fakultät geflogen, nicht ins besetzte rektorat.
@student: die genannten veröffentlichungen waren aushänge in der uni, insbesondere auf den fakultätsfluren der jeweiligen profInnen.
@alle: der bekennerInnen-flyer als jpg

Große Wirkung

Pädra 13.02.2006 - 14:14
Ich bin heute morgen über S6 gekommen. Es hat bestialisch gestunken, und um Timmis Büro standen zwei Polizisten und eine Menge anderer Leute, die scheinbar nach Spuren gesucht haben. Die sahen alle nicht sehr glücklich aus. Weiter so! Stop Studiengebühren!

bielefeld rockt

militanter 13.02.2006 - 15:31
klasse aktion, klasse erklärung. gut wäre vielleicht noch gewesen, auf die soziale selektion im bildungssystem hinzuweisen, die bereits viel früher beginnt und im kapitalistischen nationalstaat systemimmanent ist. siehe auch  http://www.fzs-online.org/cat/23/de/
vielleicht als anregung für spätere aktionen, auch in anderen städten. aufstehen und kämpfen, nicht nur an den unis

Direkte Aktion oder Direct Action?

(muss ausgefüllt werden) 13.02.2006 - 15:33
Ich glaube, es hier ist eher "Direct Action" gemeint als "direkte Aktion:

"Direct Action" ist eine Form kreativen Widerstandes, die wir als Teil gesellschaftlicher Intervention gegen Herrschaft und Verwertung sowie als Eröffnung von Diskussionen um visionäre, emanzipatorische Gesellschaftsformen verstehen. Sie versteht sich als gleichberechtigter Teil zu anderen kreativ-emanzipatorischen Handungsstrategien wie Gegenöffentlichkeit, Freiräume und Aneignung, versucht aber, Erstarrungen in den Aktionsformen und -strategien zu überwinden, z.B. die Wirkungslosigkeit vieler vereinheitlichender Aktionsformen (Latschdemo, Lichterkette ...) oder das Gegeneinander aufgrund verschiedener Aktions- und Ausdrucksformen.
"Direkte Aktion" ist mehr als nur mal hier eine Blockade oder da ein Steinwurf. Sie ist eine Methode, ein Aktionskonzept und eine Idee für eine Politikform, die nicht mehr nur Einzelnes angreift – aber auch mehr will als schwächliche Miniveränderungen innerhalb von umweltzerstörenden und menschenverachtenden Verwertungs- und Herrschaftsstrukturen. Direkte Aktion will die Köpfe erreichen. Und den Kopf benutzen. Das erste Ziel einer direkten Aktion ist die Schaffung eines "Erregungskorridors" in der Gesellschaft: Aufmerksamkeit, Irritation, Freude oder Wut sind alles solche Formen. Wie das erreicht werden kann, ist vielfältig: Kommunikationsguerilla, verdecktes Theater, Blockade von Castor-Zügen, Sabotage, Internet-Hacken usw. Wo die Erregung entsteht, ist dann Platz für politische Positionen und Visionen - aber auch deren Vermittlung will durchdacht sein. Ideen für kreative Vermittlungsformen sind nötig. Direkte Aktion ist alles drei: Die kreative, direkte Aktion, der entstehende Erregungskorridor und die politischen Positionen/Visionen. Im Workshop soll über direkte Aktionen geredet und an konkreten Beispielen gezeigt werden, wie Langeweile und Wirkungslosigkeit politischer Arbeit überwunden werden kann.

Quelle:  http://www.projektwerkstatt.de

Den Protest in die Innenstädte tragen!

antifa 13.02.2006 - 15:39
Wenn ihr etwas erreichen wollt, dann müsst ihr auf die Bevölkerung zugehen und die Menschen auf euer Problem aufmerksam machen. Noch besser wäre es, mit anderen sozialen Bewegungen zusammenzuarbeiten, mit den Arbeitslosen, den Rentner und den streikenden Arbeitern, um gemeinsam gegen diese Politik vorzugehen.

Exotische Schriftart im Bekennerschreiben

reformist 13.02.2006 - 15:44
Interessant fand ich die Schriftart von diesem Bekennerschreiben, das ist nicht Courier, sondern anscheinend irgendwas besonderes. Die Kommas sind besonders auffällig. Da werden jetzt wohl Polizeisachverständige drüber grübeln, damit dann nach eventuellen Hausdurchsuchungen auf den beschlagnahmten Rechnern nach dieser Schrift gesucht werden kann. Nächstes Mal vielleicht besser eine Windows-Standard-Schrift nehmen, sowas wie Arial oder Times New Roman...

Google-News-Suche "Studiengebühren"

House Music 13.02.2006 - 16:06
gerade mal kurz geguckt:

Laut Laut.de solidarisiert sich eine Band aus Leeds mit dem Protest gegen Studiengebühren:

 http://www.laut.de/vorlaut/news/2006/02/13/01388/

Die Diskussionen um Studiengebühren finden auch sonst kein Ende:

 http://morgenpost.berlin1.de/content/2006/02/13/politik/810329.html

 http://www.saar-echo.de/de/art.php?a=30679

 http://www.welt.de/data/2006/02/10/843570.html

Interview mit Bielefelder Besetzern:

 http://www.rbi-aktuell.de/cms/front_content.php?client=1〈=1&idcat=5&idart=3720

Auch Senioren müssen zahlen:

 http://www.handelsblatt.com/pshb/fn/relhbi/sfn/buildhbi/cn/GoArt!204867,204886,1025508/SH/0/depot/0/


Frage

Frager 13.02.2006 - 17:07
Eure Kritikpunkte sind mir alle bekannt und ich teile sie.
Jedoch ist mir nicht ganz klar, inwiefern Studiergebuehren Maenner gegenueber Frauen bevorteilen. Bitte erklaeren!
Ansonsten, super Aktionen, bei euch lief der "Summer of Resistance" weiter...Solidarische Gruesse

Zum Thema

Ge-Walter 14.02.2006 - 13:49

Mehrheitsmeinungen - hier und dort?

PhiSigmaKappa 14.02.2006 - 15:16
In einer solchen Debatte wäre es wünschenswert, wenn obiger Artikel Argumente beider Seiten listete.
Es scheint nicht als wäre der Beschluß aus Selektionsgründen gefällt worden. Es gibt sicherlich - auch von der Uni-Leitung veröffentlichte - Begründungen und Motivationen für die getroffene Entscheidung. Im Sinne einer _unabhängigen_ Berichterstattung wäre eine Darstellung der Argumente dieser Seite wünschenswert.
Eine Gegenüberstellung der Argumente und Punkte jeder Seite wäre ebenfalls interessant. Ich hoffe, die Bielefelder StudentInnen können die Diskussion auf diese Weise ein wenig präzisieren. Eine Definition der Zielrichtung universitären Lebens wäre darüberhinaus auch wünschenswert um die Kategorien der Diskussion eingrenzen zu können.
Leider kann ich mich des Eindrucks nicht erwehren, dass in der Moderation dieses Mediums eine Art Zensur genehmer Meinungen schon durch die Präsentation vorgenommen wird. Unliebsame Gegenpunkte wie die von "akad" oder "phi" werden als "keine Ergänzung" eingestuft und eingegraut am Ende der Seite präsentiert, zustimmende Postings hingegen als "Ergänzung" lesbarer tituliert.
Ich wünschte, es geschähe ein konstruktiverer Umgang mit konträren Meinungen und ihren Argumenten. Dies vermisse ich auch in der Berichterstattung über einen Buttersäure-Anschlag, der - soweit mir bekannt - von Rektoratsseite noch nicht auf Studenten-Wohnheime stattgefunden hat.

Antwort@Frager

Besetzer 14.02.2006 - 17:29
Frauen haben im Vergleich zu Männern immer noch ein viel geringeres Durchschnittseinkommen... Bei der Rückzahlung von Studiengebühren (man beachte die vorraussichtlich min. 5,9% Zinsen darauf!!) würde das z.B. bedeuten: Wenn ein Mann bis zu seinem 30 Lebensjahr zurückzahlt kann es sein, dass eine Frau bis zu ihrem 45. Lebensjahr zurückzahlt.....
Generell: Je länger man brauch um zurückzuzahlen, desto mehr zahlt man!
==========================================================================
Nocheinmal der Aufruf: Kommt uns besuchen!

Mit revolutionären Grüßen,
Eure BEsetzerInnen!

presse

- 15.02.2006 - 07:33
taz nrw 14.2.2006

Pinkwart-Besuch fällt aus

Bielefeld ? Aufgrund der Studentenproteste an der Universität Bielefeld wurde eine für gestern geplante Info-Veranstaltung zum Wissens- und Technologietransfer mit Innovationsminister Andreas Pinkwart (FDP) abgesagt. Seit fast zwei Wochen halten Studierende das Rektorat besetzt. Eine konstruktives Gespräch zwischen Uni-Leitung und Besetzern kam bisher nicht zustande, ein neuerlicher Gesprächsversuch war für den gestrigen Nachmittag geplant. Derweil häufen sich Einzelaktionen. Zum Beispiel wurden auf Plakaten Senatsmitglieder, die sich für Studiengebühren ausgesprochen hatten, verunglimpft. Zudem haben Studierende am Wochenende die Büros von Rektor und einem Senatsmitglied mit Farbe und Buttersäure beschmiert. Die Rektoratsbesetzer haben sich umgehend von den Aktionen distanziert.

[Anmerkung: Die Besetzer_innen haben sich keineswegs von der Farb-Aktion distanziert. Der taz-Artikel dürfte von üblichen verdächtigen Grünen Studifunktionären lanciert sein, denen ihre Form des Protests wohl etwas außer Kontrolle gerät...]

Beiträge die keine inhaltliche Ergänzung darstellen

Zeige die folgenden 12 Kommentare an

Begriffsdefinition: Direkte Aktion — anarchosyndikalist

@anarchosyndikalist — E.G.A.L.

@reformist — E.G.A.L.

IHNEN — SIE

@akad und phi — Peter Lustig

pfffffff — tzzzz

Ähhm — Verwirrt