Alacant: Unmenschlicher Prozess

por donde sal razon 12.02.2006 20:58 Themen: Repression Soziale Kämpfe Weltweit
Mit der Verhandlung wegen eines Gefangenenaufstandes
Vor 15 Jahren demonstriert der Staat Spanien, dass er nicht
gewillt ist, Rebellion "zu verzeihen". Der Artikel nimmt bezug
auf die Unmenschlichkeit des Spektakels gegenüber
ehemaligen FIES-Häftlingen
Im November 1990 kam es im Gefängnis Focalent ( Alacant/Alicante ) zu einem Aufstand, der 55 Stunden dauerte. Zu diesem Zeitpunkt befanden sich dort mehrere Gefangene, die als hochgefährlich eingestuft waren. Die Haftumstände, unter welchen sie litten, zusammen mit den permanenten Misshandlungen und Verletzungen der fundamentalsten Rechte, hatten zu einer Phase geführt, in der Gefangenenaufstände in den spanischen Gefängnissen an der Tagesordnung waren. Ein Jahr nach dem Aufstand in Focalent, versandte der damalige Direktor des Strafvollzugswesens, Antonio Asunción, ein Rundschreiben an sämtliche Haftanstalten, das sie zur Einführung eines Spezialregimes ( Sondervollzugs ) gegen aufständische Gefangenen ermächtigte. Die sogenannte FIES, Interne Sonderbeobachtung und Registrierung - Fichero Interno de Especial Seguimiento. Diese Sonderbeobachtung führte zur Einrichtung von Bunkern innerhalb der Gefängnisse, in welchen die Gefangenen in totaler Isolation gehalten wurden, zur Verletzung ihrer Persönlichkeitsrechte und zur völigen Kontaktsperre, sowohl untereinander, als mit der Aussenwelt.

Im Oktober 2002 begann die Verhandlung wegen der Vorfälle während des Aufstandes in Focalent, in deren Folge 12 Personen zu insgesamt mehr als 763 Jahren Haft verurteilt wurden. Im Juni desselben Jahres wurde dieses Urteil seitens des Obersten Gerichtshofes für ungültig erklärt: Während einer der Verhandlungen in Form einer "Videokonferenz" waren die Rechte der Angeklagten, die dabei in einem Raum eingesperrt, mit auf dem Rücken gefesselten Händen auf einer Eisenbank sassen, verletzt worden.

Seit dem 30.Januar 2006 vollzieht sich in den Gerichtssälen in Alacant nun dasselbe Spektakel wie vor vier Jahren. Die Methode der Videokonferenz ist zwar aufgehoben, aber der Prozess der zur Schau gestellt wird, gleicht mehr einem "Römischen Theater", als der Repräsentanz von Gerechtigkeit im XXI.Jahrhundert. Der Ton des Richters, erscheint wie ein "Rat" an die Angeklagten keine Erklärungen abzugeben; auf die Fragen des Staatsanwaltes antworten die Gefangenen mit Gegenfragen; dann sind da Anwälte, die sich bei ihren Untersuchungen im Datum irren oder die sich nicht darüber im Klaren sind, wer denn nun was getan hat. Das Alles, zusammen mit der "Einnahme" des Gerichtssaals von der Nationalpolizei, erweckt bei den Leuten das Gefühl, sich in einer spektakulären Zirkusvorstellung zu befinden.

12 Personen werden verhandelt, für Taten, die sie vor 15 Jahren begangen haben. Gegen was für Personen wird da verhandelt? Gegen Personen der Gegenwart oder gegen die, von vor 15 Jahren? Wie verändert sich das Leben der Beschuldigten?
Die Hälfte von ihnen ist in Freiheit und hat nun eine neue Strafe in Aussicht, die ihr jetziges Leben auf den Kopf stellen wird.
Die andere Hälfte, wie z.B. Juan José Garfia, seit 22 Jahren inhaftiert und Manuel Pinteño, 30 Jahre inhaftiert, hat ihr ganzes Leben im Gefängnis zugebracht. Wieder Andere, die vor Gericht erscheinen "müssten", können es nicht weil sie tot sind. Diejenigen Personen, die sich aktuell in Haft befinden, sind mit einer weiteren Strafe konfrontiert, die sich in Lebenslänglich verwandeln wird, wenn sie nicht mit den bereits abgeleisteten verrechnet wird; in eine lebenslange Haft, die, wie nicht vergessen werden darf, in diesem Land untersagt ist.
Ja, Señoras/es, ein grosser "Römischer Zirkus", mit dem Unterschied, dass die "Löwen" nicht so wild sind, wie man uns glauben machen will. Gefährliche Gefangene? Niemand in diesem Gerichtssaal muss Angst haben, vor diesen Personen, die in der Mehrheit physisch und psychisch zerstört sind; vor Personen, welchen der Zwangsaufenthalt im Gefängnis die Spuren der Vernichtung eingraviert hat. Manche von ihnen hängen an legalen und auch nicht so ganz legalen Drogen fest; andere sehen dreissig Jahre älter aus, als sie sind ( einer, der den Eindruck eines Achzigjährigen macht, kann nicht ohne Hilfestellung der Guardia Civil aus oder in den Transporter steigen ). Alle tragen Handfesseln, für deren Lockerung die Gefangenen selbst Beschwerde einlegten. Einer der mutmasslichen Köpfe, Antonio Cortés, war aufrgrund von Medikamentenwirkungen nicht in der Lage, sich zu erklären... Gefährlich? Für wen? Die scharfen Sicherheitsmassnahmen die ergriffen werden, verursachen mehr Terror, als die Gefangenen, gegen die verhandelt wird. Sind diese Massnahmen gerechtfertigt, wenn wir die Bedingungen, in welchen sich die Gefangenen befinden, berücksichtigen?

Wir täuschen uns nicht. Dieser Prozess ist eine Demonstration von Stärke seitens des Staates. Ein "Wir vergessen euch nicht, dass ihr rebelliert habt und auch wenn 15 Jahre vergangen sind, werdet ihr für alles bezahlen"! Wo ist jenes Resozialisierungspapier der Justiz, wenn diese selbst Rache verübt? Wiedereingliederung? Wo? Wiedereingliederung in eine Gesellschaft, die selbst unfähig ist, ihre eigenen Werte zu repräsentieren?
In diesem Prozess, und in vielen anderen, wird versucht, die Realität in den Gefängnissen und die Auswirkungen auf die Personen, die sie erleiden, zu vertuschen.
Der Fall von Manuel Pinteño, der seit mehr als 28 Jahren eingesperrt ist, ist mindestens würdig, beachtet zu werden. Es drängt sich die Frage auf, welches Ziel diesem Prozess zugrunde liegt. Ein Sieg des Staates über Personen, die im Augenblick hauptsächlich als das behandelt werden wollen, was sie sind: Personen? Wir vergessen nicht, dass sie als Personen galten, ehe sie zu Gefangenen wurden. Und ebensowenig dass dir, wenn du dich einmal in einen Gefangenen "verwandelt" hast, ein einziges Recht bleibt, dass sie dir nicht absprechen können: das der Flucht. Das ist so, seit den Anfängen der Menschheit. Wenn sie dich deiner Freiheit berauben, ist es das Natürlichste, zu fliehen.
Aber wenn wir dabei weiter von Kräften sprechen, dann ja, hat der Staat die Schlacht gewonnen. ( Anmrkg.: In Spanien werden Flucht und Fluchtversuche wie eigenständige Verbrechen behandelt und voll bestraft und zwar mit vielen Jahren Haft ). Es existiert keine Möglichkeit der Reintegration... "Diese Personen müssen bis zu ihrem Lebensende in Haft gehalten werden". Das ist die Demokratie, die bereits schon fast seit ihrer Erfindung, ihre etymologische Bedeutung verloren hat. Das "Volk" hat nichts zu sagen.

MANUEL PINTEÑO
Manuel Pinteño Sánchez wurde in Elda ( Alacant ) geboren. Er ist 48 Jahre alt, hat sechs Söhne, sieben Nichten, noch eine Mutter und Geschwister... definitiv also eine Familie; aber die vielen Jahre im Gefängniss haben zu seiner totalen Entwurzelung geführt. Wegen der einfachen Verhältnisse, besassen seine Angehörigen nie das Geld, um ihm einen Anwalt zu bezahlen und so hatte Manuel immer nur Pflichtverteidiger, die ihn nicht eben gut vertraten. Er verbrachte mehr als 28 Jahre im Gefängnis, davon 22 in Totalisolation unter FIES.
Die anfänglichen Verurteilungen waren wegen geringfügiger Eigentumsdelikte und ergaben eine Gesamtstrafe von sechs Jahren. Aber sein rebellischer Charakter, den er im Gefängnis zeigte, seine Kämpfe um die Realisierung von Forderungen, seine dreissig Fluchtversuche ( einige davon mit vorübergehendem Erfolg ) wurde im Lauf der Zeit zu einer Gesamtstrafe von mehr als dreissig Jahren gemäss Gesetz. Dasselbe Gesetz kommt als Vorwand zur Anwendung, wenn eine Strafe aufgrund des Verfalls einer vorhergehenden erneuert werden soll. Unter diesen Umständen sehen wir uns lebenslangen Strafen gegenüber, die verdeckt und illegal, aber bis in den heutigen, spanischen Staat gültig sind.

Manuel ist einer der Aufständischen von Focalent 1990. In diesen Jahren war, unter sozialistischer Regierung, die Situation in den spanischen Gefängnissen extrem. Das Gefängnispersonal agierte in völliger Straflosigkeit und misshandelte die Gefangenen, sowohl psychisch, wie physisch kontinuierlich mit regelmässigen Schlägen. Oft wurden sie viele Tage an die Betten oder Gitter gekettet, ohne Essen gelassen und mussten ihre Notdurft über sich selbst verrichten. All´dies geschah mit der Genehmigung und in Kooperation mit den MedizinerInnen und dem sonstigen Personal, das den Haftinstitutionen als Lohnzahler, völlig ergeben war. Aus diesen Bedingungen heraus kam es zu dem Aufstand und Manuel beschuldigte Antonio Asunción, als damaligen Gefängnisdirektor und Yuste Castillejos ( dessen Nachfolger ) die wahren Verantwortlichen für das Geschehen zu sein.
Im November 2002, zwölf Jahre nach dem Aufstand, wurde jene erste Verhandlung geführt, die dann wegen zahlreicher Unregelmässigkeiten, Verletzung der Rechte der Angeklagten und fehlender Prozessgarantien annulliert wurde. 2006, 15 Jahre nach dem Aufstand ist Manuel mit einer Strafe konfrontiert, die dann einsetzen würde, wenn seine vorherigen enden würden: 2026. Ausserdem werden ihm kathegorisch Hafterleichterungen und Ausgang verweigert.
Manuel ersucht um Verrechnung der ausstehenden Strafe mit den bereits abgeleisteten. Das Gegenteil stünde, unter Billigung aller involvierter Institutionen, im Widerspruch zur spanischen Verfassung, die lebenslange Haft untersagt. Es ist leicht ersichtlich, dass diese Situation für Manuel zu einem sicheren Tod im Gefängnis führt und eine langsame, aber sichere Exekution praktiziert wird, die schlimmer ist, als die angewandte Todesstrafe.
Da Manuel nicht auf dem Weg des Justizsystems in Freiheit gelangen kann, bleibt nur die Möglichkeit eines Straferlasses bzw. einer Begnadigung aufgrund humaner Aspekte nach Artikel 25.2 der spanischen Verfassung, der vorgibt, dass Freiheitsentzug an Reintegration und Resozialisierung orientiert werden muss und nicht fortgesetzt werden darf, wenn die Verhärtung der Strafe eine "unmenschliche Behandlung" bedeutet.
AL MARGEN
www.nodo50.org/almargen/

siehe auch:
Spanien: Gefangenenaufstand -Prozess nach 15 Jahren
 http://de.indymedia.org/2006/02/137887.shtml

Hintergründe zu FIES / Geschichte der Aufstände:
www.escapeintorebellion.info
und
GOOGELN
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Ergänzungen