Aktion gegen Schulnoten in Berlin

Sabine Steldinger 29.01.2006 12:36 Themen: Bildung
Am 27.010.06 fand in der Berliner Innenstadt eine Aktion gegen Bewertungswahn und Schulzwang statt. Die SchülerInnen konnten sich ihre Zeugnissnoten neu erspielen.
“Zeugnisse selber machen! Benotung ist ein Glücksspiel”
Schulkritische Aktion in der Berliner Innenstadt

Inmitten der belebten Kreuzung der Kastanienallee/ Schönhauser Allee wurde am Freitag, den 27. 01. 06 ab 10:45 Uhr den SchülerInnen die Möglichkeit geboten, ihre Zeugnisse selber zu schreiben. Denn es ist der Tag der Halbjahres-Zeugnisausgabe an Berliner Schulen.
Ziel der Aktion ist es, die Zufälligkeit und Willkür der Schulnotengebung bewusst zu machen. Die aufgezwungene Bewertung schafft ein unbehagliches Klima voller Leistungsdruck und einen Anpassungsdruck unter die Maßstäbe des jeweiligen Lehrers.

Bei strahlendem Sonnenschein und knackiger Kälte drehten die Jugendlichen und Kinder fröhlich und bisweilen erstaunt an dem bunten Glücksrad. Das Ergebnis bestimmte dann ihre Note auf dem Zeugnis. Wenn das Resultat ihnen nicht gefiel, konnten sie den “Joker” einsetzen: ein Glücksrad im praktischem Handformat, das nur mit Einsern beschriftet war. Mit den Ziffern wurden zwei Varianten der Zeugnisse der “Karl-Knast-Oberschule” bestückt: eines mit normalen Fächern und eines mit besonderer Fächerauswahl, die in der Schule indirekt trainiert werden und hilfreich sind, um einigermaßen gut durchzukommen: Frustverdrängung, schauspielerisches Talent, Rethorik, Unterordnung, Robotertum etc.
“Das Glücksrad ist mindestens genauso “objektiv” wie die Bewertung deines Wissens durch die LehrerInnen und spart viel Zeit und Frust!” erklärt einer der ShowmasterInnen.
Ausführliches Infomaterial und Aufkleber gab es auf dem großen Tisch gratis dazu. Auf dem Boden war ein großer bunter Kreideschriftzug zu lesen: “Schulnoten abschaffen! Sieg der Neugier und Selbstbestimmung!”
Nicht nur SchülerInnen kamen vorbei, sondern es freute sich auch eine Mutter über das Angebot: “Ich schenke meinem Sohn so ein Zeugnis, der wird sich freuen! Er besucht die 10. Klasse und wir verstehen beide nicht, was dieses sinnlose Gepauke ernsthaft bringen soll.”
“Wieviel Tage hat das Schuljahr?” witzelte ein junger Mensch zu dem Feld “unentschuldigte Demütigungen”(sonst: “unentschuldigte Fehltage”).
Die Aktion wurde von den SchülerInnen größtenteils positiv aufgenommen, aber schon nach einer Stunde beendet, weil zur traditionellen Zeugnisverbrennung vor dem Roten Rathaus umgezogen werden sollte.

Diese Aktion lässt sich zu den Zeugnisausgaben jedes halbe Jahr immer wiederholen. Dafür bietet sich an, dass viele kleine Gruppen dezentral gleichzeitig Aktionen direkt vor unterschiedlichen Schulen oder an Verkehrsknotenpunkten machen.

Mehr Infos zu der Kritik an Schulnoten ist auf folgender Seite zu finden:  http://www.zensuren.org
Weitere Aktionsideen zu Schulkritik und Altersdiskriminierung unter:
 http://www.de.anarchopedia.org. unter Projekte:Schulaktionen
Aktionsidee-wiki:
 http://www.lernkulturwandel.de.vu
Text- und Linksammlung zu Schul- und Erziehungskritik:
 http://www.herrschaftsfrei-lernen.de.vu
 http://www.bildungskritik.de
Creative Commons-Lizenzvertrag Dieser Inhalt ist unter einer
Creative Commons-Lizenz lizenziert.
Indymedia ist eine Veröffentlichungsplattform, auf der jede und jeder selbstverfasste Berichte publizieren kann. Eine Überprüfung der Inhalte und eine redaktionelle Bearbeitung der Beiträge finden nicht statt. Bei Anregungen und Fragen zu diesem Artikel wenden sie sich bitte direkt an die Verfasserin oder den Verfasser.
(Moderationskriterien von Indymedia Deutschland)

Ergänzungen

Weitere Kritik

Seitansanbetung 29.01.2006 - 20:30
Ich bin selber Schüler und kann gut nachvollziehen, was ihr meint. Aber ich störe mich daran, wenn Bildung völlig losgelöst vom Rest des Systems betrachtet wird.
Die Schule hat nicht den Auftrag, Menschen um ihrer Freiheit willen zu bilden, damit sie später vernünftig und möglichst kritisch handeln. Nein, solange es den Kapitalismus gibt, soll die Schule das Material für die kapitalistische Verwertungsmaschinerie liefern. Die Arbeitskraft soll herngezüchtet werden. Das muss man immer im Hinterkopf behalten.
Darum ist auch im Kapitalismus kein libertäres Bildungssystem möglich. Ein System, in dem alles dem Zweck der Profitmaximierung unterworfen ist, hat keine Verwendung für ein Bildungssystem der Freiheit.

Das merke ich auch daran, dass wir SchülerInnen durch die Noten total kategorisiert werden sollen. Wie Material eben. Es zählt nicht das Individuum und seine Fähigkeiten, sondern die Zahl auf dem Papier. Das mag von Schule zu Schule anders sein, es gibt strengere und liberalere Schulen - aber es zählt das System im Großen und Ganzen. Das passt nämlich bestens zu dem Auswahlverfahren bei Bewerbungen. Deswegen sind Noten auch ein Mittel, den Konkurrenzkampf unter den SchülerInnen zu schüren.

Ich kann allen die FAU-Broschüre "Erziehung und Bildung ohne Herrschaft" empfehlen.

Zeugnis

Streber 30.01.2006 - 00:33
So sahen die "erdrehten" Zeugnisse aus. Hier bei einem recht glücklichen Kandidaten.

Ausführlichere Dokumentation

felipe 30.01.2006 - 15:38
Eine ausführliche Dokumentation der Aktion gibt es auf:
 http://wiki.offeneuni.tk/wiki/Zeugniskritik-Aktion#

inkl. einem weiteren Zeugnis mit Fächern wie Heuchelei, Belastbarkeit, Petzen und Spicken...

Schule im Kapitalismus

Sabine 30.01.2006 - 19:49
Die Frage, ob oder inwieweit selbstbestimmtes Sich-bilden im Kapitalismus integriert werden kann, finde ich sehr spannend. Angesichts der Existenz von Schulen, die als Freiräume ihren BesucherInnen größtmögliche Selbst- und Mitbestimmung bieten (www.sudbury.de; diese sind in Deutschland nicht legal), drängt sich rasch die Annahme auf, dass auch dies bis zu einem gewissen Punkt (wo die Frage nach "Massentauglichkeit" auftaucht) scheinbar sehr gut integrierbar ist. Dies entschärft in meinen Augen allerdings nicht zwangsläufig das emanzipatorische Potential, das in der Praxis des selbstbestimmten Lernens schlummert.

Einiges Textmaterial dazu findet sich auf den schon oben genannten Websites:
www.bildungskritik.de
www.herrschaftsfrei-lernen.de.vu

Beiträge die keine inhaltliche Ergänzung darstellen

Zeige den folgenden Kommentar an

au weiah — egal