Veranstaltungsbericht: "Fremdarbeit in Oberbayern"

AS 25.01.2006 22:05 Themen: Antifa Antirassismus
"Fremdarbeit in Oberbayern. Studien zur Geschichte der Zwangsarbeit am Beispiel Rosenheim und Kolbermoor 1939 bis 1945" unter diesem Titel veröffentlichte die Historikerin V. Diem ein Buch. Am vergangenen Dienstag war Sie auf einer Veranstalltung der GEW zu diesem Thema.
Die Debatte über die Entschädigungszahlungen an ehemalige ZwangsarbeiterInnen , die über Jahre hinweg unter erniedrigenden Bedingungen für deutsche Firmen arbeiteten, hat dazu geführt, dass sich viele Historiker in regionalen Studien damit beschäftigen, was sich vor 60 Jahren an Ort und Stelle abspielte.

So konnte der Kreisvorsitzende der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft Andreas Salomon die Münchner Historikerin Veronika Diem in Rosenheim begrüßen, die kürzlich ihre Magisterarbeit vorlegte, in der sie die Zwangsarbeit in Rosenheim und Kolbermoor näher untersuchte.

Die Arbeit gestaltete sich für die Historikerin nicht einfach. Von 20 angeschriebenen Firmen aus Rosenheim und Kolbermoor habe sich nur eine einzige bereit erklärt, "Zugang zu den firmeneigenen Unterlagen" zu gestalten. Keinen Zugang gewährte auch die Firma Kathrein, die bis heute jede Form der Entschädigung an die wenigen noch lebenden Zwangsarbeiter verweigert.

Diem hat für ihre Arbeit mehr als 20 Zeitzeugen, vor allem aus Osteuropa angeschrieben und einige davon zu einem Interview besucht.. Gerade durch die Beschreibungen der Opfer wird deutlich, wie grausam und hart das Alltagsleben der meist verschleppten Zwangsarbeiterinnen gewesen war. In einem der größten Zwangsarbeitslager im Raum Rosenheim, der Mangfallbaracke in Kolbermoor, die von der Gasmaskenfabrik Roekl (heute: Handschuh Roeckl) geleitet wurde, war Pauline G. untergebracht. Sie erzählt von den Bedingungen der Arbeiterinnen und ihrer Kleinkinder: "Die hatten ein kleines Zimmer mit Stroh. Die Mütter mussten arbeiten, viele Kinder sind gestorben. Die Deutschen haben die jungen Frauen, als sie auf der Suche nach Brot waren, weil sie nichts zu essen hatten, geschnappt." Allein in Kolbermoor waren über 1000 ZwangsarbeiterInnen eingesetzt.

Am Beispiel der Gemeinschaftswerkstätten der Rosenheimer Schuhmacher zeigt Diem, dass das Handwerk ebenfalls keine Scheu zeigte, sich die ZwangsarbeiterInnen dienstbar zu halten: Fast 20 Ukrainer und Franzosen, untergebracht in der Turnhalle in der Kaiserstraße und im Lager Schießstätte, mussten für die Deutschen Schuhe reparieren.

Aber auch die Städte und Gemeinden profitierten von Zwangsarbeitern. Die Gemeinde Kolbermoor hatte 60 und die Stadt Rosenheim fast 500 eingesetzt.

Eine 72-Stunden-Woche war bei den industriellen Zwangsarbeitern nicht selten und das bei kärglicher Ernährung, unzureichender Kleidung und primitivster Unterbringung mit Strohlagern in Baracken.

Die Passagen, die Veronika Diem aus ihrer Magisterarbeit vorlas, bestachen nicht nur dadurch, dass sie an den wichtigsten Stellen Zeitzeugen zu Wort kommen lässt. Sie versteht es auch, die jeweiligen wirtschaftlichen, sozialen und militärpolitischen bedingten Hintergründe für den Einsatz von ZwangsarbeiterInnen so darzustellen, dass der historisch nicht vorgebildete Leser über diesen Aspekt des Nationalsozialismus etwas lernen kann.

Veronika Diem gelang es, die Besucher im vollbesetzten Raum der "Historischen Weinlände" in ihren Bann zu schlagen, woraus sich eine lebhafte Diskussion entwickelte. GEW-Kreisvorsitzender Andreas Salomon bedankte sich bei der Historikerin mit einem Geschenk für den interessanten Abend und wünschte ihr bei der ihrer momentanen Arbeit an ihrer Doktorarbeit viel Erfolg.

Diems Buch wurde von der Geschichtswerkstatt Kolbermoor verlegt und trägt den Titel "Fremdarbeit in Oberbayern. Studien zur Geschichte der Zwangsarbeit am Beispiel Rosenheim und Kolbermoor 1939 bis 1945". Es ist in Rosenheimer Buchhandlungen zum Preis von 14.90 Euro erhältlich.

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Zur Dokumentation, eine Rezesion des Buches von Prof. Dr. Klaus Weber, aus den Rosenheimer DENKmal ( http://www.infogruppe-rosenheim.kommunikationssystem.de/denkmal/denkmal_oktober_2005.pdf)
Zwangsarbeit in Rosenheim und Kolbermoor

Die Debatte über die Entschädigungszahlungen an ehemalige ZwangsarbeiterInnen, die über Jahre hinweg unter erniedrigenden Bedingungen für deutsche Firmen arbeiteten, hat dazu geführt, dass sich Historiker in regionalen Studien damit beschäftigen, was sich vor mehr als 60 Jahren an Ort und Stelle abspielte. Veronika Diem, Historikerin aus München, hat sich auf die Region Rosenheim – mit Schwerpunkt auf der Industriestadt Kolbermoor – konzentriert, um Licht ins Dunkel der damaligen Verhältnisse zu bringen. Zwei Ergebnisse ihrer Arbeit zeigen, dass die Rede von einer ausgiebigen Beschäftigung der Deutschen mit der NS-Zeit – gerade, wo es um das Alltagsleben der Menschen geht – mitnichten stimmt: So ist die Tatsache, dass es über 60 Jahre dauerte, bis sich jemand an dieses Thema „herantraute“, ebenso ein Beleg für die Verdrängungsleistung der Deutschen wie die nüchterne Feststellung der Autorin, von 20 angeschriebenen Firmen aus Rosenheim und Kolbermoor habe sich nur eine einzige bereit erklärt, „Zugang zu den firmeneigenen Unterlagen“ zu gestatten.

Auch wenn die meisten großen Rosenheimer Firmen in den Fond der Stiftungsinitiative der deutschen Wirtschaft für die Entschädigung der ZwangsarbeiterInnen ihren Beitrag einbezahlten, so ist und bleibt es ein Skandal, dass gerade das Aushängeschild Rosenheims, die Firma Kathrein, bis heute jede Form der Entschädigung an die wenigen noch lebenden Zwangsarbeiter und –arbeiterinnen verweigert. Dass die Firma Kathrein, wie das Titelbild der Studie von Diem aus dem Jahre 1938 belegt, mit einem großen Hakenkreuz auf dem Firmendach für die Nazis warb, ist nicht verwunderlich: Anton Kathrein sen. war Mitglied der NSDAP und Stadtrat für die Nazis. Wie die ZwangsarbeiterInnen in der Firma Kathrein behandelt wurden, zeigt ein Vermerk der Inspektion des Ostarbeitereinsatzes beim Arbeitsamt Rosenheim, in dem es heißt: „Am 6.5.44 kam eine Ostarbeiterin der Fa. Kathrein mit blutverschmiertem Gesicht in die Ausländerstelle meines Amtes und brachte heulend vor, dass sie … geschlagen worden sei“. Von den über 50 Zwangsarbeiterinnen, die bei Kathrein in einem „Musterlager“ untergebracht waren, hat Veronika Diem eine in Belorussland noch lebende Frau ausfindig machen können. Ihre Beschreibung des harten Arbeitslebens bei Kathrein ist als Kontrast zu lesen zu den meist beschönigenden Berichten, die vor allem in den Spruchkammerakten der Betriebsführer zu finden sind.

Diem hat für ihre Arbeit mehr als 20 Zeitzeugen, vor allem aus Osteuropa, angeschrieben und einige davon zu einem Interview besucht. Gerade durch die Beschreibungen der „Opfer“ wird deutlich, wie grausam und hart das Alltagsleben der verschleppten ZwangsarbeiterInnen gewesen war. In einem der größten Zwangsarbeitslager im Raum Rosenheim, der Mangfallbaracke in Kolbermoor, die von der Gasmaskenfabrik Roeckl (heute: Handschuh Roeckl) geleitet wurde, war Pauline G. untergebracht. Sie erzählt von den Bedingungen der Arbeiterinnen und ihrer Kleinkinder: „Die hatten ein kleines Zimmer mit Stroh. Die Mütter mussten arbeiten, viele Kinder sind gestorben. Die Deutschen haben die jungen Frauen, als sie auf der Suche nach Brot waren, weil sie nichts zu Essen hatten, geschnappt“. Pauline G. ist eine der ca. 1000 ZwangsarbeiterInnen, die in Kolbermoor eingesetzt wurden. Dort waren neben der Gasmaskenfabrik Roeckl weitere, auch heute noch bekannte Firmen tätig: die Klepper-Werke, die Firma Conradty, das Tonwerk der Gebrüder Steinbeis aus Rohrdorf, ein ausgelagertes Werk von BMW und die ortsansässige Baumwollspinnerei. Doch nicht nur Industriefirmen „nutzten“ die meist aus dem Osten verschleppten Menschen oder die Kriegsgefangenen, um sich kostenlose Arbeit verrichten zu lassen. Am Beispiel der Gemeinschaftswerkstätten der Rosenheimer Schuhmacher zeigt Diem, dass das Handwerk ebenfalls keine Scheu zeigte, sich die ZwangsarbeiterInnen dienstbar zu halten: Fast 20 Ukrainer und Franzosen, untergebracht in der Turnhalle in der Kaiserstraße und im Lager Schießstätte, mussten für die Deutschen Schuhe reparieren. Auch die Städte und die Gemeinden der Landkreise Aibling und Rosenheim profitierten von den billigen Arbeitskräften. So wurden von der Gemeinde Kolbermoor mehr als 60 Zwangsarbeiter und von der Stadt Rosenheim fast 500 eingesetzt, um bei Hochwasser die Dämme zu stabilisieren, um Straßenbauarbeiten zu verrichten und vieles mehr.

Bei den industriellen Zwangsarbeiten war eine 72-Stunden-Woche nicht selten. Die Männer und Frauen wurden dafür leidlich verpflegt, sie wurden mit einer gerade im Winter unzureichenden Kleidung ausgestattet und sie waren in einfachen Holzbaracken untergebracht, in denen sie zusammengedrängt auf Strohlagern zu schlafen hatten. Die Wienerin Erika G. erinnert sich in einem Gespräch an folgendes Detail aus ihrem Zwangsarbeitsalltag: „Am eindringlichsten ist ihr der tägliche Marsch zwischen Baracke und Fabrikgelände mit den Holzschuhen durch den Schnee in Erinnerung geblieben, denn man hätte nach der Ankunft am Arbeitsplatz immer nasse Socken und in der Folge den ganzen Tag kalte Füße gehabt. Um dies zu verhindern seien viele Frauen nach Möglichkeit barfuß durch den Schnee gegangen“.

Die Studie Diems besticht nicht nur dadurch, dass sie an den wichtigen Stellen Zeitzeugen zu Wort kommen lässt. Sie versteht es auch, die jeweiligen wirtschaftlichen, sozialen und militärischpolitisch bedingten Hintergründe für den Einsatz der ZwangsarbeiterInnen so darzustellen, dass der historisch nicht vorgebildete Leser über diesen Aspekt des Nationalsozialismus etwas lernen kann. In Beurteilungen zu Personen oder Sachverhalten hält sich Diem zurück; das mag mancher ärgerlich finden. Allerdings ist damit die Möglichkeit gegeben, sich selbst eine Meinung zu bilden – ohne einen erhobenen Zeigefinger, der einem vorschreibt, was man zu denken hätte. Besonders ist jedoch an der Studie, dass Veronika Diem zum ersten Mal eine umfassende Liste vieler Firmen und Dienststellen auflistet, bei denen ZwangsarbeiterInnen beschäftigt waren (wobei sicher noch viele kleine Arbeitgeber wie zum Beispiel Bauern und Mittelständler fehlen). Es waren in den Landkreisen Rosenheim und Aibling weit mehr als 5000 Menschen, deren Schicksal bis dato verschwiegen wurde.

Das Buch Veronika Diems wurde von der Geschichtswerkstatt Kolbermoor e.V. verlegt und ist in seiner Ausstattung (Fadenbindung, Schutzumschlag mit eingeklebtem Bild) außerordentlich großzügig gehalten. Nicht nur im Raum Rosenheim ist dem Buch eine große Verbreitung zu wünschen.


Veronika Diem (2005). Fremdarbeit in Oberbayern. Studien zur Geschichte der Zwangsarbeit am Beispiel Kolbermoor und Rosenheim. 1939 bis 1945. Jahrbuch zur Geschichte Kolbermoors. Beiheft 1. Eigenverlag. Erhältlich: Buchhandlung Levin, Rosenheimerstr. 28, 83059 Kolbermoor. 224 Seiten. 14.90 Euro.


Klaus Weber


Klaus Weber, Dr. phil. habil., Professor an der FH München, Gastprofessor an der Universität Innsbruck. Mitbegründer der Geschichtswerkstatt Kolbermoor e.V. Mitglied im wissenschaftlichen Beirat des DGB Bildungswerk Bayern e.V., des Kurt-Eisner-Vereins und des Argument Verlags.
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Ergänzungen