"Génération Précaire" - Praktikanten in Wut

Berichterstatter 20.01.2006 15:58 Themen: Soziale Kämpfe Weltweit
Frankreich: Seit Herbst 2005 sorgt das Netzwerk "Génération Précaire" in Frankreich für Aufsehen. Es thematisiert die Situation der ewigen Praktikanten, die als billige und rechtlose Arbeitskraft mißbraucht werden. Bisherige Erfolge der Aktionen waren ein breites Medienecho und die Kenntnisnahme der Mißstände durch Regierung. Der Artikel stellt das Netzwerk vor.
Die Initiative geht wohl auf eine Studentin aus dem Kulturbereich zurück, die Anfang September 2005 in ihrem Unmut einen spontanen Aufruf zum Streik der Praktikanten über das Internet verbreitete. Das Echo, das sie erhielt, zeigte jedoch, dass das Problem sich auf alle Bereiche ausdehnt (Recht, Wirtschaft, Medien, Werbung, Naturwissenschaften, Technik, öffentliche Verwaltung). Schnell entstand das Netzwerk "Génération Précaire", ein Netzwerk von aktuellen, ehemaligen und zukünftigen Praktikanten, die nicht länger ruhig halten und für ihre Recht kämpfen wollten. Nach manchen Angaben verfügen sie über 500 Mitstreiter, treten aber anonym auf.
Sie sehen als ihre Zielgruppe Praktikanten, die im Rahmen des Studiums oder als Absolventen Praktika absolvieren.
Sie grenzen sich ausdrücklich von anderen Arten von Praktikanten ab (Schüler, Werkstudenten, Berufstätige bei Weiterbildungen usw.), sehen aber die Praktikanten-Problematik nur als eine Variante im Heer der rechtlosen und prekär Beschäftigten.

In Frankreich gäbe es ca. 800.000 Praktikanten jährlich. 90% der Hochschulabsolventen haben mindestens ein Praktikum absolviert, 50% drei und mehr. Die durchschnittliche Gesamtdauer von Praktika, die ein Student während des Studiums absolviert, übersteigt ein Jahr.

Kritisiert wird die Zunahme der geforderten Praktika und ihre zeitliche Ausdehnung im Rahmen des Studiums. Daraus folgend haben Unternehmen Praktikanten längst als günstige Arbeitskraft erkannt. Der Ausbildungscharakter verschwindet, dafür steigen Verantwortung und Aufgabenbereiche. Praktikanten machen immer häufiger normale Arbeiten, verdrängen dadurch reguläre Beschäftigungsverhältnisse und können aus ihrer Arbeit keine Rechte ableiten. So haben sie auf Grund der fehlenden gesetzlichen und arbeitsrechtlichen Bestimmungen keine durchsetzbaren Ansprüche auf Vergütung, Urlaub, Arbeitszeitregelungen sowie Konfliktregelungen vor dem Arbeitsgericht. Die Tätigkeiten werden häufig gar nicht vergütet oder nur mit maximal 30% des Mindestlohnes (SMIC). Da auch keine Sozialabgaben entrichtet werden, erwerben Praktikanten keine Anrechte auf die sozialen Sicherungssysteme der Arbeitslosen- und Rentenversicherung. Die Krankenkasse wird nur durch den Studentenstatus geregelt.
Das Heer der verzweifelt einen Berufseinstieg suchenden Hochschulabsolventen wächst, denen jedoch immer wieder nur Praktika angeboten werden, die sie auf Grund fehlender Alternativen auch annehmen. So werden selbst Zweitstudien aufgenommen, um sich wenigstens für den Praktikantenstatus zu qualifizieren. Eine Generation in der Endlosschleife.

Gegen diesen Mißbrauch des Praktikums zu kämpfen und Rechte für Praktikanten einzufordern, hat sich "Génération Précaire" als Ziel gesetzt. Um ihren Forderungen Nachdruck zu verleihen, nutzen sie u.a. Streiks, Demonstrationen und Flashmobs.
Dabei treten sie in ihren Aktionen immer schwarz gekleidet mit weißen Masken auf, um anonym zu bleiben und nicht ihre Berufsaussichten oder ihre Praktikumsplätze zu verlieren.
Bisher haben sie zu 2 Praktikantenstreiks aufgerufen, im September 2005 und am 24.11.2005. Über Flashmobs organisierten sie Besuche in Personalabteilungen oder Flyeraktionen (wie zum Winterschlußverkauf am 11.01.2006), um die Arbeit von Praktikanten öffentlich zu machen. Unter dem Motto "Stehlen wir denen die Zeit, die uns (Lebens)Zeit stehlen." überhäufen sie unverschämte Praktkantengesuche durch Scheinbewerbungen.
Außerdem bieten sie auf ihrer Webseite juristische Beratung für Praktikanten an. So klären sie über die Rechte von Praktikanten auf. Desweiteren bieten sie Unterstützung bei der zwangsweisen Wandlung von Praktikumsvereinbarungen in Arbeitsverträge durch das Arbeitsgericht an ("Saisir les Prud'hommes").
Auf dieser Webseite haben sie ebenfalls eine Petition mit ihren Forderungen an die Regierung (von Minister für Arbeit bis Präsident) veröffentlicht, die bis November 2005 bereits 8.000 Unterzeichner hatte.

Ihre Forderungen gliedern sich in juristische, ökonomische und die Ausbildung betreffende Aspekte.
So fordern sie die Festlegung eines Status für Praktikanten im Arbeitsrecht (Code de Travail), aus dem einklagbare Rechte entstehen. Des weiteren soll die zulässige Dauer von Praktika und Höchstquoten von Praktikanten mit Bezug auf die Zahl der Beschäftigten eines Unternehmens geregelt werden. Die dauerhafte Besetzung von Stellen durch wechselnde Praktikanten, soll durch Karenzzeiten verhindert werden.
Ökonomisch fordern sie eine Mindestvergütung, die einem halben Mindestelohn (SMIC) entspricht. Diese soll monatlich ansteigen, um bei längerer Beschäftigung der gestiegenen Effizienz Rechnung zu tragen und den Preisvorteil von Praktikanten gegenüber regulär zu vermindern. Gleichzeitig sollen damit Unternehmen begünstigt werden, die sich wirklich in der Ausbildung durch kurze Praktika engagieren. Desweiteren sollen immer Sozialbeiträge entrichtet werden, damit die Praktikanten an den sozialen Sicherungssystemen teilhaben (und dazu beitragen).
Als letztes mahnen sie die Bildungsinstitute (Universitäten) sowie Unternehmen, Verwaltungen, Vereine, die Praktikanten beschäftigen an, ihre Verantwortung wahrzunehmen, damit Praktika wirklich der Ausbildung zu Gute kommen. Dies erfordere klare pädagogische und inhaltliche Betreuung durch geeignete Tutoren. Die Praktikanten sind dazu aufgefordert, ihre absolvierten Praktika zu bewerten, nach Betreuung, inhaltlichen und pädagogischen Rahmen und Bezug zu ihrer Ausbildung.

"Génération Précaire" kann mit seinen Aktionen auf erstaunliche Erfolge verweisen.
So erreichten sie eine hohe mediale Aufmerksamkeit: Berichterstattung in allen Zeitungen (Liberation, Le Monde, Express ...) bis Fernsehen sowohl über das Netzwerk und seine Aktionen als auch über die Situation von Praktikanten.
Im Rahmen des letzten Streiks (24.11.2005) kam es zum Gespräch zwischen Vertretern von "Génération Précaire" und dem Minister für Arbeit und Soziales. Er hatte statt einer Regelung im Arbeitsrecht eine Charte de bonne conduite mit Unternehmen angeregt. Dies wurde jedoch als unzureichend von Seiten der Praktikanten abgelehnt, wegen fehlender Sanktionsmöglichkeiten und Rechten.
In Assemblée Nationale wurde die Situation der Praktikanten in einer Anfrage vom Abgeordneten der PS Yves DURAND an den Arbeitsminister Anfang Dezember 2005 thematisiert.
Und auch 2006 scheint es mit der Bewegung weiterzugehen. Dies zeigen unter anderem die Aktionen zum Winterschlußverkauf. (11.01.2006). Außerdem erklärte Premierminister Villepin in einem Fernsehinterview (France 3) am 16.01.2005 die Situation der Praktikanten zu einem der gravierendsten Probleme neben der hohen Jugendarbeitslosigkeit.

Verwendet wurden für diesen Artikel:

BLOG und Organisationsseite von "Génération Précaire" einschl. Pressespiegel und Petition
 http://www.generation-precaire.org/

Sowie die Berichterstattung in den Tagesmedien (Le Monde, Liberation, ...)

In Deutschland berichteten unter anderem:

Spiegel Online 06.11.2005: FRANKREICH - Praktikanten in Wut
 http://www.spiegel.de/unispiegel/jobundberuf/0,1518,383342,00.html
Jetzt.de 16.12.2005: In Frankreich gewinnt die Generation Praktikum an Gewicht (Redaktionsblog)
 http://jetzt2.sueddeutsche.de/texte/anzeigen/206972
Deutschlandradio 01.11.2005: Praktikanten in Wut - Französische Studenten kämpfen für Gesetzesprojekt
 http://www.dradio.de/dlf/sendungen/campus/433895/
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Ergänzungen

und dann

irgendwann 20.01.2006 - 18:57
Das hört sich doch endlich mal gut an. Zurzeit selbst im Praktikum, weiß ich ganz genau wie die Arbeit als Praktikantin aussieht. Täglich am abkotzen über Arbeitszeiten Einsatzbereiche und Endlohnung (keine!), bin ich froh, denn ein Ende ist in Sicht. Natürlich bleibt Mensch ruhig und hält die Klappe, denn auf welche Rechte will ich mich berufen und einigermaßen erträglich soll das Auskommen mit den dort Arbeitenden, Festangestellten Menschen ja auch noch sein. Ich arbeite dort selbst wie eine Festangestellte nach festen, nicht flexiblen Arbeitszeiten. Da ich kein Lohn bekomme, bin ich auf einen Nebenjob angewiesen, aber leider kommt mir keiner entgegen wenn es darum geht die Arbeitszeiten zu verschieben(das geht ja später im Beruf auch nicht!!! Ja leider bekomme ich für meinen späteren Job auch Geld und bin somit nicht auf einen Nebenverdienst angewiesen, also ganz toll gedacht!). Durch eindeutigen Mangel an Arbeitskräften bin ich wenn Not am Mensch ist, die Lückenfüllerin und habe somit keine Chance meine eigentlichen Praktikumsaufgaben wahr zu nehmen, geschweige denn, dass ich überhaupt etwas mache wozu das Praktikum gut sein soll. Ich kann nur sagen, dass es nicht zu meinen Aufgaben gehört den Abwasch von über 50 Leuten zu machen. Am Ende dieses Praktikums werde ich dies auch noch mal zur Sprache bringen und hoffe für alle meine NachfolgerInnen, dass sie gegen jene Sachen kämpfen, die nicht zu ihren Aufgaben im Praktikum gehören. Ich habe es nicht getan, da für mich ein Wechsel auf einen anderen Praktikumsplatz weniger Vorteilhaft wäre.
Gegen die Ausbeutung und Unterdrückung von PraktikantInnen!!!

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wer zwingt euch denn ???????? — ich kanns nicht mehr hören