Berlin: Podiumsdiskusion zu Polizeigewalt

Keksmajor 20.01.2006 01:13 Themen: Repression
In Berlin fand heute im Europahaus eine Podiumsdiskusion zum Thema "Problem Polizei - Schläger mit Lizenz" statt. Trotz Prominenz wenig neues.
Im Europahause Unter den Linden in Berlin fand heute eine Podiumsdiskusion zum Thema Polizeigewalt statt.
Zuerst einmal war ich überrascht das der Polizeipräsident persönlich erschien um sich dem Thema zu stellen. Leider wischte er sofort sämtliche Vorwürfe mit der Begründung "Das ist alles gar nicht wahr!" beiseite, bezeichnete den Ruf der 23. Berliner EH als "Legende", und nannte als Argument dass es keinen Corpsgeist bei der Polizei gäbe: es habe ja auch "eine hand voll" polizisten in den letzten 3 jahren Anzeige gegen Kollegen erstattet.

Zwar muß man einräumen dass die Moderatorin und der Moderator leider nicht unparteiisch waren, und Redner wie die SPD politikerin Beate Hertel oft kaum zu Wort kommen liessen - mag einem auch nicht gefallen was andere denken, Freiheit ist auch immer die Freiheit der Andersdenkenden.

Leider sagte Herr Glietsch wenig brauchbares, wenn er denn zu Wort kam. Übliche Hohle Phrasen wie "Da muß man was machen" oder "Wenn Ergebnisse vorliegen muß man daraus Konsequenzen ziehen" blieben erschreckend inhaltslos. So sagte er z.B. das die Zapfnix Demonstration nicht illegal von der Polizei aufgehalten worden sei, sondern gestoppt wure weil sie gegen das Versammlungsgestz verstoßen habe ohne, trotz nachfragen, zu erklären gegen was genau denn nun verstoßen worden sei.
Gegen Gesetze zur Kennzeichnungspflicht sprach er sich aus, "Das muß die Polizei intern regeln", meiner Meinung nach wieder ein klassischer Fall von Polizei ist Staat im Staat, und keiner soll da reinreden.


Auch die SPD Politikerin Beate Hertel sprach sich gegen Kennzeichnungspflicht aus, und vermutete dass die GdP dagegen sei, weil man die Nummern leicht durcheinanderbringen können und dann "aufgrund eines Zahlendrehers den falschen Polizisten anzeigen könnte".

Etwas geheuchelt auch ihr Geschwärme vom 8. Mai, wo ja die vielen Bürgerinnen und Bürger den Naziaufmarsch gestoppt hätten, wobei jedem klar sein dürfte dass an diesem Tag die Nazis wegen des Weltweiten Medieninteresses nicht marschiert sind

Etwas nervig waren wieder mal die Parteipolitischen Reibungen der PDS und WASG Vertreter, die an diesem Abend eigentlich nichts da zu suchen hatten.

Erfrischend die Idee von Rechtsanwalt Sven Richwin ein Handelsübliches Bettlaken mitzubringen, und den Bereich der über 1,50m hinausging als Gefahrenzone zu markieren, darauf angesprochen brachte Polizeipräsident Glietsch jedoch nur das Argument das gegen die Rechten auch mit allen Auflagen vorgegangen werde.

Fazit: Viel zu unüberwindliche Fronten auf beiden Seiten, auf Seite der Moderatoren (und leider auch vieler Zuschauer) die fehlende Bereitschaft die Gegenseite ausreden zu lassen - aber auch eine Gegenseite die nicht wirklich was zu sagen hatte, bzw. kaum Bereitschaft mitbrachte Fehler im Polizeiapperat einzugestehen.


Vorurteile auf beiden Seiten bestätigt, Kennzeichnungspflicht wird auch weiterhin nicht kommen, und bei der nächsten Demo kriegen wir wieder wie gewohnt auf die Fresse...
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Ergänzungen

Video zu Polizeigewalt in Berlin

freundeskreis v i d e o c l i p s 20.01.2006 - 10:54
Das 12-minuetige Video, mit Statments von Opfern von Polizeigewalt, einer Anwaeltin und eindeutigen Szenen unangemessener Polizeigewalt, das zu Beginn der Veranstaltung gezeigt wurde, ist fuer eine Spende bei uns auf DVD erhaeltlich. - Selstabholung in Berlin oder Postverschickung -

Erbärmlich

Sandra 20.01.2006 - 11:37
Der Polizeipräsident war enttäuschend. Für einen Sozialdemokraten hätte er eigentlich mehr Verständnis für die Opfer von Polizeigewalt zeigen (oder wenigstens heucheln) können. Stattdessen bestritt er die offensichtliche Häufung von Übergirffen(im Filmbeitrag zu Beginn waren Beispiele und Zahlen zu sehen). Klar war, dass Glietsch sich als loyaler oberster Beamter im Polizeiapparat vor seine Untergebenen stellt. Dass er das so plump tat, lag vielleicht daran, dass er die Diskussionsveranstaltung mit einer Polizeikaserne verwechselte, wo ihm niemand widersprechen darf.

Die PDS vertreten durch Marion Seelig war erbärmlich. Während der ganzen Diskussion hatte man den Eindruck, dass die Regierungsvertreterin dem Polizeipräsidenten die Politik des Senats vertreten lässt. Die Begründung für die immer noch nicht umgesetzte Kennzeichnungspflicht bestätigten den Eindruck, dass hier mit Glietsch das "Primat der Bürokraten" und nicht das "Primat der Politik" gilt. Weil die Gewerkschaft der Polizei damit nicht einverstanden sei, habe man erstmal nur die völlig unsinnige Kennzeichnung der Polizeigruppen einführen können. Die individuelle Kennzeichnugnspflicht sei noch nicht durchsetzbar. Sowohl der WASG-Vertreter Hammerbachern, als auch der grüne Ratzmann hielten Seelig entgegen, dass bei Lohnkürzungen die Meinung der Gewerkschaft beim Senat bisher keine Rolle gespielt habe. Viele die mit der PDS auf die Stärkung von Bürgerrechten in Berlin hofften, dürften an diesem Abend zumindest in puncto Polizeigewalt desillusioniert worden sein.



Zur "Lagebereinigung" besonders geeignet

Käpt'n Bär 20.01.2006 - 11:48
Berliner Polizeieinheiten sind seit 1997 auch im Wendland berüchtigt.
Der Langjährige Einsatzleiter der Polizeieinsätze Hans Reime erklärte zu den klar und fundiert belebten Vorwürfen speziell gegen Berliner Bereitschaftspolizei: "Die Berliner sind nicht beesonders Gewalttätig, sie sind nur zur "Lagebereinigung" besonders geeignet.

Ein Ausschnitt aus
"Berichte von Pastorinnen und Pastoren in Lüchow-Dannenberg zum Atommmüll-Transport im März 1997"
(Herausgeber: Kirchenkreisamt Dannenberg,Bahnhofstr. 26, 29451 Dannenberg

Gegen 08.55 fahren aus Richtung Quickborn zwei Wasserwerfer mit Berliner Kennzeichen neben einander auf und fordern die Menschen auf, die Straße zu räumen. Bei ihnen ist eine Hundertschaft Berliner Polizisten.

Bis 09.10 fordert der Berliner Sprecher die Menschen viermal zur Räumung auf
Um 09.13 fordert der Sprecher die Menschen letztmalig zur Raumung auf.
Um 09.14 beginnt der Einsatz der Berliner Wasserwerfer. Was nun kommt, würden wir nicht glauben, wenn wir es nicht selbst erlebt hätten. Gleichzeitig fangen die Polizeibeamten an, die Menschen von der Straße zu prügeln. Schulze-Drude begibt sich an den Rand der Straße, um zu sehen, wie hier vorgegangen wird. Die Geschehnisse spotten jeder Beschreibung. Ein ca. 17jähriges Mädchen steht mit erhobenen Händen vor den Poli zeikräften. Ein Beamter holt aus und schlägt der Wehrlosen mit der Faust mitten in das Gesicht. Das Mädchen wird durch den Schlag rückwärts zu Boden gerissen, und der Beamte rollt sie mit Fußtritten von der Straße. Erbost und fassungslos begibt sich Schulze-Drude an den Rand der Straße, gibt sich als kirchlicher Mitarbeiter zu erken nen und schreit den Beamten zu, sie mögen damit aufLören. Ein Beamter ruft zurück: "Hau ab, sonst gibt s was auf die Fresse!". Die Polizisten gehen weiter mit brutaler Gewalt gegen die Menschen vor. Sie drehen Arme um, treten mit den Füßen und Knien in die am Boden liegenden Menschen, schlagen, schubsen und reißen an den Haaren. An uns vorbei gehen viele Verletzte, ei nige werden getragen, andere bluten stark, einer hat sich offensichtlich den Arm ge brochen.

Um es noch einmal zu betonen: Die Menschen sitzen oder stehen auf der Straße und üben keine aktive Gewalt aus. Die meisten von ihnen haben zum äußeren Zeichen die Hände erhoben.

Auf der Wiese verfolgen Tausende dieses entsetzliche Geschehen. Kühnel und Schulze-Drude kommen mit ihren Ausweisen durch die Polizeireihe. Wir sprechen einen Beamten an, der offensichtlich diesen Einsatz leitet. Wir versuchen, ruhig zu bleiben, fragen ihn nach seinem Namen. Er stellt sich uns mit dem Namen Förster vor. Wir versuchen, ihn davon zu überzeugen, daß die Art des Vorgehens durch nichts zu rechtfertigen ist. Herr Förster erklärt uns, daß die Menschen ja Zeit gehabt hätten, sich zu entfernen und mit diesen Maßnahmen hätten rechnen müssen. Wir merken, daß mit diesem Mann nicht zu reden ist.

Kommentar: Es ist noch keine 10 Jahre her, da haben a 11 e in der Politik der Bundesrepublik Verantwortlichen aufgeschrien, wenn so etwas im anderen Teil Deutschlands auch nur gerüchteweise laut wurde. Es ist nur wenige Wochen her, da haben a 11 e laut aufgeschrien, als es in Belgrad zu einem harten Vorgehen der Polizei gegen demonstrierende Menschen gekommen war.

Fragen: Welche Medien und welche politisch Verantwortlichen schweigen dazu? Warum schweigen sie?

Kritzokat begleitet einen Verletzten zur nächsten Sani-Station. Dort sind schon 9 oder 10 mißhandelte Menschen mit blutenden Gesichtern...die meisten im Schock und voller Entsetzen und unfähig zu sprechen. Jemand stohnt: "Berliner!" Wir erfahren, daß sich Jugendliche auf der Straße angekettet haben. Mit dieser Information gehen wir

um 09.28 noch einmal zu Herrn Förster und teilen sie ihm mit. Er will das an die Einsatzkräfte weitergeben. (Vgl. dazu den Bericht von Lothar Asael "Bei den Angeketteten an der B 191) Die Polizisten haben ein Stück der Straße geräumt. Mit einem Mal ertönt aus dem Wasserwerfer das Kommando an die Einsatzkräfte, aus dem Weg zu gehen. Jetzt sind zwischen den sitzenden Demonstranten und den Wasserwerfern ca. 6 m Platz. Mit ei nem "Kavaliersstart" schießen die beiden Wasserwerfer auf die Sitzenden zu, machen erst Zentimeter vor ihnen eine Vollbremsung. Die umstehenden Menschen schreien auf Die beiden Wasserwerfer spritzen schon wieder auf die vor ihnen sitzenden Menschen.

Die Journalisten stehen ca. 15 m von der Straße entfernt und machen ihre Aufnahmen. Auf einmal hält die Besatzung eines Wasserwerfers den Wasserstrahl genau in die Menge der Journalisten. Danach spritzen sie wahllos in die Menge der Menschen, die auf der Wiese stehen. Kurz danach kommen die Berliner den Einsatzkraften des BGS immer näher. Ihr Lautsprecher fordert die BGS-Wasserwerfer auf, den Weg freizumachen, da sie die Berliner Krafte sonst behindern würden. Es kommt uns vor, als wollten die Berliner dem BGS einmal zeigen, wie man mit solchen Leute "richtig" umgehen muß. Der Lautsprecherwagen der Aktionsgruppe "X-tausendmal quer" fordert die Menschen immer noch dazu auf, Gewalt nicht mit Gewalt zu beantworten. Und die Menschen halten sich daran.

Gegen 10.15 ist die Straße geräumt. Nur einige junge Menschen, die sich zwischen zwei Bäumen mittels gespannter Seile in etwa 6 Metern Höhe befinden, konnen nicht so schnell entfernt werden.

Missmanagement

Burns 20.01.2006 - 13:04
Als kleine Kritik an der Organisation möchte ich noch ergänzen, dass ich so gegen 19.10 Uhr beim Europäischen Haus eintraf. Dort stand eine Gruppe von etwa 30 Leuten und wir wurden von den Pförtnern nicht mehr hereingelassen, mit der Begründung der Saal seie überfüllt. Wir sind dann, illegalerweise, durch den Innenhof, den Angestellteneingang und allerlei Schleichwege zu der Veranstaltung vorgedrungen. Dort war deutlich zu sehen, dass trotz großem Publikum noch reichlich Platz für weitere Gäste war.
Soweit ich es mitbekommen habe, hat der Tobias Pflüger dann aber eine halbe Stunde später noch diejenigen, die es nicht über Schleichwege geschafft hatten und in der Kälte ausgeharrt haben, hereingelassen.

Meine Eindrücke vom gestrigen Abend

Bernd Kudanek alias bjk 20.01.2006 - 14:15
Berliner Polizei - Schläger mit Staatslizenz?

Unter dieser bewußt provozierenden Überschrift fand gestern abend eine öffentliche Diskussion mit durchweg interessanten Gästen vor einem durchweg interessierten, weil direkt betroffenen Publikum im Europäischen Haus in Berlin, Unter den Linden 78, statt. Veranstalter waren die Antifa Berlin und Tobias Pflüger, der seit 2002 als Parteiloser auf der Liste der PDS im Europäischen Parlament tätig ist. Das Europäische Haus bot sich als Diskussionsort vor allem deswegen an, weil vor seinen Fenstern am 26. Oktober 2005 die Zapfnix-Demo von der exzessiven Polizei gestoppt und ein durchgeknallter Zivilpolizist geschützt von uniformierten zuschauenden Kollegen minutenlang wie irre auf DemonstrantInnen eingeprügelt hat. Dieser ungeheuerlich brutale Vorfall und weitere eklatante repressive Polizeigewalt waren von Politik und Polizeiführung nicht wegzulügen, sie wurden nämlich, was sonst selten genug vorkommt, von Pressefotografen bis ins Detail erkennbar und damit identifizierbar gefilmt.

Weil sich unter anderem Volker Ratzmann, Fraktionsvorsitzender der Berliner Grünen, verspäteten, begann die Diskussion leider erst gegen 19:30 statt pünktlich um 19 Uhr. Wie sich später herausstellte, fehlte diese halbe Stunde am Schluß, als eigentlich das Publikum zu Worte kommen sollte. Es moderierten Judith Demba, die 1999 vor allem aus Protest zum Kosovoaggressionskrieg aus Bündnis 90/Die Grünen ausgetreten war und jetzt als Pressesprecherin der Anlaufstelle für BürgerInnen (UAB) in Lichtenberg/Hohenschönhausen engagiert ist, und Michael Kronewetter, dem Pressesprecher der Antifaschistischen Linke Berlin (ALB). Nach einer kurzen Eröffnung und Vorstellung der DiskussionsteilnehmerInnen wurden als Vorspann erschütternde Filmdokumente und authentische Interviews von Opfern Berliner Polizeigewalt gezeigt. Beides erregte offenkundiigen Ärger und Mißfallen bei Polizeipräsident Glietsch und bezeichenderweise auch bei den Abgeordneten und Mitgliedern des Innenausschusses, Anja-Beate Hertel (SPD) und Marion Seelig (PDS), denn es konnte nach deren Meinung nicht sein, was nicht sein darf.

Als Tobias Pflüger von seinen persönlichen schlimmen Erlebnissen mit Polizeigewalt anläßlich der Zapfnix-Demo und auch der G 8-Demo in München erzählte, zog er sich den gemeinsamen Zorn von Glietsch und Hertel zu. Insbesondere Frau Hertel war deutlich anzumerken, daß sie Pflügers Ausführungen als Nestbeschutzung der Kaste der Abgeordneten ansah. Der kompetente wie engagierte Demo-Veteran, Prof. Wolf-Dieter Narr, benannte zuallererst die Politik, welche die Voraussetzungen und repressiven Gesetze für Polizei-Gewalt gegen BürgerInnen überhaupt erst schaffe und damit der Polizei den Bärendienst als Erfüllungsgehilfen zuweist und somit Übergriffen Vorschub leistet - frei nach dem Motto: Hannemann, geh du voran! Er könne auch nicht verstehen, warum das Thema individuelle Kennzeichnungspflicht für Polizisten, insbesondere bei den auf Demos eingesetzten, seit Jahrzehnten verschleppt wird obwohl fast alle PolitikerInnen sich einig wären, daß eine solche Kennzeichnungspflicht nur im Interesse aller BürgerInnen sei. Er verstehe nicht, warum diese Klausel im Koalitionsvertrag zwischen SPD und PDS noch immer nicht umgesetzt sei. Die beiden angesprochenen Abgeordneten-Damen reagierten nervös pikiert aber gegenüber der Perönlichkeit eines Prof. Narr mit deutlich gebremsteren Unwillen, als sie diesen bei Tobias Pflüger abließen. Sie schwadronierten hilflos davon, die Polizeigewerkschaft und die Polizisten müßten da "mitgenommen" werden, weil diese doch Bedenken hätten. Das wurde mit lautem Hohn und Spott aus dem Publikum quittiert und warum denn diese vorgebliche Zartfühligkeit nicht auch bei den Tarifverhandlungen im Öffentlichen Dienst und allen sonstigen Verschleuderungen öffentlichen Vermögens durch Privatisierungen zum Tragen kam.

Als Rechtsanwalt Sven Richwin vom Republikanischen Anwaltverein in seiner unaufgeregt sachlichen Art berichtete, wie für gewöhnlich Klagen gegen Polizeigewalt von Staatsanwaltschaft und Richterschaft abgearbeitet würden und bei ihm immer wieder der Eindruck entstehe, Polizisten würden ihre Zeugenaussagen zugunsten ihrer angeklagten Kollegen absprechen bzw. abstimmen. Als er auch noch demonstrierte, wie albern die Beschränkung der Seitentransparente auf 1,50 m ist und wie hanebüchen die Begründung, dahinter könnten sich Straftäter verstecken, erntete er brausenden Applaus aus dem Publikum. Da hielt es Glietsch nicht länger auf seinem Stuhl. Er protestierte gegen diese wie er meinte populistische Stimmungsmache und verwahrte sich gegen die immer wieder geäußerte Behauptung, unter seinen Polizisten herrsche angeblich unzulässiger Korpsgeist. Auch würden die für ihre besondere Brutalität berüchtigten 22. und 23. Einsatzhundertschaften (Ehu) völlig zu Unrecht verteufelt, es seinen nach seiner Kenntnis alles brave gesetzestreue BeamtInnen. Und im übrigen seien bereits der Filmvorspann und die Interviews mit angeblichen Polizeiopfern so nicht wahr aber seine Polizeikollegen hätten ihn ja vorgewarnt und ihm von der Diskussion hier abgeraten. Denn hier könne er ja nur niedergemacht werden, er sei aber trotzdem gekommen. Ein homerisches Spottgelächter erhob sich. Glietsch nahm's, das muß auch gesagt werden, sportlich. Daß er die vom Innensenator geforderten Hartgummi-Managerqualitäten hat, wurde den ganzen Abend über deutlich, denn er redete und redete und beschwerte sich, dieses durchaus diszipliniert, wenn ihn Judith Demba bat, sich doch bitte kurz zu fassen. Als er sich über Zwischenrufe aus dem Publikum mokierte, konterte Judith trocken, er sei doch sonst nicht so zimperlich. Da hatte sie die Lacher auf ihrer Seite und sogar Glietsch mußte versteckt zwar aber doch anerkennend lächeln. Wie gesagt, er nahm's durchaus sportlich - wie einer seiner auf Groß-Demos gern eingesetzten schweren Räumpanzer und Wasserwerfer.

Helga Seyb von Reach Out Berlin, Opferberatung und Bildung gegen Rechtsextremismus, Antisemitismus und Rassismus, beschrieb eindrucksvoll ein aufwühlendes Erlebnis in der Neuköllner Hasenheide. Sie sah, wie ein Polizist einen Schwarzafrikaner vom Fahrrad riß und sich auf ihn kniete. Auf ihre empörte Frage, was ihn denn zu solcher Brutalität veranlasse, eierte er herum, sein Auftrag sei Prävention gegen Rauschgiftkriminalität und er solle Klein-Dealer aufspüren und den schwarzen Menschen habe entsprechend verdächtigt. Bei Helgas Frage, ob er nach der Hautfarbe sortiere, meinte er, dieser hätte ein teures Fahrrad und teure Turnschuhe an! Seine Kollegin wollte Helga gleich mehrfach vom Platz verweisen, sie ließ aber nicht locker. Es kam ein dritter Polizist hinzu und moralisierte, die Klein-Dealer und ihre Yunkies seien eine Gefahr für "unsere" Kinder, hinterließen eklige gesundheitsgefährdende Spritzen usw und ob sie denn keine Kinder habe. - Es wurde immer deutlicher, daß die Polizisten von ihren Vorgesetzten durch Soll-Vorgaben systematisch in eine Situation gebracht werden, der sie nicht gewachsen und für die sie fachlich unzureichend qualifiziert sind. - Glietsch bekam daraufhin einen zornroten Kopf und die beiden rotroten Damen wackelten empört mit selbigen, weil das alles so gar nicht stimmen könne. Und überhaupt zogen sie alle Opferaussagen, auch die während der Zapfnix-Exzesse gezeigten, erst einmal grundsätzlich in Zweifel. Zu Anteilnahme, Betroffenheit oder gar einer Entschuldigung bei den hier im Saal anwesenden schwer malträtierten Opfern, einer jungen Frau und einem jungen Mann, konnten/wollten sich alle drei nicht aufraffen. Das sagt alles über das Verständnis von Menschlichkeit und tatsächlicher Bürgernähe der beiden rotroten Politikerinnen und ihrem Polizeipräsidenten aus, die hier ja stellvertretend für die gesamte rotrote Koalition sprachen!

Im gesamten Kontext sei noch erwähnt, daß Sven Richwin eingangs einen Fall von eigentlich unzulässiger Beeinflussung ausgewählter Richter durch die Berliner Polizeiführung schilderte. An einem 1. Mai wurden mehrere Richter zu einer Mitfahrt in einen Polizei-Mannschaftswagen eingeladen.und "durften miterleben", wie dieser mit Steinen beworfen wurde. Mal unabhängig davon, daß solche Steinwürfe und weiterer Vandalismus nachgewiesenermaßen in der Regel durch unpolitische Krawalltouristen und ebensolche Jugendliche, die nur einen Kick erleben wollen, erfolgten, läßt sich nachvollziehen, wie solche "Erlebnisse" sich bei diesen Richtern und ihrer künftigen Demo-Rechtsprechung eingeprägt haben werden. So seien in den Jahren zwischen 1995 und 2004 hier in Berlin 9.461 Verfahren gegen Polizeibeamte wegen Körperverletzung angestrengt worden. Zur Anklage kamen dann nur 126 Fälle und davon erfolgte nur in 39 Fällen eine Verurteilung der betreffenden Beamten. Dieses erschreckend bezeichnende Mißverhältnis belegt die faktische Aussichtslosigkeit der Opfer, gegen brutale Polizeischläger gerichtlich vorgehen zu wollen. Zumal de facto noch immer gilt, der Aussage eines Polizeibeamten müßten mindestens drei Aussagen gut beleumundeter Zeugen gegenüberstehen. Das führe zu Resignation bei den Polizeigewalt-Opfern und zum Rückgang entsprechender Anzeigen. Daß Glietsch, Hertel und Seelig diesen Rückgang unverdrossen als vermeintlichen Erfolg ihrer Politik umdeuten möchten, beweist nur wieder einmal mehr die eltäre Realitätsferne, die auch Linke befällt, so sie denn wie hier in Berlin von den Fleischtöpfen der Macht kosten und an lukrative Posten gelangen.

Jedenfalls ging das so zwischen den DiskutantInnen hin und her, insbesondere die PolitikerInnen in dieser Runde von Grün und WASG kontra RotRot beharkten sich gegenseitig wortreich und langatmig, die einen wenn auch oft selbstdarstellerisch aber doch die Polizeigewalt realistisch schildernd, die anderen nur mit Abwehr, hilflosen Rechtfertigungsversuchen und Publikums-, ja sogar mit Moderatorenbeschimpfung agierend. Glietsch gab sich als als strenger Vorgesetzter seiner PolizistInnen und aufgeschlossen gegenüber unserer Kritik, konterkarierte ungerührt in gleichem Atemzug seine vermeintliche Kooperation, indem er stoisch alle Vorwürfe als nicht bewiesen zurückwies, selber aber jeden Gegenbeweis seiner Behauptungen schuldig blieb. An ihm richteten sich die beiden ob der kritischen Fragen sichtlich genervten Innenausschüßlerinnen, Hertel und Seelig, immer wieder seelisch auf. Nicht nur mir wurde immer deutlicher, warum auch RotRot keine Kennzeichnungspflicht durchsetzt und die repressive Polizeigewalt noch immer so folgenlos selbst für ertappte Schläger in Uniform bleibt und wohl auch noch lange bleiben wird. Darüber täuscht auch nicht hinweg, daß unisono Glietsch, Hertel und Seelig von Verbesserungen in der Ausbildung, speziell beim Einsatz gegen MigrantInnen, schwadronietren. Alle im Saal außer den Dreien wissen es besser.

Statt wie ursprünglich vorgesehen, ein Drittel der Gesamtzeit, also etwa 1 Stunde, für Fragen und Stellungnahmen aus dem Publikum zu reservieren, blieb uns nur eine Viertelstunde, denn kurz nach 22 Uhr mußte die Veranstaltung beendet werden, weil das Europäische Haus spätestens um 22:30 Uhr geschlossen würde. So blieben leider viele Dinge ungesagt und manch Gesagtes von Glietsch, Hertel und Seelig und manche ihrer Schimären rund um's Problem Polizei unwidersprochen. Bedauerlich auch, daß anscheinend außer Peter Wolter von "junge Welt" keine weiteren Journalisten diese interessante Diskussion mitverfolgt haben - jedenfalls habe ich keine anderen bemerkt. Alles in allem läßt sich sagen, den Veranstaltern ist es recht gut und durchaus professionell gelungen, auch wenn Glietsch, Hertel und Seelig letzteres anders sahen, ein hochsensibles brisantes Thema, die Polizeigewalt, in der Öffentlichkeit anzustoßen und die RotRot-Koalitionäre insbesondere im Berliner Abgeordnetenhaus-Wahljahr 2006 aufzuschrecken. Irgendwelche Sofort-Ergebnisse in Form von individueller Kennzeichnungspflicht für Polizisten und/oder Auflösung der Prügelhundertschaften, Abschwören von jeglicher künftiger Polizeigewalt auf Demos etc. konnte im Ernst niemand erwarten. Allgemeines Nachdenken hat der gestrige Abend allemal bewirkt.

bjk
Forum:  http://freies-politikforum.carookee.com

gut besucht...

antifa 20.01.2006 - 14:48
...wars.

prügelnder zivibulle

zeuge 22.01.2006 - 21:55
auch ich war bei dieser zapfnix-demo und durfte diesen in extatische rage geratenen zivibullen erleben. was ist denn aus dem geworden? anklage? und?
herzlichen dank für nützliche infos!

Legenden

Roland Ionas Bialke 23.01.2006 - 22:12
Der Pig-Präsident hatte aber auch einmal recht. Die Härte der 23. ist eine Legende. Genauso eine Legende wie mit den Spezial-Schwarzen Pigs aus Bayern.

Warum hat "man" den Angst, wenn solche schreiend, mit den Knüppel schwingend, auf "einen" zurennen. Das liegt hauptsächlich an der Einstellung. Wenn Ihr so einen Knüppel wahrnimmt, dann braucht es noch eine Weile bis er auf Euren Kopf auftrifft.

Sollte Euch ein kriminelles Schwein auf solche Art und Weise ermorden wollen, dann empfehle ich Euch wegzurennen - aber nurwenn Ihr immer wegrennen wollt. Ansonsten passt wohl ein gut zu versteckendes Messer. Zum Schlachten der Schweine.

Ich hoffe, Vegetarier fühlen sich jetzt nicht verletzt!

Die Zapfnix-Demo wahr noch relativ harmlos. Allerdings will ich mich nicht am Schlechten messen. Bei so vielen Informationen wahrer und anders-wahrer Natur ist es nur klar, dass der Pig-Präsident nicht mehr durchsieht, oder nicht durchsehen will.

Hat jemand die Verallgemeinerungen bei dieser Veranstaltung gezählt? Waren sicher ziemlich viele.

Sollte die Staat-im-Staat-Aussage stimmen, dann werden Wir wohl bald Unsere 1-Mann-Staaten mutig in Bewegung setzen, und seine kleine Grenze sprengen.

Ich hoffe, Ihr missversteht mein Kommentar nicht als Aufforderung zur Gewalt. Ich liebe den Frieden. Also, rest in peace!!

Roland, the hippie

Stellt mehr Maximalforderungen!

der andere 06.02.2006 - 13:21
Mit großer Freude lese ich, dass man sich hier von der Realität nicht beeindrucken lassen will. Besonders wichtig ist es, dabei 3 Punkte komplett zu ignorieren, die nicht ins Bild passen: 1. Dass ein Polizeipräsident überhaupt zu einer solchen Veranstaltung gekommen ist, 2. dass die Regierung und die Verwaltung im Höchstfall das machen, wovon sie vom Wähler aufgefordert werden und 3. dass ein Feind der "Polizei an sich" sich in seiner Haltung bestätigt fühlt, egal ob die Polizei gut oder schlecht ist. Unter dieser Voraussetzung sollte man also noch mehr Forderungen stellen, z.B.: Entwaffnung der Polizei, Auflösung der Polizei, Auflösung der Parlamente, Auflösung des Staatsaparats, etc. Es ist zu beachten, dass jedweder Versuch, gleichzeitig realistisch und fortschrittlich zu sein, umgehend verdammt wird. Dabei sind besonders die den Linken nahestehenden, aber von der reinen Lehre abgefallenen anzugreifen. Wichtig ist aber, dass man sich Zeit nimmt, diese radikale Kritik zu pflegen - also keinesfalls die Realität wahrzunehmen, sich im Gegenteil immer mehr abzuschotten, etc. Um den eigenen Lebensunterhalt zu tragen, eignen sich: Ämter an Universitäten, Parlamentssitze in der Opposition (möglichst weit weg), staatliche Zuwendung aller Art, besonders in Form von Unterstützung durch Parteien, die Links stehen, aber von der reinen...
Naja, dann klappt das jedenfalls auch mit dem politischen Gespräch mit dem ideologischen Gegner, den man, man ist ja nicht an der Macht, leider nicht für seine Handlungen oder Überzeugungen bestrafen kann. (Noch.)

Beiträge die keine inhaltliche Ergänzung darstellen

Zeige die folgenden 12 Kommentare an

Es ist wirklich unglaublich — Dabeigewesener

Schutz... — Susanne

... — helmi

Helme? — ja klar!

Solidarität — Nein

@bjk — egal

@nein, egal + Rudi — auch egal

auch @ Insider — Berliner

@auch egal — egal