Kolonialdenkmal in Göttingen umgewidmet!

Antikolonialbündnis 16.01.2006 12:45 Themen: Antirassismus
Am Sonntag, 15. Januar, hat das Antikolonialbündnis in Göttingen ein Kolonialdenkmal zu einem Mahnmal für die Opfer des deutschen Kolonialismus umgewidmet. Das 1910 aufgestellte Denkmal erinnerte "in Dankbarkeit und Treue" an Soldaten der Kolonialtruppen, die 1904 am Genozid an den Herero und Nama in Namibia beteiligt waren. Die Stadt wollte das skandalöse Heldengedenken von sich aus nicht beenden.
Entschädigung sofort! - Keine Ehrung für Massenmörder in Göttingen!

Für ein antikoloniales Denkmal in der Geismar Landstraße!

Am 11. Januar 2006 jährte sich zum 102. Mal der Beginn des offenen Krieges der deutschen Schutztruppen gegen die Bevölkerung in der Kolononie „Deutsch-Südwest“, dem heutigen Namibia. Im Laufe dieses Krieges wurde die Bevölkerung des Landes, die Herero und Nama, zu zehntausenden in die Wüste getrieben und getötet. Auch das bis zu seiner Auflösung in Göttingen stationierte 82. Infanterie-Regiment war an diesem Krieg beteiligt. 1910 errichteten Angehörige dieser Truppe in Göttingen das „Kolonialdenkmal“ in der Geismar Landstraße.
„Zur bleibenden Erinnerung in Dankbarkeit und Treue“ wird seitdem den Schutztruppen in der Garnisionsstadt Göttingen gedacht. Alle Forderungen und Versuche, das schändliche „Ehrenmal“ umzuzwidmen, wurden bisher von der Stadt Göttingen zurückgewiesen. Im Gegenteil: Nachdem 1978 der Adler und die Schrift-Tafel in einer anti-kolonialen Aktion abgebaut wurden, ließ die Stadt eine neue Tafel mit dem gleichen Text wieder anbringen! Noch im „Gedenkjahr“ 2004 wies die Sozialdezernentin Schlappheit-Beck Forderungen nach einer Umwidmung des Steines zurück.
Zugleich herrscht einvernehmliches Schweigen über die Verbrechen der Schutztruppen und Siedler in den ehemaligen deutschen Kolonien. Die Forderungen der Herero und Nama nach Entschädigung und Rückgabe ihres Landes werden von der BRD ignoriert. Ex-Außenminister Fischer: „Wir sind ... keine Geiseln der Geschichte. Deshalb wird es eine entschädigungsrelevante Entschuldigung nicht geben.“

Auch die Stadt Göttingen hat mehrfach beschlossen, sich der Geschichte nicht stellen zu wollen, deshalb haben wir am 15. Januar 2006 das „koloniale Ehrenmal“ in ein anti-koloniales Mahnmal für die Opfer des deutschen Kolonialismus umgewidmet.

Wir fordern: Schluss mit dem kolonialen Gedenken in Göttingen! Sofortige Entschädigung für die Verbrechen der Kolonialmacht! Für ein anti-koloniales Denkmal in der Geismar Landstraße!

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Der Text der Tafel, die an dem Denkmal aufgestellt wurde:

Die deutsche Kolonialgeschichte ist eine blutige Geschichte. In allen Ländern, die Deutschland als „Schutzgebiete“ für sich beanspruchte, wurden die einheimischen Bevölkerungen brutal ausgebeutet und unterdrückt.
Als sich 1904 in „Deutschsüdwestafrika“ - dem heutigen Namibia - die Herero und Nama gegen die Besatzer zu wehren begannen, reagierte die deutsche Kolonialarmee mit einem Völkermord. Von 60.000 Herero überlebten nur 16.000. Von 20.000 Nama wurde mehr als die Hälfte umgebracht.

Wir Göttingerinnen und Göttinger gedenken der Menschen, die von den deutschen Kolonialtruppen ermordet wurden.
Wir fordern die Bundesrepublik Deutschland auf, endlich ihre Verantwortung anzuerkennen und Entschädigung an die Nachkommen der Opfer zu zahlen.

Mit dem Denkmal, vor dem diese Tafel steht, hält die Stadt Göttingen bis heute das ehrende Gedenken an Massenmörder aufrecht. Seit 1910 erinnert es „in Dankbarkeit und Treue“ an gefallene deutsche Soldaten, die am Genozid an den Herero und Nama in „Deutschsüdwestafrika“ beteiligt waren. 1978 holten Mitglieder des Kommunistischen Bundes Westdeutschland in einer anti-kolonialen Aktion den auf dem Denkmal thronenden Bronze-Adler von seinem Sockel. Die ebenfalls entwendete Gedenktafel ließ die Stadt Göttingen neu anfertigen und wieder anbringen – mit dem Originalwortlaut. Bis heute weigert sich die Stadt, das Denkmal mit einer neuen Tafel zu versehen und es umzuwidmen zu einem Mahnmal für die Opfer des deutschen Kolonialismus.

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ZUM HINTERGRUND:

Kolonialismus in der Geismar Landstraße

Am 11. Januar 1904 begannen die deutschen Schutztruppen und Siedler einen Angriff gegen die Bevölkerung in „Deutsch-Südwest-Afrika“, dem späteren Namibia. Die Deutschen Truppen wurden zunächst zurückgeschlagen: Die Herero und Nama, die den Großteil der Bevölkerung ausmachten, antworteten mit einem breit getragenen Aufstand gegen die Kolonialmacht. Im Verlauf des Krieges gingen die Schutztruppen über zur geplanten Vernichtung eines großen Teils der Aufständischen.

Die Kolonisierung von „Deutsch-Südwest“

1884 – zwanzig Jahre zuvor – stellte Bismarck das erste von einem Bremer Kaufmann erworbene Land unter „deutschen Schutz“. Von diesem Zeitpunkt an begann die Vertreibung und Unterdrückung der einheimischen Bevölkerung: Die von Rinderzucht lebenden Herero wurden auf ein immer kleineres Gebiet zurückgedrängt. In der Folge brachen Rinderseuchen aus, die ihre Existenzgrundlagen noch weiter zerstörten. Zum Überleben waren sie zum Verkauf von immer mehr Land gezwungen. Die Kolonisatoren nutzten den Zerfall der Reproduktionsbasis und der sozialen Strukturen und drangen weiter in das Land vor - die deutsch kontrollierten Flächen breiteten sich aus. 1900 begann die Erschließung von Kupfervorkommen in einem Gebiet, das hauptsächlich von Herero bewohnt wurde.

Der 11. Januar 1904

Schon lange Zeit schwelte ein Guerillakrieg gegen die deutsche Kolonialmacht. Einzelne kleine Aufstände brachen aus und immer mehr Herero bewaffneten sich. Von den Entwicklungen und Gerüchten um einen bevorstehenden Aufstand verunsichert, wurde die Präsenz der Schutztruppen verstärkt, Patrouillen sollten die militärische Stärke der Aufständischen in Erfahrung bringen. Am 11./12. Januar fielen die ersten Schüsse zwischen bewaffneten Hereo und deutschen Schutztruppen. In den folgenden Tagen übernahmen bewaffnete Aufständische zunächst einige Siedler-Farmen. Immer mehr Herero schlossen sich dem Aufstand an und es gelang ihnen, die Schutztruppen auf wenige befestigte Städte zurück zu drängen. Auf Druck der Siedler und der Öffentlichkeit in Deutschland hin wurde der bisherige Gouverneur Leutwein durch General von Trotha abgelöst. Mit diesem kamen im Juni 1904 neue Truppen und Waffen in Südwest-Afrika an und die Militärführung ging über zum offenen und vernichtenden Krieg gegen die Aufständischen.

Die „Schlacht am Waterberg“

Von Trotha ließ die Aufständischen am Waterberg von den militärisch überlegenen Schutztruppen einkreisen. Der Ring wurde in Kämpfen immer enger gezogen, nur eine schwache Stelle in der Belagerungskette ließ einen Ausweg in Richtung Wüste offen. Am 11./12. August flohen die eingeschlossenen in die Omahekewüste, um der Einkesselung und Ermordung durch die Schutztruppen zu entgehen. Alle Fluchtwege und Wasserstellen wurden darauf von den Schutztruppen abgeriegelt, viele der in die Wüste Gedrängten verdursteten in den kommenden Wochen.

„Die Nation muß untergehen.“

Das Ziel der deutschen Militärführung unter von Trotha war die Vernichtung der Herero: „Die Nation muß untergehn. Wenn es mir nicht gelang, sie durch Geschütze zu vernichten, so muß es auf diese Weise geschehen.“ An die Herero gerichtet verkündet er: „ich, der große General der deutschen Soldaten, sende diesen Brief an das Volk der Herero. Die Herero sind nicht mehr deutsche Untertanen. ... Das Volk der Herero muß jedoch das Land verlassen, wenn das Volk dies nicht tut, so werde ich es mit dem Gewehr dazu zwingen. Innerhalb der deutschen Grenzen wird jeder Herero, mit und ohne Gewehr, mit oder ohne Vieh erschossen, ich nehme keine Weiber oder Kinder mehr auf, treibe sie zu ihrem Volke zurück oder lasse auf sie schießen. Dies sind meine Worte an das Volk der Herero. Der große General des mächtigen deutschen Kaisers.“
Die Ermordung der Herero wurde in den folgenden Jahren mit Zwangsarbeit und der Internierung in Lagern fortgesetzt. Der Kaiser beauftragte von Trotha im Dezember 1904 „Konzentrationslager für die einstweilige Unterbringung und Unterhaltung der Reste des Hererovolkes“ zu schaffen. Von 60.000 Herero überlebten nur etwa 18.000 Krieg und Lager. Die Hälfte der Nama-Bevölkerung wurde von den deutschen Truppen und Siedlern umgebracht (10.000 Ermordete).

Entschädigung sofort!

Für die deutschen Kolonisatoren war nach dem vernichtenden Feldzug der Weg zur „Erschließung“ des Landes frei. Die Deutsche Bank, Terex (später in der Deutschen Bahn aufgegangen), Ohrenstein und Koppel und die Woermann-Linie (heute: Deutsche Afrika-Linie) verdienten an Sklavenarbeit in den Minen und beim Bau von Eisenbahnlinien, am Transport von Truppen und Sklaven und der Ausbeutung der Bodenschätze. Bis heute wirken sich die Folgen der deutschen Kolonialherrschaft in Namibia aus. Ein Großteil des Landes und des Reichtums verteilt sich auf die Siedler-Farmen. Die heutigen Lohnsklaven sind die Nachkommen der Überlebenden des Aufstandes. Die Forderungen der Herero nach einer Landreform und Entschädigung finden in Deutschland kaum Gehör. Nachdem die Bundesregierung die Zulassung einer Entschädigungs-Klage in der BRD verweigert hatte, klagen Nachkommen der Aufständischen seit einigen Jahren in den USA gegen die eben genannten deutschen Firmen (bzw. ihre Nachfolger) auf Entschädigung. Der Ex-Außenminister Fischer brachte jedoch die Position der BRD Ende 2003 – kurz vor dem 100. Jahrestag des Aufstandes – in Windhuk auf den Punkt: „Wir sind uns unserer geschichtlichen Verantwortung in jeder Hinsicht bewußt, sind aber auch keine Geiseln der Geschichte. Deshalb wird es eine Entschädigungs-relevante Entschuldigung nicht geben.“
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Ergänzungen

Stadtradiomeldung

Erfreuter Stadtradiohörer 16.01.2006 - 20:35
Antikolonialbündnis widmet Denkmal um
Montag, 16 Januar 2006
Das Göttinger Antikolonialbündnis hat gestern Nachmittag eine Zusatztafel am sog. „Südwest-Afrika“-Denkmal an der Geismarlandstraße angebracht.
Hintergrund ist der 102. Jahrestag des „Herero Aufstandes“ in der damaligen deutschen Kolonie „Südwest-Afrika“, dem heutigen Namibia. Mit der Aktion soll den rund 56.000 Opfern der deutschen Kolonialtruppen während des Krieges gedacht werden. Auf der Tafel heißt es, mit dem sog. „Südwestafrika-Denkmal“ halte die Stadt Göttingen bis heute das ehrende Gedenken an Massenmörder aufrecht. Das Antikolonialbündnis fordert außerdem Entschädigungszahlungen für die Nachkommen der damals getöteten Personen. Das ursprünglich mit einem Bronzeadler gekrönte Denkmal war 1910 von Angehörigen des 82. Infanterie-Regimentes errichtet worden. Nachdem im April 1978 die Tafel und der Adler aus Protest gestohlen worden waren, ließ die Stadt Göttingen eine neue Gedenkplatte mit dem selben Wortlaut an das Denkmal anbringen.

Trittbrettfahrer Linkspartei

Mr. Bauchschmerz 17.01.2006 - 17:59
Soeben in den Nachrichten gelesen:

"Die Ratsfraktion der Linkspartei unterstützt die Initiative zur Umwidmung des so genannten „Südwest-Afrika-Denkmals“ an der Geismar Landstraße.


Das Göttinger Antikolonialbündnis hatte das Denkmal am Wochenende in ein Mahnmal für die Opfer des deutschen Kolonialismus umgewidmet. Die Linkspartei teilte nun mit, 102 Jahre nach dem Völkermord an den Hereros im heutigen Namibia sei es an der Zeit, endlich mit dem Mythos der Helden der deutschen Kolonialmacht zu brechen. Das Antikolonialbündnis habe mit der Umwidmung ein positives Zeichen gesetzt. Von der Stadtverwaltung fordert die Linkspartei, sie solle sich mit der ehrlosen Geschichte des 82er Regiments und des Militarismus allgemein befassen und sich jeder weiteren Ehrung der Soldaten versagen. Als Welt offene Stadt stehe es Göttingen außerdem gut an, sich an den Forderungen nach Entschädigungszahlungen für die Nachkommen der Toten zu beteiligen. Aus dem Ehrenmal für Kolonialsoldaten müsse ein Mahnmal gegen Kolonialismus und Rassismus werden."

Zusatztafel verschwunden

Anti-Kolonial 23.01.2006 - 12:14
die Zusatztafel, die das Antikolonialbündnis angebracht hatte, ist verschwunden.