Nachrichten aus Schinveld

Peter Polder 07.01.2006 18:59 Themen: Ökologie
Es ist Dienstagmorgen, ungefähr halb acht, langsam kommt in den Schinvelder Wäldern die Sonne auf. Heute Nacht habe ich die Nachteule gehört. Langsam erwache ich in einer Baumhütte. In der Nähe höre ich den Lärm der AWACS. Als die Flugzeuge überfliegen (nur ein paar Meter von meiner Hütte entfernt) zittert mein Magen vom Lärm (mehr als 100 Dezibel). Zeit um aufzustehen und runterzuklettern. Willkommen in einer neuen ökologischen Frontlinie.
Die Schinvelder Wälder bilden ein wunderschönes Naturschutzgebiet von ungefähr 500 Hektaren. Vorbei der deutschen Grenze schließt es an bei großen Wald- und Moor-Flächen. Ein großes Teil vom Gebiet ist in Händen der Naturschutzorganisationen und ist voller seltene Flora und Fauna. Auf dem Sumpfboden des Waldes wachsen hauptsächlich Birken und Eichen. Charakteristisch ist eine 200 Jahre alte Birke mit der Ausstrahlung eines Waldfürsts.

Gleich nebenan liegt der NATO-Stützpunkt Geilenkirchen (Deutschland).
Eine Betonfläche mit 17 stationierten AWACS. Das AWACS ist ein Radarflugzeug. Es sind uralte Boeing 707s mit einem großen flachen Rad auf dem Dach. die Flugzeuge werden benutzt für die Bewaffnung des Luftraumes und die Begleitung von Bombardierungen. Neben den 17 AWACS landen regelmäßig russische Frachtflugzeuge die hin und zurück fliegen nach Afghanistan. In dem niederländischen Brunssum wird der Einsatz von Truppen in Afghanistan koordiniert.

Der NATO-Stützpunkt liegt auf einem Hügel im Wald, und im kleinen Tal liegt das malerische Dorf Schinveld. Dieses Dorf, auch aber die Dörfer und Städte in der Umgebung, wird schon seit 25 Jahren belästigt mit dem Lärm und Gestank, verursacht von den immer wieder überfliegenden AWACS. Seit 25 Jahren verspricht die NATO daran was zu ändern, aber bis jetzt hat sich die Lage kaum verändert, oder besser: nur verschlimmert.

Der Lärm im Dorf ist wirklich ohrenbetäubend, noch schlimmer als in der Nähe des internationalen Flughafens Schiphol bei Amsterdam. Die Gesundheitsbehörden im niederländischen Bezirk Limburg haben festgestellt, dass der Lärm (mehr als 100 Dezibel) Gesundheitsprobleme bei den Menschen verursacht (Konzentrations- und Schlafstörungen). Lokale Hausärzte deuten auf den hohen Anteil von Krebsfällen im Gebiet, die den Abgassen zugeschrieben werden (die Flugzeuge verursachen ständig große schwarze Russwolke) und dem Kerosin, das die Flugzeuge abführen während der Landung.

Störend ist aber vor allem, dass die NATO die Klagen der Einwohner vollkommen negiert. Es gibt jedoch Verabredungen über den Flugweg der Flugzeuge, die aber kaum Folgen haben für die Praxis.

Die Flugzeuge fliegen oft in der Umgebung des Dorfes für Flugübungen, beim Dorf angekommen fliegen Sie in einem halben Kreis zurück, machen einen Durchstart und beginnen an der nächsten Runde.





Seit den achtziger Jahren schon will das Verteidigungsministerium ein Stück Walt von 20 Hektaren fällen. In der Nähe der Startbahn soll 6 Hektare bis auf 1 Meter-Höhe gefällt werden, und von 14 Hektaren des Waldes sollte 30 Prozent der Bäume (die höhere Bäume) ebenfalls bis 1 Meter 'verkürzt' werden, worunter auch die 200 Jahr alte Birke. Damals, als man den Stützpunkt in Gebrauch nam, hat man noch zugesagt den Wald unversehrt zu lassen. 10 Jahre später aber hat das Verteidigungsministerium den Wald schon angekauft, in der Absicht es zu fällen. In den 80-er Jahren hat man damit angefangen, was aber vor dem Gericht verboten wurde.

Undeutlich bleibt warum genau die Fällung notwendig ist. Offiziell sind es die Sicherheitsvorschriften der NATO, die eine 'freie' Flugbahn vorausstellen. Der Wald aber breitet sich mehr und mehr aus in der Richtung dieser Bahn. Unbeantwortet bleibt die Frage, warum dann noch weitergeflogen wird, als damit gegen die Sicherheitsvorschriften verstoßen wird.

Ein Offizier hat sich letztlich versprochen und bestätigt, dass der wirkliche Grund darin liegt, das die AWACS momentan nicht mit vollem Tank auffliegen können und deshalb in der Luft nachgetankt werden müssen. Wenn es in der Nähe des Stützpunkts keine Bäume geben würde und die Flugzeuge mehr Raum hätten zum auffliegen, dann wäre nachtanken in der Luft nicht nötig. Dies bedeutet zudem also, dass bei einer Baumfällung die Lärmbelästigung nur noch größer wird.

Die Einwohner des Dorfes und (nach langem ruhigem Abwarten) die Gemeinde Onderbanken und Brunssum widersetzen sich gegen die Lärmbelästigung und gegen die Baumfällung. Die Waldfläche liegt in der Gemeinde Onderbanken und der Gemeindevorstand verhindert schon seit Jahren eine Holzschlaggenehmigung. Ein schlauer Versuch des Ministeriums, Beginn dieses Jahres unter den Schein von Waldpflege schon mit dem Kahlschlag anzufangen, wurde auch verhindert. Die Gemeinde hat das Ministerium darauf hingewiesen, dass das Ministerium kein Forstbetrieb ist und deshalb im Wald nicht ohne weiteres arbeiten darf. Um klar zu sein, hat man gesagt, einzugreifen, wenn im Wald doch ohne Genehmigung gearbeitet wird und drohte dabei mit Polizeieinsatz. Nach dieser klaren Nachricht hat das Ministerium sich anders entschlossen und offiziell eine Genehmigung beantragt, die aber nicht abgegeben wurde. Darauf wurde ein so genanntes NIMBY (Not In My Back Yard)-Verfahren begonnen gegen die Gemeinde. In der Vergangenheit wurde dieses Verfahren auch benutzt bei Protesten gegen größere infrastrukturelle Projekte, wie beim Bau der Eisenbahnverbindung zwischen dem Roterdamer Hafen und dem Ruhrgebiet (Betuwelijn) in den 90-er Jahren. Und mit Erfolg: die Gemeinde damals wichen der politischen Übermacht. Die Gemeinde Onderbanken aber hat sich doch zum politischen Gefecht mit dem Ministerium entschlossen und das NIMBY Verfahren wurde Wirklichkeit.




Im komplizierten juridischen Gefecht hat man also mit verschiedenen Behörden zu tun mit verschiedenen Meinungen und undeutlich blieb auch ob das vom Ministerium begonnen Verfahren überhaupt rechtsgültig war. Um die Fällung zu verhindern, haben Gemeinde, Einwohner und eine Bürgerinitiative darauf einen Antrag für ein vorläufiges Verbot auf Kahlschlag im Wald gestellt. Der "Raad van State" (höchstes derzeit befugtes Gericht) hat den Antrag abgewiesen und zugestimmt mit der Fällung der ersten 6 Hektare, über die letzten 14 Hektare wird den 5. Januar endgültig beschlossen.

GroenFront!-AktivistInnen hatten schon mit den Vorbereitungen für aktiven Widerstand gegen den Kahlschlag begonnen, einige Monaten vor das NIMBY-Verfahren in Wirkung gestellt war. Im Sommer 2005 organisierte GroenFront! zusammen mit lokalen AktivistInnen ein paar einfache "Aktions-Übungen" (u.a. einen "Baumklettertag" und eine Übung "Aktionslager" aufbauen), damit AktivistInnen und Einwohner von Schinveld in der Lage waren, das Wald genauer 'explorieren' und auch einander besser kennen zu lernen. Auf diese Weise war es möglich sehr schnell nach der Beschlussfassung der Politik eine Waldbesatzung zu realisieren. Freitagmittag wurde die Entscheidung des Richters bekannt, am Sonntagabend gab es die ersten Baumhütten.

Im Moment wird vor allem gearbeitet am Bau des Aktionslagers. Jetzt, in diesem Moment, dass ich dies schreibe, gibt es schon 7 Baumhütten und entsteht ein Netzwerk von Seilbrücken. Heute war ich beschäftigt mit dem Bau einer Küche und eines kleinen Schuppens für das Aktionslager. Das alles in einer Eiche auf 10 Meter Höhe, die mitten im Lager steht. In der Baumhütte können (wenn es ein Dach gibt) auch mehrere Menschen schlafen. Der größte Feind ist vorläufig die Kälte und die Nässe. Trotz mehreren Kleiderschichten, 'thermo-' Unterwäsche und die 'warme' Unterstützung aus dem Dorf habe ich bemerkt, dass die Wetterumstände doch erschöpfend sind. Glücklicherweise versorgen die Umwohnenden uns jeden Abend mit warmem Essen, Kaffe und Tee. Viele Leute aus verschiedenen Städten und Dörfern kommen nach Schinveld, so dass die Auslastung des Lagers ausreichend und konstant ist und Leute auch ab und zu nach Hause können.

Vorläufig brachen wir noch keine Angst zu haben für die Autoritäten. Es ist unwahrscheinlich, dass sie sich jetzt schon entschließen die Bäume zu fällen und damit vielleicht auch mit Weihnachten ihre Arbeit fortsetzen müssen. Die lokalen Agenten kommen ab und zu vorbei, um was mit uns zu plaudern und an der Grenze patrouilliert regelmäßig die Militärpolizei. Auch die Überwachung des NATO-Stützpunkts ist verdoppelt, davon haben wir aber bis jetzt noch kaum etwas bemerkt. Es gibt viele Gerüchte über eine mögliche Räumung Anfang Januar.

Im Moment sind wir auf der Suche nach dem Namen des Betriebs, das so blöd sein wird, die Baumfällung auszuführen für das Ministerium. Wir haben ein paar unangenehme Überraschungen für sie vorbereitet und wir verlosen eine Kiste Bier, für denjenigen, der uns sagen kann, welchen Betrieb es sein wird. Wahrscheinlich wird ungefähr Anfang Januar 2006 angefangen mit der Arbeit im Wald.

Was diese Aktion so ungewöhnlich macht, ist vor allem die massenhafte Unterstützung von Einwohnern aus der Umgebung. Nicht nur kommen Viele mit was Geld oder Baumaterial, auch gibt es Leute die ihren Dusch, ihre Waschmaschine oder Rechner, usw. zur Verfügung stellen. Außerdem gibt es viel Einwohner die uns gesagt haben mitzumachen mit den Aktionen gegen die Fällung selbst. Viel Einwohner haben geplant während dem Kahlschlag einen Spaziergang durch den Wald zu machen, einzelne wollen sich auch an einem Baum fesseln. Und das sind keine halbwüchsigen Jungs aber vor allem RentnerInnen. So was habe ich in meinen 10 Jahren von Eko-Aktivismus nie so erfahren. Der Besuch z.B. vom Sekretär-General vom Ministerium am Dorf gab einen guten Vorgeschmack für die Aktionsbereitheit der Bevölkerung. Ungefähr 50 EinwohnerInnen haben den General beim Rathaus aufgewartet, der aber sehr feige hinter einer Tür verschwand, als man die Meute entdeckt hat. Danach sind die Einwohner ihn gefolgt im Rathaus zusammen mit GroenFront! AktivistInnen.

Wir haben eine ganz kleine Chance den Streit um den Wald zu gewinnen.
Wir kämpfen denn auch mit der NATO, einer der mächtigsten Institutionen auf dieser Welt. Nichtsdestoweniger gibt es eine kleine Chance. Zum Beispiel wenn kein einziges Betrieb es sich traut, die Arbeit anzunehmen oder die Politik zur Besinnung kommt.
Wie immer geht es uns GroenFront! AktivistInnen und Eko-AnarchistInnen nicht nur um die 6 Hektare Wald an sich. Für uns ist es vielleicht noch wichtiger das Gefecht größer zu machen als nur im Sinne der NIMBY-Haltung und die Leute hinzuweisen auf die Rolle der AWACS bei den Kriegen der Vereinigten Staten und ihre Bundesgenossen, um auf diese Weise zu zeigen, dass auch Biedermänner (oder -Frauen) in einem kleinen Dorf irgendwo an der niederländischen Grenze sich der nationalen kapitalistischen Politik widersetzen können.
Unser Ziel ist den Kahlschlag für die Behörde so schwierig wie möglich zu machen als eine Warnung für jedes nächstes Stück Natur, dass man zerstören will.
Außerdem gibt es immer noch eine kleine Chance den Kampf um die 14 Hektare noch zu gewinnen.

Möchtest du mithelfen mit der Verteidigung der Schinvelder Wälder: dafür gibt es unterschiedliche Möglichkeiten. Man kann natürlich das Aktionslager besuchen um ein paar Tage mitzuhelfen. Auf der Webseite von GroenFront! gibt es eine Wegbeschreibung und Packliste. Alle Hilfe ist aber willkommen, dafür sind deine Kletterfähigkeiten überhaupt keine Voraussetzung. Hilfe beim Übersetzen z.B. (wir brauchen mehr deutsche AktvistInnen...) oder das Organisieren einer Info-Veranstaltung, usw.

Und sei dir bewusst: GroenFront! bist du selbst, bleib nicht zu hause, sei aktiv!

Mehr Infos, Updates, Bilder, und wie du helfen kannst: www.groenfront.nl
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Ergänzungen