Edinburgh sagt "Nein" zur Privatisierung

AnarchoBabe von IMC Schottland 05.01.2006 15:23 Themen: Globalisierung Soziale Kämpfe
Edinburgh, Hauptstadt von Schottland und Sitz des Schottischen Parlamentes, stimmte in einer Mieterbefragung mit 53% gegen die Übergabe städtischen Wohneigentums an eine Wohnungsgenossenschaft.
Die PolitikerInnen sind entsetzt, weil eine kleine Gruppe der Mieterbewegung es geschafft hat, die Regierungspläne von "New Labour" und einer millionenschweren PR Kampagne zu durchkreuzen.

Vor etwa zwei Wochen, am Donnerstag, den 15ten Dezember 2004 wurde das Wahlergebnis bekannt: Die Wahlbeteiligung lag bei 60%. Für die Übergabe der Wohnungen vom City of Edinburgh Council (Stadtrat von Edinburgh) zu CEHA City of Edinburgh Housing Association Limited (Wohngesellschaft Edinburgh Stadt GmbH) stimmten 47% der 23000 wahlberechtigten Mieter mit "Ja", der Rest mit "Nein".
Hintergrund ist die Initiative der Blair Regierung "historische" Schulden des kommunalen Wohnungsbaus zu erlassen, falls das Eigentum übergeben wird.
Jenni Marrow, von der Kampagne Edinburgh Against Stock Transfer (E.A.S.T.) sagt: "Die Mieter haben nicht um die Häuserübergabe gebeten - es geht nicht um die Bedürfnisse der Mieter, es ist politisch und es geht um die Privatisierung städtischen Wohneigentums."
Im Falle Edinburgh belaufen sich die Schulden auf über 300 Millionen Pfund.
Im Moment werden 40% des Mieteinkommens verwendet um die Schulden zurückzuzahlen.
Ebenso wird versprochen in Neubauten und Renovierungen zu investieren: mit 2 Billionen Pfund zur Regeneration veralteter Wohnviertel wird gelockt, und eine neue Kücheneinrichtung sowie Badmodernisierung wird jedem Mieter im Falle der Wohnungsübergabe aus der städtischen in Privathand versprochen.
Die Mieter sind allerdings skeptisch: schlechte Erfahrungen wurden schon in Glasgow gemacht; viel wurde versprochen, wenig gehalten.
Mieter Brian Dillon erklärt in der von der Gewerkschaft Unison geförderten Zeitung "Defend Edinburgh's Housing":
"Die Stadt verspricht uns ein Geschenk von über 2 Billionen Pfund wenn wir für die Übernahme stimmen. Aber sie sagen uns nicht, dass davon 1.3 Billionen Pfund Darlehen sind, die aus Privatbanken stammen. Diese Banken fordern höhere Zinsen für die Schulden, welche aus den Mieteinnahmen bezahlt werden müssen."

Ausser Edinburgh haben sich in Schottland bereits auch Aberdeen und Dundee in ersten Erhebungen gegen Wohnungsübergaben ausgesprochen.

In England stimmte Sefton mit einer Wahlbeteiligung von 68.2% ebenfalls gegen eine Umstellung. 5.2 Millionen Pfund wurden dabei auf die Werbekampagne verwendet. Gewerkschaftsvertreter, die sich gegen die Übergabe eingesetzt hatten und streikten, wurden suspendiert.
Sedgefield, der Wahlkreis Tony Blairs, stimmte ebenfalls gegen eine Übernahme städtischer Wohnungen durch die Wohnungsgemeinschaft Sunderland Housing Group.

Heutzutage gehört noch ein Fünftel der Häuser in Grossbritannien den Städten oder Wohnungsbaugesellschaften. Der Anfang des kommunalen Wohnungsbau liegt im Housing of the Working Class Act 1890 (Übersetzung ad verbatum: Gesetz zur Wohnungslage der Arbeiterklasse im Jahre1890). Viele Wohnungen wurden in den zwanziger und dreissiger Jahren gebaut, und nach dem zweiten Weltkrieg. Seit den Siebzigern wurde es allerdings versäumt angemessen in Neubauten und Instandhaltung der städtischen Wohnungen zu investieren.
1980 wurde dann mit dem Housing Act das "Right to buy", das Recht des Mieters seine Wohnung mit Preisnachlass bis zu 60% von der Stadt zu kaufen, eingeführt. Ungefähr die Hälfte aller kommunalen Wohnungen wechselte daraufhin in Privatbesitz. Mit dem enormen Anstieg der Immobilienpreise konnten die ehemaligen städtischen Wohnungen mit hohen Gewinnen weiterverkauft werden, das trifft vor allem auf London zu.
Die Städte blieben in Besitz der weniger attraktiven Wohnungen, welche nun übergeben werden sollen.

Im Falle Edinburgh warb die Pro-Kampagne "Better Homes for Edinburgh" mit den versprechenden Schlagworten: "niedrigere Mieten, bessere Wohnungen, mehr Häuser, bessere Nachbarschaften, Versprechen halten".
Doch der unabhängige Informationsdienst der MieterInnen enthüllte, dass das Geld für einige der grössten Versprechen überhaupt nicht in den Haushaltsplan der neuen Gesellschaft einbezogen worden war.


Die Gegenkampagne konterte mit den schlechten Erfahrungen aus früheren Wohnungsübernahmen, und den praktischen Ergebnissen "höherer Renten und Zusatzkosten, weniger Mieterrechte und Mietsicherheit, mehr Räumungen, keine Verantwortlichkeit der Vermieter, und einen Anstieg an Obdachlosen."

Obwohl die neuen Wohngenossenschaften und -vereinigungen als RSL- Registered Social Landlords (= Übersetzung ad verbatum: Eingetragene Soziale Vermieter) operieren, sind die Räumungsraten im Vergleich zu städtischen Wohnungen fast doppelt so hoch.
In Sunderland verdreifachte sich die Warteliste für Sozialwohnungen nach der Übergabe.
In Tunbridge Wells, Kent, wurden die städtischen Wohnungen 1992 übergeben, in Wyre, Lancashire vor ungefähr neun Jahren, und in Vale of the White Horse in 1995. Die Mieterhöhungen für die ehemals städtischen Wohnungen halten dort die Spitze mit 50% im Vergleich zu durchschnittlich 25% landesweit für die RSL.
Im Vergleich sind die Mieten für städtische Wohnungen 17% billiger als nicht-städtische, laut National Audit Office.

Andere Versprechen wurden ebenfalls gebrochen: übergeben wurden die ehemals städtischen Wohnungen an örtliche Genossenschaften, welche dann aber häufig in finanzielle Schwierigkeiten gerieten und dann entweder von grossen überregionalen Gesellschaften übernommen wurden oder sich zusammenschlossen. Zum Beispiel die 1993 gegründete Hereward Housing Association in East Cambridgeshire wurde von der Sanctuary Housing Association im April diesen Jahres (2005) übernommen, und die in Liverpool gelegene Riverside Group hat sich mit der Londoner Churches HA zusammengeschlossen um Englands grösste Wohnungsgesellschaft zu werden, die in über 200 städtischen Gegenden operiert.

Mieter, die in Vorstände gewählt wurden, sind häufig aus Enttäuschung mangels ihres Einflusses und ihres Mitspracherechtes aus diesen zurückgetreten oder sogar ausgeschlossen worden.
Councillor Ian Tilbury:
"Ich sehe wenig Beweis dafür, dass der Vorstand die Richtung der Gesellschaft beeinflusst, es wird lediglich auf die Vorschläge der leitenden Führungsgruppe reagiert..."
Nick Strauss, ehemaliger Mieterrepräsentant und Vorstandsmitglied in der Canalside Housing Gesellschaft in Hackney:
"Nach ein paar Jahren begannen die finanziellen Probleme und so entschlossen sie sich Versprechen, die sie gemacht hatten, zu brechen. Und diese Änderungen wurden bei geheimen Treffen abgesprochen, und dann wurde es dem Vorstand erlaubt, diese zu kommentieren. Wir sprachen uns gegen diese Entscheidungen aus und wurden deshalb als Unruhestifter vom Vorstand suspendiert."

Eine kleine Gruppe von 15-20 Menschen hat es geschafft diese negativen Erfahrungen und detaillierte Informationen, die von der Stadt verschwiegen wurden, an die Mieter zu bringen. Fünf Millionen Pfund soll die Scottish Executive zur Unterstützung der Häuserübergabe bereitgestellt haben.
Mit Flugblättern, öffentlichen Veranstaltungen, selbstgedrehten Dokumentarfilm, Aufklebern, Plakaten, Strassentheateraufführungen, und Kundgebungen agitierten die meist etwas älteren MieterInnen für den Erhalt der städtischen Wohnungen.
Und protestiert gegen den G8 Gipfel hatten die AktivistInnen auch - näher kennengelernt hatten sie sich auf dem Stirling Anti-G8 Ecocamp.



Bibliography

Unison Scotland: “Defend Edinburgh's Housing”, leaflet
Tenants Information Service; “Tenants News”, Issue One/October 2005, leaflet
Tenants Information Service; “Tenants News”, Issue Two/October 2005, 8 Din A4 pages pamphlet
Tenants Information Service; “Tenants News”, Issue Three/November 2005, 8 Din A4 pages pamphlet
Defend Council Housing, “Hands off our homes”, Edinburgh Against Stock Transfer Campaign, leaflet
Defend Council Housing, “our future - privatisation of the Health Service, schools, Water and now our homes”, Stock Transfer Information Group
Defend Council Housing, “If you don't know, vote no”, leaflet
The City of Edinburgh Council, “Capital Tenant North”, Issue 3, Autumn 2005
Better homes for Edinburgh, Issue 08, August 2005, “Taking to the road”
Better homes for Edinburgh, Issue 09, September 2005, “Coming to a street near you” Better homes for Edinburgh, Issue 10, October 2005, “See how housing transfer could benefit you”
Better homes for Edinburgh, Issue 11, November 2005, “It's time to use your vote”
Better homes for Edinburgh, Pennywell Newsletter,
Better homes for Edinburgh, “Demonstration Blocks”
City of Edinburgh Council, letter from Councillor Sheila Gilmore, 17.11.2005
City of Edinburgh Council, letter from Councillor Sheila Gilmore, 30.11.2005
North Edinburgh News, November 2005, including
letter to the editor from Councillor Sheila Gilmore, Executive Member for Community Safety and Housing, “Councillor Gilmore urges you to vote”,
letter to the editor from Mark Turley, Director of Housing, “Response to questions on housing transfer"
letter to the editor from tenant W. Sutherland, “All the Answers”
letter to the editor from tenant T. Duff, “Something has to change”
letter to the editor from Louise Donnachie, Chair of WAGRAG, “Who's listening”
article, page 16, “Stock Transfer battle nearing final round”
article, page 16, "Stock transfer and repairs”, Jenni Marrow, Edinburgh Against Stock Transfer
North Edinburgh News, December 2005, including
letter to the editor, kept anonymous, “Vote Yes”
letter to the editor, Jeni Marrow (EA.S.T.) and Charlotte Fletcher (S.T.I.G.)
article, page 14, “Edinburgh's tenants set to vote on housing transfer”
article, page 6, “Drylaw 'no' to more housing development”
article, page 15, “Stock Transfer D Day Looms”
article, page 15, “Have-a-go hero faces eviction”
letter from Sian Roberts, Electoral Reform Services
Defend Council Housing: “reasons to reject privatization”, autumn 2005
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Ergänzungen

ja sauber

tagmata 05.01.2006 - 17:51
close call, aber es hat gereicht.

danke besonders für die bibliographie - entscheidend ist es bei solchen aktionen, der vereinnahmung der informations- und nachrichtenkanäle durch offizielle stellen entgegenzuwirken; nur so kann so eine aktion klappen. in deutschland hapert es meistens daran, daß da viel zu theoretisch argumentiert und zu verhalten an die sache rangegangen wird. deswegen sind die erfolgreichen antiprivatisierungskampagnen hierzulande halt bislang auf kleine oder mittlere städte beschränkt gewesen. aber da es in e'burgh möglich ist, 60% zur abstimmung zu bekommen und davon mindestens ebensoviele mit infos zu erreichen, sollte das auch in stuttgart, mainz, dresden, bremen... möglich sein.

der schlüssel ist, wie gesagt, darin, möglichst viele leute möglichst umfassend informiert zur abstimmung zu bekommen.

Nur eine Frage

Renöd 06.01.2006 - 02:19
Stimmt das mit den Billonen wirklich?

en/us billion = de Milliarde

anonym 06.01.2006 - 07:25

Antiprivatisierungskämpfe in der BRD

rent_zero 06.01.2006 - 10:59
@anarchibabe: vielen Dank für deinen informativen Beitrag und schön auch, dass es mal einen Kampagnenserfolg zu vermelden gibt. Hältst du uns weiter auf dem Laufenden über die Mieter/innenproteste in Schottland?

@tagmata: dein Appell an eine bessere Öffentlichkeitsarbeit ist abstrakt sicherlich richtig und gute Informationen und Aufklärung sind oftmals eine wichtige Voraussetzung für erfolgreiche Kampagnen. Doch im konkreten Fall der Wohnungsprivatisierungen geht dein Aufruf an den deutschen Verhältnissen vorbei. Denn Abstimmungen der Mieter/innen über eine Eigentümerwechsel sind in der bundesdeutschen Wohnungsgesetzgebung nicht vorgesehen. Verkäufe von öffentlichen Wohnungsbeständen oder kommunalen Wohnungsbaugesellschaften werden in der Regel auf der kommunalen oder Landeebene hinter verschlossenen Türen beschlossen - die Bewohner/innen sind dann mit den negativen Auswirkungen dieser Verkäufe konfrontiert.
Eine sinnvolle Strategie wäre es deshalb die allgemeine politische Stimmung stärker auf eine Kontra zu dem neoliberalen Privatisierungskurs zu lenken - erst wenn die Mythen von den Vorteilen der Privatisierung gebrochen sind, wird sich ein Privatisierungsmoratorium politische durchsetzen lassen.

Einen Versuch in diese Richtung unternimmt am 11.Februar 2006 die Berliner MieterGemeinschaft mit einer Konferentz zur Privatisierung in verschiednen Sektoren Berlins. Politische Aktivist/innen und wissenschaftliche expert/innen werden dort gemeinsam über die Folgen der und die Perspektiven gegen die Berliner Privatisierungspolitik diskutieren. Mehr und ausführlicher dazu:  http://www.bmgev.de/privatisierung/

Billionen

ab 07.01.2006 - 13:51
Vielen Dank fuer die netten Worte!

Ja, tschuldigung, die Billionen habe ich nicht richtig uebersetzt. Sind Milliarden, jawohl. Werde versuchen mir das zukuenftig zu merken.

Ausserdem hatte ich den Bericht eigentlich fuer die Junge Welt geschrieben, aber der Typ von der Auslandsredaktion war ein bisschen verpeilt und wusste nichts damit anzufangen - was schade ist.

Ich wollte den Artikel fuer Indymedia eigentlich mit anderen Stil und anderer Form schreiben - mit mehr Fokus auf direkte Aktionen im Zusammenhang mit den Kampf gegen Privatisierung und mehr Webseiten.

Werde versuchen ein nettes Feature daraus zu machen und die neuste Ausgabe von "Aufheben" hat ebenfalls einen Schwerpunkt zu der Privatisierung staedtischer Wohnungen.

Ein befreundeter Aktivist sieht die Sache aber ganz anders:
er bevorzugt die Privatisierung, weil er diese mit einer Anhebung des Lebensstandards und der Wohnqualitaet verknuepft.

Beiträge die keine inhaltliche Ergänzung darstellen

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weiterer infos sind moeglich

nick 24.05.2006 - 16:57
falls leute lust haben kann ich was weiter sagen, und bin im moment in Deutschland langfristig

sag mal hier besceid und Ich werde eine email organisieren

hat auch bestimmte zusammen hangen mit was geplannt ist fur die Wohnungsbaugessellschaften.