Wie man eine Familie als "irre" abstempelt

RalphK 30.12.2005 20:43
Nachdem wochenlang deutsche Gossenpresse und Dummfunk die Bevölkerung in penetranter Weise zugeschwallten mit Fürbittgottesdiensten u.ä. zum Wohle einer angeblich(en) mildtätigen Archäologin, die Opfer irakischer Geiselnehmer geworden sein soll, wechselte man bei den Darbietungen der Manipulationsmaschinerie vom Zuckerbrot zur Peitsche.
Was ging dieser 180°-Wende voraus?
Nun, nach ihrer mysteriösen "Freilassung" (ein Sprecher des Auswärtigen Amtes wies Spekulationen über einen Zusammenhang mit der völlig überraschenden Freilassung Hamadis nach fast 20 Jahren Haft weit von sich -  http://www.taz.de/pt/2005/12/21/a0090.nf/text.ges,1 ) gibt sie (am Montag, den 26.12.05) dem arabischen Sender Al Jazeera ein Interview. (Zuvor war sie vermutlich noch in Obhut der deutschen "Botschaft" oder des "BND-Hauses" in Bagdad, bei ihren Angehörigen daheim habe sie sich nicht gemeldet.)
Bei Al Jazeera hatte sie vergleichsweise leger ein Kopftuch angezogen und wirkte durchaus einigermaßen souverän, insbesondere Gestik wurde in adäquat wirkender Weise eingesetzt. Der zugehörige Interviewtext wurde jedoch auffälligerweise nicht verläßlich überliefert. Eine vollständige Fassung des (angeblich) auf Englisch geführten (warum dieses, wo sie doch fließend Arabisch sprach?) Interviews liegt uns jedenfalls nicht vor. Jedoch setzte hierzulande umgehend eine massive Kampagne gegen sie ein, da sie in dem Interview angeblich angekündigt hätte, in den Irak zurückkehren zu wollen. Was aber hat sie sonst oder sogar als viel eher berichtenswert in dem Al-Jazeera-Interview gesagt? Abgesehen davon, daß sie für die Entführer einiges Verständnis gezeigt habe, daß sie anmerkte, zum Glück seien ihr zufolge die Entführer "keine Kriminellen" gewesen, und Amerikaner aus der Grünen Zone hätten diese ja nicht entführen können.
Sehr bald darauf (Dienstag, den 27.12.05) soll eine angeblich identische, jedoch zutiefst vermummte bzw. verschleierte Person dem ZDF ein Interview gegeben haben. Wer diese Person tatsächlich ist, ist nicht erkennbar. Die Sätze der Person, sofern sie denn "live" von der Person stammen, sind vielfach grammatikalisch und formallogisch zerstückelt. Gestik findet nicht statt. Ausgerechnet das für den sog. "Anti-Terror-Krieg" so überaus praktische Phantom "Sarkawi" darf wiederholt in dem wirren Text auftreten bzw. genannt werden, allerdings ebenso weniger gut in den westlichen Kreuzzug passende Andeutungen über "jüdische Geheimdienstoffiziere" (  http://www.heute.de/ZDFheute/inhalt/24/0,3672,3256408,00.html ). Die BILD-Zeitung berichtet sogleich vom "irren Fernsehauftritt" der Person. Es wird somit in Summe der Eindruck des vollständigen Irreseins der Persons erzeugt. Wo genau und unter welchen exakten Umständen die Person gefilmt wurde, ist nur eines der vielen völlig unklaren Details. Sofort tauchen nun zusätzlich auch Meldungen auf, die Person habe ihre Entführung womöglich nur inszeniert. Eine mancherorts spekulierte frühere Tätigkeit für den BND sei absurd (doch wer finanzierte das teure Internat für ihnre Tochter, die an Weihnachten in der "Obhut" des BKA war?), jedenfalls überaus unwahrscheinlich. Vielmehr stelle sich die Frage, ob sie womöglich eine verdächtige Nähe zu Saddam Hussein (oder dessen früheren Anhängern als jetztigen Geldgebern) gehabt habe.
Praktisch zeitgleich (nämlich ebenfalls Dienstag, den 27.12.05 -  http://www.merkur-online.de/nachrichten/politik/aktuell/art297,466506.html ) ereignet sich in Oberbayern die staunenswerte Begebenheit, daß urplötzlich der Bruder der "irren" Person in die Psychiatrie zwangseingewiesen worden sein soll. Es wird also der Bevölkerung eingeflüstert, binnen weniger Stunden seien zwei Geschwister - obgleich tausende Kilometer getrennt und ohne bekannten Kontakt zueinander - völlig psychisch dekompensiert. Rein zufällig natürlich. Daß da jeweils Geheimdienste - westliche gar - nachgeholfen haben könnten, wird medial erstens gar nicht erst angeschnitten, und zweitens, wenn es doch jemand täte, würde dieser als notorischer Verschwörungstheoretiker und ebenso durchgeknallt wie die beiden Geschwister verunglimpft. Kaum servierte man der deutschen Öffentlichkeit die "Irre aus Bagdad", durfte ein Ex-Staatssekretär samt Familie, der auf Einladung hin im Jemen weilen soll, sich als entführt vermelden lassen. Daß dies "nur inszeniert" worden sein soll, ist hingegen nicht und nirgends zu lesen. Warum auch, so etwas würden ja nur "Irre" machen, aber doch kein "Rechtsstaat", schon gar nicht einer, in dem etliche führende "Vertreter" ihre Sehnsucht nach Folter und Militäreinsatz im Landesinneren sabernd absondern.
Derweil gehen - medial weitgehend bis völlig unbeachtet - die Kriegsvorbereitungen der USA, Israels und der NATO gegen den Iran munter weiter.
Rußland winkt derweil schon mal mit dem Zaunpfahl, Erdgas ggf. nicht mehr in die Ukraine zu liefern, und bei deren absehbarer "Gegenmaßnahme" eines teilweisen Abzapfens der anderweitig bestimmten Duchliefermenge gen Westeuropa liegt ein Total-Lieferstopp Russlands nahe.
Es ist dies ein Krieg mit Ansage: Spätestens ab März muß damit gerechnet werden, just also dann, wenn Iran Öl für Euros zu verkaufen gedenkt.
Creative Commons-Lizenzvertrag Dieser Inhalt ist unter einer
Creative Commons-Lizenz lizenziert.
Indymedia ist eine Veröffentlichungsplattform, auf der jede und jeder selbstverfasste Berichte publizieren kann. Eine Überprüfung der Inhalte und eine redaktionelle Bearbeitung der Beiträge finden nicht statt. Bei Anregungen und Fragen zu diesem Artikel wenden sie sich bitte direkt an die Verfasserin oder den Verfasser.
(Moderationskriterien von Indymedia Deutschland)

Ergänzungen

hast du das transkript gelesen?

tagmata 30.12.2005 - 22:42
die 'person' im zdf bezog sich mehrmals ausdrücklich auf das al-jazeera-interview und auf persönliche details aus osthoffs leben. gute transkripte von al-jazeera-interviews gibt es ziemlich wenige, nebenbei gesagt. und der 'jüdische geheimdienstoffizier' war niemand anderes als osthoff selbst, bwz die kidnapper hielten sie für ne mossadagentin... warum auch immer. geht aus dem zdf-transkript recht klar hervor - und auch, daß osthoff nachdem sie freikam erstmal vom bnd in die mangel genommen wurde (wenn das ein fake war, warum sagt man dann so was?).

warum die blöd-zeitung jetzt so ne welle macht, keine ahnung. am ehesten, weil im zdf merkel, die von der bild ja als heldin hochgekocht wurde, richtig dreckig ihr fett abbekommt und schröder hochgelobt wird. das macht komplett sinn, denn schröder ist dort unten einer von denen, die damals gegen den krieg waren und merkel eine von denen, die dafür waren. warum die politicos damals ihre positionen einnahmen und wie die genau waren sind details, die dort ungefähr so viele leute interessieren wie uns hier interessiert, was irgendein provinzvorsitzender irgendeiner schiitischen partei im irak gestern gesagt hat.

du bist von deinem vorsatz, irgendein geheimdienstliches spiel zu finden, dermaßen besessen, daß du dich selbst massiv bescheißt. klar könnte der zdf-auftritt n fake gewesen sein, aber das was osthoff (bzw. die 'person') sagte, war in sich konsistent, und in anbetracht der tatsache, daß nach geiselnahmen etc die betroffenen - besonders wenn es profis sind wie osthoff - erst mal ein paar tage auf normal machen und erst mit einer knappen halben woche verspätung kollabieren paßt vollkommen (wenn chrobog samstag freikommt, wird er mittwoch, donnerstag rum in behandlung sein); die psychischen folgen von extremsituationen kommen fast immer mit mehreren tagen verspätung. auch die detailinformationen, die im interview gegeben wurden, decken sich mit dem, was über die situation bekannt ist ('krasser staub in baghdad' ist nichts, was sich in einem fake finden würde).

mit anderen worten: du wendest die falsche technik an. du fragst dich, wo ansatzpunkte für ein fake sind und findest sie natürlich, weil du auch nicht die superahnung hast, wie's im irak grad abgeht (*ich* habe nicht die superahnung, und ich gebe verdammt viel zeit drauf, mich in puncto irak auf dem laufenden zu halten) und deswegen dir kram so zurechtinterpretieren kannst wie du lustig bist: making the facts fit the theory.

das führt zu nichts weiter als spinnertem selbstbetrug.

was die bessere methode ist, ist, sich *unabhängig von irgendwelchen "beweisen"* zu fragen: angenommen die sache ist gefaked, wie würde sie aussehen?

wenn das interview inszeniert wäre, würde die interviewte dann aussagen bringen, die der regierungsversion widersprechen? klar kannst du sagen, sinn der sache war, sie als durchgeknallt abzustempelt, aber der erfolg einer solchen maßnahme läßt sich nie absehen, und es wäre einfacher, die fragliche person direkt aus dem verkehr zu ziehen (kein schwein hätte es interessiert, wenn osthoff psychiatrisiert worden wäre). im falle eines geheimdienstlichen fakes, mußt du bedenken, geschehen dinge nicht, sie werden gemacht. dieses interview wäre also nicht notwendig gewesen. niemand hätte es vermißt. im gegenteil, so werden fragen aufgeworfen.

als fazit kann ich nur sagen, wenn irgendetwas inszeniert worden wäre, wäre a) die sache komplett versandet ohne jedes follow-up, oder b) 'osthoff' hätte im deutschen fernsehen angie merkel & friends für ihren einsatz gelobpriesen und die gängigen klischees des dummdeutschen über'n irak ansatzweise bestätigt (nur so weit, daß keine schlafenden hunde geweckt werden durch behauptungen, dort unten wäre alles friede freude eierkuchen).

ed2k://|file|Susanne.Osthoff.am.28-12-2005.bei.Marietta.Slomka.ZDF.heute-journal.22.00.h.Das.KOMPLETTE.Interview.als.Text.by.commuppter.com.pdf|30094|59BFF2DFC0EDCA8A3F3BD85C3B3EF1C4|/ für die, die's noch nicht kennen.

ach ja, und wo wir bei "Wer diese Person tatsächlich ist, ist nicht erkennbar" sind: wer sagt dir, daß marietta slomka marietta slomka war? wer sagt dir, daß es diese person überhaupt gibt?

den geist frei fliegen lassen aber dann wieder anketten, wenn man meint, genug gesehen zu haben ist billig.

du kritisierst da etwas, und beweist nichts weiter, als daß du voll drauf reingefallen bist: eine wirkliche, *unabhängige* kritische analyse der geschehnisse sieht anders aus als dieses herumgekaue auf plattheiten der verdummungspresse (du bist in deiner argumentation konstant in der geistigen welt von bild & co gefangen und schaffst es nicht, auszubrechen. wieso? schwierig ist das weißgott nicht)


ps zarqawi: das ist der punkt, an dem ich osthoff etwas widersprechen würde - der mann ist einfach zu sehr poster boy (wenn sie von den entführern für 'ne mossad-agentin gehalten wurde, macht es sinn, daß sie sich als bin-ladin-fans bezeichnen würden, ob sies nun sind oder nicht, einfach nur um zu sehen, wie ihr opfer die fassung verliert. und das hat ja wohl auch geklappt)

jedenfalls kann nur ein deutscher, der im warmen zimmerchen sitzt, glauben, al-zarqawi wäre nicht real. daß der mann nicht das ist - gar nicht sein *kann* nach allem was wirklich bekannt ist -, für das er gemeinhin gehalten wird (der große pöhse drahtzieher allen terrors im irak), ist völlig klar. aber daß er in weiten kreisen zwischen halab, basra, kairo und sana'a ein image hat, das komplett larger than life ist, und daß es ne menge abgefuckede mittelschichtkiddies dort gibt, die ihn für den größten halten und bereit sind, sich für ihn in die luft zu sprengen, ist genauso klar bzw sollte es (jedeR wo sich für diese ganze terror-krieg-irak-scheiße interessiert, sollte sich mal mit jungen islamisten unterhalten. nicht diskutieren oder sie 'bekehren' wollen, sondern die einfach mal erzählen lassen; das alles zu verstehen ist unmöglich, ohne einen einblick in den mindset dieser leute zu haben).

mag sein, daß die cia sich mal dachte, wow, wir bauen da ne neue terroristische bedrohung, osama wird langsam alt. aber es ist hirnrissig zu glauben, zumal mittlerweile, dieses image würde weiterhin so gefördert wie es nach diese theorie gefördert würde; dazu ist es einfach zu sehr werbewirksam für die andere seite! denn eins darfst du nie vergessen: das, was wir von al-zarqawi mitbekommen, ist ein fliegenschiß zu dem, was der name dieses mannes im irak bewegen kann (und zwar völlig unabhängig davon, was dieser mann tatsächlich bewegen kann bzw konnte, denn das war nach allen glaubwürdigen berichten nie besonders viel). naja, image ist alles, ob du bundeskanzlerin bist oder 'topterrorist'.

was auch immer al-zarqawi tut, bzw die, die sich auf ihn berufen: für deutsche und mit mehr als einem flüchtigen, winzigen blick in richtung deutschland und die öffentliche meinung dort tun sie's gewiß nicht. mag ja sein, daß das schwer zu verdauen ist, aber: wir interessieren in den terroristischen kreisen des irak so ziemlich keine sau. deutschland und die deutschen sind schlicht nicht wichtig genug, als daß irgendeine gruppe dort unten sich gedanken über ihre einschaltquoten zwischen nordsee und alpen machen würde.

nur Medienzirkus

Medienwissenschaftler 31.12.2005 - 07:26
Das der Bruder von Osthoff jetzt in eine Nervenklinik eingewiesen wird kann ja erst das Resultat von zuviel medialer Aufmerksamkeit sein.
Auch ansonsten würde ich würde das, was in den Medien berichtet wird, nicht allzuernst nehmen.
Was die Hintergründe des Falles betrifft reicht www.german-foreign-policy eigentlich aus:
 http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/56135
(inwischen leider im Archiv).

Anonsten gilt das gleiche wie für das Geiselldrama auf der Insel Jolo, der einzige Unterschied dürfte wohl sein, das Frau Osthoff für Medien schwerer zu erreichen ist:

"Die Medien weiteten ihre Berichte über Entführung und Entführte Schritt für Schritt (...) auch dann noch aus, als das eigentliche Ereignis, die Entführung, längst beendet war. Täglich legten sie noch Bilder über das Leben der Befreiten, O-Töne der Betroffenen, Nachrichtenhappen aus deren Umwelt ihrer Öffentlichkeit vor, um die Publizität des Falles auszuschlachten, solange noch ein Funken Leben in ihm wohnte. Fragen an die Befreiten vor und hinter ihrem Haus, auf dem Weg zur Arbeit, Fragen an die Arbeitskollegen, die Nachbarn, bis schließlich kein Tropfen Aufmerksamkeit mehr aus der Sache zu pressen war."
(Thomas Meyer, Mediokratie, 2001, Suhrkamp; S.135)

mods?

irre! 31.12.2005 - 11:19
warum löscht ihr solch hahnebüchenen unsinn nicht einfach? kann doch nicht sein das hier jeder seine psychosen ausleben darf.

@author: mach ne therapie bevor SIE dich kriegen. du bist ja noch irrer als die osthoffs

Kein Fall für Berlin

Archiv: german-foreign-policy 31.12.2005 - 14:26
english available:
 http://www.german-foreign-policy.com/en/fulltext/55958

Bundesregierung und deutsche Industrie setzen Zusammenarbeit mit Besatzungsmacht fort.
gfp, 30.11.2005
 http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/56135
BERLIN/BAGDAD/MÜNCHEN (Eigener Bericht) - Trotz anhaltender Gefährdung der im Irak bedrohten deutschen Geisel setzen Bundesregierung und deutsche Industrie ihre Zusammenarbeit mit der illegalen Besatzungsverwaltung fort. Die Entführer verlangen ein sofortiges Ende der Berliner Staatsbeihilfen für die Bagdader Administration. Ohne auf diese Forderung einzugehen, verlautbart der Krisenstab, man werde das Leben der entführten Susanne Osthoff zu retten versuchen; gleichzeitig offeriert das Berliner Wirtschaftsministerium interessierten deutschen Firmen schnelle Geschäfte mit dem Folterregime und hat grünes Licht für staatliche Export-Garantien gegeben. Die Vereinbarungen ("Hermes-Kredite") wurden mit den Bagdader Statthaltern im dortigen Finanzministerium getroffen. Von den Berliner Kreditzusagen profitiert u.a. der Siemens-Konzern, der mit diversen Produktsparten im Irak tätig ist. Beim Geschäftsaufbau lassen sich die deutschen Investoren von ortskundigen Mitarbeitern helfen, zu denen auch Susanne Osthoff gehörte. Diese Tätigkeit wird in Guerillakreisen als feindliche Zuarbeit für ausländische Kriegsparteien verstanden. Die bedenkenlose Nutzung individueller Hilfsbereitschaft für die politischen Ziele der Bundesregierung und der deutschen Wirtschaft wurde der jetzt entführten Deutschen zum Verhängnis.

Über die Überlebenschancen von Susanne Osthoff heißt es im Berliner Krisenstab, man werde auf die politischen Forderungen der Kidnapper auf keinen Fall eingehen. Unter Hinweis auf einen Entführungsfall im Jahr 1977 wird die deutsche Öffentlichkeit von anonym auftretenden Diplomaten darauf vorbereitet, dass der Tod von Frau Osthoff hinzunehmen ist, sollten die Geiselnehmer an ihrer Forderung nach Abbruch der deutschen Regierungshilfe für die irakische Administration festhalten.[1] Eine Änderung der Berliner Außenpolitik werde nicht stattfinden.

Für den Krieg
Deutschland beteiligt sich am Aufbau der von den Besatzungsmächten installierten Verwaltung mit Ausbildungs- und Ausrüstungsmaßnahmen, die auch bewaffnete Verbände umfassen (Polizei, Streitkräfte). Wie das Auswärtige Amt einräumt, zählen zu dem von Berlin instruierten Personal mehr als 300 Baupioniere, über 400 Kriminalpolizisten, 170 Mitarbeiter irakischer Ministerien (von der GTZ in Kairo ausgebildet), 42 Diplomaten und weitere Ministerialbeamte, außerdem über 120 Wahlbeobachter sowie so genannte "Multiplikatoren", die an der Ausarbeitung der Verfassung beteiligt waren.[2] Zusätzlich wurden bzw. werden 25 irakische Stabsoffiziere an der Führungsakademie der Bundeswehr geschult - für den Krieg gegen ihre eigenen Landsleute.

Wichtiger Beitrag
Erst vor wenigen Tagen (am 17. November) gab das Bundeswirtschaftsministerium grünes Licht für "Hermesdeckungen zugunsten deutscher Exporteure", die in den Irak liefern und unter Kriegsbedingungen Geschäfte machen wollen.[3] Die zum Allianz-Konzern [4] gehörige Euler Hermes Kreditversicherungs-AG schloss ein "Rahmenabkommen" mit dem irakischen Finanzministerium und der Trade Bank of Iraq. Danach hat das irakische Finanzministerium "gegenüber dem Bund" für alle "Zahlungsverpflichtungen" irakischer Importeure "einzustehen": "Damit sind alle unter dem Abkommen abzuwickelnden Exportgeschäfte für den Bund de facto mit einer Staatsgarantie unterlegt." "Weitergehende Hermesdeckungen" werden für den Fall in Aussicht gestellt, dass die irakische Seite "überfällige" und "nicht bundesgedeckte offene Irakforderungen deutscher Exporteure" aus der Regierungszeit Saddam Husseins begleicht. Schließlich leisteten die Exportbürgschaften der Bundesregierung "einen wichtigen Beitrag zum Wiederaufbau Iraks" und ermöglichten deutschen Firmen "die Wiederaufnahme ihrer Lieferbeziehungen mit irakischen Kunden", so Euler Hermes-Vorstandsmitglied Dr. Hans Janus.[5]

Unüberbrückbar
Bei den deutschen Irak-Exporten kommen hochbezahlte Mittler zum Einsatz, zu deren Aufgaben die operative Steuerung der Geschäftsbeziehungen in den Mittleren Osten gehört. Vor Ort werden Mitarbeiter mit Sprach- und Landeskenntnissen benötigt, die bei hoher Gefahrenlage ihr Leben riskieren - oft aus humanitärem Altruismus. Ähnliche Motivationen werden der entführten Susanne Osthoff zugeschrieben, die für eine Münchner Consulting-Agentur in Bagdad tätig war ("FaktorM"). Das Unternehmen gibt an, deutsche Firmen aus den Bereichen "Energieversorgung", "Gesundheitswesen" und "Öffentlicher Dienst" zu beraten, wobei "interkulturelle Kompetenz" beim Umgang mit Kunden aus arabischen Staaten vermittelt werde - ein Vorgang, der mittlerweile zum Standardrepertoire deutscher Firmen gehört und auf schwer überbrückbare Differenzen bei der westlichen Expansion in die islamischen Länder verweist.

Business Opportunities
Über Frau Osthoff sagt ihr Arbeitgeber, sie habe "Projekte zum Aufbau des Gesundheitswesens im Irak" initiiert, koordiniert und beraten.[6] Genau auf diesem Geschäftsfeld ist der Münchner Siemens-Konzern tätig.[7] Dr. Peter Bertsch, Vertriebsmanager im "Medical Department" bei Siemens Erlangen, berichtete auf der "Deutsch-Irakischen Wirtschaftskonferenz" im Juli dieses Jahres in München, dass "Siemens Medical Solutions" seit langem hochwertige medizinische Geräte in den Irak exportiere, darunter allein 33 Computertomographen.[8] Siemens befand sich auf der Wirtschaftskonferenz in bester Gesellschaft; die Liste der Konferenzthemen war lang: Firmenvertreter sowie hochrangige Repräsentanten der Bundesregierung und der bayerischen Staatsregierung diskutierten mit ihren irakischen Gesprächspartnern aus Regierung und Wirtschaft die Geschäftschancen auf fast sämtlichen Unternehmensfeldern. Deutsche Investitions- und Exportinteressen betrafen die Sektoren Infrastruktur, Bankwesen, Energieversorgung ("Oil and Gas"), Kommunikationstechnologie und Sicherheitssysteme ("Security Systems") sowie Wasserwirtschaft. Der zweite Teil der Konferenz war strategischen Fragestellungen vorbehalten: Zugang zum irakischen Markt ("Market Entry into Iraq"), Ausbildung von irakischen Fachkräften in Deutschland und potentielle Geschäftsfelder in Irakisch-Kurdistan ("Business Opportunities in Kurdistan").[9]

Opferung
Das der deutschen Öffentlichkeit verborgene Ausmaß wirtschaftlicher und politischer Interessen im Irak lässt erahnen, warum sich die Bundesregierung auf die eventuelle Opferung des Lebens der Verschleppten vorbereitet. Eine Entwicklung wie im Fall der italienischen Journalistin Giulina Sgrena will sie unbedingt vermeiden: Unter dem Druck der italienischen Öffentlichkeit musste Rom in diesem Frühjahr politische Zugeständnisse machen, um den Entführern entgegenzukommen und das Leben von Frau Sgrena zu retten - kein Fall für Berlin.

[1] Erster Ernstfall für die Kanzlerin; Focus online 29.11.2005:
 http://focus.msn.de/hps/fol/newsausgabe/newsausgabe.htm?id=22023

[2] Reformkurs 12.06.2005 BAGDAD/AMMAN/MÜNCHEN
(Eigener Bericht) - Die Friedrich-Naumann-Stiftung (FNSt) übernimmt eine Vermittlerrolle bei der Ausgestaltung der heftig umstrittenen irakischen Verfassung. Anfang Juni hat die FDP-nahe Organisation in der jordanischen Hauptstadt Amman mit hochrangigen irakischen Politikern über Verfassungstraditionen in europäischen und arabischen Staaten diskutiert, weitere Veranstaltungen zur Verfassungsthematik sollen folgen. Die FNSt-Aktivitäten werben für deutsche Verfassungselemente ("Föderalismus") und reihen sich ein in weitere Projekte Berlins, die darauf . . .
N a u m a n n - S t i f t u n g FNSt-Seminar: Verfassungsberatung Irak
Im Rahmen einer durch das Auswärtige Amt geförderten Maßnahme zur "Verfassungsberatung Irak" hat das Projektbüro Amman der Friedrich-Naumann-Stiftung (FNSt) jetzt gemeinsam mit der Internationalen Akademie für Führungskräfte der Stiftung in der Theodor-Heuss-Akademie ein Seminar zum Thema Föderalismus im Irak durchgeführt. Ein Höhepunkt der Veranstaltung war der Vortrag des FNSt-Vorstandsvorsitzenden Otto Graf Lambsdorff mit dem Titel "Eine Verfassung der Einheit in Vielfalt für die Bürger des Irak".Sami Shabak, Otto Graf Lambsdorff und Jaber Awak
und
Tribale Elemente 22.07.2005 MÜNCHEN/GUMMERSBACH/BAGDAD
 http://heimpel.intersaar.de/www.saar-echo.de/de/prt.php?a=24936

[3] Rahmenabkommen für Hermesdeckungen mit irakischem Finanzministerium und Trade Bank of Iraq unterzeichnet; www.agaportal.de 17.11.2005 siehe bei Fußnote 5

[4] s. dazu Drang nach Osten und Süden 18.03.2005
MÜNCHEN/BEIJING (Eigener Bericht)
Der deutsche Versicherungskonzern Allianz will verstärkt die ,,strategischen Zukunftsmärkte"China, Russland, Indien und Osteuropa erschließen. Dies geht aus dem aktuellen Geschäftsbericht des Unternehmens hervor, der am gestrigen Donnerstag in München veröffentlicht wurde. Die Wirtschaft der genannten Länder weist hohe Wachstumsraten auf; gleichzeitig droht breiten Bevölkerungsschichten ein Leben in Altersarmut, da staatliche Rentenversicherungssysteme abgebaut werden oder allenfalls rudimentär weiterexistieren. Dies macht sich die Allianz-Gruppe . . .
Logisch 15.09.2005
Nach der Einverleibung der italienischen RAS plant der deutsche Finanzkonzern Allianz auch die vollständige Übernahme der zweitgrößten französischen Versicherung Assurances Generales de France (AGF). . . .
und
Brücke nach China 19.10.2005
Die Deutsche Bank und der Allianz-Konzern haben mit der angekündigten Expansion in der Volksrepublik China begonnen. . .
[5] Rahmenabkommen für Hermesdeckungen mit irakischem Finanzministerium und Trade Bank of Iraq unterzeichnet; 17.11.2005:
 http://www.agaportal.de/pages/aga/service-center/pressecenter/archiv/2005-11-17.html

[6]  http://www.faktorm.de/

[7] Siemens, FaktorM und Eon sponserten gemeinsam die Tagung "Bild und Macht", die im April 2004 vom Département für Philosophie an der Ludwig-Maximilians-Universität München veranstaltet wurde.
 http://www.bild-und-macht.de/

[8], [9]
 http://www.deutsch-irakische-wirtschaftskonferenz.de/ln/de/index.php

Beiträge die keine inhaltliche Ergänzung darstellen

Zeige die folgenden 5 Kommentare an

a — b

welcher ddr geheimdienst — geht dich gar nichts an

Paranoia at its best — BerndRidi

ach ja — tagmata

Kampf gegen das Sexismus — Vegan Transgender (sehr hip)