Frechheiten gegen Kranke

an das berichterstattung 26.12.2005 23:10
Wie ich mich gefühlt habe ist ja egal. Ich hab´ aber nicht gedacht, das der Betriebsarzt mir blöd kommen wird oder so was, der ist ja für die Leute da, war bis dahin meine Meinung. Weit gefehlt: Als ich in seinem Zimmer saß, ist er mir erst mal entgegengetreten als sei ich ein Individuum zweiter Klasse, dann hat er gemeint: Junger Mann (ich bind über dreißig Jahre alt!), wie stellen sie sich dass den eigentlich vor? Glauben Sie vielleicht sie können sich das noch lange leisten?
Beschäftigte, die in kleineren Firmen einmal krank werden, schleppen sich für gewöhnlich so lange in den Betrieb, bis es gar nicht mehr geht. Wie ist das aber in den großen Industriebetrieben in der Region Main-Rhön? Jeder kennt die landläufige Meinung, die Beschäftigten dort seien aufgrund von starken Gewerkschaften und unabhängigen Betriebsräten eher bereit, ihr eigenes gesundheitliches Wohl vor die Interessen des Unternehmens zu stellen. Statistiken sprechen indes eine andere Sprache. Die Krankmeldungen gehen zurück, sagen verantwortliche des Gesundheitsministeriums, obwohl die tägliche Belastung für die Arbeiter steigt. Die Angst vor dem Krank sein und einem drohenden Verlust des Arbeitsplatzes geistert auch in unserer Region umher. Arbeiter aus der Gegend erzählen sogar von unglaublichen Frechheiten, die betriebliche Arzte gegen Kranke richten.

Klaus Ernst, Chef der IG-Metall in Schweinfurt und Abgeordneter der Linken in Berlin hat sich zum Thema Krankeit zu Wort gemeldet und zu den gesunkenen Krankmeldungen die von den Ministerien für Arbeit und Gesundheit gemeldet wurden eine Stellungnahme abgegeben: "Der Rückgang der Krankmeldungen in den Betrieben wird mittelfristig teure Gesundheitskosten nach sich ziehen. Die Angst um den Arbeitsplatz hält die Menschen auch dann im Betrieb, wenn sie längst zum Arzt gehen und sich auskurieren sollten." Nur eine Politik, die in der Tat die Arbeitslosigkeit abbaut, könne einer solch fatalen Entwicklung entgegenwirken, meint Ernst. Wer aber, wie die Bundesregierung mit jahrelangen Probezeiten die Unsicherheit noch verstärkt, ist für die Folgen verantwortlich. Mittelfristig führt das, weiß Ernst aus Gesprächen mit unabhängigen Arbeitsmedizinern, zu noch schwereren Erkrankungen bei den Betroffenen.

Ernst kennt die Praxis: Urlaubstage oder Überstunden werden nicht selten zweckentfremdet. Arbeiter melden sich bei ihren Vorgesetzten häufig krank und verzichten dabei auf tarifliche Kurzkrankregelungen oder die Krankschreibung durch den Arzt.

Ein Arbeiter aus der Schweinfurter Großindustrie berichtet in einem Schreiben, welches an das berichterstattung von indymedia gesandt wurde über Erfahrungen, die er/sie mit einer Migräneerkrankung in einem Schweinfurter Großbetrieb gemacht hat:

„Ich leide unter Migräneanfällen. Jeder der das kennt, der weiß wie schlimm es ist. Wenn´s mich erwischt und ich nicht arbeiten kann, dann ruf ich meinen Meister an und sag bescheid, dass ich wegen der Kopfschmerzen nicht arbeiten kann. Ich bin IG-Metall Mitglied und weiß deshalb, dass ich wegen der Migräneattacke bis zu drei Tage zu Hause bleiben kann. Dafür ist eine Krankschreibung durch den Arzt nicht notwendig, schließlich dauern die Schmerzen ja nicht ewig und meist kann ich nach einem oder nach zwei Tagen Erholung wieder arbeiten. Wegen der Sache war ich schon oft beim Arzt, leider hat mir bisher noch keiner helfen können. Nicht selten schleppe ich mich in die Firma, obwohl es mir fast den Kopf zerreist. Manchmal denke ich, wenn der ganze Stress auf der Schicht nicht wäre, hätte ich diese schrecklichen Migräneattacken nicht. Aber was soll ich tun, ich hab nur meine Arbeitskraft, die ich zu Geld machen kann. Ich sehe ich nicht ein, jedes Mal zum Arzt zu gehen und dafür die 10 Euro Praxisgebühr zu bezahlen. Würde ich zum Arzt gehen, würde der mich mindestens drei oder vier Tage krank schreiben. Das will ich auch nicht, die 10 Euro spar ich mir lieber.
In den letzten vier Jahr war ich elf mal wegen der Migräne einen Tag daheim. Jetzt kommt der Hammer. Mein Personalchef hat mich angerufen und mich zum Betriebsarzt befohlen. Wie ich mich gefühlt habe ist ja egal. Ich hab´ aber nicht gedacht, das der Betriebsarzt mir blöd kommen wird oder so was, der ist ja für die Leute da, war bis dahin meine Meinung. Weit gefehlt: Als ich in seinem Zimmer saß, ist er mir erst mal entgegengetreten als sei ich ein Individuum zweiter Klasse, dann hat er gemeint: Junger Mann (ich bind weit über dreißig Jahre alt!) , wie stellen sie sich dass den eigentlich vor? Glauben Sie vielleicht sie können sich das noch lange leisten? Wissen sich nicht, dass draußen tausend Leute auf ihren Job warten? So oft wie sie Kurzkrank "machen", dass geht so nicht! Der hat nicht groß gefragt unter welcher Krankheit ich leide oder so was. Der hat mir nur reingedrückt ich sei ein Simulant und wenn ich noch ein paar mal Kurzkrank wäre, dann müsste ich mit meiner Entlassung rechnen. Ich war nicht besonders schlagfertig und etwas aufgeregt. Ich hab´ ihm gesagt was ich habe, aber das wollt der gar nicht hören, dann hat er mir eine Broschüre über Migräne mitgegeben und mich aus seiner Praxis verabschiedet.

Ich habe keine Angst vor Arbeitslosigkeit oder so was, ich lass´mir auch nichts gefallen, deshalb kann der mich auch nicht einschüchtern. Eines weiß ich seit dem Gespräch jedenfalls: Wenn ich wieder die scheiß Migräne bekomme, dann gehe ich zum Arzt. Ich bleibe dann nicht einen Tag zu Hause, sondern so lange wie ich krankgeschrieben werde. Meist ist das mindestens eine Woche.
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Ergänzungen

Frechheiten gegen Kranke

Gerald Franz 27.12.2005 - 01:31
Ich bekunde absolute Solidarität, weil es alle betrifft: Ein Unternehmer im Alter von 45 Jahren, der einmal von der Leiter gefallen ist, und der sich dabei einen Beckenbruch zugezogen hat, und der nur noch bedingt arbeitsfähig ist, der wird von seiner Unfallversicherung in ein sehr nettes unverbindliches Gespräch verwickelt, Dabei erwähnt der Chef, daß er große Anstrengungen unternehmen muß, um seinen Alltag gesundheitlich zu bewältigen, und er berichtet von einem Morgenlauf, therapeutischem Reiten und der Mitwirkung im örtlichen Posaunenchor. Als Ergebnis teilt die Unfallversicherung mit, das Laufen mit gleichzeitigem Musizieren auf eine erhebliche Verbesserung des ursprüngülichen Gesundheitszustandes schließen läßt, und daß daher die 400 Euro pro Monat ab sofort nicht mehr ausgezahlt werden.

krank-feier-broschüre der überflusssigen

egal 27.12.2005 - 14:23

Mehr an sich selber denken

Klaus Hackeberg 28.12.2005 - 13:11
Dass Angst um den Arbeitsplatz krank macht, zeigt anschauliche eine
neue Studie des Wissenschaftlichen Institut der AOK (WIdO)
Quelle:  http://www.wido.de

Dort wo der Arbeitgeber auf ärtzliches Attest ab dem
ersten Tag besteht, kann der BR durchaus vereinbaren,
dass die 10 Euro vom Arbeitgeber zu zahlen sind
(dies macht nur kaum ein BR)

Und auch sonst bleiben nur wenige wirklich zu hause
wenn sie krank sind. Angst mach so jedoch gleich in
doppelter Weise krank: Einmal durch den permanenten
Angst-Stress, zum anderen wegen fehlender Bereitschaft
sich auszukurieren.

So verständlich Angst um den Arbeitsplatz auch ist,
würden mehr Beschäftigte endlich mal ihre Angst
überwinden, könnten sie auch mehr durchsetzen und
hätte bessere Chancen angstfrei zu leben. Auf die
Politik braucht hier im Übrigen niemand zu warten
(vgl. die 24 Monate Probezeit)

ko management

k.o. 29.12.2005 - 08:39
betriebsärzte haben lediglich die funktion auszusortieren, hilfe braucht sich von den leuten keiner zu erwarten. ich würde eine untersuchung beim betriebsarzt wenn es irgendwie geht immer vermeiden. problematisch dabei ist, dass die meisten ko manger in den betriebsräten sehr "vertrauensvoll" mit den ärzten zusammenarbeiten (da gibt es diesen und jenen ausschuss in dem man sich trifft und schätzen lernt) und sich einbilden, sie würden dabei politik für die beschäftigten betreiben. ich denke mal ich weiss welches unternehmen hier gemeint ist: in dem betriebsrat dieses ladens käme keiner der betriebsratsmitglieder jemals auf den gedanken, die politik des betriebsarztes in frage zu stellen, obwohl fast jeder der arbeiter, die einmal mit dem weiskittel was zu tun hatten, nur den kopf schütteln. traurig dabei ist, dass ein solches verhalten (der umgang mit dem betriesarzt ist nur ein beispiel, weitere wären die üblichen schwachsinnigen standortsicherungsverträge etc.) die ig-metall fraktion im betriebsrat bei den kommenden wahlen akut schwächen wird. in bayern ist es üblich das die sitze die die ig-metall verliert, die cgm gewinnt, nicht weil die besser sind, sondern weil die leute die ig- metall abstrafen wollen. zum beispiel dafür, dass man lohnverzicht im betrieb unterschreibt und dann zur tarifrunde im frühjahr die leute vors tor holen will.

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