Bericht: 4. Prozesstag gegen Christians S.

Prozessbeobachterin 23.12.2005 10:27 Themen: Antifa Repression
Am 16.12.05 fand in Berlin der vierte Prozesstag gegen Christian S. und seine Verlobte, wegen Landfriedensbruch pp. nahe des Nazigroßaufmarschs in Dresden am 13. Februar 2005, statt. Besser spät als nie ein kleiner Bericht zu dem Prozess.
Obwohl es doch aus den letzten Prozessterminen klar genug seien müsste, dass es ein großes öffentliches Interesse an dem Prozess gibt, wurde vom Gericht wieder nur ein kleiner Saal im Hochsicherheitsbereich zur Verfügung gestellt, in den nur ca. 30 BesucherInnen reinpassten. Wie auch schon am letzten Prozesstag drei Tage zuvor wurden die BesucherInnen unnötig lang kontrolliert und von den Gerichtsdienern schikaniert. Diesmal hatte sich aber wenigstens das Berliner LKA im Gericht zurückgehalten und hatte ausschließlich vor dem Gerichtsgebäude Stellung bezogen.

Mit großer Enttäuschung wurde die Mitteilung aufgenommen, dass sich der Bullenbelastungszeuge Codenummer 56765 als krank erklären ließ und nicht bei der Verhandlung auftauchte. Hoffentlich nichts allzu ernstes. Vielleicht nutzt er auch nur die Zeit bis zum nächsten Termin um gemeinsam mit seinen Kollegen die Aussagen besser abzustimmen um nicht so kläglich zu scheitern wie es sein Vorgänger am 13.12.2005 Codenummer 56766 tat.
Um den Termin nicht ganz zu verschwenden wurden die Aussagen zweier Polizeibeamter verlesen, die unterhalb der Brühlschen- Terrassen innerhalb einer Dresdner Hundertschaft am 13. Februar Dienst taten. Sowohl Frau Fröhlich als auch Herr Müller einer BFE-Polizeieinheit konnten aber nichts zum genauen Tatvorwurf gegen Christian und seine Verlobte sagen. Sie gaben lediglich eine allgemeine Beschreibung der Situation auf der Augustusbrücke und am Terrassenufer wieder. Hierbei bestätigten sie, was auch schon ein Zeuge (Fredo) am ersten Prozesstag ausgesagt hatte. Die Demonstranten unterhalb der Brühlschen Terrasse waren von denen auf der Treppe durch eine starke Polizeikette voneinander getrennt. Nach Angaben der Beamtin Fröhlich sei die Gruppe auf der Treppe, in der auch die Angeklagten standen, „normale Leute die nur zuschauten“ gewesen, die auch „nichts geworfen“ hätten. Was von anderer Stelle aus geworfen wurde war den BeamtInnen auch nicht klar, womöglich Kartoffeln – zumindest bestand die Straße nicht aus Kartoffeln sondern aus Steinen, stellte mensch kriminologisch fest.
Nach der Verlesung der Aussagen der beiden PolizeibeamtInnen wollte die vorsitzende Richterin Linke damit fortfahren, weitere Aussagen von ermittelnden Polizeibeamten zu verlesen. Von den AnwältInnen wurde diese Art der Prozessführung kritisiert. Die Aneinanderreihung von schriftlich verfassten Aussagen und nicht-öffentlichen Protokollen von Gerichtsverfahren macht es unmöglich die Zeugen persönlich zu befragen und auf Widersprüche und Unstimmigkeiten in ihren Aussagen hinzuweisen. Diese Praxis verstößt gegen das Mündlichkeitsprinzip der Strafprozessordnung und ist nach Aussage der AnwältInnen eine bahnbrechende Änderung, wodurch das Gericht seiner Aufklärungspflicht vernachlässigen würde. Die Richterin lehnte aber den Antrag auf Unterlassung der Verlesung der Aussage ab.

Es folgte der „Tatortbericht“ der KriminalHauptKommissarin Sucker, die sich zusammen mit den anderen Berliner LKA Beamten am 13. Februar in der Dresdner Schießgasse häusliche eingerichtet hatte. Ihr war es dank Unterstützung weiterer Kollegen gelungen zwei Stunden nach angeblichem Tatzeitpunkt auf den weiten des Platzes unterhalb der Brühlschen Terrassen eine braune Glasscherbe zu finden die womöglich etwas mit der Tat zu tun haben könnte. Nach Vorstellung dieser kriminaltechnischen Glanzleistung folgte die Aufzählung der Effekten, die bei den Angeklagten gefunden worden waren. Neben dem üblichen Selbstschutz der leider in der Nähe neonazistischer Aufmärsche zum Schutz von Leib und Leben benötigt wird wurden zwei Fläschchen „Piccolo Sekt trocken“ gefunden. Auch ein „Abschussgerät für ... Fragezeichen“ konnte sichergestellt werden (fragt sich bloß ob es für solche Anlässe auch endlich mal Abschussgeräte für Ausrufezeichen gibt!!). Die Sichtung und Überprüfung der Beweismittel erfolgte nicht durch Dresdner Beamte sondern wurde höchstpersönlich von KHK Lange der Berliner PMS durchgeführt. Entsprechend überzogen liest sich auch der Bericht über die bei den Angeklagten gefundenen Gegenstände.

Es folgte die Verlesung des bisherigen juristischen Lebenslaufs Christians. Sie ergab das dieser in der achtziger Jahren eine bewegte Jugend gehabt haben muss und des öfteren Unstimmigkeiten mit Fahrscheinkontrolleuren und Ladendetektiven hatte. Gerne hätte Staatsanwalt Fenner das Urteil gegen Christian vom 1.Mai 2004 wegen dem versuchten Inbrandsetzen eines Autos noch einmal gehört, aber da dieses noch nicht rechtskräftig ist wurde es erstmal verschoben. Ganz interessant waren die Ausführungen zu einem Verfahren aus 2000 wo Christian ebenfalls wegen Landfriedensbruch gegen einen Naziaufmarsch unter dem Motto „Wir sind ein Volk. Solidarität mit Wien“ angeklagt war. Damals bestätigte die Vorsitzende Richterin Müller, dass es durchaus nachvollziehbar ist sich gegen Nazis zu wehren, da die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen dafür vorherrschten. Das scheint 2005 nicht mehr zuzutreffen. Klar ist, dass durch die Verlesung von Verfahren aus den achtziger Jahren der Angeklagte als ein unverbesserlicher Krimineller dargestellt werden soll, um eine Stimmung bei den Schöffen zu erzeugen, die in Verurteilungswillen umschlagen soll,.

Es folgte der Antrag der Anwälte für eine Haftverschonung Christians. Christian ist in Haft genommen worden zu einem Zeitpunkt, wo er gemeinsam mit seiner Verlobten in einer Wohnung wohnte, Arbeit hatte und ein intaktes soziales Umfeld besaß. Eine Fluchtgefahr konnte damit ausgeschlossen werden. Christian sitzt unter erschwerten Bedingungen seit Februar 2005 in Untersuchungshaft in der JVA Moabit. Seine Zelle ist nur 5 ½ Meter groß, so klein, dass er nicht die Arme ausstrecken kann ohne die Wände zu berühren. Er leidet unter einer schweren Hepatitis C Erkrankung die nur mangelhaft behandelt wird und bei der schwere Nebenwirkungen auftreten. Die normale Dauer der Untersuchungshaft beträgt sechs Monate, Christian sitzt nun schon seit über zehn Monaten. Der Großteil dieser Verzögerung geht auf das Konto des Staatsanwalts,der das Verfahren mal eben vor dem Landgericht ankalgen wollte (ab zu erwartendem Strafmaß von 4 Jahren aufwärts) und die Akten hin und herverschoben wurden. Dennoch meinte der Staatsanwalt Fenner, wenn es nach ihm ginge „könnten wir schon längst fertig sein“ – das glauben wir ihm gern.
Beim derzeitigen Lauf der Dinge wird sich das Verfahren noch weiter hinziehen; Zeugen werden plötzlich krank und müssen neu geladen werden, Akten waren für die Anwälte lange Zeit nicht einsehbar und wurden oft erst eine halbe Stunde vor dem Prozess herausgerückt, wodurch die Verteidigung massiv behindert wurde. Nicht zu vergessen das ominöse Video wo es immer noch nicht gelang die fehlenden sechs Minuten zu sehen, obwohl diese doch Klarheit über „Schuld oder Unschuld“ bringen könnten. Auch ist es angesichts des Vorwurfs einer geworfenen Flasche in Richtung von vollgepanzerter Bullen übertrieben einen Menschen so lange in U-Haft zu behalten, zumal selbst „nach heutigen Tarifen“ es wohl knapp für mehr als Bewährung in diesem erfahren reicht.

Anschließend an den Antrag der Anwälte verlas Christians Verlobte eine Prozesserklärung ( http://www36.websamba.com/soligruppe/data/prozesserklaerung_161205.htm), in der sie berichtete, was sie seit Februar 2005 alles erleben musste. Sie hatten Heiratspläne als Christian verhaftet wurde und trotz gemeinsamer Wohnung und Arbeit in Untersuchungshaft kam. Von Anfang an bemühte sie sich, dass die Hepatitis C Erkrankung Christians auch im Knast richtig behandelt wird, da es ohne ausreichende Behandlung lebensgefährlich werden kann. Doch Medikamente die sie schon im April in den Knast gab, und die die Nebenwirkungen der heftigen Medikamente mildern sollen, sind bis heute nicht an Christian übergeben worden. Auf ihre drängenden telefonischen Nachfragen wurde einfach aufgelegt. Andere Anträge wurden von den Anstaltsärzten mit der frechen Bemerkung abgelehnt, dass würde nicht gehen, weil sie gerade nicht das richtige Formular zur Hand hätten. Christian wurde die letzten sieben Monate im Knast überhaupt nicht untersucht, obwohl normalerweise eine Untersuchung im zweimonatigen Abstand notwendig ist. Anfang Dezember wurde die Interferon-Behandlung gegen die Hepatitis C beendet, allerdings ohne dass eine Abschlussuntersuchung gemacht wurde. Jüngst traten bei Christian krankheitsbedingte Muskelkrämpfe, Blutgerinnungsstörungen und starke Rückenschmerzen auf. Gegen die Schmerzen gab man ihm lediglich ein ABC- Pflaster. Seine Medikamente wurden ihm mindestens zehnmal nicht gegeben, und dadurch die Behandlung unterbrochen. Mittlerweile beschäftigt sich auch die Ärztekammer und das „Komitee für Grundrechte und Demokratie“ ( http://www36.websamba.com/soligruppe/data/stuff/komitee_f_grundr_brief.jpg) mit dieser Nichtbehandlung.
Auch die Heiratsbemühungen der beiden wurden sabotiert und verschleppt. Nach Monaten der Isolation des Paares war es seiner Verlobten im November erlaubt worden Christian zu besuchen. Doch als sie ihn zwei Wochen später erneut besuchen wollte, wurde es ihr wieder untersagt, mit der Behauptung, sie könne dann mit ihm Absprachen treffen. Wie dies möglich sein soll mit einem Beamten der JVA der beim Gespräch daneben sitzt, bleibt ein Geheimnis.
Nach der Beratung mit den Schöffen gab die Richterin bekannt, dass die U-Haft wegen dem Landfriedensbruch in Dresden wegen der geringen Fluchtgefahr aufzuheben sei. Allerdings muss Christian dennoch weiter in U-Haft verbleiben, da gegen ihn im Juli 2005 ein weiterer Haftbefehl vorsorglich erlassen wurde, der verhindern soll, dass er sich einer Berufungsverhandlung in einem anderen Verfahren gegen ihn wegen Landfriedensbruch in der Nähe eines Naziaufmarschs am 1. Mai 2004 in Berlin-Friedrichshain, entzieht.

Am 20. Dezember legte der Staatsanwalt wie erwartet Beschwerde gegen die beschlossene Haftverschonung ein, die Besuchssperre für die Verlobte Christians bleibt weiterhin bestehen.

Der nächste Prozesstermin gegen Christian S. und seine Verlobte findet am 6. Januar, um 9 Uhr, im Raum 101 im Hochsicherheitsbereich des Berliner Amtsgerichts (Turmstraße 91, Berlin-Moabit) statt.

Die letzten Prozesstage:
13.12.2005:  http://de.indymedia.org/2005/12/135132.shtml
02.12.2005:  http://de.indymedia.org/2005/12/134562.shtml
17.11.2005:  http://de.indymedia.org/2005/11/133056.shtml
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Ergänzungen

ja ja der herr staatsanwalt fenner

blah 23.12.2005 - 15:11
wer mal das vergnügen hatte ihn kennenzulernen weiß wie sehr die deutsche justiz den faschismus noch in den knochen hat.ein schreibtischtäter wie er buche steht.

Erklärung §125

unwichtig 23.12.2005 - 18:08
Zur Erklärung für manche die es nicht wissen (ich denke da gibsts einige weil nicht jeder hat ein STGB)!

STGB §125 Landfriedensbruch. (1) Wer sich an
1. Gewaltätigkeiten gegen Menschen oder Sachen oder
2. Bedrohung von Menschen mit einer Gewalttätigkeit,
die aus einer Menschenmenge in einer öffentlichen Sicherheit gefährdenden Weise mit vereinten Kräften begangen werden, als Täter oder Teilnehmer beteiligt oder wer auf die Menschenmenge einwirkt, um ihre Bereitschaft zu solchen Handlungen zu fördern, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft, wenn die Tat nicht in anderen Vorschriften mit schwerer Strafe bedroht ist.

Einmal in den Mühlen der Justiz.............
Nicht aufgeben!

Krankheit

Wut 23.12.2005 - 20:04
Als selbst chronisch Kranker, der auf seine Medikamente angewiesen ist, kam mir gerade beim Lesen des Abschnitts über die medikamentöse Unterversorgung eine unglaubliche Wut hoch. Hab gerade vor kurzem noch gedacht, dass ich niemals in einem Land mit "scharfer" Justiz in den Knast kommen sollte, da dann sicherlich meine Medis nicht bis zu mir durchdringen. Aber das sowas in Deutschland möglich ist, hätte ich ehrlich gesagt nicht gedacht. Ich kenne mich jetzt mit Hepatitis C nicht aus, hoffe aber, dass ihm keine irreversiblen Schäden durch die Unterversorgung entstehen. Nach meinem Rechtsverständnis ist es aber auch so schon (er hat ja unnötige Schmerzen etc.) Körperverletzung.

Also da hört sich ja...

DRMED 25.12.2005 - 20:56
...alles auf.
Wie kann man einen schwer chronisch Kranken wegen so einer Labalie in ein Gefängnis einsperre!!!

Da ich aus den med. Fachbereich komme, finde ich die Mangelversorgung mit Medikamenten sehr Besorgniserregend,
so eine schlechte Versorgung kann dazu führen, dass sich die Krankheit schneller verschlimmert...
... das grenzt ja schon fast an Folter...

Ich bin so wütend, dass ich heulen könnte

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