Erlebnisse und Betrachtungen zum Castor 05

WiderSetzen 15.12.2005 10:34 Themen: Atom
Castortagebuch 05
Erlebnisse und Betrachtungen in 9 Bildern
von Jens Magerl

Niemand kann dieses Mal so genau sagen, wann die Castortage eigentlich begonnen
haben. Es gab eine große Heimlichtuerei um den Termin des Atommülltransports -
Vorboten der vorweihnachtlichen Zeit mit ihren Rätseln und Tuscheleien.
Am 5.11.05 gab es in Lüneburg eine große Demo gegen Atom und für erneuerbare
Energie. Es waren nach eigenen Schätzungen 7 000 Menschen gekommen. Auch
Polizei bevölkerte die Straßen. Und sie gaben kein gutes Bild ab, denn sie sahen
bucklig aus. Waren krumm und aufgedunsen von den Rüstungen, die sie unter ihren
Uniformen trugen.
Wie kann man sich zu solch einem festlichen Anlaß nur so unpassend kleiden! Viele
Menschen schüttelten ob solcher Geschmacklosigkeit nur die Köpfe.
Das eigentliche "Auftakt-Wochenende" begann am Samstag, den 19. November.
Vielleicht kann man den Atomwiderstand mit einem Gemälde vergleichen. Es gibt
mittlerweile eine Menge von Gruppen, die sich Spezialkenntnisse für bestimmte
"Farbtöne" erarbeitet haben. Und aus der Vielfalt der Farben entsteht dann ein
buntes und aufregendes "Gesamtkunstwerk".
Ich will und kann nicht die ganze Breite der Aktionen beschreiben, mit denen sich
die Menschen dieser größenwahnsinnigen Mülltechnologie entgegenstellten. Ich
beschreibe nur einen kleinen Ausschnitt, ein paar Schnappschüsse aus Szenen, die
ich selber erlebt habe.

Dabei beginne ich am
Sonntag, den 20.11.05

1.Bild: Hinab in die eigenen Tiefen
Es ist Nachmittag. In der Kirche von Langendorf läuft seit Stunden ein
wunderbares Kulturprogramm. Langendorf liegt zwar mitten im 72 Kilometer
langen Versammlungsverbotskorridor, aber darum kümmert sich hier im Wendland
sowieso kaum jemand. Noch sind die Castoren weit weg.
Wir sind mit der ganzen Familie da.
Die Kirche ist bis zum letzten Platz gefüllt. Ein Geiger und eine Akkordeonspielerin
heizen ordentlich ein, dann wird ein Stück aus einem Requiem gesungen.
Dieses Konzert bietet Gelegenheit, in die eigenen Tiefen hinabzusteigen. Die
Menschen drängen sich, um Kraft für die kommenden Tage zu sammeln. Für
Grenzerfahrungen jenseits der Grenzwerte.
Ich kann nicht lange bleiben. Ein Freund ruft mich nach Klein Gusborn.

2. Bild: Verstopfung
Wieder mal ist die Zeit der langen Fußmärsche angebrochen.
Klein Gusborn ist für zivile Diesel- und Ottomotoren gesperrt.
Die Polizei riegelt großräumig ab. Den eigentlichen Grund dieser Sperrung werde
ich eine halbe Stunde später besichtigen können.
Die Mediziner sprechen vornehm von Obstipation. Im Volksmund heißt es
Verstopfung.
Wir alle haben schon mal Menschen gesehen, die an Verstopfung leiden. Aber so
etwas Verstopftes wie dieses Dorf sieht das Wendland nur selten. Doch Klein
Gusborn leidet nicht - ganz im Gegenteil! Es feiert seine Verstopfung in den
höchsten Tönen.
Alle, die ich treffe, sprechen davon. In Klein Gusborn sind 116 Traktoren der
Bäuerlichen Notgemeinschaft steckengeblieben. Sie stehen so dicht, daß man nur
durchkommt, wenn man den Bauch einzieht.
Während ich durch die Dunkelheit laufe, rasen 30 Polizeifahrzeuge mit Blaulicht an
mit vorbei. Das "Abführmittel" ist also schon auf dem Weg.
Ein paar Stunden später stehen die Beamten noch immer da. Niemand nimmt sie
besonders ernst. Die Menschen sind mit Wichtigerem beschäftigt.
Ich muß zurück zu meiner Familie. Mir kommt ein Blaulichtgewitter entgegen. 58
Polizei"wannen", dahinter eine Menge schweres Gerät. Klein Gusborn muß mit
einem Einlauf rechnen.


3. Bild: Schlafendes Gorleben
Die wendländische Gruppe "WiderSetzen" hat für dieses Jahr einige Aktionen im
Dorf Gorleben angekündigt. Musik und Tanz mitten im schönsten
Versammlungsverbot sind angekündigt. Und, wenn die Zeit gekommen ist,
natürlich auch Sitzblockaden, das Markenzeichen von WiderSetzen.
In der Mitte des Dorfes neben der Kirche gibt es eine genehmigte Mahnwache. Am
Ortseingang einen Infopunkt mit Küche, gutem Essen, Schlafplatzbörse, mit
Internet-Castornachrichten, mit einem großen Lagerfeuer und einer Menge
erwartungsvoller Menschen.
Doch sonst scheint das Dorf zu schlafen.
Wo sind die Menschen, wenn hier endlich mal was los ist? Sitzen sie vorm
Fernseher? Interessiert sie überhaupt, was hier draußen los ist?
Wir haben im Vorfeld lange debattiert, ob es klug ist, ausgerechnet nach Gorleben
zu gehen. Denn hier sind viele Familien finanziell mit der Atommafia verflochten.
80 Prozent, sagen manche, sind irgendwie Nutznießer von Zwischenlager und
Erkundungsbergwerk. Beim Wort "Verantwortung" denken viele Gorlebener
Menschen wohl zuerst an die "wirtschaftliche Verantwortung" direkt vor ihrer
Nase, an ihre Jobs, an ihr Auskommen. Die Verantwortung für die Folgen des
ganzen tödlichen Drecks liegt nicht so nahe, obwohl der Müll direkt vor ihrer
Haustür steht. Oberirdisch.
Im Auge des Taifuns ist es seltsam still.
Das Dorf scheint in einen Dornröschenschlaf versunken.
Man könnte meinen, wir sind nicht willkommen.
Wir lassen uns nicht entmutigen.
Auch die Prinzen, die Dornröschen wachküssen wollten, wurden mit Dornen
empfangen.

4. Bild: Ein gewagter Sprung
Die Kirchen im Landkreis Lüchow-Dannenberg haben beschlossen, ihre Häuser
und Kirchen für die DemonstrantInnen zu öffnen. Schließlich ist Gastfreundschaft
eine christliche Grundtugend.
Doch das Gemeindehaus in Gorleben, das den schönen Namen "Haus der
Begegnung" trägt, ist verschlossen. Hier begegnen sich bestenfalls die Mäuse im
Küchenschrank. Wir hatten etwas anderes erwartet und besprochen.
Der Pastor steckt in der Zwickmühle. Denn sein Kirchenvorstand hat beschlossen,
uns im Regen stehenzulassen. Wir denken an die bevorstehende Weihnachtszeit.
Wenn Maria und Josef in dieser Situation nach einem Schlafplatz gefragt hätten.
der kleine Jesus wäre nach dem Willen des Vorstands nicht im Gemeindehaus zur
Welt gekommen, sondern im Stroh neben der Kirche, gewärmt vom Feuer der
Mahnwache.
Nach einigem Verhandeln schiebt der Pastor seine diplomatischen Bedenken
beiseite. In manchen Situationen ist Gastfreundschaft wichtiger als ein
Vorstandsbeschluß.
Der Pastor schenkt uns sein Vertrauen und gibt uns den Schlüssel.
Wahrscheinlich ahnt niemand von uns, wie dunkel der Schatten ist, über den er
springen mußte.


Montag, 22.11.05

5. Bild: Sofas, Sinnkrisen und Walzer
Mittags geht es los. Nach einem "gewaltfreien Blockadetraining" zum Aufwärmen
und Appetit bekommen setzt sich ein Menschenzug von etwa 100 Leuten in
Bewegung. Ein eilig heraneilendes Polizeiauto fragt höflich, ob wir nicht noch ein
paar Minuten warten könnten. Aber schon ist der Zug auf der Castorstraße, im
Versammlungsverbot.
So mancher Polizist durchleidet im Wendland eine stille Sinnkrise. Castorpolizei ist
hier unerwünscht und wird nach Kräften ignoriert. Viele verstehen die Welt nicht
mehr.
Jetzt werden Instrumente hervorgeholt und, vielleicht zum ersten Mal in der
Geschichte Gorlebens, wird Tango und Walzer auf der Straße getanzt. Musik ist
anziehend, das Radio berichtet und die Leute machen sich auf den Weg, um mit uns
das Tanzbein zu schwingen.
Auch Polizei kommt und steht sauertöpfisch am Rand. Ein Walzer in Rüstung -
was wäre das für ein Bild!
Die Musiker lösen sich ab. Inzwischen ist ein Tanzlehrer für Kreistänze aufgetaucht.
Die Polizei beschränkt sich im Moment auf ihre wesentliche Aufgabe: Sie regelt den
Verkehr.
Wenn wir einen großen runden Kreis tanzen, ist die Straße gesperrt. Wenn sich der
Kreis zu einem schlanken Ei zusammendrückt, können ein paar Autos fahren.
Gegen 14.30 Uhr rücken wir zur Seite, um ein schickes silbernes Auto mit einem
großen geschlossenen Hänger durchzulassen. Doch dann geht der Motor aus.
Welch ein Zufall! Innerhalb von Sekunden ist die Plane weg und der Hänger
entladen. Teppiche werden über den Asphalt gebreitet, Sessel und Sofas liebevoll
aufgestellt. Die Frau im silbernen Auto lacht und fährt weiter. Zufälle gibt es!
Das Tanzen ist erst mal vorbei. Wir lassen uns nieder und machen es uns gemütlich.
Für die Einsatzleitung wird es ungemütlich.

6. Bild: Wo man singt, da laß dich ruhig nieder.
Unsere gemütliche Sitzblockade hat offensichtlich etwas Anziehendes. Zuerst zieht
sie junge Herren und Damen in Kampfanzügen an, die sich in einem großen Kreis
um uns herumstellen. Ich muß mich belehren lassen, daß dies kein Kreistanz sein
soll, sondern ein Kessel. Ein Polizeikessel ist in Wirklichkeit vielleicht nichts
anderes als der etwas unbeholfene Versuch eines Beamtentanzes.
Aber auch normal gekleidete Menschen strömen nach Gorleben. Immer wieder gibt
es Lücken in der Umzingelung. Unsere Blockade füllt sich. Eine Musikerin mit
einem Saxophon um den Hals springt von einem Gartenzaun aus über die Köpfe
der Polizisten zu uns hinein.
Vielen aber gelingt es nicht, durch die Polizeiabsperrung zu gelangen.
Doch die Menschen im Wendland sind flexibel. So bildet sich eben eine zweite
Blockade ein Stück weiter oben im Dorf.
Die Polizei ist mit etwa 10.000 Einsatzkräften im Wendland offenbar personell
unterversorgt.
Der Einsatzleiter kaut lange vergeblich an den Worten für die korrekte Formel, die
nötig ist, um eine vom Grundgesetz geschützte Versammlung aufzulösen. Darin hat
die Castorpolizei keine Übungen. Bisher galten ihnen in der "demokratiefreien
Zone" die eigenen Worte als Maßstab aller Dinge. Doch die juristischen Nachspiele
der letzten Jahre rütteln nun endlich auch die Polizei aus ihren Allmachtsträumen.
Es gab einige richtungsweisende Urteile. Der Polizei drohen möglicherweise
unübersehbare Schadensersatzforderungen. Ein wichtiger Teil des
"Castorstoppens" findet also auch außerhalb der Transporttermine statt - in
Anwaltbüros und Gerichtssälen.
Unsere Blockade, nach vielen Versuchen nun endlich korrekt "aufgelöst", befindet
sich in bester Stimmung. Noch nie habe ich solch eine charmante und musikalische
Straßensperrung erlebt. An allen Ecken wird gelacht und gesungen. Besonderer
Beliebtheit erfreuten sich die "Gorleben-Singers" mit ihren mitreißenden Liedern
und komödiantischen Einlagen.
Vielleicht hat die eine oder andere Polizistin ja leise Zweifel über die Richtigkeit von
Gut und Böse bekommen.
Gegen 17.00 Uhr beginnt die Räumung. Viele der eingesetzten Polizisten sind noch
Milchgesichter, zarte Jungs mit sorgfältig zurechtgemachten Frisuren. Vielleicht ist
das Abtragen unserer Blockade eine Art Klassenarbeit für sie. Sie haben sich auch
wirklich Mühe gegeben und fast keine unerlaubten Tricks angewandt.
Wir haben uns innerlich darauf vorbereitet, ins Gefängnis gebracht zu werden.
Zu unserer Überraschung werden wir hinter eine Absperrung getragen. und sind
frei.

7. Bild: Von Blockade zu Blockade
Wir nutzen unsere Freiheit gut. Ein paar hundert Meter weiter bildet sich die
nächste Blockade. Insgesamt hat es an diesem Tag im Dorf Gorleben fünf
verschiedene Blockadeorte gegeben. Viele Menschen, mit denen wir jetzt
zusammen sind, kennen wir von der eben abgeräumten Veranstaltung.
Inzwischen ist es dunkel und bitterkalt. Die Polizei tröstet uns mit Flutlicht und mit
einer Umzingelung aus frostigen Einsatzkräften. Wir haben viele Stunden Zeit und
es ergeben sich lange und intensive Gespräche mit unseren Bewachern.
Soll ich mich eigentlich freuen über einen Beamten, der mir als Mensch
sympathisch ist, der als Privatmann die Atomkraft ablehnt, der aber auch kein
Problem damit hätte, mir auf Befehl hin den Kopf blutig zu prügeln?
Mir scheint, hier gibt es nicht nur eine Straßenblockade - hier gibt es auch jede
Menge Blockaden in den Köpfen.
Und zugleich stehe ich inmitten von phantastischen, unwirklich erscheinenden
Bildern, wie man sie außerhalb des Wendlands nur selten antrifft. Eine bunte
Menschenmenge unter sternenklarem Himmel am Waldesrand, Dampf steigt auf im
Scheinwerferlicht. Das Saxophon spielt verträumt "What a wondeful day".
Es ist unvergleichlich, hier zu sein. Ich lege mich aufs Stroh, um für ein paar
Minuten unsere seltsame, schöne und absurde Welt zu vergessen. Das Saxophon
spielt. und als ich die Augen wieder öffne, ist der Himmel voller Seifenblasen, die
immer kleiner werden und bald schon nicht mehr von den Sternen zu unterscheiden
sind.
Seifenblasen unterwegs zu den Sternen. Ich denke an den Größenwahn unserer
Gesellschaft. Wir spielen mit dem atomaren Feuer, ohne irgendwas zum Löschen
zu haben. Und wir haben nicht mal den kleinsten Schimmer, was wir aufs Spiel
setzen. Dickwandige Castoren sind angesichts der Ewigkeit nichts anderes als
Seifenblasen. Betonköpfige Politiker auch.
Die Kälte wird durch die Musik erträglicher. Ein Dudelsack spielt, das
unermüdliche Saxophon sowieso, an vielen Stellen wird geflötet und gesungen, oft
mehrstimmig.

8. Bild: Freunde der Technik
Richtig warm ums Herz wird uns, als wir von Ankettaktionen mit Traktoren und
Betonklötzen in Grippel und in Langendorf hören. Wir sind voller Dankbarkeit und
Bewunderung für die Menschen, die so viel einsetzen, die auch so große persönliche
Risiken eingehen. Die Leute, die sich dort festketten, sind meistens Bauern, auch ein
Arzt aus dem Wendland steckt in einem Betonklotz.
Wer davon jemals etwas mitgekriegt hat, glaubt nicht mehr den Schauergeschichten
vom "kriminellen Widerstand", die so oft von Ministern bemüht werden.
Dann gibt es noch die zunächst unverständliche Nachricht von zwei Leichwagen,
die sich in der Nähe der Traktoren festgesetzt haben. Diese Geschichte beschäftigt
unsere kollektive Phantasie, und erst bei unserer nächsten Blockade in ein paar
Stunden werde ich jemanden treffen, der einen kennt, der mit seinen technischen
Fähigkeiten bei der Präparierung der Leichenwagen mitgewirkt haben soll.
Diese Geschichte klingt, als käme sie aus einem phantastischen Roman, ist aber
durch und durch wirklich. Da haben sich Leute Gedanken gemacht, wie man
schnell und gründlich einen PKW im Straßenasphalt verankern kann. Zwei alte
Leichenwagen wurden umgebaut. Man fuhr über einen Gully auf der Castorstraße
und schaltete den Motor aus. Durch ein Loch im Boden wurde der Gullydeckel
abgenommen. Mit einem Betonpropfen, der genau in den Gullyschacht paßte,
wurden dann die Autos sozusagen mit der Straße verdübelt. Diese Pfropfen waren
mit eisernen Krallen versehen, die sich als Widerhaken im Gully ausklappten.
Außerdem befanden sich an der oberen Seite der Betonklötze Öffnungen, in denen
sich Menschen angekettet hatten.
Wir sind voller Hochachtung und Bewunderung.
Bei uns wechseln die Bewacher. Nun kommt eine Einheit aus Baden-Würtemberg,
die man schon von weitem an ihrem Handwerkszeug erkennt. Sie tragen keine
Gummieknüppel, sondern Holzknüppel.
Das Fernsehen ist jetzt bei den Bauern. Entsprechend wird unsere Blockade auch
wesentlich ruppiger geräumt. Es gibt zu viele Hooligans in Uniform, die sich im
Scheinwerferlicht halbwegs korrekt verhalten, im Schatten aber Handgelenke
verdrehen, Daumen in Augen drücken und Knie in Weichteile stoßen.
Einer unserer Freunde ist bei der Räumung mißhandelt worden. Sein Körper
schmerzt, aber mindestens genauso stark tut die Seele weh.
Was tun die sogenannten Verantwortlichen eigentlich? Sie behandeln das Thema
"Atommüll" als einen rein technischen Vorgang. Sogenannte Menschen kommen
dabei nicht vor. Leben auch nicht. Es geht um nichts weiter als um einen
technischen Vorgang, dessen reibungsloser Ablauf garantiert werden muß. Die
hohen Herren sind einer Maschine verpflichtet. Das gilt für Minister. Das gilt auch
für die Einsatzleitung der Polizei.


9. Bild: Frostiges Ende
Nach einem kleinen Waldspaziergang sind wir an einem neuen Blockadepunkt. Auf
dieser Straße geht es zum sogenannten Zwischenlager - zu einer oberirdischen
Blechscheune, in der die Castoren für die nächsten Jahrzehnte auf Abkühlung
warten sollen.
Es ist eisig, aber die Menschen sind guter Dinge. Ein Sänger wirft seine Lieder
gegen die Kälte und schont dabei weder seine Gitarre noch seine Stimme. Ein
junger Mann klettert in eine Fichte und sägt unter sich die Äste ab. Das DRK
kommt mit heißem Tee und mit Nudelsuppe. Gegen Mitternacht beginnt die
Räumung.
Als wir abgeräumt sind, kommt massenhaft Polizeiblech angefahren. An den
Straßenrändern werden Gitter aufgebaut.
Hier ist mit friedlichen Mitteln nichts mehr zu machen.
Viele von uns sind jetzt seit 24 Stunden und noch länger auf den Beinen.
Wir sind fertig.

Gibt es ein Gerät, um den Erfolg zu messen?
"WiderSetzen" hat 12 Stunden lang die Straßen von Gorleben blockiert. Es gab 5
Blockadepunkte mit (in den besten Zeiten) bis zu 1000 Menschen. Für eine Menge
von Leuten war das der erste persönliche Kontakt mit dieser Form von zivilem
Ungehorsam.
Es war eine Aktion, in der sich auch unerfahrene Menschen einigermaßen sicher
fühlen können und bei der man sich auch spontan und ohne große Vorbereitung
dazusetzen kann.
Die Polizei muß mit uns rechnen. Wir spielen mit offenen Karten und sind
zugleich unberechenbar.
Natürlich bleibt ein klammes Gefühl. Es wäre höchst befriedigend gewesen, hätten
die Castoren wegen unserer Blockaden bremsen müssen.
Manche hätten es gern gesehen, wenn wir nach unserer Blockade noch mit vielen,
vielen Menschen die nächtlichen Wälder durchstreift hätten.

Mir persönlich liegt viel daran, mit Aktionen des zivilen Ungehorsams den
Politikern ein deutliches Zeichen unter die Nase zu halten. Die Öffentlichkeit daran
zu erinnern, daß die Atomwirtschaft uns zu einem wahnwitzigen Glücksspiel
zwingt. Als Pfand setzen sie meine und deine Gesundheit ein, unsere Gärten und
die Zukunft der Kinder.

Diesem Wahnsinn können wir auf viele Arten entgegentreten: Mit Traktoren, mit
Beton, mit dem eigenen Körper, indem wir den Stromanbieter wechseln* und
keinen Atomstrom mehr kaufen, indem wir mit Nachbarn und Politikern sprechen,
indem wir unsere Phantasie spielen lassen und etwas tun, was unserer Würde als
aufrechte Menschen angemessen ist.


* Informationen z.B. unter  http://www.stromwechsel-jetzt.de/
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Ergänzungen

@egal

protest macht sinn 15.12.2005 - 18:32
Auch auf der rein praktischen ebene macht der anit-atom Protest insebsondere um Gorleben sinn.
Die Polizei Aktion ist entgegen deiner Meinung ein gewaltiger Aufwand. So gibt es zum einen Spezialisten die extra ausgebildet und ausgerüstet werden müßen die sich mit den unterschiedlichen Gleismanipulationen und Ankettaktionen von Menschen beschäftigen. Dazu kommt der Transport von Bullen und Material von überall her an diesen Ort. Nicht zu vergessen die dafür nötige Verwaltung und die Infrastrucktur vor Ort. Denn die Unterkünfte für 15.000 Bullen bräuchte mensch nicht wenn die Bullen zu Hause streife fahren.

Aus diesem Grund hat der Innenminister verlauten lassen das er im nächsten Jahr während der Fußballweltmeisterschaft dieses Aufgebot nicht gewährleisten kann.
Sollte der Castor nächstes Jahr tatsächlich ausfalen wäre auch dies ein Transport der effektiv durch den Protest verhindert wurde.

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