EU-Parlament beschließt Komplettüberwachung

hvm 14.12.2005 23:03 Themen: Netactivism Repression
Das EU-Parlament hat heute entschieden, sämtliche E-Mail-, Internet-, SMS- und Telefonverbindungen zu protokollieren.
Am heutigen Mittwoch hat das Europäische Parlament eine Richtlinie verabschiedet, nach der zukünftig alle E-Mail-, Internet-, SMS- und Telefonverbindungen für staatliche Zwecke protokolliert werden müssen.

Damit können die EU-Mitgliedsstaaten bzw. ihre Geheimdienste und Polizeien zukünftig umfassend überprüfen, wer wann mit wem Kontakt hatte. Die intimsten, privatesten und sensibelsten E-Mail- und Telefonkontakte von mehr als 450 Millionen Menschen in der EU werden so für den Staat (bzw. die 25 Staaten) aufgezeichnet: Freundschaften, Affären und Liebesbeziehungen, aber auch politische Kontakte, Kontakte zur Presse oder zu Gewerkschaften, Kontakte zu medizinischen Beratungsstellen, Kontakte zu Schuldenberatungsstellen, Kontakte zu Beratungsstellen im Zusammenhang mit Schwangerschaftsabbruch, Kontakte zu Prostituierten oder TelefonsexanbieterInnen, Kontakte zu Suchtberatungsstellen, Kontakte zu Kirchen und anderen religiösen Gruppen, Kontakte zu RechtsanwältInnen und vieles weitere mehr.

Das alles wird zukünftig für mindestens sechs Monate protokolliert. Nicht nur von verdächtigen, sondern von allen Menschen in der EU. All diese Kontakte können im Rahmen eines Gerichtsverfahrens öffentlich werden. Nicht nur die Kontakte von StraftäterInnen, nicht nur die Kontakte von Verdächtigen, sondern auch die Kontakte von Dritten (z. B. ZeugInnen).

Damit wird meines Erachtens das Grundrecht auf Post- und Fernmeldegeheimnis (Art. 10 GG), soweit er derzeit (noch) existiert, zu einem großen und entscheidenden Teil abgeschafft. Die EU-Mitgliedsländer werden endgültig zu Überwachungsstaaten, in denen es eine vor staatlicher Überwachung sichere Privatsphäre auch für "Unverdächtige" nicht mehr gibt.

Der Vorstandsvorsitzender des Verbands der deutschen Internetwirtschaft eco, Michael Rotert, spricht von einer "Sammelwut ähnlich der Stasi". Der Leiter des Unabhängigen Landeszentrums für Datenschutz Schleswig-Holstein, Thilo Weichert, spricht davon, mit dieser Richtlinie werde "die Schwelle [...] zum digitalen Überwachungsstaat überschritten". Die Humanistische Union spricht davon, die Datenspeicherung sei "klar verfassungswidrig". Der Geschäftsführer des Verbands Deutscher Zeitschriftenverleger (VDZ), Wolfgang Fürstner, erklärte schon in Vorfeld: "Die flächendeckende Vorratsdatenspeicherung träfe die Pressefreiheit in einem ihrer sensibelsten Punkte mit bislang ungeahnter Intensität".

Dieser massive Eingriff in die Freiheits- und Menschenrechte wird von vielen Mainstream-Medien ignoriert. Weder "Tagesschau" (Das Erste, 20:00 Uhr) noch "Heute" (ZDF, 19:00 Uhr) noch "RTL aktuell" (RTL plus, 18:45 Uhr) noch "Newstime" (ProSieben, 20:00 Uhr) haben diesen Beschluss auch nur erwähnt.

Ebenfalls heute wurde in Bayern beschlossen, dass die Polizei "auch ohne Verdacht auf eine konkrete Straftat vorbeugend Telefone und Internetverkehr anzapfen" darf ( http://www.heise.de/newsticker/meldung/67367).

Bei all diesen (von der breiten Öffentlichkeit kaum beachteten) Maßnahmen zur Etablierung immer perfekterer Überwachungsstaaten verschlägt es mir etwas die Worte.

Darum ziemlich unspezifisch: LEISTET WIDERSTAND!
(Und wenn ihr wisst, wie Widerstand gut zu leisten ist: Lasst es mich wissen.)

No pasaran!


hvm
Public Domain Dedication Dieses Werk ist gemeinfrei im Sinne der Public Domain
Indymedia ist eine Veröffentlichungsplattform, auf der jede und jeder selbstverfasste Berichte publizieren kann. Eine Überprüfung der Inhalte und eine redaktionelle Bearbeitung der Beiträge finden nicht statt. Bei Anregungen und Fragen zu diesem Artikel wenden sie sich bitte direkt an die Verfasserin oder den Verfasser.
(Moderationskriterien von Indymedia Deutschland)

Ergänzungen

Das ist noch nicht alles

Auswanderer 14.12.2005 - 23:14
Das Mautsystem wird nun offiziell für das genutzt, wofür es die ganze Zeit gedacht war: "Bei der Fahndung nach Terroristen und Kapitalverbrechern will die Bundesregierung künftig auch die Daten der Maut-Erfassung für Lastwagen heranziehen" war der erste Satz einer DPA-meldung vom 27.11.05
Selbst China ist so begeistert von dieser Überwachungstechnik, daß man es von der Stasi-Firma Toll-Collect kaufen will "Wie die "Financial Times Deutschland" berichtet, verhandelte eine deutschen Delegation Anfang November mit Experten der chinesischen Ministerien für Technologie und Verkehr. Auf deutscher Seite seien das Bundesverkehrsministerium und die Maut-Betreiberfirma Toll Collect beteiligt gewesen. Sollte China das System kaufen, würde die satellitengestützte Technik auch für Pkw verwendet." - und natürlich will man es auch in China nur für Terrorismus und Autoverkehr/Mautgebühren. BlaBla.

Passwörter werden auch gespeichert

Nicht_mit_mir 14.12.2005 - 23:48
Passwörter werden ebenfalls gespeichert.
Ob Online Banking oder Online Shopping sicherer wird,
wenn die Login Daten und Passwörter in Händen Dritter sind,
ist bisher unbekannt.

Details:  http://tinyurl.com/92wnb

PGP

krypotmanie 15.12.2005 - 01:42
...ein grund mehr PGP zu benutzen....

PGP... schoen und gut, aber

juwi 15.12.2005 - 08:51
PGP ist schoen und gut, hat aber hiermit nichts zu tun. Denn PGP verschluesselt den Inhalt einer Nachricht, nicht den Kommunikationsweg. Nun soll aber nicht der Inhalt der Kommunikation aller Europaeer erfasst werden, sondern die Kommunikationswege. So gesehen bringt PGP hier rein gar nichts - ausser natuerlich, dass man PGP auf jeden Fall benutzen sollte, da es auch ohne diese Richtlinine immer schon Interessenten am Inhalt gegeben hat...

Fuer den (soweit wie moeglich) anonymen Aufbau von TCP-Verbindungen kann ich nur TOR empfehlen. Damit kann man Inhalt, Art und Ziel jeglicher TCP-Kommunikation verwischen:

 http://de.wikipedia.org/wiki/TOR

Zum Schreiben von News und Mail kann man anonyme und pseudonyme Systeme nutzen. Dazu findet sih hier was:

 http://www.iks-jena.de/mitarb/lutz/anon/remail.html

Wlan...

Peter Lustig 15.12.2005 - 12:03
könnte doch auch eine Möglichkeit sein, die Verbindungsdaten zu anonymisieren. Ich bin zwar Laie, aber wenn viele über einen Internetknoten ins Netz gehen, kann das auf den Einzelnen nicht mehr zurückverfolgt werden, oder? Ich stelle mir ein Stadtgebiet vor, daß komplet nur einen Internetzugang hat und alle über Wlan ins Netz. Ist das eine Möglichkeit?
Wenn das zutrifft, dann

Bürgernetze aufbauen!

freie netze

a.lo.it 15.12.2005 - 15:35
Ja Peter Lustig und noch besser ist, jeder kann mitmachen
und dafür sorgen, dass ein solches freies WLAN-netz dichter wird.
Hier gibts u.a. mehr infos:
 http://www.freifunk.net/
bzw.
 http://www.freifunk.net/wiki/FreifunkForum

Die möglichkeiten sind damit noch nicht mal zu ende, z.b. könnte
mensch in einem solchen system auch auf kommerzielle telefonanbieter
und handy-abzocker verzichten.
Allerdings kannst du dir denken, sollten die machtherrschaften merken,
dass ihr kontrollwahn ins leere laufen koennte, gibts besimmt neue gesetze, die auch in diesem bereich staatliche sammelwut vorschreiben.

Noch mehr Probleme

Sebastian 15.12.2005 - 18:06
Ein Flächendeckendes Wlan-Netz würde aber (unter Umständen) eine noch größere Überwachungsmöglichkeit bieten. Angenommen ich laufe mit meinem Laptop durch Berlin und wechsle automatisch, weil ich laufe ja, die verschiensten Hotspots. Da nun jede W-lan karte eine eigene SSID besitzt, kann man wunderbar verfolgen (sofern mann die Daten Logt), wo ich langgelaufen bin. Diesen Schlüssel kann man und wird man bald auch noch Personalisieren. Ich denke da an "Trusted Computing" (ich empfehle mal den gestrigen Videopodcast des CCC), was uns auch bald bevorsteht. Ich habe Angst. Wir sehen uns auf dem ChaosCommunicationCongress. Sebastian Wietere Informationen: Wikiartikel zu Trusted Computing (bischen euphemistisch) Film über Trusted Computing (schon kritischer) CCC

anonymisieren

elfboi 17.12.2005 - 23:13
Nun, man kann einiges anonymisieren. Beispielsweise kann man seine Verbindungen über mehrere Proxies tunneln - wenn das richtig gemacht wird, kann man hinterher kaum noch feststellen, wer wann mit wem Verbindung hatte.

Es gibt auch einige Ideen im p2p-Bereich, die sich hoffentlich noch weiterentwickeln, beispielsweise die Idee eines dezentralen anonymisierten Datenspeichers verbunden mit einem Netz, in dem jeder Knoten ein potentieller Proxy für jeden anderen ist, so daß es kaum noch möglich ist, festzustellen, wer welche Daten ins Netz gestellt hat, wer welche Daten abgeholt hat, und wo sie überhaupt gespeichert sind. Freenet ( http://freenetproject.org/) und Entropy ( http://entropy.stop1984.com/en/intro.html) sind derartige Netze...

Beiträge die keine inhaltliche Ergänzung darstellen

Verstecke die folgenden 7 Kommentare

das ist alles....

kopfschüttel 15.12.2005 - 00:56
...so abartig

Mh

Mrs. Flanders 15.12.2005 - 01:00
1984 war gestern.

"Und vergiss nicht, Bürger, der Computer ist dein Freund und Glücklichsein ist Pflicht!"

Absehbar - nix Inhaltliches -

MvdH 15.12.2005 - 01:53
Heute überwachen sie dein Telefon und deine Internetkommunikation.

Morgen durchsuchen sie einfach mal so deine Wohnung, wenn du "anders" denkst.

Und übermorgen wirst du vorsorglich eingeknastet.

Mensch, fühl ich mich da sicher!

Abgesehen davon betrifft die Überwachung auch

N.N. 15.12.2005 - 04:34
geschäftskontakte und somit das Firmengeheimnis...eine Macht konzentriert sich bei den überwachenden Behörden ,die mir unheimlich ist ,wer weiß,wer hier auf demokratischem weg,durch Wahlen ,hier diestaatliche Macht noch alles erlangt.beim Anteil der rechten und extremen Auffaßungen von Polizeibeamten z.B. ist diese überwachung eine Bedrohung für Teile der Bevölkerung.

will mitmachen

hmpf 15.12.2005 - 13:55
wenn es dem staat erlaubt ist, mich zu überwachen, dann will ich den staat ebenfalls überwachen.
kann sein, dass ich zu doff bin um das zu verstehen, aber warum darf die regierung was beschließen ohne den bürger danach zu fragen, ob er das möchte.
wenn in einem betrieb eine solche überwachung eingführt wird, werden die mitarbeiter darüber informiert und haben dann immernoch ein paar wenige möglichkeiten etwas dagegen zu unternehmen. doch dieses gesetz wirkt auf mich absolut. also unabwendbar.

falls es was bringen könnte eine massendemo (länderübergreifend) zu veranstalten, dann bin ich dabei. aber nur, falls man damit wenigstens den hauch einer chance hat, die totale überwachung zu verhindern.

das 21jahrhundert

bOb rOss 15.12.2005 - 19:17
jau, denn kommt der überwachungsstaat langsam
aber sicher ins rollen.... es ist einfach ekelhaft.
ich hab irgendwo gehört das die speicherungen in köln
vorgenommen werden- weis da jemand mehr?
was kann man da noch sagen? FUCK THIS SYSTEM

Chaos Computer Congress für Reiche

a.lo.it 16.12.2005 - 10:53
@Sebastian
Klar jede möglichkeit beinhaltet auch neue möglichkeiten für überwacher
und ähnliche kranke gehirne.
Würde mich aber nicht wundern wenn es hier ähnlich wie mit dem 'fingerabdruck'/MAC die jede netzwerkkarte hat, auch hier möglich ist,
diese zu überschreiben/faken.

Zum CCCongress: leider ist der congress schon seit X-jahren so teuer,
hat keinen ermässigten eintritt für erwerkslose/sozis/leute mit wenig geld ausser studies(damals), sodass ich mir das irgendwann nicht mehr leisten konnte/wollte. Siehe auch:
 https://events.ccc.de/congress/2005/tickets.de.html
'
Standard
EUR 75,00

Mitglieder
EUR 50,00
Für Mitglieder des CCC e.V.

Schüler
EUR 35,00
Gültiger Schülerausweis erforderlich
'
Also freie information für freie 'bürger' war mal, auch beim CCC.
Auch wurden gesellschaftliche themen auf dem CCCongress immer weniger.
Über das eliten-modell vieler CCC-mitglider wollen wir mal gar nicht reden ;)
Falls also nicht mal eine armendemo den CCCongress stürmt, werd' ich mir das leider auch dieses jahr nicht leisten können.