München: Kundgebung Türkisches Generalkonsulat

Libertad!-Süd 11.12.2005 16:57 Themen: Repression
Anlässlich des Tages der Menschenrechte haben wir am 10.12., vor dem Türkischen Generalkonsulat in München, eine Kundgebung abgehalten. Einerseits um auf die weltweiten Menschenrechtsverletzungen hinzuweisen, die von den westlichen Mächten zynischerweise im Namen von Freiheit und Demokratie begangen werden. Andererseits um die zugespitzte Menschenrechtssituation in der Türkei und die Verstrickung deutscher Regierungen darin, publik zu machen.
Schade war, dass sich nur ca. 40 TeilnehmerInnen eingefunden hatten. Für eine Stadt wie München und speziell bei solch einem Thema, das eigentlich auf ein breites Interesse schließen ließ, eher eine beschämend geringe Beteiligung. Hingegen war die Aufmerksamkeit von staatlicher Seite deutlich überzogen. Neben einem großen Polizeiaufgebot waren auch etliche Personen vor Ort, die wohl eher dem türkischen Konsulat bzw. Geheimdienst zuzuordnen waren.

Die Redebeiträge wurden durchweg positiv aufgenommen und vor allem von kurdischen GenossInnen immer wieder mit Parolen unterstützt. Musik durfte leider nicht gespielt werden, da wir die laut Auflagenbescheid notwendigen 50 Personen nicht aufbieten konnten. Die Stimmung war trotz klirrender Kälte jedoch sehr gut.

Im ersten Redebeitrag von Libertad!-Süd und der AG-International wurde allgemein auf die weltweite Situation der Menschenrechte eingegangen, außerdem die aktuelle Situation in den kurdischen Gebieten und den türkischen Knästen, sowie die Unterstützung des türkischen Regimes seitens deutscher Regierungen näher beleuchtet. (Redebeitrag im Anhang)

Anschließend berichtete eine Vertreterin der "Internationalen Untersuchungskommission-Andrea Wolff" (IUK) über ihre Arbeit und das von der IUK, vor dem Europäischen Menschenrechtsgerichtshof, angestrengte Verfahren gegen den türkischen Staat. Andrea, die sich der kurdischen Guerilla angeschlossen hatte, wurde 1998 während eines Gefechts zwischen türkischer Armee und PKK-Guerilla gefangen genommen. Noch auf dem Schlachtfeld wurde sie gefoltert und anschließend hingerichtet, bis heute gilt sie als "verschwunden". Sowohl die türkische, als auch die deutsche Justiz haben sich einer Aufklärung dieser extralegalen Hinrichtung bisher verweigert!

Ein Vertreter der Karawane ging in seinem Redebeitrag näher auf die Situation kurdischer und türkischer Menschen hier im Exil ein. Obwohl sich die Menschenrechtssituation in der Türkei nicht wahrnehmbar verbessert habe, würden Abschiebungen in den türkischen Folterstaat verstärkt durchgeführt. Vor allem vor dem Hintergrund der EU-Beitrittsverhandlungen mit der Türkei würden dortige Menschenrechtsverletzungen von europäischen Institutionen, noch mehr als bisher, ignoriert.

Abschließend meldete sich noch der Deutsch-Kurdische-Freundschaftsverein zu Wort. Dessen Vertreter hatte sich ganz speziell über Aussagen aus dem Auflagenbescheid erzürnt, die besagen, dass es vor einer diplomatischen Einrichtung nicht erlaubt sei, über Völkermord zu sprechen, auch wenn dieser eindeutig nachgewiesen wurde (!). Deshalb bezog er eindeutig Stellung und sagte was gesagt werden muss: "Was das türkische Regime damals mit den ArmenierInnen gemacht hat und in jüngerer Geschichte der kurdischen Bevölkerung angetan hat, ist eindeutig als Völkermord zu definieren!"

Obwohl wir nicht viele waren bewerten wir diese Kundgebung als durchaus gelungen. Die Thematik Menschenrechte wurde umfassend abgehandelt und im Gegensatz zu manchen größeren events war die Aufmerksamkeit bei den Redebeiträgen deutlich spürbar. Wir werden wiederkommen, nicht nur vor das türkische Konsulat, spätestens am 18. März nächsten Jahres zum "Tag der politischen Gefangenen und gegen Repression".

Libertad!-Süd und AG-International

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REDEBEITRAG LIBERTAD!-SÜD UND AG-INTERNATIONAL

Der Jahrestag der Annahme der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte, der 10. Dezember 1948, wird weltweit als "Tag der Menschenrechte" begangen. Wir stehen heute nicht hier, weil wir diesem Tag eine besondere Bedeutung beimessen, denn Menschenrechte können nur erkämpft werden, Tag für Tag. Das jährliche Abfeiern dieses institutionalisierten Tages soll der Weltöffentlichkeit vielmehr vorgaukeln, dass die westliche Welt die Hüterin der Menschenrechte sei.

Die Realität ist jedoch eine völlig andere: Die Menschenrechtsfrage wird missbraucht um Kriege zu legitimieren, wie etwa den NATO-Krieg gegen Jugoslawien. Für mutmaßliche Terroristen, sowie Gefangene aus dem Afghanistan-Krieg werden die Menschenrechte definitiv außer Kraft gesetzt. Praktisch in ganz Europa sind politische Gefangene Isolationshaftbedingungen ausgesetzt, die überall auf der Welt als "weiße Folter" bekannt sind. Abschiebungen in Folterstaaten und Kriegsgebiete, ebenso wie die kontinuierliche Abschottung der europäischen Wohlstandsinsel gegen unerwünschte Zuwanderung, haben bereits zu tausenden von Toten an den EU-Außengrenzen geführt.

Vor allem nach dem "11.9." wird immer offensichtlicher, dass die Einhaltung der Menschenrechte das Papier nicht wert ist, auf dem sie eingefordert werden. Folter ist mittlerweile ein elementarer Bestandteil des von der US-Regierung erklärten "Krieges gegen den Terror". Die Verschleppung von sogenannten "Verdächtigen" in Staaten, in denen Folter zur gängigen Verhörpraxis gehört stehen ebenso auf der Tagesordnung, wie mutmaßliche geheime Verhörlager der CIA - unter anderem in Osteuropa. Die Bilder aus Folter-Knästen wie Abu Ghraib und Guantanamo oder den spanischen Enklaven Ceuta und Melilla in Marokko sprechen zudem für sich.

Auch in Deutschland sind wir neben den bereits praktizierten Menschenrechtsverletzungen wie Isolationshaft, Abschiebungen in Folter und Tod und Ähnlichem, mit einer Aufweichung des Folterverbots konfrontiert. Auslöser war der ehemalige Polizeivizepräsident von Frankfurt, Wolfgang Daschner. Daschner wollte einem Entführer, unter Androhung von Folter, Angaben über den Aufenthaltsort des Opfers abpressen. Weite Teile der Bevölkerung wie auch hochrangige Politiker und Juristen befürworteten daraufhin, Folter in sogenannten "begründeten Einzelfällen" zuzulassen. Ganz aktuell dringen Verlautbarungen an die Öffentlichkeit, die besagen, dass Beamte des Bundeskriminalamtes, des Bundesnachrichtendienstes und des Verfassungsschutzes den Deutsch-Syrer Zammar, im November 2002, im Far-Filastin-Gefängnis in Damaskus verhört haben sollen. Far-Filastin ist einer der berüchtigtsten Kerker der Welt, in dem der syrische Militärgeheimdienst sein Unwesen treibt.

Gründe genug also diesen Tag nicht denjenigen zu überlassen, die den Menschenrechten zwar das Wort reden, dieselben jedoch permanent mit Füßen treten! Die Geschichte hat immer wieder bewiesen, dass es nicht staatliche Organe waren, die sich um eine Aufarbeitung begangener Menschenrechtsverletzungen bemüht haben - ganz im Gegenteil. Es sind immer die Angehörigen, Genossinnen und Genossen, der von Folter, Mord und Verschwindenlassen betroffenen Menschen, die den Kampf um Gerechtigkeit und Befreiung führen.

Von Susurluk nach Semdinli
Einige von Euch werden sich womöglich fragen warum wir uns dazu entschlossen haben, unseren Protest gerade vor das türkische Konsulat zu tragen. Warum nicht beispielsweise vor das amerikanische oder spanische Konsulat? - Ein Grund ist, dass wir schon seit Jahren mit türkischen und kurdischen Genossinnen und Genossen zusammenarbeiten. Dadurch wurden wir immer wieder mit den eklatanten Menschenrechtsverletzungen in den kurdischen Gebieten und in den türkischen Knästen und Polizeistationen konfrontiert. Aus dieser gewonnenen Kenntnis über die Missstände in der Türkei sahen wir uns dazu veranlasst, dem auch hier etwas entgegen zu setzen - so auch heute. Die offene Parteinahme deutscher Regierungen für das türkische Regime und gegen die kurdische Befreiungsbewegung sowie das Totschweigen des sogenannten "Kurdistankonfliktes" durch die deutschen Medien betrachten wir als weitere Gründe, unsere Solidarität mit den türkischen und kurdischen Genossinnen und Genossen zum Ausdruck zu bringen.

Der hauptsächliche Grund, das türkische Regime ins Fadenkreuz unserer Kritik zu stellen, ist allerdings ein ganz aktueller. Am 9. November gab es einen Bombenanschlag auf einen Buchladen in Semdinli, in der kurdischen Provinz Hakkari. Erstmal nichts ungewöhnliches, da es in den letzten Monaten bereits zu 18 weiteren Anschlägen in der Region kam, die bisher der PKK angelastet wurden. Dieser Anschlag wurde jedoch nachweislich von Agenten des illegalen Militärgeheimdienstes JITEM verübt. Im Fahrzeug der Attentäter wurden, neben diversen Waffen, eine Karte der Umgebung sowie eine "Todesliste" gefunden. Auf dieser Todesliste standen Namen kurdischer Aktivistinnen und Aktivisten. Nach Semdinli drängt sich somit der Verdacht auf, dass JITEM auch in die anderen Anschläge verwickelt ist.

Finstere Erinnerungen an die 90er-Jahre werden wieder wach, als türkische Sicherheitskräfte in Zusammenarbeit mit der Mafia und türkischen Faschisten unzählige, angebliche PKK-Sympathisantinnen und Sympathisanten liquidierten. Aufgeflogen sind diese "Todesschwadrone" damals nach einem Autounfall in der Nähe der Stadt Susurluk. Aus dieser Zeit gibt es immer noch hunderte unaufgeklärte Fälle wie Mord, Verschwindenlassen und Folter.

Seit über einem Jahr haben auch die Angriffe des türkischen Militärs auf kurdische Wohngebiete wieder Ausmaße angenommen, die dem offenen Krieg der 90er-Jahre ähneln. Nachdem nun öffentlich wurde, dass der Staat ganz offensichtlich in den Anschlag von Semdinli involviert ist, hat sich die Situation weiter zugespitzt. So kam es auch zu zahlreichen Demonstrationen in der Region, in die von Sicherheitskräften geschossen wurde. Einige Tote und zahlreiche Verletzte waren die Folge dieses brutalen Vorgehens. Es ist also nicht weit her mit den Verlautbarungen des türkischen Ministerpräsidenten Erdogan, der erst kürzlich versprach, die Lösung der kurdischen Frage vorantreiben zu wollen. - Niemand muss sich deshalb wundern, wenn die kurdische Guerilla wieder zu den Waffen greift!

... bei jeder Schweinerei ist die BRD dabei
Wir sind heute jedoch nicht allein deshalb hierher gekommen, um ausschließlich auf die eklatanten Menschenrechtsverstöße des türkischen Regimes hinzuweisen. Uns geht es vielmehr auch darum, die langjährige Zusammenarbeit deutscher Regierungen mit dem türkischen Folterstaat anzuprangern.

So ist die BRD die treibende Kraft innerhalb der EU gewesen, die sich für die Einführung von Isolationshaftbedingungen in türkischen Knästen stark gemacht hat. Die offene blutige Folter war nämlich zu Beginn dieses Jahrhunderts nicht mehr zeitgemäß und hinderlich für eine Beitrittsperspektive der Türkei in die EU. Isolationshaft ist überall auf der Welt als "weiße Folter" bekannt und basiert auf jahrzehntelangen westlichen Erfahrungen, wie etwa aus Stammheim. Sie hinterlässt keine Blutspuren, zeugt aber vom selben Willen, den politischen Gegner zu brechen und seine Identität zu vernichten. Tausende politische Gefangene linker türkischer und kurdischer Organisationen sind heute diesen Sonderhaftbedingungen unterworfen und sitzen immer noch in diesen in der Türkei "F-Typ" genannten Gefängnissen. Über 100 Menschen sind bereits im Kampf gegen dieses Knastregime gestorben.

Für Abdullah Öcalan, der Integrationsfigur der kurdischen Befreiungsbewegung, wurde gleich ein komplettes Gefängnis hergerichtet. Der bekannteste politische Gefangene in der Türkei ist als einziger (!) Gefangener auf der Insel Imrali fast völlig von der Außenwelt abgeschottet. Erstmals seit 6 Monaten hatte Öcalan kürzlich wieder Besuch von seinen Anwälten erhalten.

Seit jeher haben deutsche Regierungen eine äußerst unrühmliche Rolle im sogenannten "Kurdistankonflikt" gespielt. Bereits 1993, lange bevor die PKK und andere linke türkische Organisationen auf die "EU-Terrorliste" gesetzt wurden, war die kurdische Befreiungsbewegung, auf Drängen der türkischen Regierung, in Deutschland verboten worden. Auch linke türkische Organisationen sind immer wieder Zielscheibe des deutschen Repressionsapparates. So ist seit dem 13. August 1998 beispielsweise die DHKP-C (Revolutionäre Volksbefreiungspartei-Front) verboten.

Die direkte Folge des sogenannten "PKK-Verbots" war die flächendeckende Kriminalisierung der kurdischen Bevölkerung seitens der deutschen Justiz. Hausdurchsuchungen, Schließung von kurdischen Vereinen, Verbote von Demonstrationen und Kundgebungen, sowie zahlreiche Verurteilungen kurdischer Aktivistinnen und Aktivisten nach den Paragraphen 129 und 129a haben der kurdischen Bewegung erheblichen politischen Schaden zugefügt. Von ähnlichen Auswüchsen justiziellem Verfolgungswahns waren und sind auch türkische Genossinnen und Genossen betroffen, die hier im Exil gegen die untragbaren Zustände in ihrer Heimat ankämpfen. Deshalb ist es auch nicht abwegig den deutschen Repressionsapparat als verlängerten Arm des türkischen Regimes zu begreifen, ohne dabei die ureigenen Interessen der deutschen Regierung außer Acht zu lassen.

Zuletzt am 5. September dieses Jahres waren die Auswirkungen des "PKK-Verbots" wieder zu spüren. Auf Grundlage desselben wurde die prokurdische Tageszeitung "Özgür Politika" von Ex-Bundesinnenminister Schily verboten. Dass der Zeitung, nachdem sie bereits mehr als 10 Jahre in Deutschland erschienen war, nun plötzlich vorgeworfen wurde, "Sprachrohr" der PKK zu sein, lässt darauf schließen, dass das Verbot im Kern politisch motiviert war. Nicht verwunderlich also, dass nach türkischen Pressemeldungen dem Verbot ein Ersuchen der türkischen Regierung vorausgegangen war. Bezeichnenderweise hat das Leipziger Bundesverwaltungsgericht am 18. Oktober das Verbot der "Özgür Politika" wieder aufgehoben.

Auch mit der Abschiebung kurdischer und türkischer Genossinnen und Genossen spielt die BRD dem türkischen Folterstaat in die Hände. Das Folter dort weiterhin systematisch praktiziert wird, belegt ein Bericht des türkischen Menschenrechtsvereins IHD, der für das 2. Halbjahr 2004 Hunderte mutmaßlicher Folterfälle auflistet. Makaber ist zudem, das am Tag des Anschlags in Semdinli, der Verkauf von 298 gebrauchten Panzern zwischen Deutschland und der Türkei unter Dach und Fach gebracht wurde.

Auch die kurdischen Genossinnen und Genossen hier in München sind von der Parteinahme deutscher Regierungsseite betroffen. Seit geraumer Zeit ist es ihnen nicht möglich einen neuen Verein zu gründen, weil auf potenzielle Vermieter von offizieller Stelle immer wieder Druck ausgeübt wird.

Wir fordern:
-Selbstbestimmungsrecht für die kurdische Bevölkerung
-Freiheit für alle politischen Gefangenen
-Keine Straffreiheit für Folterer

-Weg mit dem PKK-Verbot
-Keine Abschiebungen in den türkischen Folterstaat
-Keine Waffenlieferungen an die Türkei

Hoch die Internationale Solidarität!
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Ergänzungen

schade

ripple 11.12.2005 - 21:59
Ärgerlich das ich als Münchner davon im Vorfeld nix mitgekriegt hab. Ich wäre gern gekommen. Wo fand den die mobilisierung statt. Anscheinend nicht in meinem Umfeld...