Chaos im Madrider Gerichtssaal

Ralf Streck 23.11.2005 10:46 Themen: Repression Weltweit
Der Massenprozess gegen baskische Organisationen hat in der spanischen Hauptstadt Madrid mit einem Chaos begonnen. Auch zweiten Verhandlungstag wurde gestern deutlich, wie schlampig bewiesen werden soll, die Angeklagten seien Mitglieder oder Unterstützer der Untergrundorganisation ETA, wie der Ermittlungsrichter Baltasar Garzón behauptet.
Ohnehin zieren nur 56 der 59 Personen die Anklagebank im Hauptverfahren nach dem Aktenzeichen 18/98, unter dem Garzón seit 1998 fast alle Organisationen und Kommunikationsmedien der baskischen Linken verbieten ließ. Drei Personen fehlten. Einer wurde aus Frankreich nicht ausgeliefert, bei zweien ist unklar, ob sie überhaupt geladen wurden.
Eilig wurden gleich am Montag früh alle Anträge der Verteidigung abgelehnt, den Prozess zu vertagen. Die Anwälte hatten deutlich gemacht, dass ihnen zahlreiche Dokumente fehlten. Das Gericht wollte, wegen der vielen anwesenden Pressevertretern und Zuhörern aber schnell die Vernehmung des Unternehmers Bixente Askasibar präsentieren, um eine gewisse Normalität zu suggerieren.
Doch der Angeklagte antwortete, wie alle folgenden, nur auf Fragen der Verteidiger, weil es sich um einen „politischen Prozess“ handele. Alle Angeklagten trugen deshalb ein T-Shirt mit der Aufschrift: „Für die zivilen und politischen Rechte”. Die würden den Basken vorenthalten, wie der Prozess deutlich zeige. Dass eine Tageszeitung und ein Radio mehr als sieben Jahre ohne gerichtliche Prüfung geschlossen sind, weist eher auf einen verdeckten Ausnahmezustand hin, als auf demokratische Normalität. .
Askasibar erklärte auf Nachfrage seines Anwalts, er habe nichts mit der ETA zu tun. Er gestand aber ein Mitglied der Koordination Sozialistischen Alternative (KAS) gewesen zu sein. Das war eine Koordination die offen gearbeitet hat und 1998 erst verboten wurde, als sie schon seit einiger Zeit nicht mehr bestand. Der Chor, in dem er singe, habe auch nicht zur Verbreitung der Ideen von KAS gedient, wie Garzón behauptet, sondern man habe baskische Klassiker wie Guridi verbreitet. KAS habe auch nicht die Massenbewegung für die ETA gesteuert. Der Prozess wurde am Montag dann schließlich doch vertagt, weil von der Verteidigung geforderte Dokumente nicht aufzufinden waren.
Bis am Dienstag tauchten die dann wohl unter den 200.000 Seiten auf, die Garzón in seinem Feldzug gegen die baskische Linke in über acht Jahre sammelte. „Beweise“ dafür, das Askasibars Firma Gadusmar zur ETA gehört, waren allerdings schlichte Rechnungen und Lieferscheine. Die Firma exportiert Stockfisch von Island nach Kuba. Das eine Firma die ETA finanziere, wie Garzón behauptet, die Verluste geschrieben hat, ist ebenso kaum glaubhaft.
Interessant war auch, dass die präsentierten Akten nicht mit denen vom Vortag überein stimmten. Die mit 1, 2, 3 nummerierten Kisten, in denen sich die Akten zu dem Verfahren des Unternehmers befinden sollen, waren schlicht andere als die, die am Vortag aufgefahren worden waren. So verwundert nicht, dass ein Dokument, das in der Asservatenliste als Bankauszug firmierte, dann gar keiner war. Der Antrag den Prozess auszusetzen und die Frage zu klären, lehnte das Gericht allerdings ebenso ab, wie die Möglichkeit der Angeklagten sich zum politischen Charakter des Verfahrens zu äußern.
Ähnlich klar waren die „Beweise“ gegen José Luis García Mijangos. Bei ihm waren zum Beispiel Landkarten aus Guatemala, Peru und Korsika gefunden worden. Doch, so sollte man annehmen, gehören derlei Karten zur Grundausstattung eines Reisebüros, dessen Chef der ist. Die seien überall erhältlich, erklärt Mijangos. Was die mit der ETA zu tun haben, bleibt ein Geheimnis von Garzón. Chaos gab es, wie auch schon im eilig vorgezogenen Prozess gegen die Jugendlichen (siehe Interview  http://de.indymedia.org/2005/11/133500.shtml) auch wegen der mangelhaften Übersetzung. Ein Beitrag von drei Minuten fasste die völlig überforderte Übersetzerin in drei Wörtern zusammen. Die konnte nicht einmal die Stadt Miarritze (Biarritz) von Mugikorra (Handy) unterscheiden.
Angesichts der Vorgänge sieht die Vereinigung der Anwälte Europas, die den Prozess überwacht, große Defizite für die Möglichkeit sich ordentlich zu verteidigen. „Es gibt klare Hinweise die nicht nur für die Aussetzung des Verfahrens, sondern für seine Nichtigkeit sprechen”, erklärte der katalanische Anwalt August Gil Matamala. Garzón wohnt dem Verfahren ohnehin nicht bei. Nach dem Wahlverlust der Volkspartei, deren politische Strategie er gegen die baskische Linke juristisch bemäntelt hat, setzte er sich wie der ehemalige Ministerpräsident José María Aznar in die USA für eine Lehrtätigkeit ab. Dafür hat er gerade eine Verlängerung beantragt. In den USA hat ein derartiger Kampf gegen den Terror Konjunktur.

Ralf Streck, Donostia-San Sebastián den 23.11.2005
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