Eine andere Staatskritik II.

Wal Buchenberg 23.11.2005 09:20 Themen: Soziale Kämpfe
Ich ging im Bisherigen aus von einer jährlich in Deutschland produzierten Warenmenge W' im Wert von 2000 Mrd. Euro.Das Größenverhältnis von Produktionsmitteln zu Konsumtionsmitteln in der BRD ist rund 40 zu 60. Daher teilt sich das obige Jahresprodukt ungefähr in eine Warenmenge von 1200 in einer Gebrauchsform, die für den individuellen und öffentlichen Verbrauch bestimmt ist und in eine andersartige Warenmenge von 800 in einer Gebrauchsform, die für den produktiven Verbrauch bestimmt ist (Gebäude, Anlagen, Energie, Rohstoffe etc.)
2. Verwandlung des Geldes in Konsum und neue Produktionsmittel G - W.
Von dieser Warenmenge hatten die verschiedenen Gliederungen des Staates 20 Prozent für öffentlichen Verbrauch gekauft. Das waren Waren im Wert von 40 Mrd. Euro von den Produktionsmitteln und Waren im Wert von 390 Mrd. Euro von den Konsumtionsmitteln. Bleiben für den Verbrauch der Privatwirtschaft noch Produktionsmittel im Wert von 760 Mrd. und Konsumtionsmittel im Wert von 810 Mrd., insgesamt 1570 Mrd. Euro.

2.1. Das gesamtgesellschaftliche Kapital in Deutschland
2.1.1. Konstantes Kapital c = 760
Von den Waren im Wert von 760 Mrd. Euro, wissen wir, dass sie aus Gebäuden, Anlagen, Energie und Rohstoffen usw. bestehen und dazu dienen, in der Waren- und Dienstleistungsproduktion produktiv vernutzt zu werden. K. Marx nennte diesen Wertbestandteil konstantes Kapital, abgekürzt c.
Zur Vereinfachung sehe hier sowohl vom Export von Produktionsmitteln ab wie vom Import von Konsumtionsmitteln, beides spielt für die deutsche Wirtschaft tatsächlich eine große Rolle.

2.1.2. Variables Kapital v plus Mehrwert m = 810
Ich betrachte nun die restlichen Waren im Wert von 810 Mrd. Euro, die von offiziellen Statistiken als "Einkommen" erfasst werden.
Aus Gründen der Vereinfachung sehe ich hier vom Einkommen der kleinen Selbständigen ab, die rund 7 Prozent der Erwerbstätigen ausmachen.
Es bleiben zur Verteilung der Waren im Wert von 810 Mrd. noch die Lohnarbeiter und die Kapitalisten.

Wie dieser "Kuchen" von 810 Mrd. sich verteilt, darüber gibt es in den offiziellen Statistiken unterschiedliche Angaben.
Unter der Rubrik "Arbeitnehmerentgelt, Löhne und Gehälter" wird eine Zahl von rund 1100 Mrd. Euro genannt, die jedoch sowohl die Gehälter des öffentlichen Dienstes einschließt, als auch öffentliche Ausgaben, die durch Sozialbeiträge abgedeckt sind. Die 1100 Mrd. Euro können nicht als Lohnsumme der produktiven Lohnarbeiter genommen werden.
Zweitens gibt es unter "Verteilung des Volkseinkommens" eine Rubrik "Unternehmens- und Vermögenseinkommen" (2002 knapp 430 Mrd. Euro). Die schließen allerdings auch alle Zins- und Mieteinnahmen des "kleinen Mannes" ein, der ein Zweifamilienhäuschen besitzt. Auch diese 430 Mrd. Euro können nicht einfach als Gewinn der Kapitalistenklasse genommen werden.

Ich halte mich im Folgenden an eine Untersuchung von Dr. Hermann Berie und Ulf Fink (MdB): Die Lohnquote, herausgeben vom WISO-Institut Berlin.

Vergleiche die Grafik Lohnquote:


Diese Lohnquote von ca. 54% enthält allerdings auch die Lohneinkommen der unproduktiven Staatsdiener (ca. 180 Mrd. Euro). Da es nicht auf Heller und Cent ankommt, gehe ich von der nur geringfügig reduzierten Lohnquote von 50 Prozent aus.
Dann teilt sich die verbliebene Warenmenge von 810 in die Lohnsumme v = 405 Mrd. und den kapitalistischen Gewinn m = 405 Mrd.

Waren im Wert von 405 Mrd. Euro fließen als Lebensmittel in die Hände der produktiven Lohnarbeiter, die rund 77 Prozent der Erwerbsbevölkerung ausmachen. Gleichfalls Waren im Wert von 405 Mrd. Euro fließen als Gewinn in die Hände der Kapitalisten, die rund 3 Prozent der Erwerbsbevölkerung ausmachen.

Wir erhalten eine Wertzusammensetzung des jährlich produzierten Warenkapitals in Deutschland von W = 760 c + 405 v + 405 m.

Das konstante und variable Kapital c + v im Wert von 1165 Mrd. Euro hatten die Kapitalisten im letzten Jahr als Kapital vorgeschossen. Nach Produktion und Verkauf der Waren eines Jahres haben die Kapitalisten dieses im letzten Jahr vorgeschossene Kapital wieder in Händen und können es im laufenden Jahr vorschießen, um erneut dieselben sachlichen und personellen Produktionsmittel in Gang zu setzen.

Daneben haben die Kapitalisten noch einen Wertbestandteil von 405 Mrd. Euro in ihren Händen, für den sie nichts vorgeschossen haben und der sie nichts gekostet hat. Es ist ihr Gewinn.

Einen Teil dieses Gewinns verbrauchen die Kapitalisten für ihren eigenen Privatkonsum und den Konsum ihres ganzen Anhangs. Was sie nicht verkonsumieren, das können und müssen sie akkumulieren, das heißt in zusätzliches Kapital verwandeln.

2.2. Verwendung des kapitalistischen Gewinns
"Ein Teil des Mehrwerts wird vom Kapitalisten als Revenue (= privater Konsumtionsfonds) verzehrt, ein anderer Teil als Kapital angewandt und akkumuliert. Bei gegebener Masse des Mehrwerts wird der eine dieser Teile umso größer sein, je kleiner der andere ist. Alle anderen Umstände als gleich bleibend genommen, bestimmt das Verhältnis, worin diese Teilung sich vollzieht, die Größe der Akkumulation. Wer aber diese Teilung vornimmt, das ist der Eigentümer des Mehrwerts, der Kapitalist. Sie ist also sein Willensakt. Von dem Teil des von ihm erhobenen Tributs, den er akkumuliert, sagt man, er spare ihn, weil er ihn nicht aufisst, d. h. weil er seine Funktion als Kapitalist ausübt, nämlich die Funktion, sich zu bereichern." K. Marx, Kapital I, MEW 23, 617f.

Grafik: Gewinne und Investitionen in Deutschland:


Was der Kapitalist zu seinem Lebensunterhalt und seinem Privatvergnügen verkonsumiert, verbraucht er nicht als Kapitalist, sondern als Privatmann. Als Privat- und Lebemann ist ihm der Staat mit Autobahnpolizei und allgegenwärtiger Überwachung ebenso zuwider, wie er als Kapitalist den Staat benötigt. Als Privatmann ärgert er sich ebenso über die Ausplünderung durch Steuern und Gebühren, wie er als Kapitalist sich darüber ärgert, wenn der Staat die Infrastruktur nicht in Schuss hält oder sein Eigentum nicht schützt. Als Privatmann ist der Kapitalist Staatskritiker und Staatsverächter, als Geschäftsmann erwartet er, dass der Staat den "optimalen Markt" herstellt und sichert.

2.3. Reproduktion der Produktionsmittel
"Keine Gesellschaft kann fortwährend produzieren, d. h. reproduzieren, ohne fortwährend einen Teil ihrer Produkte in Produktionsmittel oder Elemente der Neuproduktion rückzuverwandeln. Unter sonst gleich bleibenden Umständen kann sie ihren Reichtum nur auf derselben Stufenleiter reproduzieren oder erhalten, indem sie die, während des Jahres z. B. verbrauchten Produktionsmittel, d. h. Arbeitsmittel, Rohmateriale und Hilfsstoffe, in natura durch eine gleiche Menge neuer Exemplare ersetzt, welches von der jährlichen Produktenmasse abgeschieden und von neuem dem Produktionsprozess einverleibt wird. Ein bestimmtes Quantum des jährlichen Produkts gehört also der Produktion." K. Marx, Kapital I, MEW 23, 591.

Was während der Produktion vollständig verbraucht wird, wie Energie und Rohstoffe, muss auch für jede Produktionsperiode vollständig ersetzt werden.

Was während der Produktion nur teilweise verbraucht wird, wie Gebäude und technische Anlagen muss laufend instand gehalten werden. Darüber hinaus muss jährlich soviel Kapital angespart werden, um eine Anlage, die z.B. zehn Jahre hält, nach diesen zehn Jahren auch vollständig ersetzen zu können. Angenommen, alle Anlagen haben eine Lebensdauer von 10 Jahren, dann ist damit zu rechnen, dass jährlich plus minus ein Zehntel der Anlagen das Ende ihrer Nutzzeit erreicht und ersetzt werden muss.

Für Ersatz und Erneuerung aller verbrauchten Produktionsmittel dient die Warenmenge c im Wert von 760 Mrd. Euro, die die Kapitalisten untereinander kaufen und verkaufen.

Für diesen Austauschprozess der Produktionsmittel, diese Verwandlung von Geld in Ware (Pm) wird die staatliche Infrastruktur ebenso benötigt, wie beim früheren Marktaufenthalt des Kapitals, der Verwandlung von Ware in Geld (W - G).
Durch eine Infrastruktur, die die Informations- und Warenströme möglichst schnell und möglichst billig an alle erforderlichen Orte verteilt, sorgt der Staat für einen "optimalen Markt".

Für die Zulieferung von Rohstoffen und Energie ist die Staatstätigkeit erst recht erforderlich, weil Energieträger und Rohstoffe als Naturbasis der Produktion ungleich auf der ganzen Erde verteilt sind. Die Staatstätigkeit zur Herstellung eines "optimalen Marktes" greift hier über die nationalen Grenzen hinaus. Hier ist die Außenpolitik, Entwicklungshilfepolitik bis hin zum Einsatz der Bundeswehr vom Hindukusch oder dem Horn von Afrika verlangt.

Dazu verlautet der BDI lakonisch: "Um den Herausforderungen der Zukunft zu begegnen, müssen sowohl die Wirtschaft als auch die Politik ihr Rohstoffbewusstsein schärfen und geeignete Anstrengungen im Sinne einer strategisch ausgerichteten Rohstoffpolitik unternehmen. Im Rahmen der Außenwirtschafts- und Handelspolitik ist die Sicherung eines freien Zugangs zu den Weltmärkten unverzichtbar."

Pro Kopf zählt die deutsche Wirtschaft weltweit zu den größten Energieverbrauchern. "Misst man den Primärenergiekonsum in Steinkohleeinheiten, so wurde in der Bundesrepublik Deutschland 1992 mit 481 Millionen Tonnen SKE mehr als doppelt soviel Energie wie 1960 verbraucht (1960 211 Mt SKE), davon 409 Millionen in den alten Bundesländern.
Von diesem Verbrauch entfallen in Westdeutschland (in Klammern Daten für Ostdeutschland) auf Mineralöl 41,5% (29,2 %), Erdgas 18,0 % (11,8 %), Steinkohle 17,6 % (4,2 %), Kernenergie 12,4 % (1990 2,1 %), Braunkohle 8,2 % (55,7 %) und Wasserkraft und sonstige Energieträger 2,3 %." (Wikipedia).

Eine wichtige Rolle spielt nicht nur die aktuelle, sondern auch die künftige Versorgungssicherheit mit Rohstoffen und Energie. Laut einer Forsa-Umfrage sehen 77 Prozent der befragten 100 Topmanager die gewohnte Versorgungssicherheit beim Strom schon im Jahr 2007 in Frage gestellt sehen. Zur Zeit rechnet man bei einer installierte Leistung von derzeit knapp 120 Gigawatt (GW) mit jährlichen Stromausfällen von im Schnitt von 15 Minuten.

Die politische Debatte ob Atomausstieg oder Atomausbau wird längst geführt. Ebenso wird der Frage nachgegangen, welche fossilen Rohstoffe und Energieträge dem Kapital in 5 oder 10 Jahren zu welchen Preisen zur Verfügung stehen können. Adressat und Ausführender in allen diesen Fragen ist der Staat.

Links zur bundesdeutschen Energiepolitik

Wal Buchenberg, für Indymedia 23.11.05

(Folgt noch der letzte Teil dieser Staatskritik mit dem Thema "Sozialstaat".)
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Ergänzungen

mmh...

ra0105 23.11.2005 - 11:20
Danke erstmal, dass du dir die Mühe gemachst hast dich durch die Statistiken zu "quälen".
Es ist tatsächlich interessant mal den Erweiterten Kreislauf von Marx mal mit realen Zahlen zu sehen.
Aber es gibt ein paar Kritikpunkte:
Da Marx ja Anhänger der Arbeitswertlehre ist (nur Arbeit ist produktiv, nicht Boden oder Kapital), kommst du meines Erachtens teilweise ganz schön ins Schleudern.
Du ziehst zwar die Zinsen ab(u.a. auch mit dem Hinweis, das diese auch von Privatpersonen kommen), denn eigentlich können sie ja streng genommen gar kein Einkommen darstellen (für wen auch immer, da Kapital ja bei Marx nicht produktiv ist). Insofern ist es natürlich richtig das du dies auch nicht als Gewinn für die Kapitalisten siehst.

Ich frage dich aber ob du die Fixierung ausschließlich auf den produktiven Faktor Arbeit noch für zeitgemäß hältst?

Auch die Einteilung in Kapitalistenklasse (Ausbeuter) und Proletariat (Lohnarbeiter) ist natürlich sehr schematisch.
Völlig klar das du Selbstständige und "unproduktive" Staatsdiener vernachlässigen willst, genügen sie doch nicht der Marxschen Definition von Kapitalisten und Proletarier (Kapitalist: Privateigentümer der Produktionsmittel; Proletarier: kein Eigentum an PM, stellen Arbeitskraft dem K. zu Verfügung und erhalten Lohn => doppelt freier Lohnarbeiter).

Das du das Ausland raushälts hat auch weniger mit Vereinfachungsgründen zu tun, sondern schlicht damit das das Ausland bei Marx im Kreislauf nicht vorkommt. Du müsstest dann nämlich eine weitere Erweiterung des Erweiterten Kreislauf vornehmen und entsprechend eine neue Formel aufstellen.

Versteh mich nicht falsch, im Sinne von Marx hast du völlig recht. Aber das Kreislaufmodell war nie dazu gedacht das Bruttonationaleinkommen oder was auch immer auf diese Ebene runterzubrechen, weil es viel zu abstrakt dafür ist. Von der Entwicklung her, war es auch entsprechend auch umgekehrt, so dass die verschiedenen Kreislaufmodelle die Vorraussetzung für die Volkswirtschaftliche Gesamtrechung waren und gerade nicht andersrum.
Der Erkenntnisgewinn deines Artikels ist entsprechend ziemlich gering.


Weiterführende Links:

 http://de.wikipedia.org/wiki/Mehrwert
 http://de.wikipedia.org/wiki/Arbeitswerttheorie
 http://de.wikipedia.org/wiki/Karl_Marx
 http://de.wikipedia.org/wiki/Kreislaufmodell (nicht wirklich zu gebrauchen, bedarf einer Überarbeitung)

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Auch zu empfehlen, einfach mal googeln nach Kreislaufmodell und Marx, da gibt es einige Vorlesungsskripte und ähnliches die in die Thematik einführen.

z.B.:  http://www.fhm.edu/fb10/prof/lankes/download/vwl-sem1-ws0405.pdf ab Seite 25 (!Achtung man findet hier nicht Marx Kreislaufmodell!)


@Mods: Text bitte auf HTML umstellen

Wal 23.11.2005 - 11:43
Andere Staatskritik II
 http://de.indymedia.org/2005/11/133505.shtml

Danke!
Wal

Der 1. Teil dieser anderen Staatskritik

Wal Buchenberg 23.11.2005 - 13:08