Massenprozesse beginnen

Ralf Streck 18.11.2005 09:09 Themen: Repression Weltweit
In der baskischen Kleinstadt Durango wurde am vergangenen Samstag der „Tag der zivilen und politischen Rechte“ begangen. Mit den Veranstaltungen wurde der bisherige Höhepunkt der Solidaritätskampagne mit den Angeklagten in den anstehenden Massenprozessen markiert. Das Verfahren unter dem Aktenzeichen 18/98, dem weitere Verfahren untergeordnet sind, wird am 21. in der spanischen Hauptstadt beginnen.  http://de.indymedia.org//2005/03/108230.shtml
Seit 1998 wurden darüber etliche baskische Organisationen, Parteien und Kommunikationsmedien verboten und ihre Mitglieder kriminalisiert. Schon am Montag mußten die ersten 59 Angeklagten die 400 Kilometer nach Madrid zurücklegen, nur um die Ladungen zu erhalten. Eine der vielen Besonderheiten in derlei Prozessen.

Der Journalist Mariano Ferrer zeigte sich als Sprecher des breiten Bündnisses aus Parteien- und Organisationen erfreut über den Verlauf der Solidaritätskampagne. Unter dem Titel „Kaiera“ (ins Heft) war man mehrere Wochen durch Städte und Dörfer gezogen, um die Bevölkerung über die anstehenden Verfahren aufzuklären und Solidaritätserklärungen in den ausliegenden Heften aufzunehmen.„Tausende haben ihre Verbundenheit gezeigt“, um gegen die Beschneidung elementarer Rechte zu protestieren, erklärte er zufrieden.  http://de.indymedia.org//2005/02/107592.shtml

Begonnen hatte der Feldzug gegen die baskische Linke mit der Schließung der Tageszeitung und des gleichnamigen Radios „Egin“ 1998. Damals regierte die ultrarechte Volkspartei (PP) in Madrid. Mit Hilfe der Sozialisten (PSOE) wurde die linke Unabhängigkeitsbewegung zu einem Teil der Untergrundorganisation ETA definiert. Es spricht für sich, dass es mehr als sieben Jahre dauert, bis ein so eklatanter Eingriff wie ein „vorläufiges“ Zeitungsverbot juristisch geprüft wird. Allerdings wurde versucht darüber das Folgeprojekt Gara ökonomisch abzuwürgen.  http://de.indymedia.org//2005/05/117852.shtml

Die Journalistin und Vizedirektorin des Egin, Teresa Toda, brachte die Anklage auf den Punkt: Es gehe nicht um kriminelle Taten, „sie versuchen den Anspruch auf eine baskische Nation, die freier und gerechter ist, zu verurteilen“. Toda sprach von einem verdeckten „Ausnahmezustand“, der über einen Großteil der Basken verhängt wurde. Nach Ansicht von Verfassungsrechtlern müsste für ein Zeitungsverbot ein Ausnahmezustand verhängt werden. Auf welch dünnem Eis sich die Anklage bewegt, zeigen Stilblüten der Staatsanwalt, wonach Beschuldigte nicht einmal etwas von ihrer ETA-Mitgliedschaft gewusst hätten. Trotzdem werden Strafen zwischen 10 und 51 Jahren Haft gefordert.

Zwar hätten die Anklagen „großen Schaden“ angerichtet, aber das Ziel nicht erreicht, dass man seine „Ziele und Hoffnungen“ aufgibt, war der Tenor. Tatsächlich werde der „Widerstand gegen die Prozesse wird immer breiter und die Legitimität des Nationalen Gerichtshofs immer geringer“, sagte Toda. Sie forderte die regierenden Sozialisten auf, sich von der Repressionsstrategie der PP zu befreien, um endlich eine friedliche Lösung für den Konflikt zu finden.

Die Verfahren könnten ohnehin längst eingestellt sein. Denn selbst das Sondergericht konnte im Juni keine Verbindungen von drei Jugendorganisationen zur ETA feststellen.  http://de.indymedia.org//2005/06/121223.shtml Dieses Verfahren war extra aus dem Verfahren 18/98 abgetrennt worden. http://de.indymedia.org//2005/02/106270.shtml Mit der Hoffnung die Jugendlichen leichter als ETA-Mitglieder zu verurteilen, sollte eine Präjudiz für die übrigen Verfahren schaffen werden.  http://de.indymedia.org//2005/08/124836.shtml Es misslang. Vor den internationalen Beobachterdelegationen, die auch dieses Verfahren beobachten, soll aufgezeigt werden, wie in Spanien elementare Rechte verletzt werden: Folter, Verbote und Inhaftierungen, die allein aus politischen Einstellungen rühren. Eine der vielen Besonderheiten ist, dass die Beschuldigten nicht einmal von der angeblichen Mitgliedschaft in der ETA gewußt haben müssen, um dafür verurteilt zu werden, meint jedenfalls die Staatsanwaltschaft.

© Ralf Streck, Donostia-San Sebastian den 13.11.2005
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