Solidarität mit dem kriminalisierten Antifa

Rotfront 16.11.2005 19:04
Einem Aktivisten aus Stuttgart soll im November 2005 innerhalb kürzester Zeit zum zweiten Mal der Prozess gemacht werden. Im September diesen Jahres wurde er alleine aufgrund der Aussagen eines Staatsschützers in einem skandalösen Urteil des „Straftatbestandes“ für schuldig befunden, ein Flugblatt das zu Aktivitäten gegen einen Aufmarsch von Nazis aufrief, verteilt zu haben. Nun soll er abermals für seine antifaschistischen Aktivitäten verurteilt werden, was für ihn aufgrund einer Bewährungsstrafe wegen einer Auseinandersetzung mit einem Neo-Nazi vor mehreren Jahren, nun einen Bewährungswiderruf und damit eine Gefängnisstrafe bedeuten kann
Schluss mit der Repression!
Solidarität mit dem kriminalisierten Antifaschisten!


Einem Aktivisten aus Stuttgart soll im November 2005 innerhalb kürzester Zeit zum zweiten Mal der Prozess gemacht werden. Im September diesen Jahres wurde er alleine aufgrund der Aussagen eines Staatsschützers in einem skandalösen Urteil des „Straftatbestandes“ für schuldig befunden, ein Flugblatt das zu Aktivitäten gegen einen Aufmarsch von Nazis aufrief, verteilt zu haben. Nun soll er abermals für seine antifaschistischen Aktivitäten verurteilt werden, was für ihn aufgrund einer Bewährungsstrafe wegen einer Auseinandersetzung mit einem Neo-Nazi vor mehreren Jahren, nun einen Bewährungswiderruf und damit eine Gefängnisstrafe bedeuten kann.
Das Verfahren ist Teil einer gezielten Kriminalisierungskampagne gegen antifaschistisch Aktive und des langfristigen Versuches, die Repression gegen linke Politik und antifaschistischen Widerstand in der Region Stuttgart auf ein „Null- Toleranz-“ Niveau zu heben.





Das aktuelle Verfahren und seine Vorgeschichte

Am 13. August 2005 marschierten etwa 100 Nazis durch Heidenheim. Dieser Aufmarsch muss als Teil der Bemühungen der Nazis verstanden werden, in Heidenheim ihre Präsenz zu verstärken, d.h. konkret: sich die Strasse zu erobern. Was dies im Alltag bedeutet, davon können viele MigrantInnen und linke Jugendliche bereits ein Lied singen, faschistische Organisationen versuchen zunehmend ihre Aktivitäten und Strukturen dort auszubauen. In jüngster Vergangenheit haben wiederholt faschistische Schlägertrupps Menschen attackiert, vor wenigen Jahren hat ein jugendlicher Faschist gar drei Menschen in Heidenheim erstochen.
Ihren alltäglichen Terror können die Nazis bislang jedoch nicht ungestört verbreiten, vielmehr stießen sie in der Vergangenheit immer wieder auf Widerstand. Antifaschistische Demonstrationen bewirkten etwa bereits vor mehreren Jahren, dass in Heidenheim ein Naziladen mit rechter Musik und entsprechender Kleidung im Angebot kurz nach der Eröffnung wieder schließen musste. Erst vor wenigen Monaten konnte ein Angriffversuch von bewaffneten Nazi-Schlägern erfolgreich abgewehrt werden und die Nazis mussten unter Polizeischutz flüchten.
Dass ihre Versuche, in Heidenheim Fuß zu fassen nicht aufgehen, zeigt auch der Widerstand gegen den letzten Aufmarsch in Heidenheim, um den es auch bei dem aktuellen Verfahren geht. So gab es trotz einem massiven Polizeiaufgebot von 600 Beamten mit Pferde- und Hundestaffeln, Zivilpolizisten, vermummten Beweissicherungs- und Festnahmeeinheiten (BFE) sowie der Einkesselung von AntifaschistInnen mit Schlagstock- und Pfefferspray-Einsatz, entschlossenen antifaschistischen Widerstand gegen den Nazi-Aufmarsch. Die Polizei sah sich sogar kurzzeitig gezwungen bei den Verkehrsbetrieben nach einer Möglichkeit anzufragen die Nazis sicher aus der Stadt zu bringen, nachdem der Aufmarsch von Blockaden und brennenden Barrikaden aufgehalten sowie wiederholt von militanten AntifaschistInnen angegriffen wurde.
Die Polizeistrategie bei dem Aufmarsch stimmte letztlich mit dem überein, was in den letzten Monaten praktisch durchweg zu beobachten war und ist: die Nazis lies man agieren und räumte ihnen den Weg frei. Die unverhohlene Präsentation ihrer menschenverachtenden Propaganda und die Verherrlichung des Nationalsozialismus bot scheinbar keinen Anlass zum Einschreiten der Staatsschutzbehörden. Vielmehr diente der Aufmarsch diesen einmal mehr vor allem dazu, massive Repression gegen linke AktivistInnen aufzufahren. Einer der Festgenommenen ist der nunmehr angeklagte Stuttgarter Aktivist; ihm wird vorgeworfen, dass er dem Naziaufmarsch militanten Widerstand entgegengesetzt habe („Körperverletzung“) und bei der folgenden Festnahme einem Beamten eine Prellung zugefügt habe („Widerstand gegen die Staatsgewalt“).





Aktuelle Repressionsstrategien und ihre Einschätzung

Die Repression gegen den Genossen und v.a. das skandalöse Urteil, welches das Verteilen eines antifaschistischen Flugblattes zur Straftat werden lässt ist nur eine Spitze im Versuch, eine allgemeine Null- Toleranz- Linie gegen linke und antifaschistische Praxis in der Region Stuttgart durchzusetzen. In den vergangenen zwei Jahren wurden mehrfach Menschen bei verschiedenen Mobilisierungen festgenommen und von einem Verbund aus polizeilichem Staatsschutz und Staatsanwaltschaft mit Anklagekonstrukten überzogen. Mehrfach reichten diese für Verurteilungen zu Bewährungsstrafen und hohen Geldstrafen aus. Zudem setzen die Behörden auf offene Einschüchterung, führten Hausdurchsuchungen durch, besuchten Angeklagte an ihrer Arbeitsstelle und setzten sie unter massiven Druck. Beamte in Zivil treten mehr oder weniger offen auf linken Mobilisierungen auf und geben ihren uniformierten Kollegen Anweisungen; es soll der Eindruck entstehen, dass sie sich auf Demonstrationen aufführen könnten, wie es ihnen passt.
Doch zur Installation einer Null- Toleranz- Linie gehören nicht nur aufwendige Ermittlungen und Gerichtsverfahren, vielmehr geradezu eine Flut an Anzeigen wegen -an sich lächerlichsten- Kleinigkeiten. Strafgeldbescheide, weil man auf einer Demonstration einen Schal zur Vermummung mitgeführt haben soll, Jugendarrest für angeblich „ehrabschneidende“ Parolen gegen Polizeibeamte, Verfahren wegen antifaschistischen Aufnähern (etwa durchgestrichene Hakenkreuze als „Verwendung verfassungsfeindlicher Symbole“) usw. usf.

Objektiv betrachtet ist diese Linie staatlicher Überwachung und Kontrolle natürlich weder auf die Kriminalisierung linker Politik beschränkt noch eine Stuttgarter Spezialität. In allen Bereichen ist ein massiver Ausbau des staatlichen Überwachungs- und Kontrollapparates zu verzeichnen. Teilweise laufen diese Veränderungen im Hintergrund ab, wie etwa die flächendeckende Kommunikationsüberwachung, die Überwachung öffentlicher Plätze, die Massenspeicherungen persönlicher Daten in staatlichen Sammelstellen und ähnliches. Andere Veränderungen äußern sich um einiges direkter als Verschärfung des gesellschaftlichen Klimas: routinemäßige Kontrollen auf den Strassen und Repression gegen RauschmittelkonsumentInnen, allgemein immer mehr Gerichtsverfahren, höhere Strafen und kontinuierlich steigende Gefängnisinsassenzahlen.
All diese Entwicklungen haben nicht zufällig in den letzten Jahren an Schärfe und Umfang zugenommen. Vordergründig werden sie mit verschiedenen Bedrohungsszenarien legitimiert, von der organisierten Kriminalität über sog. Schleußerbanden bis hin zum „Terrorismus“. Gerade mit dem „Terrorismus“ schufen sich die europäischen Staaten einen Blankoschein, mit dem sie jede unliebsame Strömung zu kriminalisieren versuchen und mit dem sie jeden noch so großen Schritt hin zum gläsernen Menschen als Notwendigkeit verkaufen.

Reell geht es dem Staat darum, die gesellschaftliche Kontrolle in Zeiten zu behalten, in denen Armut und Verelendung auch hier wieder massiv zunehmen. Parallel zur Verschärfung der Repression wurden in den letzten Jahren Sozialleistungen gestrichen, die Rentenabsicherung privatisiert, Massenentlassungen in zuvor unbekanntem Maße vorgenommen, sprießen Billiglohn- und Zeitarbeitsfirmen wie Pilze aus dem Boden usw. usf. Während der lohnabhängige Grossteil der Bevölkerung von diesen Verschlechterungen der Lebensbedingungen unmittelbar betroffen ist, steigen auf der anderen Seite Profite und Besitz immer weniger Großkonzerne weiter an. Deren staatliche Interessenvertreter haben natürlich ein vitales Interesse daran, dass sich am status quo nichts ändert, dass Proteste im Keim erstickt oder zumindest klein gehalten und kanalisiert werden. Deshalb spielt die Repression gegen die Linke im allgemeinen Überwachungsszenario eine Sonderrolle. Schließlich ist es die linke Praxis, die andere Gesellschaftsperspektiven jenseits von kapitalistischer Ausbeutung und Unterdrückung propagiert. Nur in diesem Zusammenhang kann auch die Instrumentalisierung der zunehmend erstarkenden Faschisten durch den Staat zur Kriminalisierung der Linken verstanden werden.





Vorwärts und nicht vergessen...

Der gezielte Kriminalisierungsversuch gegen den stuttgarter Antifaschisten ist natürlich nicht alleine mit der allgemeinen Gesellschaftsentwicklung zu erklären. Vielmehr ist der Einschüchterungsversuch auch vor den regionalen Entwicklungen in Stuttgart und Umgebung zu sehen. Dabei kann gesagt werden, dass die Staatsschützer ihr Ziel mitnichten erreicht haben. Die Verhaftungen am 1.Mai 2004 und die daran anschließenden Prozesse etwa bewirkten keinesfalls, dass in Stuttgart dieses Jahr weniger Menschen am 1.Mai auf die Strasse gingen. Der aktive Widerstand gegen die Vormarschversuche der Nazis findet weiter statt, ob in Stuttgart, Schwäbisch Hall oder Heidenheim; abseits der öffentlichen Inszenierung von Lippenbekenntnissen von Politikern der bürgerlichen Parteien. Mit einem Urteil, dass das alleinige Verteilen eines Flugblattes zur Straftat werden lässt, wurde ein neuer Versuch zur Abschreckung unternommen. Die Antwort war u.a. eine rege Beteiligung an den Prozessen durch kritische Beobachter und eine an die Urteilsverkündung unmittelbar anschließende Spontandemonstration. Nun soll mit der Knastandrohung noch ein Schritt weitergegangen werden.
Es gilt einmal mehr, diesem Herausgreifen eines Einzelnen unsere gemeinsame Solidarität entgegenzusetzen.


Kein Knast für Anti-Nazi- Kampf!
Einstellung aller Verfahren gegen AntifaschistInnen und linke AktivistInnen!
Antifaschismus ist notwendig, nicht kriminell!






Der Prozess findet am Mittwoch, den 23.11.2005 um 14.30 Uhr statt. Im Amtsgericht Heidenheim, Saal 1, Olgastrasse 22



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