Bundeswehr - Kriegspropaganda

Sabine Hersh 16.11.2005 14:45 Themen: Militarismus
Gestern standen an vielen Verkehrsknotenpunkten (nur in Berlin?) Bundeswehrsoldaten in Ausgehuniformen und sammelten in ihrem WehrmachtsOutfit Geld für Kriegsgräber. Nach einer ersten Überraschung fanden sich eine Reihe von Artikeln, in denen die Image-Probleme der Bundeswehr und geplante Propaganda-Anstrengungen beschrieben wurden. Eine besondere Bedeutung für die Bundeswehrpropagnda hat offensichtlich das "Sozialwissenschaftliche Institut der Bundeswehr" (SoWi) in Strausberg nd dort speziell ein gewisser Thomas Bulmahn.
Hier eine kleine Zusammenfassung:
Mit soldatischen Zeremonien auf Friedhöfen und vor Kriegsmahnmalen nutzt das deutsche Militär den "Volkstrauertag" für werbewirksame Selbstdarstellungen. Die zentralen Veranstaltungen werden von den öffentlichen TV-Sendern übertragen und bieten dem amtierenden Bundesminister für Verteidigung, Struck, ein landesweites Forum. Struck hält die regierungsamtliche Gedenkrede, die den Toten zweier Weltkriege gewidmet ist und sich in Andeutungen über neue Opfer der deutschen Außenpolitik ergeht. Den "Leidensweg" von "14 Millionen Deutschen", die nach 1945 "ihre Heimat verloren" oder "in sowjetische(r) Kriegsgefangenenschaft (...) Zwangsarbeit" leisten mussten, beklagt der Präsident des "Volksbundes Deutsche Kriegsgräberfürsorge" (VDK) in einer vorab verbreiteten Ansprache. Die militärisch inszenierten Totenrituale arbeiten einer anhaltenden Abneigung in der deutschen Bevölkerung gegen internationale Einsätze der Bundeswehr entgegen. Wie das "Sozialwissenschaftliche Institut" der deutschen Streitkräfte in einer aktuellen Studie feststellt, stimmen nur 30 Prozent der Aussage zu, Kriege könnten notwendig werden, um "Gerechtigkeit" herzustellen. Bei der wehrpropagandistischen Beeinflussung der Öffentlichkeit komme den Fernseh- und Rundfunkanstalten sowie den Printmedien deswegen eine entscheidende Bedeutung zu, heißt es in dem Bundeswehr-Papier.

In Einstimmung auf die heutigen Totenrituale fand bereits am Samstag eine "Gedenkveranstaltung im Fackelschein" statt, die der Generalinspekteur des deutschen Militärs, Schneiderhan, anführte.[1] Das "Musikkorps der Bundeswehr" und "Fackelträger des Wachbataillons" sorgten für "den feierlichen Charakter", beschreiben die Veranstalter die bigotte Inszenierung. Sie wurde auf einem Berliner Friedhof angesetzt, der 1938 von NS-Chargen eingeweiht worden war - damals wie auch 2005, um der Kriegstoten betend zu gedenken. Die christliche Überhöhung der mehrmaligen Waffengänge, in die Deutschland seine Nachbarn stürzte, führt der VDK-Präsident Führer heute einem weiteren Höhepunkt zu und erinnert in seiner pastoral angelegten Rede vor den Spitzen des deutschen Staates an den Choral "Nun danket alle Gott": "Tausende (...) sangen die Verse aus tiefstem Herzen, als - zehn Jahre nach Kriegsende - die letzten Kriegsgefangenen aus der Sowjetunion" in die Bundesrepublik zurückkehrten ("das Tor zur Freiheit").[2] Teilnehmer der Berliner Veranstaltung sind u.a. hohe Repräsentanten der christlichen Kirchen, die in den vergangenen Jahren wiederholt zur Duldung oder Unterstützung der außenpolitischen Militarisierung aufgerufen haben.[3]
Immer mehr

Trotz der absichtsvollen Emotionalisierung staatlicher Kriegergedenken und ihrer Sinngebungshilfen gelingt es bis heute nicht, die deutsche Bevölkerung prinzipiell für militärische Auslandseinsätze einzunehmen. Dies bestätigt eine aktuelle Untersuchung des "Sozialwissenschaftlichen Instituts der Bundeswehr" (SoWi). Darin kommt das in Strausberg angesiedelte SoWi zu dem Schluss, "das internationale Engagement Deutschlands" sei in der deutschen Öffentlichkeit "umstrittener denn je" ("Bevölkerungsumfrage 2005").[4] So führe die "zunehmende Verunsicherung der Menschen durch Wirtschaftsschwäche, Arbeitslosigkeit und Sozialabbau" zu einem "deutlichen Wandel der politischen Präferenzen": "Immer mehr Bundesbürger sind der Ansicht, Deutschland sollte sich aus den Krisen und Konflikten anderer Länder möglichst heraushalten und sich stärker auf die Bewältigung der Probleme im eigenen Land konzentrieren. Immer weniger meinen dagegen, dass Deutschland eine aktive Politik verfolgen und bei der Bewältigung von Problemen, Krisen und Konflikten mithelfen sollte."
Indifferent

Obwohl die Bundeswehr-Euphemismen ("aktive Politik", "Bewältigung von Problemen, Krisen und Konflikten") den gewalttätigen Gegenstand der öffentlichen Ablehnung nur andeuten wollen, spricht ein anderes Forscherteam des SoWi offen von Krieg. Darin wird eingestanden, dass "die Rückkehr des Krieges in die Lebenswelt westlich-demokratischer Länder auch Deutschland erreicht" habe.[5] Nichtsdestotrotz stehe die deutsche Bevölkerung dem Tod deutscher Soldaten auf dem Schlachtfeld "indifferent" gegenüber; dies müsse energisch bekämpft werden ("fight indifference").[6] Den Massenmedien kommt in diesem Zusammenhang nach Auffassung des SoWi eine zentrale Rolle zu: "Was die Bürger über Sicherheits- und Verteidigungspolitik wissen und wie oft sie etwas über die Bundeswehr erfahren, wird in Zukunft immer stärker von den Medien abhängig sein. Die Berichterstattung des Fernsehens, der Zeitungen und Zeitschriften wird also weiter an Bedeutung gewinnen."[7]
Bemerkenswert

Die vom SoWi konstatierte Bedeutung medialer Beeinflussung legt eine Intensivierung wehrpropagandistischer Maßnahmen nahe, wie sie an diesem Wochenende in der gesamten Bundesrepublik stattfinden. Das Einwirkungsobjekt wird von den Bundeswehr-Spezialisten als außerordentlich resistent angesehen. So bemängelt die aktuelle "Bevölkerungsumfrage" die "pazifistische" Grundeinstellung der meisten Bundesbürger, die, "selbst wenn es um die Sicherung des Friedens oder um Konfliktbewältigung geht", den Einsatz "militärischer Macht und Gewalt" rundheraus ablehnen. Im "internationalen Vergleich" nehme Deutschland damit eine "bemerkenswerte Position" ein: "Die Auffassung, dass Krieg unter Umständen notwendig sei, um Gerechtigkeit zu erlangen, wird lediglich von jedem dritten Bundesbürger geteilt. In den meisten Nationen fällt die Zustimmung größer aus. In den Niederlanden ist der Anteil der Befürworter mit 60 Prozent beispielsweise fast doppelt so groß und in den USA erreicht er annähernd die dreifache Größe."[8]
Signifikanter Zusammenhang

Die Zustimmung zu militärischen Gewaltoperationen wachse allerdings mit dem Grad der "emotionalen Betroffenheit" der Bundesbürger, stellt das SoWi weiter fest; fehle diese, schwinde auch die Zustimmung für die "Missionen" der Bundeswehr. Besonders förderlich für die Unterstützung von Kriegseinsätzen seien "starke Affekte (Angst, Mitleid)". Damit bestätigen die Wehrspezialisten Bedeutung und Sinn kriegerischer Initialpropaganda, wie sie die Bundeswehr während des Jugsolawien-Krieges betrieb. Damals erfand das Bundesministerium für Verteidigung einen so genannten Hufeisenplan, der die vermeintliche Aggressionsbereitschaft der Belgrader Staatsführung belegen und Angst und Schrecken auslösen sollte. Bei dem angeblichen "Plan" handelte es sich um eine Geheimdienstfälschung zum Zwecke der Desinformation. Ohne auf die entsprechenden Praktiken des deutschen Militärs einzugehen, heißt es über die "Informationsarbeit" am Bürger: "Zwischen dem Gefühl, gut informiert zu sein, und der Bewertung der Bundeswehreinsätze besteht ein signifikanter (...) Zusammenhang."[9]
Geeignetes Personal

Im Rahmen seiner Überlegungen zur Beeinflussung der Bevölkerung beschäftigt sich das SoWi seit längerem mit der Nachwuchswerbung der Bundeswehr, die darauf abzielt, "geeignetes Personal" für die deutschen Streitkräfte zu rekrutieren. Während Haupt- und Realschüler sehr stark an einer militärischen Karriere interessiert seien, hätten Gymnasiasten eine Reihe von "Vorbehalten" gegen den "Soldatenberuf", so die Ergebnisse der vorausgegangenen "Bevölkerungsbefragung 2004". Viele von ihnen fürchten offenbar die Gefahr für Leib und Leben bei "militärischen Einsätze(n)" im Ausland. Dem müsse sich eine "Informations- und Kommunikationsstrategie" zur Gewinnung "besser gebildeter Jugendlicher" für die Offizierslaufbahn besonders annehmen, erklären die SoWi-Forscher.[10]
Breite Zustimmung

Was den von deutschen Spitzenpolitikern seit langem geforderten Einsatz der Bundeswehr im Inland betrifft, herrscht nach Auffassung des SoWi jedoch kein Handlungsbedarf; hierfür gebe es eine "breite Zustimmung" der Bevölkerung. So sollten die deutschen Streitkräfte nicht nur "im klassischen Aufgabenspektrum" (Landesverteidigung, Katastrophenschutz) tätig werden, sondern auch bei der Überwachung des deutschen Luftraums, der Küste, der öffentlichen Infrastruktur (Flugplätze, Bahnhöfe) und privatwirtschaftlicher Großbetriebe (Chemie- und Kernkraftwerke).[11]


[1] Zahlreiche Veranstaltungen zum Volkstrauertag; www.volksbund.de/presse/volkstrauertag/veranstaltungen.asp
[2] Begrüßungsansprache des Präsidenten des Volksbundes Deutsche Kriegsgräberfürsorge, Herrn Reinhard Führer, am 13. November 2005; www.volksbund.de/presse/volkstrauertag/begruessungsansprache.asp
[3] s. dazu Deutscher Bischof im Reichstag: "Krieg unausweichlich" und Advent
[4] Sozialwissenschaftliches Institut der Bundeswehr/Thomas Bulmahn: Bevölkerungsumfrage 2005. Repräsentative Befragung zum sicherheits- und verteidigungspolitischen Meinungsbild in Deutschland. Ergebnisbericht, Strausberg 2005, S. 8
[5] Gerhard Kümmel/Nina Leonhard: Tod, Militär und Gesellschaft. Ein Beitrag zur Soziologie des Todes. In: Berliner Debatte Initial, 15. Jg., Nr. 5/6, 2004, S. 139
[6] Gerhard Kümmel/Nina Leonhard: Death, the Military and Society. Casualties and Civil-Military Relations in Germany, SoWi-Arbeitspapier Nr. 140, Strausberg 2005, S. 37
[7] Sozialwissenschaftliches Institut der Bundeswehr/Thomas Bulmahn: Bevölkerungsumfrage 2005, a.a.O., S. 21
[8] Ebd., S. 18f.
[9] Ebd., S. 30ff.
[10] Sozialwissenschaftliches Institut der Bundeswehr/Thomas Bulmahn: Bevölkerungsumfrage 2004. Repräsentative Befragung zum sicherheits- und verteidigungspolitischen Meinungsbild in Deutschland. Ergebnisbericht, Strausberg 2004, S. 52ff.
[11] Sozialwissenschaftliches Institut der Bundeswehr/Thomas Bulmahn: Bevölkerungsumfrage 2005, a.a.O., S. 35
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Ergänzungen

Auch anderswo...

ANTIKOELNER 16.11.2005 - 15:15
Auch in Köln gab es ähnliche Betteltouren. Hier wurde sogar im "KölnerStadtAnzeiger" und den stadtteilblättern extra darauf hingewiesen, wo und wann gesammelt wird! Allerdings war das nicht die BW sondern die "Dts.Kriegsgräberfürsorge" was die Sache höchstens noch wiederlicher macht. Gegenaktivitäten/störungen sind mir nicht bekannt.

Auch in Kabul richtig ins Zeug gelegt

Montag 14. November 2005 16.11.2005 - 15:51
Kabul/Potsdam (AFP) - In der afghanischen Hauptstadt Kabul ist ein Selbstmordanschlag auf Soldaten der Bundeswehr verübt worden; nach Angaben des afghanischen Innenministeriums wurden dabei ein deutscher Soldat der Internationalen Schutztruppe für Afghanistan (ISAF) getötet und zwei weitere verletzt. Das Einsatzführungskommando Potsdam der Bundeswehr bestätigte, dass ein Anschlag auf ein Bundeswehrfahrzeug verübt wurde, konnte jedoch zunächst keine Einzelheiten mitteilen.

 http://www.sueddeutsche.de/politik/ticker/iptc-bdt-20051114-278-dpa_10246838/
 http://de.news.yahoo.com/051114/286/4rimj.html

2 aktuelle Berichte von german-foreign-policy

.. 16.11.2005 - 16:44
Nach dem erneuten Tod eines deutschen Soldaten bei Sprengstoffanschlägen in Afghanistan leugnet die Bundesregierung unverändert, an einem bewaffneten Konflikt internationaler Dimension beteiligt zu sein.
Der Besatzungssoldat, der am gestrigen Montag Opfer eines Guerilla-Anschlags wurde, ist der 18. Angehörige der ISAF-Truppen, den die Bundeswehr von Kabul per Sarg ausfliegt. Informationen über weitere Tote, die deutschen Sonderkommandos angehörten, unterliegen der Geheimhaltung. Die Leugnung des offenkundigen Kriegszustandes ermöglicht der Berliner Außenpolitik, Bestimmungen des humanitären Völkerrechts zu umgehen und gegnerische Kombattanten wie Irreguläre zu behandeln. Das tatsächliche Ausmaß der bewaffneten Auseinandersetzungen in Afghanistan schildern militärische Lageberichte, die dieser Redaktion vorliegen.
 http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/53132

Rund eine Milliarde Euro lässt die Bundesrepublik Deutschland in diesem Jahr in Forschungsvorhaben für die Optimierung ihrer militärischen Gewaltmittel fließen. Dies ergibt eine Analyse des aktuellen Staatshaushalts und der dort für Wehrforschung eingestellten Budgetposten. Während Leistungen für Arbeitslose weiter gekürzt oder gänzlich gestrichen werden, bleiben die öffentlichen Gelder, mit denen die deutschen Kriegskapazitäten systematisch ausgebaut werden, unangetastet. Die Steigerung der Kampfstärke erfährt durch militärische Nutzung vorgeblich ziviler Forschungsgelder einen zusätzlichen Schub. Wegen der extensiven Anwendung des "dual use"-Prinzips stellen zivil-militärische Transferstellen einen wichtigen Förderschwerpunkt der deutschen Kriegsvorbereitungen dar.
 http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/54165

Am 19.11. auf nach Hannover!

Horst 16.11.2005 - 17:11
Den großen Zapfenstreich für Schröder zum Fiasko machen!

inhaltliche Ergänzung

zum Thema 16.11.2005 - 18:09
Hier noch ein Telepolis Artikel der sich dem gleichen Thema annimmt - der "Emotionalisierung der Bevölkerung" zur Kriegsvorbereitung

 http://www.heise.de/tp/r4/artikel/21/21339/1.html

die Umsetzung

blupp 16.11.2005 - 21:29
hier ein Beispiel für die Umsetzung der neuen Bundeswehrpropaganda:

Schaltet man den Fernseher am heutigen Tag ein, so hört man, dass z.B. N-TV die Ankunft und die Trauerfeier des vor kurzem bei einem Anschlag gestorbenen Bundeswehrsoldaten live übertragen will.

Genau über solche, an sich, wenn man sie isoliert betrachtet, harmlosen Vorkommnissen wie der Betrauerung eines gefallenen Soldaten wird versucht schleichend die Deutschen zu emotionalisieren und somit zu Unterstützern von Bundeswehreinsätzen umzuwandeln

Beiträge die keine inhaltliche Ergänzung darstellen

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bundesweit? — Ergänzer

auch in spandau — homer

He Mods — Trauer

@ Trauer — Jemand

@jemand — Trauer

@ Trauer — Jemand