Nachbetrachtungen zu Wolfgang Clement

Max Brym 08.11.2005 22:35
Clements- asoziales und rassistisches Abschiedsheftchen.

Gedanken zum politischen Diskurs in Deutschland
Von Parasiten und Heuschrecken - eine deutsche Debatte
Nachbetrachtungen zur letzten Aktion des Herrn Clement

Der scheidende Wirtschaftsminister Wolfgang Clement präsentierte zu seinem Abschied aus dem Wirtschaftsministerium eine Broschüre unter dem Titel „Vorrang für die Anständigen“. In dem Traktat beschimpft und beleidigt der noch-Minister die Opfer des Sozialabbaus in Deutschland. Für Clement sind rund 20% der Arbeitslosengeld- II-Bezieher Menschen, die „die Melkkuh Sozialstaat rücksichtslos mißbrauchen“. Der Herr Minister nennt Beispiele, wie in Singelhaushalten halbnackte Frauen und leichtbekleidete Männer von den Kontrolleuren der Arbeitsagentur angetroffen wurden. Clement bedauert in dem Heftchen, dass es oftmals nicht gelänge, den leichtbekleideten Menschen als Lebenspartner zu identifizieren. Direkt werden im „Spiegel“ deutsche Gerichte kritisiert, die Arbeitslosen recht gaben, weil nicht jede zwischenmenschliche Beziehung und Kontaktaufnahme als eheähnliche Gemeinschaft eingeschätzt werden könne. Herr Clement will die Schnüffelei in den Schlafzimmern verstärkt wissen und er fordert die Mitbürger zur Hilfe auf. Dies geschieht vor dem Hintergrund, dass Lebenspartner nach der Hartz IV-Gesetzgebung unterhaltspflichtig für den Hartz IV-Bezieher sind. Es ist bezeichnend, dass kein bürgerlich-liberales Blatt die staatlich lizensierte Bettschnüffelei vom demokratischen Standpunkt her kritisiert. Ziemlich offen ist hingegen ein Aufruf in den Medien zu finden, den staatlichen Schnüffelexperten zu assistieren. Diese Entwicklung ist nicht nur skandalös, sondern sie könnte bestimmte Gruppierungen auf den Gedanken bringen, wieder ein aktives Blockwartsystem auf brauner Grundlage zu reinstallieren.

Die Wortwahl des Herrn Ministers

Bezogen auf den angeblichen Mißbrauch der Hartz IV-Leistungen schreibt Minister Clement, „Biologen verwenden für Organismen, die zeitweise oder dauerhaft zur Befriedigung ihrer Nahrungsbedingungen auf Kosten anderer Lebewesen – ihren Wirten – leben, übereinstimmend die Bezeichnung Parasiten. Natürlich ist es vollkommen unstatthaft, Begriffe aus dem Tierreich auf den Menschen zu übertragen. Schließlich ist der Sozialbetrug nicht durch die Natur bestimmt, sondern vom Willen des Einzelnen gesteuert.“ Damit wird der menschliche „Parasit“ zu einem schlimmeren Wesen erklärt, als die Parasiten im Naturreich. Bekanntlich wird in der Natur, speziell wenn sich der Mensch einmischt, gegen Parasiten entsprechend vorgegangen. Herr Clement attackiert und beleidigt nicht nur wüst die Opfer der gegebenen Wirtschaftskrise, sondern er fordert mit dieser Wortwahl zu deren Ausgrenzung und wenn man es konsequent zu Ende denkt, zu deren Vernichtung auf. Demokratische Rechte interessieren den Herrn Minister in seinem Heftchen nicht im geringsten, im Gegenteil, er diffamiert „Selbsthilfegruppen von Arbeitslosen“ und Büros der Linkspartei und der WASG in denen Beratungen angeboten werden auf das Schärfste. Er unterstellt diesen Vereinigungen einen aktiven Beitrag zum Rechtsbruch zu leisten. Clement bezichtigt und kriminalisiert demokratische und soziale Einrichtungen, indem er ihnen Beihilfe bei der Förderung des sogenannten „Sozialmißbrauchs“ attestiert. Dass die Wortwahl des Herrn Ministers selbst strafrechtlich relevant ist, interessiert dabei nicht.

Clements offener Rassismus und latenter Antisemitismus

Besonders hat es Herrn Clement in seiner Broschüre ein Mann namens Ibrahim, ein Sänger aus dem Libanon angetan. Dieser libanesische Sänger wird als Musterbeispiel für den „Sozialbetrug“ aufgeführt. Immigranten und Immigrantinnen stehen im besonderen Verdacht „Sozialbetrüger“ zu sein. Breit wird in dem Heftchen des Ministeriums darüber schwadroniert: wie „die Sozialbetrüger aus dem EU-Ausland kassieren“, natürlich muß auch eine ausländische Frau dabei sein, „die hier Arbeitslosengeld II kassierte, aber längst wieder in Tunesien lebt“. Die Gewichtung in dem Heft ist deutlich, „nicht-Deutsche“ stehen im Fokus der Kritik. Die Bildzeitung bringt, seitdem die Broschüre des Herrn Ministers auf dem Markt ist, laufend Berichte über „ausländische Betrüger“ in Deutschland. Die „Deutsche Stimme“ der NPD bejubelt diese Passagen und die rassistische Hetze des Ministeriums, weil das ganz auf ihrer Linie liegt. Letzteres lag mit Sicherheit nicht in der Absicht von Herrn Clement, aber der Weg zur Hölle ist bekanntlich mit guten Vorsätzen gepflastert. Allerdings muß man bezogen auf Herrn Clement das deutsche Sprichwort korrigieren. Der Herr ist frustriert, denn sein angeordneter sozialer Kahlschlag reichte nicht aus um ihn im Amt zu halten. Die Arbeitslosigkeit stieg auch in der Zeit, als Herr Clement „Superminister“ war und da er nicht die Verantwortung dafür in einem bestimmten Wirtschaftssystem mit seinen brutalen Marktgesetzen sieht, bekämpfte er die Arbeitslosen und nicht die Arbeitslosigkeit. Dazu gehört, damit die Argumentation greift, eine gute Portion Rassismus.

Warum ist Clement latent antisemitisch ?

Begrifflichkeiten wie „Schmarotzer“ und „Parasiten“ haben in der deutschen Geschichte eine unheilvolle Tradition. Mit solchen Begrifflichkeiten bezogen auf die Juden bereiteten die Nazis den Genozid und die Schoa vor. Der Mord beginnt bekanntlich mit Worten. Die Bezeichnung Parasit stellt das Mensch sein des anderen in Frage. In der gesellschaftlichen Realität der Bundesrepublik Deutschland gibt es bei knapp 50% der Erwachsenen die Meinung, „Juden seien nur an Geld interessiert“, sie würden daher „die Vergangenheit mißbrauchen“. Für den aktuellen deutschen Hardcoreantisemiten ist der Jude immer noch ein „Parasit“ und „Schmarotzer“. Die Wortwahl des Herrn Clement gegenüber Arbeitslosen ermutigt den offenen Antisemiten mit seinen Bezeichnungen für Juden entgültig aus dem Schatten gesellschaftlicher Isolierung herauszutreten. Das Einbringen solcher Begrifflichkeiten wie „Parasit“ und „Schmarotzer“ in den politischen Diskurs ist gemeingefährlich und befördert jede Art von Unmenschlichkeit. Die Politik und die Thesen des Herrn Clement sind unsozial, rassistisch und zudem befruchten sie (ungewollt von Herrn Clement) den offenen antisemitischen Diskurs. Von einer anderen Seite her bediente Herr Müntefering vor einigen Monaten ebenfalls den Antisemitismus. Statt von Kapitalverhältnis als solchem zu reden, attackierte Müntefering sogenannte „profitgierige Heuschrecken“ und reaktivierte damit den antisemitischen Antikapitalismus. Dieser geht bekanntlich davon aus, dass es ein „raffendes“ und ein „schaffendes“ Kapital gibt.

Max Brym

Quelle: „Vorrang für die Anständigen“ Oktober 2005 Bundeswirtschaftsministerium
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Ergänzungen

Zu den Anzeigen gegen Clement

M. Thorwald 09.11.2005 - 23:45
Auf Labournet.de sind einige Strafanzeigen gegen Wolfgang Clement
wegen Volksverhetzung zu finden. Allerdings kam gestern, ebenfalls auf Labournet.de eine Ablehnung eines Antrags von der Berliner Staatsanwaltschaft. Sowohl die Anträge als auch die Ablehung finde ich sehr lesenwert zum Thema dieses Postings.

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Strafantrag — Erwachsener