Lindau gegen Festung EUropa

Mauerschützenjäger 31.10.2005 01:57 Themen: Antirassismus
Auch in Lindau (Bodensee) haben sich Leute am europaweiten Aktionstag "Schluß mit dem Töten an der Grenze – kein Mensch ist illegal" beteiligt.
Mitglieder der Lindauer Ortsgruppe von amnesty international und nicht organisierte AntirassistInnen haben diesen Samstag erneut eine Protestaktion gegen den Tod von Flüchtlingen an den Außengrenzen der Europäischen Union und gegen die Internierungslager durchgeführt. Aufhänger waren die Todesschüsse an der spanisch-marokkanischen Grenze, die jedoch nur die Spitze des Eisberges darstellen, da jedes Jahr Hunderte von Menschen beim Versuch sterben, die EU zu erreichen. An diesem Tag wurden auf der Lindauer Insel über hundert Unterschriften für einen Brief an die Europäische Kommission (siehe unten) gesammelt, in dem ein Ende dieser Zustände und eine faire Behandlung für Flüchtlinge eingefordert wurde.
Es kam zu zahlreichen interessanten Diskussionen mit PassantInnen. Einige (allerdings deutlich weniger als erwartet!) fingen dann schon an, zu argumentieren, daß man ja nicht alle reinlassen könne etc. Einig waren sich jedoch fast alle, daß der Wunsch nach Abschottung es keinesfalls rechtfertigt, daß an der Grenze auf Flüchtlinge geschossen wird. Einer der wenigen Rechtfertigungsversuche lautete, die Flüchtlinge hätten zuhause kein Leben, aber in Europa genausowenig zu erwarten, also sei es doch nicht so schlimm, wenn welche von denen erschossen werden.
Die Parallele zwischen den Todesschüssen an der EU-Außengrenze und an der DDR-Grenze wurde übrigens in den meisten Diskussionen gezogen. Das überrascht insofern positiv, als dieser eigentlich naheliegende Gedankengang in den deutschen Medien ein Tabu darstellt. Der Protestbrief der katholischen Bischöfe Europas an die Innen- und Justizministerkonferenz beispielsweise, in dem festgestellt wurde, daß "erstmals seit dem Fall der Berliner Mauer und des Eisernen Vorhangs" "unbewaffnete Menschen an den Grenzen der Europäischen Union erschossen" worden sind, wurde selbst in kirchennahen Medien totgeschwiegen. Im Nachrichtenradio B5 aktuell wurde er ein einziges Mal erwähnt, die Meldung wurde dann aber sofort aus der Rotation genommen.


Hier noch die Petition und das Flugblatt, das dazu verteilt wurde:


An die
Europäische Kommission
Vertretung in Deutschland
Unter den Linden 78

10117 Berlin

Lindau, 29. Oktober 2005

Sehr geehrte Damen und Herren,

wir protestieren gegen die Todesschüsse an den Grenzen von Ceuta und Melilla und gegen die Abschottung der EU gegen die Einwanderung, insbesondere gegen deren Auswüchse in den Internierungslagern, die mit Geldern der EU und ihrer Mitgliedsstaaten in Marokko, Tunesien und Libyen errichtet und betrieben werden. Daß im Mittelmeer jedes Jahr viele hundert Flüchtlinge ertrinken, ist für uns ein unerträglicher Zustand.

Wir fordern eine unabhängige Untersuchung der erwähnten Todesschüsse und die Einhaltung der Genfer Flüchtlingskonvention, die es verbietet, Flüchtlinge ohne Anhörung zurückzuschicken, wie dies Spanien und Italien derzeit praktizieren. Außerdem sind wir der Meinung, daß die Antwort auf Flüchtlingsdramen in einer Humanisierung der Politik bestehen muß und nicht in einer weiteren Aufrüstung der Grenzen, wie sie von der Justiz- und Innenministerkonferenz der EU Mitte Oktober beschlossen wurde.

Hochachtungsvoll

...


Um Europa keine Mauer!Die Bilder von den Todesschüssen auf Flüchtlinge am Grenzzaun zwischen Marokko und den spanischen Nordafrika-Enklaven Ceuta und Melilla, an der Außengrenze der Europäischen Union, sind schon seit einigen Wochen wieder aus den Medien verschwunden. Aber das Problem in Marokko ist nicht gelöst, und die Abschottung der Festung EUropa führt auch weiterhin zu unmenschlichen Zuständen und fordert im Wochentakt Tote, wie diesen Donnerstag am Flughafen Schiphol.

Marokko sorgte auf spanischen und europäischen Druck hin auf seine Weise für Ruhe am Grenzzaun: Im ganzen Land wurde Jagd auf potentielle Flüchtlinge gemacht. Opfer der Razzien wurden zahlreiche Menschen mit schwarzer Hautfarbe, selbst StudentInnen mit gültiger Aufenthaltserlaubnis u. a. Sie wurden zu Hunderten in Busse gesteckt und "abgeschoben", was in der Praxis bedeutete, daß sie irgendwo in der Wüste an der algerischen und mauretanischen Grenze ausgesetzt wurden. Es gibt Augenzeugenberichte über Dutzende von Todesfällen, aber es ist zu befürchten, daß noch viel mehr Menschen in der Wüste umgekommen sind.
Aufgrund internationaler Proteste stellte Marokko diese Todesfahrten schließlich ein und begann, unterstützt von der UNO, die Ausgesetzten wieder zu suchen. Wer wiedergefunden wurde, war damit aber nicht gerettet – ein paar hundert wurden per Flugzeug in die Staaten abgeschoben, aus denen sie geflohen waren, die anderen (vermutlich der größte Teil) wurde in abgelegenen Militäreinrichtungen in der Wüste interniert. Was dort mit ihnen geschehen soll, ist unklar, da diese Örtlichkeiten streng abgeschirmt werden.

Geheime Internierungslager stehen und entstehen schon seit längerem auch in Libyen und Tunesien. Italien bezahlt die beiden Länder dafür, daß sie im Mittelmeer aufgegriffene Flüchtlinge aufnehmen. Auch von den italienischen Inseln Lampedusa und Sizilien aus werden Flüchtlinge aufgrund eines Geheimabkommens von 2003 dorthin abgeschoben, was einen klaren Rechtsbruch bedeutet, da die Betroffenen das Recht auf eine Anhörung und eine Prüfung, ob sie als Flüchtlinge anzuerkennen sind, hätten. Aus beiden Ländern wird zudem ebenfalls berichtet, daß Menschen durch Aussetzen in der Wüste "abgeschoben" wurden.

Die meisten Todesfälle an der EU-Außengrenze gibt es durch Ertrinken. Da die Landgrenzen gut überwacht sind, versuchen es viele über das Mittelmeer. Weil auch dort die Kontrolle der günstigsten Strecken verschärft wurde, lassen sie sich auf gefährlichere Passagen ein, teilweise sogar über den offenen Atlantik. Vor Fuerteventura sind Mitte Oktober 19 Flüchtlinge ertrunken. Diese Woche wurden vor Malta sechs Leichen im Wasser entdeckt.

Andere erfrieren auf Bergpässen oder werden in Minenfeldern zerfetzt, mit denen z. B. der EU-Staat Griechenland seine Grenzen "sichert". Laut Angaben der Organisation United sind seit 1993 über 6000 Menschen der Abschottung der "Festung Europa" zum Opfer gefallen, und das sind nur die Fälle, über die Medien oder offizielle Stellen berichtet haben.

Diese Abschottungspolitik wird aber auch innerhalb der EU fortgesetzt, sei es, daß Flüchtlinge in abgelegenen Lagern möglichst isoliert von der Gesellschaft untergebracht werden, sei es, daß sie gänzlich interniert oder in Abschiebehaft genommen werden. Auch dabei gibt es viele Tote: Die Betroffenen töten sich selbst aus Verzweiflung oder Angst vor der Abschiebung, oder sie kommen durch Brände und Anschläge ums Leben, wie in der Nacht auf Donnerstag im Flüchtlingsbereich des Amsterdamer Flughafens Schiphol. Erschreckend: wie schon beim Feuertod von Oury Jalloh in einer Gewahrsamszelle in Dessau hatte es Feueralarm gegeben, und die Opfer hatten um Hilfe geschrien. Das Wachpersonal ignorierte das jedoch. Größer war die Furcht, daß einer der Flüchtlinge entkommen könnte, als daß sie qualvoll verbrennen. Viele Medien behaupteten zudem wahrheitswidrig, bei den Toten handle es sich ausschließlich um Drogenhändler, dabei reicht oft schon ein ungültiges Transitvisum, um am Flughafen interniert zu werden.

Der heutige Samstag, 29. Oktober 2005, ist zum "internationalen Tag gegen die Barbarei an der Grenze" erklärt worden. Europaweit finden Aktionen statt. Als symbolischen Beitrag dazu sammeln wir Unterschriften für einen Protestbrief an die Europäische Kommission. Denn gerade die EU-Führung hat sich bisher durch die Proteste kaum beeindrucken lassen. Mit sehr wenig Menschenrechtsrhetorik verkleidet wurde auf der Innen- und Justizministerkonferenz Mitte Oktober eine weitere Aufrüstung der Grenzen beschlossen, und Marokko soll mehr Geld für seine Grenztruppen bekommen. Auf Forderungen nach einer Untersuchung der Todesschüsse an der Grenze gingen die MinisterInnen überhaupt nicht ein. Bitte beteiligen Sie sich deshalb an unserer Unterschriftenaktion und ergreifen Sie auch selbst die Initiative, z. B. durch Briefe an Regierungsstellen, Zeitungen etc. Oder reden Sie mal gelegentlich unseren VolksvertreterInnen ins Gewissen.

Kein Mensch ist illegal!
Schluß mit dem Töten an der Grenze!
Die Mauer muß weg – für Bleiberecht und Reisefreiheit!

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