Generalverdacht gegen Hunderte CASTOR-Gegner

BI Lüchow-Dannenberg 27.10.2005 15:09 Themen: Atom Repression
Ganz neue Methoden, an Datenmaterial von Atomkraftgegner heranzukommen, hat die Polizei vor kurzem auf den Gleisen der CASTOR-Transportstrecke zwischen Lüneburg und Dannenberg angewendet. Nach einer friedlichen Protestaktion, einem Volley-Ball-Spiel, an dem etwa 150 Menschen als Spieler und Zuschauer mitten im Wald an einem Bahnübergang bei Grünhagen teilgenommen hatten, sammelte die Polizei Zigarrettenkippen von Beteiligten auf. Dazu hatten die Beamten Untersuchungshandschuhe übergezogen, und steckten nach Beobachtungen die Kippen einzeln in Plastikbeutel. Zuvor schon waren Aktionsteilnehmer fotografiert und wohl auch gefilmt worden. Einzelnen flatterte Tage später eine „Schriftliche Verwarnung mit Verwarnungsgeld“ ins Haus, da sie angeblich den Gleisbereich nach Aufforderung durch Polizeibeamte nicht verlassen hätten, und somit eine Ordnungswidrigkeit gemäß § 62/64b der Eisenbahn- Bau und Betriebsordnung (EBO) verstoßen hätten. Auch nach einer angemeldeten, friedlichen Anti-Castor-Demonstration am vergangenen Sonnabend (23. 11. 05) in Uelzen sollen von Polizeibeamten, die vorher die Demoteilnehmer gefilmt hatten, Zigarettenkippen aufgesammelt worden sein.
Der „Republikanische Anwältinnen und Anwälteverein“ (RAV) und die BI Umwelschutz Lüchow-Dannenberg sehen mit diesem Vorgehen eine neue Stufe rechtswidrigen Polizeihandelns gegen CASTOR-Gegner eingeleitet. Bereits im Januar hatten Bundesinnenminister Schily sowie Niedersachsens Innenminister Schünemann ihren Wunsch angekündigt, DNA-Proben von CASTOR-Gegnern schon bei Ordnungswidrigkeiten zu nehmen oder Gentests sowie das Abnehmen von Fingerabdrücken ganz ins Ermessen der Polizei zu stellen.

„Für das Handeln der Polizei gibt es keine Rechtsgrundlage“, bemerkt dazu der RAV. Wie dessen Vorstandsmitglied Rechtsanwalt Martin Lemke weiter feststellt, sei das Vorgehen der Polizei darüberhinaus „eindeutig rechtswidrig, möglicherweise sogar strafbar“. Die Menschenwürde und die Persönlichkeitsrechte würden verletzt, die einschlägigen Datenschutzbestimmungen mißachtet, sowie alle Betroffenen unter einen nicht gerechtfertigten Generalverdacht gestellt. Wenn diese Daten gesammelt werden, sei damit eine illegale, rechtswidrige Gen-Datei eingerichtet worden. Hintergrund des blinden Polizeiaktionismus dürfte sein, daß Staatsschutz und spezielle Ermittlungsgruppen bei der Suche nach den Urhebern von dem Brandanschlag auf die „Seerauer Brücke“ vor vier Jahren (24. 10. 2001, siehe Polizeimeldung  http://www.presseportal.de/polizeipresse/p_story.htx?nr=295990&firmaid=18181&keygroup= sowie auch  http://www.randbild.de/foto.php3?ID=r2.nhdzbbgq ) und den Unterspülungen der CASTOR-Strecke bislang kein Erfolge vorweisen konnte. Auch bei Ermittlungen zum jüngsten Brand der CASTOR-Polizeicontainer bei Woltersdorf liegen wohl noch keine Ergebnisse vor. Nun stellt die Polizei undifferenziert die gesamte Anti-Atom-Szene unter Generalverdacht.

„Wir erleben hier typische Phänomene eines Überwachungsstaates“, so Lemke weiter, „zumal der Bürger nicht mehr weiß, was die Polizei wie über ihn sammelt, mit anderen Daten verknüpft, wo jeder für verdächtig gehalten wird, und die Polizei außerdem noch illegal und rechtswidrig handelt.“

Die Betroffenen werden umgehend von der Polizei die Vernichtung der Daten sowie eine Unterlassungserklärung für die Zukunft verlangen. Geprüft wird auch, ob nicht die höheren Beamten, die den zigarrettenkippensammelnden Polizisten den Befehl zum Einsammeln der DNA-Proben gegeben haben, angezeigt, oder zumindest eine Dienstaufsichtsbeschwerde gegen diese eingereicht werden sollte. Bekanntlich gibt es bei der Polizeidirektion Lüneburg eine spezielle Ermittlungsgruppe „EG Castor“. Die dieser EG Castor vorgesetzte Staatsanwaltschaft Lüneburg müsse das rechtswidrige Treiben der Beamten sofort unterbinden, fordert Lemke. Fraglich sei weiter, ob nicht auch ein rechtswidriges „SpuDok“-System (Spurendokumentationssystem) angelegt wurde, falls es das ohnehin nicht bereits gibt. „Hier sind die Parlamentarischen Kontrollgremien in der Pflicht“.

Für die Bürgerinitiative Umweltschutz Lüchow-Dannenberg (BI) fügt sich mit der Polizeiaktion ein weiters Mosaiksteinchen in die „Grundrechtsfreie Sonderzone Gorleben“ ein. Seit Wochen schon werden Atomkraftgegner aus dem Wendland wieder überwacht und bespitzelt, auch bei Telefonaten gibt es vermehrt Fehlverbindungen und merkwürdige Echos – ob es sich dabei um gerichtlich angeordnete Überwachung von CASTOR-Gegnern handelt, ist stark in Zweifel zu ziehen.

„Wenn der Rechtsstaat seine Grundlagen aufgibt, und sich im Interesse der Energiekonzerne und Atomindustrie zum Polizeistaat wandelt, heißt es, Widerstand zu leisten, und erst Recht auf die Straße, an die Schiene zu gehen“, so ein Sprecher der BI. „Auch in einer Großen Koalition dürfen die Profitinteressen der Atomlobbyisten nicht gegen das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit durchsetzen. Wer Jahr für Jahr CASTOR-Transporte mit hochstrahlendem Atommüll nach Gorleben karrt, und in einem ungeeigneten Salzstock verscharren will, wird immer wieder mit zehntausenden Polizisten gegen die sich wehrenden Bürger vorgehen müssen. Mit Demokratie hat diese Politik jedenfalls nichts mehr zu tun“.

Es könne nicht hingenommen werden, daß Atomkraftgegner generell kriminalisiert werden. „Gegen diejenigen, die unter Ausnutzung ihrer wirtschaftlichen Macht den Goldesel Atomindustrie halten wollen, wird nicht ermittelt. ‚White Collar-Kriminalität spielt für die hiesigen Staatsanwaltschaften keine wirkliche Rolle“.
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Ergänzungen

nicht nur bei INDY, TAZ auch!!!

XXXX 28.10.2005 - 01:19
Stummel in Plastiktüten
Polizisten sammelten nach einer Antiatomkundgebung Zigarettenkippen ein. Betroffene vermuten, dass sie genetisch untersucht werden sollen, um Hinweise auf militante Castor-Aktionen zu erhalten
Von Reimar Paul

Anfang des Jahres übten sich die Atomkraftgegner im vorauseilenden Gehorsam. Einige Dutzende Demonstranten trafen sich im Februar auf dem Marktplatz in Lüchow, um öffentlich Proben für DNA-Analysen abzugeben. Spucke, Haare, Hautschuppen, benutzte Taschentücher und Kondome wurden eingesammelt und in großen Glasbehältern verschlossen. "Die schicken wir an Schily, Schünemann und Beckstein", erklärte die Bürgerinitiative (BI) Umweltschutz Lüchow-Dannenberg damals die Aktion. "Das Ergebnis der Erbgutsammlungen aus dem Wendland können die Minister dann zu gegebener Zeit auf ihren Schreibtischen begutachten und analysieren."

Die Realität hat offenbar den satirischen Protest gegen die von den genannten Politikern befürwortete Ausweitung von Gentests bereits eingeholt. Nach einer Demonstration in Uelzen am vergangenen Samstag gegen den bevorstehenden Castortransport sollen Polizisten Zigarettenkippen der Kundgebungsteilnehmer aufgeklaubt haben. "Die Beamten hatten Handschuhe an und haben die Stummel in Plastiktüten gepackt", berichtet ein Zeuge. Die "Antifaschistische Aktion Lüneburg/Uelzen" hält es für wahrscheinlich, dass Polizeiexperten die Kippen nun genetisch untersuchen wollen. "Es ist davon auszugehen, dass sämtliche Zigarettenreste einer DNA-Analyse unterzogen werden", erklärte die Gruppe gestern. Die Ergebnisse, so die Vermutung, könnten in die Ermittlungsverfahren einfließen, die teils seit Jahren wegen militanter Antiatomaktionen laufen. Um Hakenkrallen-Würfe auf elektrische Oberleitungen und Brandanschläge auf eine Eisenbahnbrücke bei Hitzacker sowie zuletzt auf eine Containersiedlung der Polizei in der Nähe von Lüchow aufzuklären, richtete das niedersächsische Landeskriminalamt Sonderkommissionen ein.

Dingfest machen konnten die Fahnder bislang aber niemanden. Die zuständige Polizeidirektion Lüneburg weiß angeblich auch nichts von dem Kippenauflesen. "Das hört sich an wie ein Gerücht", so Sprecher Thomas Glieze. "Für eine vergleichende DNA-Analyse müsste man ja auch ein Gegenstück haben."

So unangenehm und befremdlich das polizeiliche Kippensammeln auf die Betroffenen gewirkt haben mag - etwas "Illegales" haben die Beamten auch dann nicht getan, wenn die Vorwürfe zutreffen. Schließlich wurde in Uelzen niemand aufgefordert oder gar gezwungen, eine Speichelprobe und damit seinen genetischen Fingerabdruck zu hinterlassen.

Ob DNA-Spuren an den Tabakresten und angekauten Filtern der Uelzener Castorgegner mit Daten in der Gendatei des Bundeskriminalamtes abgeglichen werden, bleibt vorerst Spekulation.

Nach der bisherigen Rechtslage ist die DNA-Analyse nur bei besonders schweren Straftaten wie etwa Sexualdelikten und nach richterlicher Anordnung zulässig. Den Hardlinern unter den Innenpolitikern zumindest von Union und SPD ist diese Regelung aber zu eng. Längst fordern Schünemann, Beckstein und Co. eine Gendatei für alle Straftäter, erklärtermaßen sind sie auch für Gentests nach Ordnungswidrigkeiten oder Antiatomprotesten. Niedersachsens Innenminister Uwe Schünemann (CDU) sagte, er könne sich DNA-Tests auch für Castorgegner vorstellen, wenn diese der Polizei mehrfach aufgefallen seien. Auffallen können Atomgegner den Ordnungshütern gerade bei den Castortransporten bekanntlich sehr schnell.

Die populistische Forderung nach Ausweitung der Gentests werde derzeit kaum öffentlich hinterfragt, sagt BI-Sprecher Dieter Metk. Er fürchtet, "dass sich diese unglaublichen Begehrlichkeiten der innenministeriellen Datensammler auf Dauer nicht verhindern lassen".

taz Nord Nr. 7804 vom 27.10.2005, Seite 28, 125 Zeilen (TAZ-Bericht), Reimar Paul

Zigarettenstummel?

randbild 28.10.2005 - 20:20
Weitere Beiträge zum Thema unter:
www.randbild.de &  http://www.wendland-net.de/region/?ID=r3.vvx5ivnz

Nicht nur bei Indymedia

honk 29.10.2005 - 12:16
Nicht nur Indymedia, auch NDR 1, Radio ZUSA und die taz haben über die Vorfälle berichtet. Da gabs auch Stellungnahmen der Polizei zu lesen.

Polizei als umweltfreundliche Müllsammler

egal 31.10.2005 - 18:28
Alles ein Mißverständnis! Die Polizei hat sich doch nur für aktiven Umweltschutz eingesetzt! Wie die "Elbe-Jeetzel-Zeitung" aus dem Wendland berichtet ( http://www.pipeline.de/cgi-bin/pipeline.fcg?userid=&publikation=28&template=arttextlokales&ausgabe=32237&redaktion=28&artikel=107852407), habe die Polizei bestätigt, Kippen aufgesammelt zu haben. Damit sollten jedoch keine DNA-Proben erfaßt werden, sondern "Der Einsatzbefehl für solche Demonstrationen sieht vor, dass die eingesetzten Beamten den Müll, der durch sie am Einsatzort entsteht, auch wieder beseitigen", so ein Polizeisprecher; "Da es jedoch schwer zu unterscheiden ist, von wem beispielsweise weggeworfene Zigarettenkippen stammen, werden alle aufgesammelt. Mit dem Sammeln von DNA-Proben hat das nichts zu tun".

Also, alles klar! Atomkraftgegner und BI haben also "eine Ente aufs Wasser gesetzt", meint die Polizei. Schließlich wolle man die Belastung der Bevölkerung (Mitten im Wald auf dem CASTOR-Gleis...) an den Einsatzorten nicht noch durch Verschmutzung vergrößern, da sich "in der Vergangenheit (...) sich des öfteren Bürger beschwert (hatten), dass die Polizei Müll zurücklassen. Das soll nicht mehr vorkommen".

Na ja, dann: Keine Angst mehr vor Kippensammelnden Polizisten!!!

Müll sammeln mit handschuhen in plastikbeutel

Jonathan 07.11.2005 - 18:35
Die aussage der Polizei kann nur als lächerlich bewertet werden denn:
Wer sammelt schon zigarettestummel auf und steckt sie einzeln in plastikbeutel?

Das macht man bestimmt nicht um sie danach in die tonne zu hauen.

Und dass die Polizei zigarettenstummel gesammelt hat hat sie ja schon zugegeben

was ich mich bei solchen aussagen wie "müllsammeln" immer wieder frage ist
entweder
wie dumm ist die Polizei
oder
für wie dumm hält die Polizei uns

Jonathan

Beiträge die keine inhaltliche Ergänzung darstellen

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wie oft noch , — .....

Kippen sammeln für die nächste Aktion — (muss ausgefüllt werden)

Da ich — .