Grundeinkommen - In Freiheit tätig sein

Detlef Spandau 11.10.2005 01:05 Themen: Soziale Kämpfe
Vom 7.10. - 9.10.05 trafen sich in Wien im Universitätscampus ca. 470 Teilnehmer verschiedener Nationalitäten (Österreich, Schweiz, Deutschland und andere Nationalitäten) zu einem "Brainstorming" über das Thema Grundeinkommen in Europa und in der restlichen Welt. Grund dieses Kongresses war es u. a. nach Alternativen zu suchen, die es der ärmeren Bevölkerung, z.B. Erwerblosen ermöglicht, ohne einen Zwang zur Arbeit ein würdevolles Leben ohne Sanktionen seitens der Behörden und des Staates zu leben und ihnen das Recht auf gesellschaftliche Teilhabe erfüllt.
Der Auslöser dieser Problematik ist die steigende Erwerbslosigkeit in Europa. Alle Teilnehmenden und Referenten waren sich einig, eine Vollbeschäftigung innerhalb der Volkswirtschaften wird es in Zukunft nicht mehr geben. Das volkswirtschaftliche Ziel ist von gestern. Für Deutschland wird erwähnt, dass es seit der Wiedervereinigung zwischen der damaligen DDR und Westdeutschland keine Verbesserung der wirtschaftlichen und sozialen Situation gegeben hat. Die Erwerbslosenzahlen haben sich hier in den letzten 15 Jahren nahezu verdoppelt, wobei die Arbeitsproduktivität um ca. 25% stieg. Ca. 2,7 Millionen Menschen sind in Deutschland dauerhaft erwerbslos, 6 Millionen beziehen "Sozialhilfe" (SGB II = Arbeitslosengeld II und SGB XII Sozialgeld für Nicht-Erwerbsfähige und Personen in Bedarfsgemeinschaften). Immer mehr Menschen werden aufgrund von Rationalisierungen und des fortschreitenden technologischen Fortschritts von den Unternehmen bzw. vom Kapital nicht mehr benötigt bzw. freigesetzt. Die (Langzeit-)Erwerbsblosigkeit wird für viele Menschen zu einer Bedrohung. Ein Klima der Einschüchterung mahnt zur Anspruchlosigkeit und Unterordnung unter die Anforderungen von Wirtschaft und Staat.

Ein politisches Ziel ist es, als soziales Menschenrecht langfristig ein Grundeinkommen für alle, d. h. individuell, existenssichernd, ohne Bedürftigkeitsprüfung und ohne Zwang zur Arbeit in den einzelnen Staaten - letztendlich auf der ganzen Welt - durch zu setzen. Die Zeit ist reif, mit der Einführung eines Grundeinkommens Ernst zu machen. Dafür wurde am 9. Juli 2004 - dem Tag der Verabschiedung der sog. "Hartzgesetze" durch den Deutschen Bundestag - das Netzwerk Grundeinkommen in Deutschland gegründet. Mitglieder des Netzwerk Grundeinkommen sind u. a. Wissenschaftler, sowie Mitglieder von Erwerbsloseninitiativen und von attac Deutschland, der Bund der katholischen Jugend (BDKJ), GewerkschafterInnen, UnternehmerInnen sowie Mitglieder aller Parteien. Das Netzwerk Grundeinkommen ist von BIEN (Basic Income Earth Network,  http://www.etes.ucl.ac.be/BIEN/Index.html) anerkannt und ist dabei, einen wissenschaftlichen Beirat aufzubauen. In naher Zukunft wird zur Finanzierung des Netzwerkes ein Förderverein gegründet. Weitere Details sind auf den Webseiten:  http://www.grundeinkommen.de und  http://www.grundeinkommen2005.org zu finden.

Die Freiheit aller Individuen, ihr Leben eigenverantwortlich zu gestalten, wird durch das Grundeinkommen gestärkt. Bislang unbezahlte Tätigkeiten, wie z.B. Ehrenämter, sind dann finanziell abgesichert. Durch die Zahlungen von Grundeinkommen an alle Bürger eines Staates werden Sozialleistungen wie u.a. Renten, Kranken- und Kindergelder überflüssig. Bürokratien würden abgebaut werden. In der Ausgestaltung und in der Höhe des bedingungslosen Grundeinkommens gibt es in der öffentlichen Diskussion nicht unwesentliche Unterschiede. Wo die Katholische Arbeitnehmerbewegung ( http://www.kab.de) erst einmal die Anerkennung aller Tätigkeiten (u.a. Ehrenämter, Betreuungen, gemeinnützige Tätigkeiten etc.) durchsetzen möchte und zumindet eine nachweisbare Betätigung (Bedingung) von den Grundeinkommensbeziehern erwartet - sie vertritt zumindest den Fortbestand einer sog. "Tätigkeitsgesellschaft" - hat sich die BAG-SHI (Bundesarbeitsgemeinschaft der Sozialhilfeinitiativen) festgeschrieben, das ein zukünftiges Grundeinkommen ohne den Zwang zur Arbeit ausgezahlt werden soll. In einem von 16 Workshops wurden Finanzierungsmodelle vorgestellt, die da wären: Einführung einer Tobinsteuer (Besteuerung von Börsengewinnen und auf Spekulationen), Wiedereinführung der Vermögenssteuer, Finanzierung durch einen hohen Mehrwertsteuersatz, Steuern auf den Abbau von Umweltresourcen, Abgaben auf Grund und Boden, Abgaben auf Geldtransfairs (Überweisungen, Barabhebungen, Zahlungen mit Schecks etc.) - wie z.B. in Brasilien schon eingeführt. In Brasilien wurde im Jahr 2003 die stufenweise Einführung eines Grundeinkommens beschlossen. In Alaska erhält seit einigen Jahren schon jeder Bürger ein bedingungsloses Grundeinkommen. Durch wissenschaftliche Studien wurde nachgewiesen, dass ein bedingungsloses Grundeinkommen auch der reichen Bevölkerung eines Staates zugute kommt.

Im Anschluss an die Veranstaltung fand eine Vernetzung der Teilnehmer zu verschiedenen Themen, wie die Planung von zukünftigen Aktionen u.a. eine Demonstration in Wien, Veranstaltungen zum Thema Grundeinkommen und einer Ursachenforschung bei Kritikern eines bedingungslosen Grundeinkommens, statt. Vom 26.11. bis 27.11.2005 ist wieder das Jahrestreffen der Mitglieder des Netzwerkes Grundeinkommens, diesmal in der Humboldt-Universität in Berlin.

Der Verfasser dieses Berichtes ist selbst Mitglied im Netzwerk Grundeinkommen.
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Ergänzungen

Diskussion über Grundeinkommen

yamel 11.10.2005 - 11:57
Habe mich noch nicht ausreichend mit dem Thema beschäftigt um eine konkrete Meinung dazu zu haben. Allerdings gibt es auch die Gegenposition, dass nämlich der Ruf nach Vollbeschäftigung viel mehr einer neoliberalen Politik entspricht. In der aktuellen Ausgabe der Zeitschrift [url=" http://www.sozialismus.de"]Sozialismus[/url] wird in mehreren Artikeln kontrovers darüber diskutiert.

Weitere Infos

Ruhrpott-Prolet 11.10.2005 - 12:14
Bei solchen Debatten ist es hilfreich, die Geschichte der Debatten zu kennen. Hier also z.B. die ältere Debatte um Existenzgeld nochmal durchzugehen, und die Kritiken daran nicht zu vergessen. Sonst dreht sich die Debatte im Kreis. Hier einige Links dazu:

Ausführlicher Zusammenfassung und Überblick zum Thema:
 http://de.wikipedia.org/wiki/Grundeinkommen

Zu der Debatte aus links/basis-gewerkschaftlicher Perspektive:
 http://www.labournet.de/diskussion/arbeit/existenz/index.html

Materialien zum Konzept "Bedingungsloses (?) Grundeinkommen"
 http://www.archiv-grundeinkommen.de/

Netzwerk Grundeinkommen
 http://www.grundeinkommen.info/

Linksradikaler Kritik an Existenzgeld/Grundeinkommen:

Placebo für den Widerstand
 http://jungle-world.com/seiten/2005/28/5884.php

Die Existenzgelddebatte drückt sich um eine Kritik der Arbeit
 http://www.labournet.de/diskussion/arbeit/existenz/prekaer.html

Sogar ein Unternehmenschef fordert es

Doener 11.10.2005 - 16:16
Interview mit Götz W. Werner, Chef der Drogeriemarktkette DM:

 http://www.stuttgarter-zeitung.de/stz/page/detail.php/949236
 http://brandeins.de/home/inhalt_detail.asp?id=1644

Interview mit Jeremy Rifkin "Langfristig wird die Arbeit verschwinden":

 http://www.stuttgarter-zeitung.de/stz/page/detail.php/916564

Vision zum Verschwinden des Kapitalismus:

 http://thedevilsadvocate.twoday.net/stories/1031185/

Beiträge die keine inhaltliche Ergänzung darstellen

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