Marokko: Viele weitere Tote

Ralf Streck 07.10.2005 21:18 Themen: Antirassismus Globalisierung Weltweit
Ärzte ohne Grenzen hat nun bestätigt, dass Marokko einfach die Einwanderer in der Wüste abgeladen hat. Es sind mindestens 600. Sie sind zum Teil schwer verletzt, schwangere Frauen, Kinder... ohne Wasser und Nahrung. Gestern Abend hat das Königreich eingeräumt, dass wieder mindestens sechs Menschen getötet wurden, als sie am Donnerstag versuchten nach Melilla zu kommen. Derweil haben die Schnellabschiebungen aus Spanien begonnen, womit man sich angesichts des Vorgehens von Marokko dahinter stellt, Menschen einfach in der Wüste verrecken zu lassen. Denn warum sollte Marokko die Abgeschobenen anders behandeln als übrige Einwanderer.
Spanien hat begonnen über "Sonderregelungen" illegale Einwanderer nach Marokko abzuschieben. Dies hatte die sozialistische Vizepräsidentin der Regierung bei einem Besuch in den spanischen Exklaven Melilla und Ceuta angekündigt, die seit Wochen das massive Ziel von Einwanderern sind. Allein während sich María Teresa Fernández de la Vega in Melilla aufhielt, wurden wieder sechs Einwanderer getötet, einige davon erneut erschossen, als sie am Donnerstag versuchten, in die Exklave zu kommen. Fünf Menschen wurden schon am vergangenen Donnerstag bei dem Versuch erschossen, mit provisorischen Leitern über mit Nato-Draht gespickten Doppelzaun zu kommen.

Unklar ist bei letzteren, ob die spanische Guardia Civil oder die marokkanische Gendarmerie für die Toten verantwortlich ist. Im neueren Fall hat die marokkanische Gendarmerie die Täterschaft eingeräumt, allerdings habe man in "legitimer Selbstverteidigung" gegen die agressiven Einwanderer gehandelt.

Seit Wochen wird die Lage weiter militarisiert. Ein dritter Grenzzaun wird gebaut, die beiden übrigen auf sechs Meter erhöht, das Militär hat die Guardia Civil bei der Grenzsicherung verstärkt und in den "kommenden Tagen", werde es "ausnahmsweise" weiter zur "Rückführung illegaler Einwanderer“ nach Marokko kommen, kündigte die Regierung an. Die Sonderregelungen sind Teil eines Abkommen von 1992. Damals hatte sich die sozialistische Regierung unter Felipe Gonzáles sich mit Marokko auf die „Rücknahme“ derer geeinigt, die über Marokko auf spanisches Gebiet eindringen. Ein direkter Bericht mit Eindrücken aus Ceuta, kann bei Telepolis gelesen werden.  http://www.heise.de/tp/r4/html/result.xhtml?url=/tp/r4/artikel/21/21064/1.html&words=Ceuta

Was dann mit den Abgeschobenen passiert, das hat jetzt die Menschenrechtsorganisation Ärzte ohne Grenzen Dokumentiert. Etwa 800, soweit man sie gefunden hat, wurden schlicht in der Nähe zur Algerischen Grenze mitten in der Wüste ausgesetzt. Schwer Verletzte von den letzten Versuchen die Zäune zu überwinden genauso wie schwangere Frauen, Kinder: Ohne Wasser und Nahrung ihrem Schicksal überlassen. Soweit zur Einwanderungspolitik der Sozialisten. Wer Spanisch spricht, kann sich ein Interview mit den Ärzten anhören. Es hängt als MP3 an und wurde von der Radiokette SER geführt, die auch als erste über sechs Toten der letzten berichtet hatte.

Die Abmachungen mit Marokko gehen auf ein Abkommen von 1992 zurück. Eigentlich sollte das Land längst die "Drittstaatler zurücknehmen", die über Marokko kamen. Das liegt im FAll von Ceuta und Melilla, Quasi-Kolonien umschlossen von Marokko, auf der Hand. Trotzdem weigerte sich Marokko bisher, nur etwa 150 Marokkaner wurden in 13 Jahren zurückgenommen.

Da sich in Marokko die Diskussion wieder um die Frage der Rückgabe der Exklaven verstärkt, die Marokko immer wieder fordert, wird allgemein davon ausgegangen, dass Königreich die Einwanderer benutzt hat, um auf Spanien Druck zum Rückzug zu machen. So musste gestern der spanische Ministerpräsident José Luis Rodríguez Zapatero zu dieser Frage Stellung zu nehmen. Dass die beiden Exklaven spanisch seien, „ist nicht, und wird nicht zur Diskussion stehen“, sagte er.

Deshalb wird auch abzuwarten bleiben, wie sich Marokko verhält und ob es tatsächlich dauerhaft das Abkommen mit Spanien anwendet. Gestern wurden bei Razzien erneut fast 300 Schwarzafrikaner verhaftet, die in den frühen Morgenstunden versucht haben sollen, nach Melilla einzudringen. Die gehören offenbar zu denen, die in die Wüste gekarrt wurden. Unklar ist, mit welchen Zusagen die Billigung von Marokko erkauft wurde, nun die „Drittstaatler“ anzunehmen. Bekannt ist nur, dass die EU-Kommission derweil 40 Millionen Euro zugesagt hat, womit Marokko seine Maßnahmen zum Grenzschutz bezahlen kann.

Mit den Schnellabschiebungen will Spanien eine Situation beenden, die sich in den vergangenen Jahren entwickelt hat. Bisher konnten alle die drei Monate im Land bleiben, die Spanien betreten konnten. Sie hatten Zeit, um ihren Status zu regeln, und viele stellten einen Asylantrag. Wurde der abgelehnt und war ihre Herkunft geklärt, konnte abgeschoben werden, wenn das Herkunftsland zustimmte. Diese Kriterien wurden nur in wenigen Fällen erfüllt. Viele mussten aus den überfüllten Lagern der Exklaven aufs Festland verschoben werden, faktisch wurde so ein ungeregelter dauerhafter Aufenthalt erreicht.

Die Sondermaßnahmen verstießen aber gegen die spanische Verfassung. Die biete Flüchtlingen das Recht auf Asyl, erklärte die Flüchtlingskommission (CEAR). Schnellabschiebungen ließen nicht zu, auch nur einen Antrag zu stellen. In der Praxis würden illegale Abschiebungen aber schon durchgeführt, klagte die Menschenrechtsorganisation Amnesty International die Guardia Civil an. Bisher ist das Verhalten der spanischen Linken zu den Skandalen kaum festzustellen. Kritik übte das Führungsmitglied der Vereinten Linken (IU) Félix Taberna. Bei einem Besuch in Melilla sagte er: „Die Ereignisse an der Grenze zeigen, dass wir mit der ökonomischen Globalisierung zu tun haben und keiner Ausnahmeerscheinung“. Statt einer „Militarisierung“ müsse die Frage „humanisiert und Lösungen auf lange Sicht gesucht werden“.

© Ralf Streck, Donostia-San Sebastián den 07.10.2005
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Ergänzungen

Audio Datei

Ralf 07.10.2005 - 21:28
Hatte ich vergessen anzuhängen

Kundgebung in Frankfurt

g. 08.10.2005 - 03:18
Am kommenden Dienstag gibt es eine Kundgebung vor dem spanischen Konsulat in Frankfurt, um gegen die Abschiebungen, gegen die europäische Abschottungspolitik und die Morde an der Grenze zu protestieren.

Di, 11.10., 17 Uhr
Vor dem spanischen Konsulat in Frankfurt, Nibelungenplatz 3

Es rufen auf: Aktionsbündnis gegen Abschiebungen Rhein-Main, AG3F Hanau, Hessischer Flüchtlingsrat, Initiative gegen Abschiebung Frankfurt

24 bisher verreckt

Ralf 08.10.2005 - 10:22
Also die Ärzte ohne Grenzen haben sich gewagt, die Zahl der bisher Verdursteten mit 24 zu beziffern. Es kann natürlich sein, dass an anderen Stellen in der Wüste noch Einwanderer "deponiert" wurden.

Inzwischen wollen sich ja auch EU-Parlamentarier nach Melilla aufmachen, teilte Tobias Pflüger mit. Das UNO-Hochkommissariat für Flüchtlinge hat sich eingeschaltet. Doch die Spanier wollen trotz der Situation mit den Abschiebungen fortfahren. Man habe seine Protokolle mit Marokko sagte De la Vega und der Außenminister wird am Montag nach Marokko fahren, um eine weitere Kooperation auszuhandeln.

Anbei ne Presseerklärung:

PRESSEMITTEILUNG

TOBIAS PFLÜGER, MITGLIED DES EU-PARLAMENTS

Zur dramatischen Situation der Flüchtlinge in Nordafrika - Delegation am 10. Oktober in Melilla



Eine Delegation der Linksfraktion im EU-Parlament (GUE/NGL) wird am Montag, den 10. Oktober, in den an der Grenze zu Marokko gelegenen spanischen Ort Melilla fliegen. Sie wird sich vor Ort ein Bild von der dramatischen Situation von Flüchtlingen machen, die zu hunderten ihr Leben riskierten und die bis zu 6 Meter hohen Grenzzäune überwanden. Zudem sollen Informationen über die Tötungen von Flüchtlingen an dieser EU-Außengrenze in Nordafrika sowie die polizeilichen und militärischen Abschottungsmaßnahmen gesammelt werden.



Die Europaabgeordneten werden mit Flüchtlingen und Vertreterinnen und Vertretern von Menschenrechtsorganisationen sprechen sowie in Gesprächen mit Kommunalpolitikern vor dem Hintergrund der Flüchtlingswelle auf die Einhaltung internationaler Menschenrechtsstandards dringen. Der 6-köpfigen Delegation gehört auch Tobias Pflüger, Koordinator der Linksfraktion im Unterausschuss Sicherheit und Verteidigung des Europäischen Parlaments, an.

Brüssel, den 7. Oktober 2005

So sieht es da aus

Fritz 08.10.2005 - 10:26
Die Einwanderer in der Wüste.

ein sterbender Kontinent

Annika 08.10.2005 - 12:10
Nachdem der größte Teil der afrikanischen Staaten als "failed states" abgeschrieben sind und ihre Kreditwürdigkeit verloren haben, ist irgendeine "Entwicklungsperspektive" für diese Weltgegend nicht absehbar. Die EU/US-Politik zielt einzig darauf, die Staaten weiter im Schuldendienst zu halten und damit ihre Funktion als Rohstofflieferanten zu sichern. Nicht, dass es jemals besser war: Die einfachen Menschen haben schon immer nur "gestört". Als die Länder noch "entwickelt" wurden, wurden sie von ihrem Land vertrieben damit dort Plantagen und Minen für den Export gebaut werden konnten. Heute ist die Lage nicht besser: An Milliarden Menschen herrscht kein kapitalistisches Verwertungsinteresse und deswegen gelten sie schon gar nicht mehr als Menschen, sondern kommen nur noch als "gefährliche Masse", als "Flut", die sich auf die Festung Europa zuwälzt, vor. 18 Millionen sollen im Moment auf verschlungenen Wegen dahin unterwegs sein. Was es noch an EU/US-Afrikapolitik gibt zielt einzig darauf ab, die MEnschen in Afrika mit sporadischen Care-Paketen (die 10 Millionen Hungertote pro Jahr nicht verhindern)und Gewalt an ihre Heimatgebiete zu binden und zu versuchen zu verhindern, dass sie Richtung Europa "fluten". Für alles andere ist Afrika abgeschrieben und stirbt vor sich hin.

Neuste Meldungen

Annika 09.10.2005 - 11:23
1. Die EU plant den Aufbau eines Art EU-BGS zur Verteidigung der Außengrenzen gegen die "Flut". Die spanische Guardia Civil wurde mit Maschinengewehren ausgerüstet, offenbar befindet sich Spanien im Krieg gegen diese armen Hungerleider.

2. Marokko hat offenbar 800 Flüchtlinge ohne Wasser und Nahrung in der Wüste ausgesetzt. Bei über 40 Grad im Schatten (den es da nicht gibt) ist man innerhalb weniger Stunden tot. Damit will man wohl Munition sparen...

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Hilfe durch uns!!

Daniel die Schildkröte 08.10.2005 - 02:43
Last uns auf die strasse gehen.wir müssen was tun!!!
solidarität zu den flüchtlingen!!

no border,no nation,stop deportation!!!
kein mensch ist illegal!!

Hallo, Berlin?

Berliner 08.10.2005 - 03:58
Berlin bleibt ruhig?
Gibts noch mehr Leute hier, die die Fernsehbilder und Artikel nicht mehr ertragen?

@berliner

berlinerin 08.10.2005 - 18:09
wir sollten etwas tun.

seid wachsam, haltet die augen auf. aktionen werden stattfinden.