Die Schiffsbesetzung der STC (Interview)

Daniel Peressini 04.10.2005 01:38 Themen: Repression Soziale Kämpfe Weltweit
Die Besetzung der Fähre „Pascal Paoli“ und ihre Überführung nach Bastia auf Korsika durch in der korsischen Gewerkschaft STC organisierte Seeleute am 27.September 2005 sowie ihre Enterung durch französische Spezialeinheiten noch auf See hat international für Aufsehen und eine breite Solidarisierung (insbesondere der linken französischen Gewerkschaftszentrale CGT) gesorgt. Über die Hintergründe dieser spektakulären Protestaktion gegen die Privatisierung der staatlichen Fährgesellschaft SNCM und die Lage auf Korsika interviewte die Pariser Korrespondentin der kommunistischen italienischen Tageszeitung „il manifesto“ für die Ausgabe vom 2.10.2005 den linken korsischen Dokumentarfilmer Daniel Peressini.
Gewerkschafter im Angriff

„Aber dies ist nicht die Insel von Tortuga.“
Es spricht der korsische Regisseur Daniel Peressini.

ANNA MARIA MERLO – Paris

Das von der Regierung Villepin gegen die korsischen „Piraten“ der Gewerkschaft STC geführte Seegefecht hat den Vorurteilen, die das kontinentale Frankreich noch immer gegenüber Korsika hegt, einen weiteren heftigen Schub versetzt. Daniel Peressini, Regisseur und Autor verschiedener Dokumentarfilme über Korsika (darunter „J’ai ete militant clandestin“ ((Ich war Untergrundaktivist)) und „L’Ile sur le feu“, was im Französischen wie ein Wortspiel zwischen der wörtlichen Bedeutung „Die Insel auf dem Feuer“ und der übertragenen Bedeutung „Öl aufs Feuer“ klingt) ist über die Situation Korsikas (woher er stammt) verbittert. Dort „regiert heute die Rechte, obwohl die Linke gewonnen hat und der Präfekt tut alles, damit die Politiker nichts tun“. Auf einer Insel – fügt er hinzu –, die „in den Ranglisten bezüglich der Anzahl der AIDS-Kranken, der Abtreibungen, der Menschen, die vom Mindesteinkommen leben, der Armut und der Fehlzeiten, an der Spitze steht“.

Der Staat will die SNCM privatisieren, die beschuldigt wird, Verluste anzuhäufen. Befindet sich die Fährgesellschaft, die Korsika mit dem Kontinent verbindet, wirklich in einem so schlechten Zustand ?

„2004, als 25 Tage lang gestreikt wurde, erreichten die Verluste 30 Millionen Euro. In den vorangegangenen Jahren machte die SNCM aber auch Gewinn. Und dennoch hat der Staat (der bislang 100% kontrolliert) alles dafür getan, dass sie stets von Inkompetenten geleitet wurde. Die SNCM musste mit dem Ende des Monopols 1996 fertig werden. 2002 war sie die einzige, die den Wettbewerbsbedingungen der Auftragsvergabe für die öffentlichen Transportlinien entsprach. Das bedeutete Verpflichtungen – die regelmäßigen Fährverbindungen die Woche über zu garantieren, auch wenn die Fähre dabei leer verkehrte, wofür die lokalen korsischen Behörden Subventionen zahlen. Es findet eine ständige Vermengung der Verluste und der Subventionen statt, die sie für die Aufrechterhaltung der territorialen Kontinuität erhält – Subventionen, die den Kosten für einen Eisenbahnkilometer entsprechen.
Das ist eine Maßnahme, die zu Zeiten von Giscard d’Estaing eingeführt wurde und die auch der private Konkurrent (die Corsica Ferries) bezieht, wenn er der die Überfahrten durchführt, die als öffentlicher Dienst betrachtet werden. Es ist deshalb skandalös, Verluste und Subventionen miteinander zu vermengen und die Situation des privaten Konkurrenten Corsica Ferries, der aufgrund der Arbeitsbedingungen und der Undurchsichtigkeit der Buchführung mit Sicherheit kein Beispiel ist), obendrein als positiv darzustellen. Ich möchte nicht, dass die Globalisierung zu einem Synonym für die Rückkehr zu Arbeitsbedingungen wie zu Zeiten von Spartakus wird.“

Warum hat der STC zur Entführung / Beschlagnahmung des Schiffes gegriffen ?

„In Wirklichkeit gibt es zwei Entführungen / Beschlagnahmungen: die des Schiffes, das ein Arbeitsinstrument ist und die der öffentlichen Gelder, gerade bei dem laufenden Privatisierungsprojekt. Und die erste Entführung lässt die zweite, sehr viel gravierende, vergessen. Die Entführung des Schiffes ist so wie die Besetzung einer Fabrik, da sie für die Seeleute eine Arbeitsstätte ist. Der Staat hingegen wollte die SNCM, die 400 Millionen Euro wert ist, für ein Stück Brot verkaufen: für nur 35 Millionen Euro. Und obendrein hatte der Staat – durch die Zahlung von 113 Millionen Euro – die Schulden übernommen. Kaufen sollte sie – vor dem Protest – die mit ((Frankreichs Premierminister)) verbändelte Butler-Gruppe. Die Sozialistische Partei (PS) wird eine parlamentarische Untersuchung fordern, weil es scheint, dass der libanesische Clan des verstorbenen Hariri dahinter steht, der ein Freund Chiracs war ((und zu den Finanziers von dessen Präsidentschaftswahlkampf gehört)). Das ist der Ausverkauf der französischen Handelsmarine an irgendeinen Freund. Und zwar zu einem ‚Freundschaftspreis’.“

Wie erklärst Du die Position des STC zur „Korsisierung“ der Arbeitsplätze ?

„Der STC hat niemals die Ethnisierung der Neueinstellungen gefordert, die Faschismus wäre, sondern dass die in Korsika Wohnenden (nicht die Korsen!) bevorzugt werden. Das Problem ist, dass es die korsischen Lokalbehörden sind, die die Fähren subventionieren und die Gewerkschaft es daher als normal betrachtet, dass sie – in Form von Beschäftigung – in eine Region zurückfließen, in der es keine Arbeit gibt und auf der das Handicap der Insellage lastet.“

Warum hat es den Anschein, dass die Zukunft Korsikas blockiert ist ?

In Frankreich wurden seit jeher korsische Bürger gefördert, aber niemals Korsika. Für die Rechte wie für die Linke oder für Europa hat alles, was nicht Tourismus ist, keinen Platz. Sie möchten aus Korsika das Las Vegas des Mittelmeers machen. Die Korsen wollen dieses Schicksal der Balearisierung ((d.h. der Angleichung an Mallorca, Menorca oder Ibiza)) nicht. Heute sind – zum ersten Mal seit 30 Jahren alle Gewerkschaften im Protest vereint. Die Intervention der Armee in den sozialen Konflikt hat den Nationalisten einen Dienst erwiesen, denen mittlerweile die Luft ausgegangen war. Aber auch jenseits des Falles SNCM gibt es auf Korsika eine schreckliche, allgemeine Unzufriedenheit, einen Mangel an Perspektiven für die Jugendlichen. Wenn die vier festgenommenen Gewerkschafter ins Gefängnis gesteckt worden wären, hätte es eine Explosion gegeben, vielleicht sogar mit Toten.“


((Vorbemerkung, Übersetzung und Einfügungen in doppelten Klammern:
Antifa-AG der Hannover und Gewerkschaftsforum Hannover))
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Ergänzungen

Gekaperte Fähre vor Korsika zurückerobert

DPA 07.10.2005 - 01:17
BASTIA - In einer spektakulären Kommandoaktion hat eine etwa 50 Mann starke französische Sondereinsatztruppe das von korsischen Seeleuten gekaperte Fährschiff "Pascal Paoli" zurückerobert.

Von fünf Helikoptern aus wurden die schwarz vermummten Soldaten auf das vor Bastia im Nordosten Korsikas manövrierende Schiff abgeseilt. Gesichert von Scharfschützen stürmten sie die Brücke.

Anschliessend wurde das Schiff in den Militärhafen von Toulon geleitet. Vier Anführer der "Piraten", die das Schiff am Dienstag in Marseille gekapert hatten, wurden festgenommen. Die anderen - Mitglieder der korsischen Gewerkschaft STC - wurden freigelassen.

"Operation rundum geglückt", lobte Verteidigungsministerin Michèle Alliot-Marie. Die Kommandoaktion war ein Höhepunkt im Konflikt um einen Verkauf der defizitären Korsikafähren-Gesellschaft SNCM.

Die SNCM schrieb 2004 knapp 30 Millionen Euro Verlust. Der Investmentfonds Butler Capital will SNCM für 35 Millionen Euro übernehmen und bis zu 400 der 2400 Stellen abbauen.

Die STC-Seeleute hatten das Schiff gekapert, um einen Verkauf der Staatsreederei und die anschliessende Sanierung zu verhindern. "Wir bringen korsisches Arbeitsgerät nach Korsika zurück", hatte ihr Anführer Alain Mosconi erklärt.

Jetzt räumt der Staat die Möglichkeit ein, einen Anteil an der Reederei zu behalten. Regierungschef Dominique de Villepin sprach mit dem Chef der Gewerkschaft CGT, Bernard Thibault, der anschliessend sagte, es gebe noch Einigungsmöglichkeiten.

Den "Chefpiraten" drohen theoretisch wegen Geiselnahme und Schiffsentführung bis zu 20 Jahre Haft. Damit ist jedoch nicht zu rechnen. Die CGT forderte bereits ihre Freilassung.

Korsische Nationalisten warfen Frankreich Kolonialismus vor. Sie blockierten alle Häfen der Mittelmeerinsel. Der Fährverkehr kam völlig zum Erliegen.

Generalstreik in Frankreich

vom 05.10.05 07.10.2005 - 01:22
Streiktag in Frankreich
Bewährungsprobe für Premierminister Villepin

In Frankreich hat ein landesweiter Streik in manchen Regionen des Landes gestern den öffentlichen Transport lahm gelegt. Auch die Stromversorgung war eingeschränkt. Der Protest der rund eine Million Streikenden richtet sich auch gegen die geplante Privatisierung des staatlichen Energiekonzerns EDF. Premierminister Dominique de Villepin, gegen dessen Politik sich der Streit richtete, sagte, er "höre die Botschaft der Franzosen." Von seinem Reformkurs will er aber nicht abrücken.

Von Barbara Schulte, ARD-Hörfunkstudio Paris

Die Stimmung könnte kaum schlechter sein. Am Wochenende forderten Demonstranten im korsischen Bastia aus Zorn über die geplante Privatisierung der korsischen Fährlinie den Rücktritt des Pariser Wirtschaftsministers Thierry Breton. Diesen aufgebrachten Rufen werden sich heute auf dem französischen Festland viele Menschen anschließen. Denn die Unzufriedenheit in Frankreich ist groß. Die Aktienkurse fliegen davon, aber das Wirtschaftswachstum ist gering und die Arbeitslosigkeit hoch. Sie liegt bei knapp zehn Prozent.

In dieser Lage haben die französischen Gewerkschaften in einer Einmütigkeit, die es seit dreißig Jahren nicht mehr gegeben hat, zu einem landesweiten Streiktag aufgerufen. Mindestens eine Million Menschen beteiligen sich, vor allem aus dem öffentlichen Dienst. In vorderster Front stehen die im Arbeitskampf erprobten Eisenbahner der staatlichen Eisenbahngesellschaft. "Unsere Arbeitsplätze werden immer mehr gefährdet durch Sparmaßnahmen, Umorganisationen und Privatisierungspläne. Und auch unsere Gehälter sind nicht mehr sicher", heißt es bei den Gewerkschaftern.
Wenige Züge, wenige Flüge, viele Staus

Die Zahl der Züge, die heute fahren, ist auf ein Mindestmaß eingeschränkt. Ganz gestrichen wurde der Zugverkehr nicht, weil der öffentliche Dienst erstmalig im Streikfall zu einer Notversorgung verpflichtet wurde. Nicht betroffen von den Arbeitsniederlegungen sind die internationalen Schnellzuglinien Thalys und Eurostar.

Um Paris bildeten sich schon früh die bei Streiktagen üblichen endlosen Staus, denn auch die Vorortzüge, die Metros und Busse fahren viel seltener. 80 Prozent der Flüge fallen aus. Rund die Hälfte der Lehrer streikt, das Kantinenpersonal hat sich angeschlossen und in den Krankenhäusern ist der Dienst eingeschränkt.

"Wir verlangen vierstellige Gehälter"

Am Streik beteiligen sich auch die Metallarbeiter und die Beschäftigten eines Pariser Kaufhauses. Der Protest richtet sich gegen die Wirtschaftspolitik der neuen Regierung. Mehr Geld und mehr sichere Arbeitsplätze sind die Forderungen. "Wir verlangen Gehälter mit vier Stellen, also tausend Euro", sagt Bernard Thibault, der Vorsitzende der größten Gewerkschaft, der CGT. "Immer mehr Vollzeitbeschäftigte bekommen nicht einmal soviel. Und gleichzeitig gibt es Manager, deren Einkommen sechs, gar sieben Ziffern erreicht."

Der heutige landesweite Streiktag ist die erste große Herausforderung für Premierminister Dominique de Villepin, der seit gut vier Monaten im Amt ist. Bisher konnte er eine wachsende Popularität verzeichnen. Doch seitdem er in der Frage der Privatisierung der korsischen Fährlinie wenig Fingerspitzengefühl gezeigt hat, wachsen eher die Zweifel - nicht nur an seinem Wirtschaftsminister, sondern auch an ihm.

Unbekannte schießen mit Raketenwerfer...

Hund 07.10.2005 - 01:30
...verletzt wurde offenbar niemand.

Ajaccio - Unbekannte hätten eine Rakete auf das Gebäude der Präfektur in der Stadt Ajaccio abgefeuert, sagte ein Polizeisprecher. Bei der Explosion sei beträchtlicher Sachschaden entstanden. Mehrere Fensterscheiben seien zu Bruch gegangen, ein Büro sei verwüstet worden. Zum Zeitpunkt des Raketeneinschlags seien Menschen in dem Haus gewesen, allerdings seien sie unversehrt davongekommen. In der Nähe des Regierungsgebäudes wurde ein Raketenwerfer gefunden.

Korsika hat in den vergangenen Jahrzehnten immer wieder Anschläge von kriminellen Banden oder Separatisten erlebt. Ob das Attentat in Verbindung mit dem heftigen Streit um die von korsischen Gewerkschaften bekämpfte Privatisierung der Fähr-Reederei SNCM stand, war zunächst offen. Am Mittwoch hatte eine Spezialeinheit der Gendarmerie die Entführung des Fährschiffs "Pascal Paoli" durch streikende korsische Seeleute in Marseille beendet. Vier Streikende wurden wegen Entführung eines Schiffes und Freiheitsberaubung in Gewahrsam genommen. Ihnen drohen bis zu 20 Jahre Haft.

In Bastia áuf Korsika wurde aus Protest gegen die Erstürmung der "Pascal Paoli" das Seeschifffahrts-Büro in Brand gesetzt. Heimkehrende Besatzungsmitglieder wurden von korsischen Separatisten gefeiert. Der Schiffsverkehr zwischen Korsika und dem französischen Festland kam völlig zum Erliegen.


Die Blockade fällt, die Spannungen bleiben

von letzter Woche 07.10.2005 - 01:33
Im Streit um eine geplante Privatisierung der defizitären korsischen Reederei SNCM ist es in der Hafenstadt Bastia zu Zusammenstößen zwischen Demonstranten und der Polizei gekommen. Unbekannte verübten zudem am Abend einen Anschlag auf ein französisches Zollboot. Dabei entstand größerer Sachschaden, es gab aber keine Verletzten.

Die französische Polizei hatte zuvor die Blockade des korsischen Hafens Ajaccio durch Gewerkschafter gewaltsam durchbrochen. Gepanzerte Fahrzeuge schoben Lastwagen und Mülltonnen zur Seite, die die Kaianlagen versperrten. Mit der Sperrung des Hafens protestierten Gewerkschafter gegen die Privatisierung der wirtschaftlich angeschlagenen korsischen Fährlinie SNCM. Die Privatisierung der SNCM gehört zu Bedingungen der EU für jahrelange Subventionen der Reederei, die im Wettbewerb mit privaten Fährlinien steht.

Der Präfekt erklärte, der Hafen solle wieder funktionsfähig gemacht werden, um den rund 15.000 auf Korsika festsitzenden Menschen die Abreise zu ermöglichen. Eine erste Fähre mit 600 Touristen an Bord konnte am Samstag nach der viertägigen Hafenblockade die Mittelmeerinsel in Richtung Festland verlassen. Vier weitere Fähren einer Privatreederei seien von Toulon und Nizza auf dem Weg nach Ajaccio auf Korsika, teilten die Behörden mit. "Die Lage für manche Familien ist unerträglich. Das sind wirklich Gestrandete", sagte der Präfekt Pierre-René Lemas.
Polizeiaktionen auch in Marseille

Auch in der Hafenstadt Marseille hatte die Polizei eingegriffen, um die Blockaden der Ölhäfen zu beenden. Aus Solidarität mit ihren Kollegen auf Korsika hatten Mitglieder der Gewerkschaft CGT in Marseille und anderen Orten seit Donnerstag Ölverladeeinrichtungen besetzt. Gewerkschaftssprecher kündigten an, trotz der Räumung durch die Polizei sicherzustellen, dass kein Schiff entladen werde.

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solidaria

springinkel 06.10.2005 - 11:28
! VIVES LES PIRATES !